BT-Drucksache 18/11838

Die Lage der Zivilbevölkerung in Afghanistan

Vom 24. März 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11838
18. Wahlperiode 24.03.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Christine Buchholz, Annette Groth,
Inge Höger, Andrej Hunko, Jan Korte, Niema Movassat, Kersten Steinke,
Birgit Wöllert und der Fraktion DIE LINKE.

Die Lage der Zivilbevölkerung in Afghanistan

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) stellte in ei-
ner auf Anfrage des Bundesministeriums des Innern im Dezember 2016 aktuali-
sierten Stellungnahme fest, dass sich sowohl die Sicherheitslage in Afghanistan
„nochmals deutlich“ verschlechtert habe, als auch, dass aufgrund der „sich stän-
dig ändernden Sicherheitslage“ der UNHCR „keine Unterscheidung von ‚siche-
ren‘ und ‚unsicheren‘ Gebieten“ treffen könne.
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) zeigt in ihrem
Jahresbericht 2016, dass die Zahl der in Afghanistan durch Kriegshandlungen
verletzten und getöteten Zivilistinnen und Zivilisten den höchsten Stand seit Be-
ginn der Zählung erreicht hat. Mit 11 418 gemeldeten Opfern ist sie fast doppelt
so hoch wie 2009. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Weiterhin hat die
Zahl der im Rahmen von kriegerischen Handlungen betroffenen Frauen und Mäd-
chen im Vergleich zum Vorjahr um 7 Prozent zugenommen. 11 Prozent, das heißt
1 118 der betroffenen Zivilistinnen und Zivilisten sind nach dem UNAMA-Be-
richt zum Opfer von gezielten, versuchten oder vollzogenen Mordanschlägen ge-
worden. 24 Prozent der zivilen Opfer wurden von Regierungskräften und der
Regierung Nahestehenden verursacht, 61 Prozent von gegen die Regierung ge-
richteten Gruppen, wie dem sogenannten Islamischen Staat (IS) und den Taliban.
UNAMA schreibt 6 994 zivile Opfer den Taliban zu und 899 Opfer dem IS. Ge-
rade die Zahl der Opfer des IS hat sich im Vergleich zum Vorjahr nahezu ver-
zehnfacht. Besonders besorgniserregend ist die Versechsfachung der Opfer auf
378 bei gezielten Angriffen auf religiöse Zeremonien, unter anderem auch in Ka-
bul Stadt (https://unama.unmissions.org/sites/default/files/protection_of_civilians_
in_armed_conflict_annual_report_2016_16_feb_2017_final.pdf).
Insbesondere Frauen werden massiv in ganz Afghanistan angegriffen. Die Gewalt
gegen Frauen nahm im Jahr 2016 zu. So stieg auch die Anzahl von Hinrichtungen
von Frauen durch die Taliban (www.amnesty.org.in/show/blog/amnesty-inter
national-annual-report-2016-17-afghanistan). Die afghanische Frauenrechtsorga-
nisation Revolutionary Association of the Women in Afghanistan (RAWA)
stellte eine Liste der von den Taliban verhängten frauenfeindlichen Gesetze auf,
dabei sind schwere Körperstrafen wie Auspeitschen für Verstöße gegen Kleider-
ordnungen vorgesehen sowie Steinigung bei als „unmoralisch“ verstandenem
Verhalten (www.rawa.org/rules.htm).
Ganz im Gegensatz zum Bericht des UNHCR, der besagt, dass es nicht möglich
sei, zwischen sicheren und unsicheren Gebieten in Afghanistan zu unterscheiden
(www.proasyl.de/wp-content/uploads/2015/12/2017-Bericht-UNHCR-Afghanistan.
pdf), erklärte Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière in einem Interview

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in den „Tagesthemen“ am 20. Februar 2017 diesbezüglich, „sichere Gebiete“
gebe es „im Norden, auch in Teilen Kabuls“, und im Gegensatz zum UNAMA-
Report, der von „gezielten Angriffen auf Zivilisten, die als Kriegsverbrechen zu
werten sind“, in Afghanistan spricht, behauptete der Bundesinnenminister, die
radikalislamischen Taliban zielten auf Repräsentanten des Systems – „Polizisten,
Botschaften, westliche Hotels“. Die „normale Bevölkerung“ sei „zwar Opfer“, aber
„nicht Ziel der Taliban. Das ist ein großer Unterschied“ (www.tagesschau.de/
inland/tagesthemen-interview-de-maiziere-101.html).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie ist der Umstand einer gestiegenen Zahl ziviler Opfer (www.deutsch

landfunk.de/afghanistan-immer-mehr-zivile-opfer-weniger-abschiebungen.
1818.de.html?dram:article_id=378216) damit zu vereinbaren, dass die Bun-
desregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. auf Bundestagsdrucksache 18/8141 noch erklärt hat, dass „für die
zivile Bevölkerung in den Gebieten unter militantem Einfluss […] die Be-
drohung […] geringer [sei], da die Talibanführung ihre Kämpfer wiederholt
glaubhaft und eindeutig angewiesen hat, zivile Opfer zu vermeiden und zi-
vile Infrastruktur zu schonen“ (bitte ausführlich ausführen), und was meint
Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière damit, wenn er erklärt, es sei
ein „großer Unterschied“, dass die „normale Bevölkerung“ in Afghanistan
„zwar Opfer“, aber „nicht Ziel der Taliban“ sei (www.tagesschau.de/
inland/tagesthemen-interview-de-maiziere-101.html)?
Welchen großen Unterschied macht es nach Kenntnissen der Bundesregie-
rung insbesondere für die zivilen Opfer, dass sie womöglich „kein Ziel“ wa-
ren, aber dennoch getroffen wurden (bitte nachvollziehbar darlegen)?

2. Anhand welcher Kriterien und aufgrund welcher Erkenntnisse trifft der Bun-
desinnenminister die Unterscheidung zwischen „Ziel“ und „Opfer“ und
schließt dabei aus, dass die Bevölkerung nicht ebenso Ziel der Anschläge ist,
um ein Klima der Verunsicherung zu schaffen?

3. Wie sind zivile Opfer, die bei Anschlägen auf religiöse Zeremonien getötet
oder verletzt wurden, im Rahmen der vom Bundesinnenminister getätigten
Einordnung bzgl. „Opfern“ und „Zielen“ anzusiedeln?
a) Wie viele der zivilen Opfer im Jahr 2016 sind nach Kenntnis der Bundes-

regierung bei Anschlägen ums Leben gekommen, bei denen sie nicht das
eigentliche „Ziel“ gewesen sind?

b) Wie viele der zivilen Opfer im Jahr 2016 sind nach Kenntnis der Bundes-
regierung bei Anschlägen verletzt worden, bei denen sie nicht das eigent-
liche „Ziel“ gewesen sind?

c) Wie viele der zivilen Opfer in Afghanistan sind nach Kenntnis der Bun-
desregierung durch gezielte Gewalt (z. B. Strafaktionen) von Seiten re-
gierungsfeindlicher Milizen getötet worden?

d) Wie viele der zivilen Opfer in Afghanistan sind nach Kenntnis der Bun-
desregierung durch gezielte Gewalt (z. B. Strafaktionen) von Seiten re-
gierungsfeindlicher Milizen verletzt worden (bitte, wenn möglich, nach
Einordnung aufschlüsseln)?

4. Wie vereinbart die Bundesregierung die von Dr. de Maizière in Frage 1 zi-
tierte Auffassung zu zivilen Opfern mit der im UNAMA-Bericht vorgetrage-
nen Aussage zum Jahr 2016 von „gezielten Angriffen auf Zivilisten […] [,]
die als Kriegsverbrechen zu werten sind“, und der Aussage, dass 11 Prozent
der zivilen Opfer durch gezielte Angriffe herbeigeführt worden sind?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11838
5. Wie vereinbart die Bundesregierung die in ihrer Antwort auf Bundestags-
drucksache 18/8141 getätigte Aussage: „Für die zivile Bevölkerung in den
Gebieten unter militantem Einfluss ist die Bedrohung dagegen geringer, da
die Talibanführung ihre Kämpfer wiederholt glaubhaft und eindeutig ange-
wiesen hat, zivile Opfer zu vermeiden und zivile Infrastruktur zu schonen“,
mit den im UNAMA-Bericht angegebenen 11 Prozent zivilen Opfern geziel-
ter Angriffe durch Taliban und andere Gruppen und 61 Prozent der zivilen
Opfer durch Taliban und andere Gruppen bei Gefechten sowie der Rekord-
zahl der zivilen Opfer in Afghanistan im vergangenen Jahr 2016?

6. Inwiefern stellt nach Auffassung der Bundesregierung die Serie von Grup-
penvergewaltigungen durch die Taliban in der Provinz Helmand Mitte 2016
keinen gezielten Angriff auf die Zivilbevölkerung dar (www.rawa.org/temp/
runews/2016/07/31/taliban-militants-gang-rape-woman-in-helmand-official-
claims.html)?
Waren dem Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière diese Fälle be-
kannt, als er sich äußerte, Zivilisten seien keine „Ziele“, aber „Opfer“?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die Situation von Frauen in den von den
Taliban kontrollierten Gebieten?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die Situation von Frauen in den von der
Regierung beherrschten Gebieten?

9. Wie viele Frauen sitzen in Afghanistan wegen Ehebruchs hinter Gittern, wur-
den nach Kenntnis der Bundesregierung gesteinigt oder ausgepeitscht?

10. Sind nach Kenntnis der Bundesregierung die von RAWA dokumentierten
Regeln für Bestrafungen für Frauen in Afghanistan durch die Taliban authen-
tisch (www.rawa.org/rules.htm)?
Welche anderen oder zusätzlichen Regeln und Formen der Bestrafung exis-
tieren nach Kenntnis der Bundesregierung durch die Taliban darüber hinaus?
a) Wie viele Fälle solcher Bestrafungen sind der Bundesregierung seit 2014

bekannt (bitte genauer ausführen und nach Monaten, Art der Bestrafung
und Region auflisten)?

b) Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die Gewalt gegen
Frauen, insbesondere auch die Anzahl von Morden, im Jahr 2016 zuge-
nommen haben (www.rawa.org/temp/runews/2016/08/26/more-than-5000-
cases-of-violence-against-afghan-women-recorded-in-six-months.html)?

c) Inwiefern stellen diese Verfolgungen gegen Frauen keine gezielten An-
griffe auf die Zivilbevölkerung durch Taliban dar?

d) Sind der Bundesregierung die Hinrichtungsbilder und Videos bekannt, in
denen Frauen durch Taliban wegen vermeintlichen „Ehebruchs“ hinge-
richtet werden (www.rawa.org/temp/runews/2016/05/07/horrific-video-
shows-taliban-publicly-killing-woman-over-adultery.html)?
Inwiefern sind diese Hinrichtungen als ein gezielter Angriff auf die Zivil-
bevölkerung zu werten?

11. Wie schätzt die Bundesregierung die Situation von Frauen im Allgemeinen
in Afghanistan ein, insbesondere vor dem Hintergrund der Berichte von mas-
siver Gewalt gegen Frauen im ganzen Land (www.rawa.org/temp/runews/
2016/08/26/more-than-5000-cases-of-violence-against-afghan-women-recorded-
in-six-months.html)?

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12. Gibt es nach Auffassung der Bundesregierung eine weitgehende Straflosig-

keit für Gewalt gegen Frauen in Afghanistan, wie es die Frauenaktivistin
Veeda Saghari betont (www.rawa.org/temp/runews/2016/08/26/more-than-
5000-cases-of-violence-against-afghan-women-recorded-in-six-months.html#
ixzz4aA236UTe, bitte ausführlich begründen)?

13. Existieren in Afghanistan nach Auffassung der Bundesregierung sichere Re-
gionen für Frauen (bitte ausführen)?

14. Welche Strafen sieht das afghanische Recht für Ehebruch vor?
15. Zu welchem Ergebnis hat nach Kenntnis der Bundesregierung die 2013 in

der afghanischen Regierung geführte Debatte geführt, Steinigung als eine
Strafe für Ehebruch wiedereinzuführen (www.theguardian.com/world/2013/
nov/25/public-stoning-womens-rights-afghanistan-government-adultery)?

16. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung eine Straflosigkeit gegenüber der
Tötung von Frauen durch Steinigung in Afghanistan (www.theguardian.
com/world/2015/nov/03/afghan-woman-stoned-to-death-for-alleged-adultery)?

17. Wie viele Frauen sind nach Kenntnis der Bundesregierung in Afghanistan
wegen außerehelichen Sexes inhaftiert oder hingerichtet worden?

Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus?
18. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Suizidrate von Frauen

in Afghanistan in den letzten zwei Jahren entwickelt?
19. Verfügt die Bundesregierung über Kenntnisse, nach denen in naher Zukunft

auch Frauen bei Sammelabschiebungen nach Afghanistan miteinbezogen
werden sollen?

20. Wie schätzt die Bundesregierung die Kontrolle der Regierung von Afghanis-
tan über die verschiedenen Provinzen ein?

21. Inwiefern verfolgt die Bundesregierung die Situation zurückgeschobener
Geflüchteter?

22. Ist der Bundesregierung bekannt, dass neben den Taliban auch mit der Re-
gierung in Kabul verbündete Warlords und ihre Milizen massiven Terror ge-
gen die Zivilbevölkerung ausüben (www.deutschlandfunk.de/afghanistan-
vom-schlaechter-zum-politiker.1773.de.html?dram:article_id=369120)?

Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus?
23. Welche Beziehungen pflegen die Bundesregierung oder ihre Vertreter zu so-

genannten Warlords wie Hekmatyar in Afghanistan (bitte benennen, welche
Warlords)?
Finden regelmäßige Treffen statt, und inwiefern ist dabei die Menschen-
rechtslage Thema?

24. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache,
dass 2016 23 Prozent der zivilen Opfer in Afghanistan durch Regierungs-
kräfte, Milizen und Polizei wie auch Koalitionskräfte herbeigeführt worden
sind (bitte auch für die Jahre seit Aufzeichnungsbeginn vergleichen und in
die Schlussfolgerungen miteinbeziehen)?

25. Gilt die Aussage, es gäbe sichere Orte in Afghanistan, auch für religiöse Min-
derheiten wie Hindus, Hasara oder Christen, und falls ja, welche Regionen
sind das (bitte ausführlich begründen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/11838

26. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Haltung der afghanischen

Regierung gegenüber den Hasara, Christen und Hindus?
Verfügt die Bundesregierung über Kenntnisse von Repression gegen diese
Gruppen?

27. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Haltung der Taliban gegen-
über diesen Minderheiten?

28. Inwiefern sind Mitglieder welcher religiösen Minderheiten bislang von Sam-
melabschiebungen betroffen gewesen (bitte aufschlüsseln), und falls ja, aus
welchem Grund hält die Bundesregierung die Abschiebung in den entspre-
chenden Fällen für vertretbar (bitte ausführlich begründen)?

29. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Religionswissen-
schaftlerin und Gutachterin für britische Gerichte zu Afghanistan in Asyl-
rechtsfällen, Friederike Stahlmann („Überleben in Afghanistan?“, in:
ASYLMAGAZIN 3/2017, S. 73 ff.), wonach es angesichts der negativen
ökonomischen und kriegerischen Entwicklung, angesichts von etwa 1,2 Mil-
lionen intern Vertriebenen (April 2016) bzw. über 623 000 bis Ende 2016
kriegsbedingt Vertriebenen und angesichts von über einer Million erzwun-
genen Rückkehrenden aus Pakistan im Jahr 2016 es selbst für Angehörige
der gleichen ethnischen Gruppe nur in extremen Ausnahmefällen möglich
sei, sich an einem fremden Ort niederzulassen (wenn nein, bitte begründen),
und inwieweit wird das in der Praxis des Bundesamtes für Integration und
Flüchtlinge (BAMF) berücksichtigt (ebd., S. 74 f.)?

30. Was entgegnet die Bundesregierung der Kritik (a. a. O., S. 76), dass in Be-
scheiden des BAMF zwar anerkannt würde, dass ein Zugang zu Arbeit,
Wohnraum und überlebenswichtigen Ressourcen in Afghanistan in der Regel
nur über bestehende Kontakte und Netzwerke funktioniere, dass aber die
Konsequenzen des Einbruchs der Wirtschaft und des massiven Anstiegs von
Rückkehrenden und Binnenvertriebenen für den Zugang zu existenziellen
Ressourcen vom BAMF nicht berücksichtigt würden; das traditionelle Soli-
darsystem in Afghanistan (Familien, Clans) habe in der Praxis „weitgehend
seine Relevanz, zumindest aber seine Verlässlichkeit verloren“ (ebd., S. 78,
bitte ausführen)?

31. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Religionswissen-
schaftlerin und Gutachterin für britische Gerichte zu Afghanistan in Asyl-
rechtsfällen, Friederike Stahlmann („Überleben in Afghanistan?“, in:
ASYLMAGAZIN 3/2017, S. 73 ff.), dass die Umstände einer Rückkehr nach
Afghanistan ohne Perspektive auf Arbeit oder Wohnraum angesichts von
drohender Unterernährung, Obdachlosigkeit, Krankheiten und Seuchen
„nicht nur für Kinder, Alte und Kranke, sondern auch für junge, gesunde Er-
wachsene […] lebensgefährlich“ sind (ebd., S. 77, bitte begründen), und wel-
che Schlussfolgerungen werden in der Entscheidungspraxis des BAMF hie-
raus gezogen?

32. Ist es zutreffend, dass die Einschätzung der ökonomischen Lage in Afgha-
nistan durch das BAMF sich auf Daten von 2012 oder älteren Datums bezieht
(ebd. S. 77, wenn nein, was ist der Fall), und inwieweit teilt die Bundesre-
gierung die Einschätzung, dass die Annahme, zumindest alleinstehende
junge gesunde Männer könnten sich ein Überleben aus eigener Kraft sichern,
inzwischen „grundlegend infrage gestellt“ sei, was insbesondere auch auf
Rückkehrende aus langjährigem Exil zutreffe, weil diese die Chance gehabt
hätten, alternative Unterstützungsnetzwerke aufzubauen (bitte ausführen)?

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33. Ist es zutreffend, dass sich in Bescheiden des BAMF die Argumentation fin-

det, dass Familien, die ökonomisch in der Lage waren, einer Person eine
Flucht zu ermöglichen, auch in Zukunft in der Lage sein werden, dieser Per-
son zumindest ein Existenzminimum zu sichern (ebd., S. 80, wenn nein, was
ist der Fall), und was folgt aus Sicht der Bundesregierung aus der Kritik
(ebd.), dass diese Annahme allenfalls in Ausnahmefällen zutreffend sein
kann?

34. Wie bewertet die Bundesregierung die Gefahr, dass Abgeschobene oder
Rückkehrer sich als einzige verbliebene Möglichkeit des Überlebens notge-
drungen einer aufständischen Partei oder kriminellen Organisation in Afgha-
nistan anschließen müssen (ebd., S. 81, bitte begründen)?

35. Wieso hat die Bundesregierung keine Kenntnisse darüber, dass nach Afgha-
nistan Abgeschobene wegen ihrer mutmaßlichen Kontakte zu Angehörigen
und Freunden in Europa oder wegen möglicher Ersparnisse gefährdet oder
erpressbar sind (vgl. Antwort von Staatssekretärin Dr. Emily Haber vom
13. März 2017 auf die Schriftliche Frage 11 der Abgeordneten Christine
Buchholz auf Bundestagsdrucksache 18/11553), obwohl solche Erkenntnisse
z. B. dem Aufsatz der Religionswissenschaftlerin und Gutachterin für briti-
sche Gerichte zu Afghanistan in Asylrechtsfällen, Friederike Stahlmann
(„Überleben in Afghanistan?“, in: ASYLMAGAZIN 3/2017, S. 73 ff., dort
S. 80) zu entnehmen sind (bei ihnen sei das Entführungsrisiko „besonders
hoch“, es gebe auch Familien, die die Wiederaufnahme rückkehrender Fami-
lienmitglieder aus Sicherheitsgründen verweigerten), und welche Schlussfol-
gerungen werden in der Entscheidungspraxis des BAMF hieraus gezogen?

Berlin, den 23. März 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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