BT-Drucksache 18/12035

Verweis auf eine "Third-Party-Rule" zur Geheimhaltung der Kooperation europäischer Inlandsgeheimdienste

Vom 12. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12035
18. Wahlperiode 12.04.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan van Aken, Annette Groth, Dr. André Hahn,
Inge Höger, Ulla Jelpke, Jan Korte, Niema Movassat, Martina Renner,
Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Verweis auf eine „Third-Party-Rule“ zur Geheimhaltung der Kooperation
europäischer Inlandsgeheimdienste

Seit dem 1. Juli 2016 kooperiert das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit
anderen europäischen Geheimdiensten in Den Haag. Die einzelnen Dienste füh-
ren in einer „operativen Plattform“ eine gemeinsame Datei („CTG-Datenbank“)
und entsenden Verbindungsbeamtinnen und Verbindungsbeamte (siehe Frederik
Roggan in www.cilip.de vom 19. September 2016 sowie für den Innenausschuss
des Deutschen Bundestages, Ausschussdrucksache 18(4)601 A, S. 1 ff.). Die
„operative Plattform“ gehört zu der im Jahr 2001 gegründeten „Counter Terro-
rism Group“ (CTG) des sog. Berner Clubs, dem informellen Zusammenschluss
einer geheim gehaltenen Zahl von Inlandsgeheimdiensten der EU-Mitgliedstaa-
ten sowie Norwegens und der Schweiz (Bundestagsdrucksache 18/5048). Derzeit
ist die Zusammenarbeit auf den Phänomenbereich „Islamistischer Terroris-
mus“ beschränkt. Mit der logistischen Umsetzung der „gemeinsamen Datei“ ist
der niederländische Allgemeine Auskunfts- und Sicherheitsdienst (AIVD) man-
datiert.
Sämtliche weiteren Details der neuen Geheimdienstzusammenarbeit, darunter
übernommene Aufgaben, adressierte Phänomene und die interne Organisations-
struktur, werden von der Bundesregierung aus Gründen des „Staatswohls“ nicht
beantwortet (Bundestagsdrucksachen 18/11577, 18/10641, 18/8170, 18/9323,
18/9974, 18/7930 und 18/5048). Als Grund dafür nennt die Bundesregierung in
vielen Fällen die „Third-Party-Rule“, wonach die Informationen „zwangsläufig
Erkenntnisse der in der CTG vertretenen Nachrichtendienste enthalten würden“.
Weder werden deshalb die teilnehmenden Dienste benannt noch erfahren die Fra-
gesteller Einzelheiten zu Arbeitsgruppen, Personal und Kosten des Zentrums.
Auch der konkrete Ort, die technische Beschaffenheit der „CTG-Datenbank“,
dort geführte Datenfelder oder eingesetzte Such- und Analysewerkzeuge bleiben
unbekannt. Hieraus ergibt sich ein nach Auffassung der Fragesteller eklatantes
parlamentarisches Kontrolldefizit.
Jedoch ist die „Third-Party-Rule“ nach Auffassung der Fragesteller nur auf solche
Informationen anwendbar, die von ausländischen Geheimdiensten stammen, und
nicht auf Angaben zur operativen Zusammenarbeit in Den Haag. Außerdem stellt
der Grundsatz der „Third-Party-Rule“ kein absolutes Verbot der Weitergabe von
Informationen dar, sondern ist als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt einzuordnen
(BVerfG, Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 2 BvE 2/15 – juris, Rn. 160 ff.). Im
Falle eines Konflikts mit entsprechenden Auskunftsbegehren muss sich die Bun-
desregierung um ein Einverständnis mit dem herausgebenden Staat bemühen. Die

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Fragesteller vermuten, dass die Auskunftsverweigerung in den genannten Bun-
destagsdrucksachen pauschal erfolgte, die Bundesregierung die betreffenden In-
landsgeheimdienste also nicht zur Freigabe der Informationen kontaktierte. Zu-
dem muss die Bundesregierung auch prüfen, ob sich das Verbot zur Weitergabe
auch auf eine Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium erstreckt.
Auch dies ist möglicherweise nicht umgesetzt worden.
Das sich dadurch ergebende parlamentarische Kontrolldefizit führt aus Sicht der
Fragesteller dazu, dass nicht geprüft werden kann, ob das BfV die Zusammenar-
beit in Den Haag im Sinne des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG)
ausgestaltet oder Informationen mit Geheimdiensten teilt, die über Polizeivoll-
machten verfügen und diese für Zwangsmaßnahmen einsetzen. Dies wird bei-
spielsweise deutlich in der geplanten Änderung des Polizeikooperationsgesetzes
in Österreich, wonach auch die Kriminalpolizei die dortigen Daten verarbeiten
könnte (http://gleft.de/1Eh). Das Bundesministerium des Innern hatte jedoch in
den genannten parlamentarischen Initiativen erklärt, die vom BfV bei der CTG
eingestellten Daten würden nur zu geheimdienstlichen und nicht zu polizeilichen
Zwecken genutzt. Außer dem österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz
und Terrorismusbekämpfung existieren in der Europäischen Union zahlreiche
weitere Behörden, in denen Geheimdienste über Polizeivollmachten verfügen
(siehe www.cilip.de, „Europäische Geheimdienste: Ein Überblick“ vom 26. Ok-
tober 2016).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwiefern ist die Bundesregierung der Ansicht, dass es sich bei der „Third-

Party-Rule“ um ein absolutes Verbot der Weitergabe von Informationen han-
delt?

2. Sofern auch die Bundesregierung der Ansicht ist, dass es sich bei der „Third-
Party-Rule“ um ein Gebot bzw. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt handelt, wel-
che Pflichten ergeben sich dennoch daraus in Bezug auf die Beantwortung
parlamentarischer Initiativen?

3. Nach welchem Verfahren kann ein Staat im Rahmen einer „Third-Party-
Rule“ zur Freigabe der von ihm eingestellten Informationen an den Deut-
schen Bundestag angefragt werden?

4. In welchen Fällen kann die Bundesregierung nach ihrer Auffassung auch
ohne Freigabe des herausgebenden Staates eine Interessenabwägung vorneh-
men, die Geheimhaltungsinteressen geringer gewichtet als das parlamentari-
sche Informationsinteresse?

5. Da keinerlei vertraglichen Vereinbarungen, Memoranden oder Verträge zu
der von Geheimdienstchefs beschlossenen Einrichtung der „operativen der
Plattform“ in Den Haag existieren (Bundestagsdrucksache 18/9323, Antwort
zu Frage 7), inwiefern wurde die Arbeitsweise der beteiligten Geheimdienste
überhaupt schriftlich fixiert?

6. Wann und auf welche Weise (etwa mündlich oder schriftlich) wurde der
„Konsens“ beschlossen, dass die „Third-Party-Rule“ auch im Rahmen der
„operativen Plattform“ Anwendung finden soll (Bundestagsdrucksa-
che 18/9323, Antwort zu Frage 8)?

7. Inwiefern hat die Bundesregierung bei der Auskunftsverweigerung zur „ope-
rativen Plattform“ in Den Haag nach Formen der Informationsvermittlung
gesucht, die ihre Geheimhaltungsinteressen wahren und (wie zu den parla-
mentarischen Fragerechten nach §§ 100 ff. der Geschäftsordnung des Deut-
schen Bundestages bestimmt) dennoch das Informationsbedürfnis der Abge-
ordneten erfüllen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12035
8. Inwiefern ist die Bundesregierung mittlerweile bereit, dem Deutschen Bun-
destag weitere Details der neuen Geheimdienstzusammenarbeit in Den Haag,
darunter die teilnehmenden Dienste, Einzelheiten zu Arbeitsgruppen, Perso-
nal und Kosten, den konkreten Ort, die technische Beschaffenheit der „ope-
rativen Plattform“ in Den Haag, dort geführte Datenfelder oder eingesetzte
Such- und Analysewerkzeuge mitzuteilen (sofern dies wegen der „Third-
Party-Rule“ nicht beantwortet wird, bitte darlegen, welche Dienste die er-
fragten Informationen eingestellt haben bzw. deren Herausgabe untersagen)?

9. Zu welchen der in den Bundestagsdrucksachen 18/10641, 18/8170, 18/9323,
18/9974, 18/7930, 18/5048 mit Verweis auf die „Third-Party-Rule“ unbeant-
worteten Fragen hatte sich die Bundesregierung bei den herausgebenden
Staaten um die Freigabe der Informationen an den Deutschen Bundestag be-
müht?

10. Inwiefern hat die Bundesregierung anschließend auch geprüft, ob sich das
Verbot zur Weitergabe auch auf das Parlamentarische Kontrollgremium er-
streckt?

11. Auf welche Weise stellt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sicher,
dass die vom ihm in der „operativen Plattform“ eingestellten Daten ohne des-
sen Zustimmung nicht an Dritte übermittelt werden und nur zu dem Zweck
verwendet werden, zu dem sie in die Datei eingegeben wurden?

12. Welche an der „operativen Plattform“ beteiligten Staaten haben hierzu wel-
che Art einer (mündlichen oder schriftlichen) verlässlichen Zusage gemacht?

13. Wann hat das BfV eine solche Zusage auch von der Regierung Österreichs
erhalten, das offenbar eine Nutzung von Informationen der „operativen Platt-
form“ auch für kriminalpolizeiliche Zwecke erlauben will (http://gleft.
de/1Eh)?

14. Da die Abgeordneten des Deutschen Bundestages über keine unmittelbare
parlamentarische Kontrolle darüber verfügen, ob die ausländischen Geheim-
dienste die verlässliche Zusage nach § 22c BVerfSchG einhalten, auf welche
Weise wird dies vom BfV auf etwaige Rechtsverstöße überwacht?

15. Inwiefern hat das BfV bei der Überwachung der Einhaltung der verlässlichen
Zusagen bereits Unregelmäßigkeiten oder Verstöße festgestellt?

16. Inwiefern erhält das BfV über das als „operative Plattform“ bezeichnete In-
formationssystem in Den Haag Zugriff auf Daten, die es im Inland selbst
nicht erheben könnte oder dürfte?

17. Wie stellt das BfV sicher, dass es in der „operativen Plattform“ Informatio-
nen, die es im Inland selbst nicht erheben könnte oder dürfte, nicht einsehen
kann und erst recht nicht verarbeitet?

18. Inwiefern ist die Bundesregierung mittlerweile dazu bereit, nähere Angaben
zu den vom EU-Anti-Terrorismus-Koordinator berichteten ersten „opera-
tive[n] Ergebnisse[n]“ zu machen (Bundestagsdrucksache 18/10641, Antwort
zu Frage 7) bzw. die an der „operativen Plattform“ beteiligten Staaten hierzu
um die Freigabe der erfragten Informationen zu ersuchen?

19. Inwiefern ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die Geheimhaltung ge-
mäß der „Third-Party-Rule“ auch hinsichtlich von Angaben zu einer engeren
Kooperation des Bundesamtes für Verfassungsschutz als Mitglied der CTG
und Europol gegenüber dem allgemeinen Frage- und Informationsrecht der
Abgeordneten grundsätzlich überwiegt?

20. Inwiefern hat die Bundesregierung vor der verweigerten Auskunft zu weite-
ren Sondierungen zwischen der CTG und Europol die Teilnehmenden der
„Erkundungsmissionen“ zu Europol um die Freigabe der erfragten Informa-
tionen ersucht (Bundestagsdrucksache 18/11577, Antwort zu Frage 19)?

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21. Welche weiteren Sondierungen zwischen der CTG und Europol sind seit Be-

antwortung der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/11577 erfolgt
bzw. geplant, und wer nahm bzw. nimmt daran teil?

22. Welche Zwischen- oder Endergebnisse kann die Bundesregierung zu den
„Erkundungsmissionen“ und „Sondierungen“ der CTG bzw. einige ihrer teil-
nehmenden Geheimdienste (darunter auch das BfV) bei Europol mitteilen,
und auf welche Weise könnten Europol und die CTG (etwa im Phänomen-
bereich Islamistischer Terrorismus ) zukünftig strategisch oder strukturell
kooperieren?

Berlin, den 11. April 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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