BT-Drucksache 18/11850

Herausforderungen für die humanitäre Hilfe und Entwicklungspolitik sechs Jahre nach Beginn des Krieges in Syrien

Vom 24. März 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11850
18. Wahlperiode 24.03.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heike Hänsel, Sevim Dağdelen, Andrej Hunko, Annette Groth,
Katrin Kunert, Niema Movassat, Ulla Jelpke, Jörn Wunderlich und der Fraktion
DIE LINKE.

Herausforderungen für die humanitäre Hilfe und Entwicklungspolitik sechs Jahre
nach Beginn des Krieges in Syrien

Sechs Jahre nach Beginn des Krieges in Syrien haben humanitäre Organisationen
unlängst erneut auf die katastrophale Lage der Zivilisten in dem Land aufmerk-
sam gemacht (u. a. www.presseportal.de/pm/6596/3584513). Mehr als 400 000
Menschen sind seit Beginn der Kampfhandlungen getötet worden, Millionen sind
auf der Flucht. Nach Angaben der Welthungerhilfe sind fast 14 Millionen Men-
schen auf humanitäre Hilfe angewiesen, knapp sieben Millionen Menschen kön-
nen sich nicht selbst ernähren. Die humanitären Maßnahmen der Vereinten Nati-
onen für das laufende Jahr seien weiterhin unterfinanziert, heißt es von dieser
Seite: Bisher wurden erst 3 Prozent der benötigten 3,4 Mrd. Euro zur Verfügung
gestellt. Kinderhilfsorganisationen verwiesen zum Jahrestag am 15. März 2017
erneut auch auf die erschütternde Lage von Minderjährigen (www.aerztezeitung.
de/politik_gesellschaft/gesundheitspolitik_international/article/931545/unicef-
millionen-syrische-kinder-traumatisiert.html), von denen schätzungsweise eine
Million traumatisiert sind. Unter entwicklungspolitischen und humanitären Fach-
leuten herrscht Einigkeit darüber, dass rasche und unparteiische Hilfe dringend
notwendig ist.
Die humanitäre Hilfe der Bundesregierung und der Europäischen Union (EU) las-
sen diese Neutralität nach Auffassung der Fragesteller missen. Durch einen von
den „Freunden Syriens“ eingerichteten „Syrian Recovery Trust Funds“ wurden
ausschließlich Menschen in Regionen unterstützt, die unter der Kontrolle der
sogenannten Rebellen waren oder sind. Die EU organisierte am 5. April 2017
eine internationale Syrien-Konferenz in Brüssel, die sich der Förderung der Frie-
densbemühungen für das Bürgerkriegsland widmen soll, so die EU-Außenbeauf-
tragte Federica Mogherini (www.consilium.europa.eu/en/meetings/international-
summit/2017/04/05/). Auch soll über Hilfen für die syrische Zivilbevölkerung
beraten werden. Zu den Bündnispartnern zählen neben Deutschland, Norwegen
und Großbritannien mit Kuweit und Katar aber auch zwei Akteure, die in den
vergangenen Jahren auf Seiten islamistischer terroristischer Gruppen direkt in das
Kriegsgeschehen eingegriffen haben (www.telegraph.co.uk/news/worldnews/
middleeast/kuwait/11077537/How-our-allies-in-Kuwait-and-Qatar-funded-Islamic-
State.html).
Durch diese Allianzpolitik befördert die Bundesregierung nach Auffassung der
Fragesteller den Eindruck, humanitäre Hilfe werde von deutscher und EU-Seite,
etwa in Bezug auf die notleidende Bevölkerung im syrischen Aleppo, einseitig
geleistet. Vor der Übernahme dieser Stadt durch Regierungstruppen wies der da-
malige Bundesminister des Auswärtigen Dr. Frank-Walter Steinmeier zu Recht

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auf das Leid der Menschen in Aleppo hin (www.taz.de/!5330185/). Er hob dabei
die schwierige Versorgung mit Lebensmitteln, Trinkwasser und Medikamenten
hervor, die „von Tag zu Tag katastrophaler“ werde. Der Bundesminister für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dr. Gerd Müller (CSU) sagte: „Al-
eppo ist der Hilfeschrei von 300 000 verzweifelten Menschen an uns alle: Lasst
uns nicht sterben!“ Seither ist die öffentliche Thematisierung der schwierigen hu-
manitären Lage in Aleppo durch die Bundesregierung messbar zurückgegangen.
Das Auswärtige Amt publizierte in den letzten beiden Monaten 2016 gut ein Dut-
zend öffentliche Erklärungen zu Syrien, davon alleine fünf zu Aleppo; seit Jah-
resbeginn 2017 erschienen indes nur drei Mitteilungen zu Syrien und eine zur
Lage in Aleppo. Das Leiden der Menschen aber dauert in Aleppo und in anderen
Städten des Landes unvermindert an, auch durch Angriffe von bewaffneten Re-
gierungsgegnern. Zu den herausragenden Problemen gehören die Schaffung von
Unterkünften, die Versorgung mit Medikamenten, Nahrungsmitteln und Wasser
sowie die Behandlung von Traumata. Die Suspendierung der bilateralen staatli-
chen Entwicklungszusammenarbeit mit der syrischen Regierung steht diesen
Aufgaben entgegen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie wurden nach Kenntnis der Bundesregierung die Teilnehmer an der Sy-

rien-Konferenz der Europäischen Union am 5. April 2017 in Brüssel ausge-
wählt?

2. Hat sich die Bundesregierung dafür eingesetzt, dass andere für die Entwick-
lung in Syrien relevante Parteien eingeladen werden, etwa Russland oder die
syrische Regierung?

3. Wie hat der Kriegsverlauf in Syrien und vor allem die Übernahme von Aleppo
und umliegenden Landesteilen durch Truppen der syrischen Regierung deut-
sche Programme der Entwicklungs- und Nothilfe beeinflusst?

4. Hält die Bundesregierung an der Entscheidung aus dem Jahr 2011 fest, die
bilaterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit Syrien auszusetzen
(www.bmz.de/de/laender_regionen/naher_osten_nordafrika/syrien/index.
html?PHPSESSID=2c1043eb824f58898799fa7d2264f342)?

5. In welcher Höhe hat die Bundesregierung seit dem Jahr 2011 Finanzmittel
für Syrien aufgewendet?
a) In welchen Einzelplänen waren diese Aufwendungen angesiedelt (bitte

Einzelpläne und Posten einzeln auflisten)?
b) Wer waren die Empfänger dieser Mittel?
c) Welche Projekte wurden finanziert?

6. Hat die Bundesregierung alternative Konzepte, der weiterhin notleidenden
Bevölkerung in Aleppo und anderen Landesteilen unter Kontrolle der syri-
schen Regierung Hilfe zukommen zu lassen, und wenn ja, welche?

7. Welche Mittel hat die Bundesregierung seit der Übernahme von Teilen der
Stadt Aleppo durch bewaffnete Regierungsgegner im Juli 2012 bis Ende des
Jahres 2016 für die Versorgung der dortigen Bevölkerung bereitgestellt?
a) Wer in welchem Teil von Aleppo hat die Hilfe erhalten?
b) Wie wurde sichergestellt, dass die Hilfe die Zielgruppe erreicht hat?

8. Welche entwicklungspolitischen und humanitären Projekte wurden in wel-
chem Teil von Aleppo im genannten Zeitraum realisiert?

9. Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung seit Beginn des Jahres 2017
konkret unternommen, um alle Menschen in Aleppo humanitär versorgen zu
können?

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10. Welche Mittel hat die Bundesregierung seit der Rückeroberung der Stadt

Aleppo durch die Truppen der syrischen Regierung am 22. Dezember 2016
für die Versorgung der dortigen Bevölkerung bereitgestellt, und welche ent-
wicklungspolitischen und humanitären Projekte wurden in Aleppo seither
realisiert?
a) Wer in welchem Teil von Aleppo hat die Hilfe erhalten?
b) Wie wurde sichergestellt, dass die Hilfe die Zielgruppe erreicht hat?

11. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die aktuelle Arbeit der
sogenannten Weißhelme in Syrien, die auch mit EU-Geldern unterstützt wur-
den?

12. Mit welchen Organisationen, Strukturen oder Gruppierungen arbeiten die
„Weißhelme“ nach Kenntnis der Bundesregierung zusammen?

13. In welchen Städten arbeiten die „Weißhelme“ nach Kenntnis der Bundesre-
gierung derzeit in Syrien, und wird die Arbeit weiterhin von der EU finanzi-
ell unterstützt?
Wenn ja, mit wie viel Geld genau (bitte einzeln aufführen)?
a) In welchen Stadtteilen der o. g. Städte sind die „Weißhelme“ nach Kennt-

nis der Bundesregierung tätig?
b) Unter Kontrolle welcher Kräfte stehen diese Städte (Frage 13) und Stadt-

teile (Frage 13a) jeweils (bitte auflisten)?
c) Welche dieser Organisationen sind nach Kenntnis der Bundesregierung

von der Generalbundesanwaltschaft, der Europäischen Union, den USA
oder den Vereinten Nationen (UNO) als terroristische Organisation ein-
gestuft?

14. Verfügt die Bundesregierung über Kontakte zu der Organisation „Weiß-
helme“, und wenn ja, welcherart sind diese Kontakte?

15. Sind die „Weißhelme“ in Genuss deutscher Finanzhilfen gekommen oder ha-
ben sie indirekt von deutschen Projekten der Entwicklungszusammenarbeit
oder Nothilfe profitiert?

16. Ist die Bundesregierung bereit, die Unterstützung der Arbeit der Vereinten
Nationen in den Nachbarstaaten Syriens vor allem in den Bereichen Bildung,
Ausbildung, Kinderschutz, Nahrungsmittelsicherung sowie kommunale Inf-
rastruktur erneut auf das syrische Staatsgebiet auszuweiten?

17. Wo arbeiten die „rund 1 000 syrischen Ärzte und Ärztinnen, Krankenpfle-
ger/innen und Traumapsycholog/innen“, für die das Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Ende Dezember
2016 Gelder in Höhe von 15 Mio. Euro zur Verfügung gestellt hat (www.
bmz.de/20161227-1) (bitte auflisten)?

18. Führt die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)
GmbH ihre Kooperation mit Krankenhäusern, Gesundheitsstationen und Be-
ratungseinrichtungen in den Regionen Aleppo, Idlib und Hama fort (ebd.)?
a) Falls ja, wer sind die Kooperationspartner, und wo genau befinden sich

die Projekte?
b) Was bedeutet es für die Projekte, dass verschiedene islamistische Terror-

gruppen (Ahrar as-Sham, Nusra Front alias Tahrir as-Sham u. a.) in Idlib,
Hama und Aleppo gegeneinander kämpfen?

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19. Welche Konzepte hat die Bundesregierung, um die nach Auskunft der SOS

Kinderdörfer rund 85 Prozent schwer traumatisierten Kinder (www.presse
portal.de/pm/1658/3584246) und eine Million Kindern mit Stresssymptomen
(www.savethechildren.org/site/apps/nlnet/content2.aspx?c=8rKLIXMGIpI4
E&b=9506653&ct=14987697) in Syrien zu helfen?

20. Wird die Bundesregierung dem Appell von Hilfsorganisationen nach-
kommen, sich für die notleidende Bevölkerung in den belagerten Städten
Syriens einzusetzen (www.ots.at/presseaussendung/OTS_20170313_OTS00
30/sechs-jahre-syrienkrise-noch-immer-harren-650000-menschen-in-
belagerten-gebieten-aus)?
a) Welche belagerten Städte sind der Bundesregierung bekannt, und von

wem werden sie belagert?
b) Hat bisher eine dieser Städte humanitäre Hilfe aus Deutschland erreicht?

Wenn ja, welche?
21. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Vereinten Nationen (Wirtschafts-

und Sozialkommission für Westasien – ESCWA) die EU-Wirtschaftssankti-
onen gegen Syrien als die härtesten bezeichnet, die je gegen ein Land ver-
hängt wurden, und welche Haltung nimmt sie zu dieser Einschätzung ein
(www.usnews.com/news/world/articles/2017-03-15/syria-sanctions-indirectly-
hit-childrens-cancer-treatment)?

22. Ist der Bundesregierung bekannt, ob infolge der Sanktionen Krankenhäuser
Probleme haben, ihre Geräte zu reparieren, pharmazeutische Firmen notwen-
dige Produkte für die Medikamentenproduktion nicht einführen können, und
welche Haltung nimmt sie dazu ein?

23. Erwägt die Bundesregierung – als vertrauensbildende Maßnahme zur Unter-
stützung des politischen Prozesses in Syrien – auf die Aufhebung der
EU-Wirtschaftssanktionen gegen Syrien hinzuwirken?

Berlin, den 23. März 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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