BT-Drucksache 18/11862

Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung - Kosten, Fristen, rechtliche Grundlage

Vom 28. März 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11862
18. Wahlperiode 28.03.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Katrin Kunert,
Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung – Kosten, Fristen, rechtliche Grundlage

Das Bundesverfassungsgericht erklärte die deutschen Vorschriften zur Vorrats-
datenspeicherung mit Urteil vom 2. März 2010 für verfassungswidrig und nichtig.
Das Urteil verpflichtete deutsche Telekommunikationsanbieter zur sofortigen Lö-
schung der bis dahin gesammelten Daten. Das Bundesverfassungsgericht begrün-
dete seine Entscheidung u. a. damit, dass das Gesetz zur anlasslosen Speicherung
umfangreicher Daten sämtlicher Nutzer elektronischer Kommunikationsdienste
keine konkreten Maßnahmen zur Datensicherheit vorsehe und zudem die Hürden
für staatliche Zugriffe auf die Daten zu niedrig seien. Die Regelung zur Vorrats-
datenspeicherung verstoße daher gegen Artikel 10 Absatz 1 des Grundgesetzes
(GG). Am 8. April 2014 erklärte auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) die
EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig, da sie mit der Charta der
Grundrechte der Europäischen Union nicht vereinbar sei.
Mit dem Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicher-
frist für Verkehrsdaten (VerkDSpG) wurde in Deutschland im Oktober 2015
durch die Große Koalition dennoch ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeiche-
rung verabschiedet, welches am 18. Dezember 2015 in Kraft getreten ist. Durch
das VerkDSpG sind Erbringer öffentlich zugänglicher Telefon- und Internetzu-
gangsdienste für Endnutzer verpflichtet, nach den §§ 113a, 113b des Telekom-
munikationsgesetzes (TKG) zentrale Verkehrsdaten für zehn bzw. vier Wochen
zu speichern und entsprechend dem Auskunftsverlangen der Behörden an diese
zu übermitteln.
Von verschiedener Seite wurden Verfassungsklagen gegen das VerkDSpG ange-
kündigt bzw. eingereicht. Kritik kommt auch von Seite der Telekommunikations-
unternehmen. Diese bemängeln u. a., dass die gesetzlichen Vorgaben zur Vorrats-
datenspeicherung bei den Netzbetreibern jährliche Betriebskosten (Investitions-
und Unterhaltskosten) in schätzungsweise dreistelliger Millionenhöhe verursa-
chen werden, die diese wiederum an ihre Kunden weitergeben würden (Eco Po-
litikbrief, Ausgabe 2. 2015/ 3. Quartal). Weiterhin sind laut Eco die mittelständi-
schen Telekommunikationsunternehmen durch die Umsetzung des VerkDSpG in
ihrer Existenz bedroht, da sowohl der Aufwand zur Umsetzung enorm ist als auch
die Kosten kaum erstattet werden (Eco, Pressemeldung, 22. Juni 2016). Die Te-
lekommunikationsunternehmen sind verpflichtet, bis zum 1. Juli 2017 die nötigen
Voraussetzungen zur Speicherung der Verkehrsdaten zu erfüllen (§ 150 Ab-
satz 13 TKG).
Am 21. Dezember 2016 bekräftigte der Europäische Gerichtshof, dass eine an-
lasslose Vorratsdatenspeicherung nicht mit der Grundrechtecharta der Europäi-
schen Union vereinbar ist und zugleich, dass diese für alle nationalen Regelungen
zur Vorratsdatenspeicherung auch dann anwendbar ist, wenn diese Speicherung

Drucksache 18/11862 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

nicht durch EU-Recht vorgegeben wird (C 203/15 und C 698/15). Der EuGH
knüpfte an seine vorherige Rechtsprechung an, nach der schon für die Speiche-
rung und nicht erst für den Abruf der Daten bestimmte tatbestandliche Voraus-
setzungen erfüllt sein müssen, dass sie im Zusammenhang mit schweren Strafta-
ten stehen. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bun-
destages (PE 6 – 3000 – 176/16) kommt zu dem Schluss, dass das VerkDSpG
zentrale Vorgaben der EuGH-Entscheidung nicht erfüllt. Da der EuGH eine an-
lasslose Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich ablehnt, seien durch das
VerkDSpG die Voraussetzungen für eine EU-grundrechtskonforme Ausgestal-
tung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland nicht gegeben.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wird die Bundesregierung die §§ 113a bis 113g TKG sowie die §§ 100g und

100j der Strafprozessordnung (StPO) noch vor dem 1. Juli 2017 aufheben
bzw. aussetzen, da diese nicht mit dem EU-Recht vereinbar sind (bitte be-
gründen)?

2. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem EuGH-Ur-
teil vom 21. Dezember 2016, nach dem bereits die Speicherung von Vorrats-
daten nur bei Vorliegen bestimmter tatbestandlicher Voraussetzungen zuläs-
sig ist (siehe Vorbemerkung der Fragesteller)?

3. Plant die Bundesregierung als Konsequenz aus dem EuGH-Urteil vom
21. Dezember 2016, wonach nur Vorratsdaten solcher Personen gespeichert
werden dürfen, die Anlass zur Strafverfolgung geben, eine entsprechende
Nachbesserung am VerkDSpG?

Wenn ja, in welcher Form?
Wenn nein, warum nicht?

4. Hat die Bundesregierung die Europäische Kommission oder andere Stellen
der EU (Juristischer Dienst des Rates etc.) um eine rechtliche Einschätzung
der deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung vor dem Hinter-
grund des EuGH-Urteils gebeten?
Wenn ja, hat sie auf die Dringlichkeit vor dem Hintergrund des baldigen In-
krafttretens der deutschen Regelung hingewiesen?
Wenn nein, warum nicht?

5. Sind der Bundesregierung Überlegungen auf EU-Ebene bekannt, neue Rege-
lungen zur Speicherung der Telekommunikationsverbindungsdaten zu ande-
ren Zwecken als denen der Strafverfolgung zu schaffen, und welche Schluss-
folgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesen Über-
legungen?

6. Welche Auswirkungen hätte nach Auffassung der Bundesregierung eine Un-
vereinbarkeit des VerkDSpG mit dem Unionsrecht auf laufende Ermittlungs-
verfahren (bitte begründen)?

7. Welche Auswirkungen hätte nach Auffassung der Bundesregierung eine Un-
vereinbarkeit des VerkDSpG mit dem Unionsrecht auf laufende Zwischen-
und Hauptverfahren (bitte begründen)?

8. Welche Auswirkungen hätte nach Auffassung der Bundesregierung eine Un-
vereinbarkeit des VerkDSpG mit dem Unionsrecht auf nicht rechtskräftig ab-
geschlossene Verfahren (bitte begründen)?

9. Welche Auswirkungen hätte nach Auffassung der Bundesregierung eine Un-
vereinbarkeit des VerkDSpG mit dem Unionsrecht auf rechtskräftige Urteile
(bitte begründen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11862

10. Wie ist der aktuelle Beratungs- und Planungsstand zur Überarbeitung und

Anpassung der Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV),
um die nötigen Änderungen durch die VerkDSpG einzuarbeiten?

11. Ist die TR TKÜV 7.0 Version 2 die Endfassung (www.bundesnetzagentur.
de/DE/Sachgebiete/Telekommunikation/Unternehmen_Institutionen/
Anbieterpflichten/OeffentlicheSicherheit/Umsetzung110TKG/Anhoerung.
html?nn=329286)?

Wenn nein, wann ist mit dieser zu rechnen?
12. Wie ist der aktuelle Stand in den Planungen der Bundesnetzagentur, die

neue TR TKÜV 7.0 im Mai 2017 in Kraft treten zu lassen (www.bundes
netzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Telekommunikation/
Unternehmen_Institutionen/Anbieterpflichten/OeffentlicheSicherheit/
TechnUmsetzung110/Downloads/Pr%C3%A4sentation%20Anh%C3%
B6rung%20TR%20TK%C3%9CV%20version%207.0%20vom%2020.12.16.
pdf?__blob=publicationFile&v=2)?

13. Wie ist der aktuelle Stand im Notifizierungsverfahren gemäß der Richtli-
nie 98/34/EG?

14. Ist nach Einschätzung der Bundesregierung die Zeit vom Beginn des Inkraft-
tretens der TR TKÜV 7.0 (Mai 2017) bis zum geplanten Beginn der
VerkDSpG am 1. Juli 2017 ausreichend für die Installation und Inbetrieb-
nahme der Infrastruktur?
Wenn ja, wäre mit einem längeren Zeitraum auch eine kostengünstigere In-
stallation verbunden gewesen?
Wenn nein, ist das Inkrafttreten des VerkDSpG am 1. Juli 2017 in Gefahr?

15. Was passiert, wenn (einzelne oder mehrere) verpflichtete Erbringer den Be-
ginn der Verkehrsdatenspeicherung am 1. Juli 2017 nicht einhalten können?

16. Auf welche Höhe lassen sich die bisher angefallenen Kosten zur Umsetzung
des Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicher-
frist für Verkehrsdaten (VerkDSpG) beziffern (bitte aufschlüsseln)?

17. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die (Einzel-)Kosten zum Aufbau ei-
ner Speicherstruktur für die nach § 113a TKG Absatz 1 verpflichteten Er-
bringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste für Endnutzer
(bitte nach Erbringern aufschlüsseln und jeweils die Zahl der angeschlosse-
nen Endnutzer angeben)?

18. Teilt die Bundesregierung die Bewertung des Wissenschaftlichen Dienstes
des Deutschen Bundestages (PE 6 – 3000 – 176/16), wonach die Investitio-
nen der Unternehmen durch die Entschädigungsregelung der unbilligen
Härte (§ 113a Absatz 2 TKG) nicht in vollem Umfang gedeckt werden?

Wenn ja, welche Schlüsse zieht sie daraus?
Wenn nein, warum nicht?

19. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die künftige Entwicklung
der Kosten für Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikations-
dienste, um den Betrieb der Speicherstruktur und die Sicherheit der gespei-
cherten Daten und ihren Abruf dauerhaft zu gewährleisten?

20. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung, wie sich die Kostenentwick-
lung in der Telekommunikations- und Telemedien-Branche im Zusammen-
hang mit der Vorratsdatenspeicherung auf das Kostenniveau für die Endver-
braucher auswirken wird (bitte hierbei auch die mittel- und langfristigen Wir-
kungen einer Marktbereinigung von nicht ausreichend investitionsfähigen
Unternehmen bedenken)?

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21. Wie könnten nach Ansicht der Bundesregierung Entschädigungsszenarien

aussehen, bei denen die Regelung der unbilligen Härte greift (§ 113a Ab-
satz 2 TKG), und
a) wie viele entsprechende Bedarfsanzeigen hat sie ggf. bereits erhalten, und
b) mit wie vielen solcher Bedarfsanzeigen rechnet sie derzeit?

22. Wie groß ist das geplante Budget der Bundesnetzagentur für potenzielle Ent-
schädigungsleistungen und
a) wird das Budget nach vollständigem Abruf aufgestockt, und
b) handelt es sich hierbei um ein jährliches Budget?

23. Haben Unternehmen, die den Aufbau der Speicherinfrastruktur finanziell
nicht gewährleisten können, schon vor dem Beginn der Speicherung An-
spruch auf finanzielle Unterstützung?
Wenn ja, wie können sie diesen Anspruch geltend machen, und mit wie vie-
len Anspruchsberechtigten rechnet die Bundesregierung?
Wenn nein, warum nicht?

24. Mit wie viel Mehrwertsteuermehreinnahmen rechnet die Bundesregierung
aufgrund der durch die VDS erhöhten Telekommunikationstarife?

25. Existiert nach Kenntnis der Bundesregierung eine Art Ausstiegsplan, um aus
der Speicherung der Verkehrsdaten auszusteigen, wenn das VerkDSpG z. B.
für europarechts- oder verfassungswidrig erklärt wird, und
a) übernimmt die Bundesregierung bzw. die Bundesnetzagentur dann die

vollständigen Implementierungskosten, und
b) übernimmt die Bundesregierung bzw. die Bundesnetzagentur die Kosten

für den Rückbau der Infrastruktur?

Berlin, den 28. März 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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