Vom 10. März 2017
Drucksache 18/11582 Deutscher Bundestag
18. Wahlperiode 10.03.2017
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Martina Renner und der Fraktion
DIE LINKE.
Straf- und Ermittlungsverfahren nach den §§ 129, 129a und 129b des
Strafgesetzbuchs im Jahr 2016
Der seit August 1976 bestehende § 129a des Strafgesetzbuches (StGB) (Mitglied
schaft, Werbung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung) ist ebenso
wie der § 129 StGB (kriminelle Vereinigung) und § 129b StGB (terroristische
Vereinigung im Ausland) schon lange umstritten. Strafverteidigervereinigungen,
Menschen- und Bürgerrechtsgruppen fordern seit Jahren die ersatzlose Abschaf
fung dieser Strafparagrafen.
Wir fragen die Bundesregierung:
I. Zum Komplex Strafverfahren wegen „linksterroristischer“ und hiermit in
unmittelbarem Zusammenhang stehender Straftaten (inkl. Unterstützung
und Werbung) im Jahr 2016 (bitte nach Jahren aufschlüsseln)
1. a) Wie viele Ermittlungsverfahren gegen wie viele Beschuldigte wurden we
gen derartiger Taten entweder vom Generalbundesanwalt eingeleitet oder
von den einleitenden Länderstaatsanwaltschaften an diesen abgegeben?
b) In wie vielen Fällen wurde gegen wie viele Beschuldigte (nur/auch) nach
§ 129a StGB ermittelt?
c) In wie vielen Verfahren wurde gegen wie viele Beschuldigte (nur/auch)
nach § 129a StGB ermittelt?
d) In wie vielen Fällen hiervon lautete der Vorwurf jeweils „Unterstützung“
einer terroristischen Vereinigung bzw. „Werbung“ für eine terroristische
Vereinigung?
e) Wie viele der von der Bundesanwaltschaft eingeleiteten Verfahren wur
den später wieder an die Länderstaatsanwaltschaften abgegeben?
f) Wie viele der in den Fragen 1a bis 1d Beschuldigten waren
aa) jünger als 20 Jahre,
bb) zwischen 20 und 30 Jahre alt,
cc) zwischen 30 und 40 Jahre alt bzw.
dd) älter als 40 Jahre?
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g) In wie vielen dieser Fälle erfolgte
aa) ein Versuch der Anwerbung bzw. des Einsatzes von V-Leuten,
bb) ein Versuch zur Gewinnung von Kronzeugen gegen die Beschuldig
ten und
cc) die Überwachung der Telekommunikation oder Post der Beschuldig
ten und ihres Umfeldes?
h) Wie viele Personen, Telekommunikationsanschlüsse bzw. (elektronische)
Postadressen waren von den in Frage I. 1g Doppelbuchstabe cc genannten
Maßnahmen betroffen (bitte aufschlüsseln)?
i) Wie viele Hausdurchsuchungen fanden im Rahmen dieser Ermittlungs
verfahren statt, wie viele Haushalte/Personen waren davon betroffen, und
was wurde beschlagnahmt?
2. In wie vielen Fällen wurde gegen wie viele Personen insgesamt Untersu
chungshaft verhängt,
a) davon mit Haftgrund (§ 112 Absatz 2 der Strafprozessordnung (StPO)),
b) mit Haftgrund nach § 112 Absatz 3 der StPO?
c) Wie lange dauerte jeweils die Untersuchungshaft (Monate/über ein Jahr)?
d) Wie viele der Betroffenen wurden später freigesprochen, zu Geldstrafe,
zu Freiheitsstrafe auf Bewährung und zu Freiheitsstrafe ohne Bewährung
(wie viele Jahre/Monate) verurteilt?
e) Wie viele der Betroffenen in den Fragen I. 2a bis 2d waren
aa) jünger als 20 Jahre,
bb) 20 bis 30 Jahre alt,
cc) 30 bis 40 Jahre alt bzw.
dd) über 40 Jahre alt?
3. a) In wie vielen Fällen kam es zur Einstellung der Ermittlungsverfahren
durch die Staatsanwaltschaft insgesamt?
b) In wie vielen Fällen davon waren jeweils ausschließlich bzw. auch nach
§ 129a StGB geführte Verfahren betroffen?
c) Wie viele dieser Verfahren fußten jeweils auf dem Vorwurf der Mitglied
schaft, Unterstützung oder Werbung (bitte nach den Fragen I. 1 und 2 auf
schlüsseln)?
4. a) In wie vielen Fällen erfolgte insgesamt Anklage?
b) Gegen wie viele Angeklagte wurde Anklage erhoben?
c) In wie vielen Fällen gegen wie viele Angeklagte wurde jeweils
aa) nur nach § 129a StGB angeklagt,
bb) auch nach § 129a StGB angeklagt?
d) Wie viele Verfahren gegen wie viele Angeklagte jeweils betrafen in den
beiden letztgenannten Kategorien jeweils die Kategorie Mitgliedschaft,
Unterstützung, Werbung?
5. a) In wie vielen Fällen wurden die Anklagen zugelassen und das Hauptver
fahren eröffnet?
b) Mit welchen Abweichungen, insbesondere bezüglich des Vorwurfs nach
§ 129a StGB?
c) In wie vielen Fällen kam es aus welchen Gründen zu gerichtlichen Ein
stellungen?
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11582
6. a) Wie viele Urteile gegen wie viele Personen sind ergangen (unterschieden
nach rechtskräftig/nicht rechtskräftig)?
b) Wie viele Freisprüche gab es?
c) Wie viele Verurteilungen erfolgten insgesamt?
aa) Wie viele Verurteilungen erfolgten jeweils nur oder auch nach
§ 129a StGB?
bb) Wie viele der in der Antwort zu Frage I. 6c Doppelbuchstabe aa ge
nannten Verurteilungen erfolgten jeweils wegen Mitgliedschaft, Un
terstützung, Werbung?
d) Bei wie vielen dieser Verurteilungen wurde Geldstrafe verhängt?
e) Wie häufig wurde eine Jugendstrafe wegen welcher Strafnormen ver
hängt?
f) Wie viele Freiheitsstrafen wurden wegen welcher Strafnormen verhängt?
aa) Wie hoch war die Strafdauer?
bb) In wie vielen Fällen davon mit Bewährung?
g) In wie vielen Fällen führte verminderte Schuldfähigkeit zu einer Strafmil
derung?
h) Wie verteilten sich die in den Urteilen festgestellten Deliktgruppen pro
zentual entsprechend der Unterscheidung in Blath/Hobe: „Strafverfahren
gegen linksterroristische Straftäter und ihre Unterstützer (1971 bis
1979/80)“, Bonn 1984, S. 8 ff. (Anschläge, gruppenbezogene Handlun
gen, Unterstützungshandlungen)?
7. a) In wie vielen Fällen wurden insgesamt Rechtsmittel eingelegt?
b) Welche?
c) Von wem (Staatsanwalt/Verteidigung)?
d) Mit welchem Erfolg jeweils?
8. In wie vielen Fällen wurden Verteidiger von der Wahrnehmung der Vertei
digung vom Gericht ausgeschlossen und mit welcher Begründung?
9. a) In wie vielen Fällen wurden gemäß Frage I. 6 verurteilte Strafgefangene
mit welchem Strafmaß insgesamt vorzeitig aus der Haft entlassen?
b) Nach welchen Vorschriften bzw. aufgrund welchen Akts?
c) Nach Verbüßung welcher Strafzeit?
10. Welche materiellen Sachschäden, beruflichen Schäden sind Betroffenen die
ser Ermittlungsverfahren, gegen die im späteren Gang der Ermittlungen das
Verfahren entweder eingestellt wurde oder die freigesprochen wurden, bei
diesen Razzien, Observationen, Hausdurchsuchungen etc. entstanden?
11. Wie lange werden die Daten der in diesen Ermittlungsverfahren erfassten
Beschuldigten wo aufbewahrt?
12. Wie ist der Umgang mit personenbezogenen Daten aus Dateien und Datei-
verbünden, die der Verdachtsgewinnung (im Rahmen der Gefahrenabwehr)
dienen, insbesondere freigesprochene Beschuldigte betreffend?
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II. Wie lauten die entsprechenden Antworten zu den Fragen I. 1 bis 10, bezogen
auf den Komplex Strafverfahren wegen „rechtsterroristischer“ und hiermit
in unmittelbarem Zusammenhang stehender Straftaten im Jahr 2016 (bitte
nach den Jahren einzeln aufschlüsseln)?
III. Wie lauten die entsprechenden Antworten zu den Fragen I. 1 bis 12, bezogen
auf die an die Länder abgegebenen und dort fortgeführten Strafverfahren
(ausdrücklich in Kenntnis und unter Berücksichtigung der nur teilweisen
Rückmeldungen aus den Ländern)?
IV. Wie lauten die Antworten zu den Fragen des Komplexes I., bezogen auf Ver
fahren gemäß § 129 StGB (kriminelle Vereinigung)
1. insgesamt,
2. politischen Inhalts, insoweit, als in diesen durch die politischen Abteilungen
der Staatsanwaltschaften bzw. durch den Generalbundesanwalt ermittelt
und/oder vor einer Staatsschutzkammer verhandelt wurde?
V.
1. Wie lauten die Antworten zu den Fragen des Komplexes I., bezogen auf die
Verfahren gemäß § 129b StGB (kriminelle und terroristische Vereinigung
im Ausland) jeweils?
2. Gegen welche ausländischen Gruppierungen richteten sich die Ermittlun
gen, Anklagen und Verurteilungen im Jahr 2016 nach § 129b StGB (bitte
aufschlüsseln)?
3. Welche der ausländischen Gruppierungen, gegen die im Jahr 2016 Verfah
ren nach § 129b StGB eingeleitet oder weitergeführt wurden, werden von
der Europäischen Union auf der Liste terroristischer Organisationen geführt
(bitte nach Jahren einzeln aufschlüsseln)?
4. Gegen welche der ausländischen Gruppierungen, gegen die 2016 Verfahren
nach § 129b StGB eingeleitet oder weitergeführt wurden, besteht in
Deutschland ein Betätigungsverbot nach dem Vereinsgesetz (bitte nach Jah
ren einzeln aufschlüsseln)?
5. In wie vielen und welchen Fällen war die Einstufung einer ausländischen
bzw. im Ausland tätigen Organisation als terroristisch im Sinne des
§ 129b StGB durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucher
schutz im Jahr 2016 strittig (bitte nach Jahren einzeln aufschlüsseln)?
6. In wie vielen und welchen Fällen war im Jahr 2016 ein Gesuch der Regie
rung oder Justizbehörde eines anderen Landes ausschlaggebend für die Ein
leitung eines Verfahrens nach § 129b StGB (bitte nach Jahren einzeln auf
schlüsseln)?
7. In wie vielen und welchen Fällen haben die deutschen Ermittlungsbehörden
bei Ermittlungsverfahren nach § 129b StGB im Jahr 2016 über den Weg des
polizeilichen Informationsaustausches Erkenntnisse ausländischer Sicher
heitskräfte genutzt (bitte nach Jahren einzeln aufschlüsseln)?
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VI. Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der zum Teil erheb
lichen materiellen und immateriellen beruflichen und öffentlichen Schäden
bei den Betroffenen solcher Ermittlungsverfahren und des hohen Anteils der
mit Freispruch oder Einstellung beendeten Ermittlungen die Folgen dieser
Strafparagrafen?
VII. Hält die Bundesregierung bei den Ermittlungen nach den §§ 129, 129a und
129b StGB den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für gewahrt?
Berlin, den 10. März 2017
Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion
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