BT-Drucksache 18/11571

Die Moscheevereinigung DITIB als politische Außenstelle Ankaras

Vom 10. März 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11571
18. Wahlperiode 10.03.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko,
Ulla Jelpke, Martina Renner und der Fraktion DIE LINKE.

Die Moscheevereinigung DITIB als politische Außenstelle Ankaras

Die 1984 in Deutschland gegründete Türkisch-Islamische Union der Anstalt für
Religion e. V. (DITIB) ist der größte Islamverband in Deutschland. Insgesamt
gibt es in Deutschland ca. 2 350 Moscheegemeinden. Der DITIB gehören
889 Mitgliedsvereine an, davon 806 Moscheegemeinden (Bundestagsdrucksache
18/9399). Damit ist DITIB der größte Dachverband von Moscheegemeinden in
Deutschland. DITIB ist ein nach deutschem Recht gegründeter Verein. Gemäß
der Satzung (Stand: 7. Oktober 2012) werden wichtigen Vertretern des türkischen
Religionsamtes Diyanet in Ankara privilegierte Rechte eingeräumt, die in mehre-
ren Paragrafen verankert sind. So können von Diyanet nach § 4 der Präsident, der
Abteilungsleiter für auswärtige Beziehungen, die Botschaftsräte für religiöse An-
gelegenheiten in Europa sowie die Religionsattachés in der Bundesrepublik
Deutschland nicht nur Mitglied des Vereins werden. Der Präsident von Diyanet
ist darüber hinaus Ehrenvorsitzender (§ 10) und Vorsitzender des faktisch wich-
tigsten Organs des Vereins, des Beirats (§ 11), denn nur vom Beirat vorgeschla-
gene Personen können sich in den Vorstand wählen lassen (§ 9). Ihm gehören
neben dem Präsidenten der Diyanet vier Religionsbeauftragte an.
Diyanet, direkt dem türkischen Ministerpräsidialamt unterstellt, hat damit nicht
nur unmittelbar Einfluss auf DITIB. Diyanet entsendet seine Imame, die türkische
Staatsbeamte sind und von der Türkei bezahlt werden, in die deutschen
Moscheen. Nach Angaben der Botschaft der Republik Türkei von April 2015 sind
in den Gemeinden der DITIB 665 für einen Zeitraum von fünf Jahren und 159 für
einen Zeitraum von zwei Jahren aus der Türkei entsandte Imame tätig (Bundes-
tagsdrucksache 18/9399).
Damit nimmt das türkische Religionspräsidium Diyanet nach einem Gutachten
des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages (Az.: WD1 –
3000 – 007/13) gegenüber der DITIB Leitungs-, Steuerungs- und Kontrollbefug-
nisse wahr. Der Beirat, der an Entscheidungen über alle grundlegenden Fragen
des Verbands beteiligt werden muss und zumeist die endgültige Entscheidungsbe-
fugnis hat, besteht nicht nur ausschließlich aus Diyanet-Funktionären; sie haben in
den Mitgliederversammlungen auch ein größeres Stimmengewicht als die Vertreter
der Mitgliedsvereine (www.deutschlandfunk.de/satzung-des-islamverbands-ditib-
tuerkische-funktionaere.886.de.html?dram:article_id=375487).
Die Umgestaltung der Türkei unter Recep Tayyip Erdoğan und der türkischen
Regierungspartei AKP nicht nur in Richtung Konservativismus, sondern auch is-
lamistischen Fundamentalismus geht mit dem Ausbau der Religionsbehörde
Diyanet einher. DITIB war immer eng an Diyanet gekoppelt. Inzwischen ist
DITIB über Diyanet der verlängerte Arm der AKP-Regierung und Erdoğans in

Drucksache 18/11571 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Deutschland. Schon vor dem Putschversuch in der Türkei wurden DITIB-Vertre-
ter aus dem Amt gedrängt, die nicht in die zunehmend konservative Linie der
türkischen Religionsbehörde passten, in Hessen zum Beispiel Fuat Kurt. Nach der
Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages lud der Moscheeverband
DITIB den Bundestagspräsidenten Dr. Norbert Lammert aus – man könne ange-
sichts der Empörung über die Resolution nicht für seine Sicherheit garantieren
(www.rbb-online.de/politik/beitrag/2016/06/ditib-absage-treffen-lammert-
sehitlik-moschee-fastenbrechen.html).
DITIB soll im Auftrag der türkischen Regierung in Deutschland Informationen
über vermeintliche Anhänger der Gülen-Bewegung gesammelt haben. Im Sep-
tember 2016 richtete Diyanet eine „dringende Bitte“ an die türkischen Konsulate
in Deutschland. So sollten detaillierte Angaben über Strukturen der Gülen-Bewe-
gung gesammelt und nach Ankara geschickt werden. Die Türkei macht die Gülen-
Bewegung für den Putschversuch im vergangenen Jahr verantwortlich, bei dem
zahlreiche Menschen getötet wurden. Daher sollten Informationen über Organi-
sationsstruktur, Aktivitäten, Schulen, aber auch Wohnheime, Hilfsorganisationen
und Kulturvereine der von der Türkei als Terrororganisation eingestuften Bewe-
gung des Predigers Fethullah Gülen gesammelt werden. Entsprechende Listen,
die Imame von Ditib-Moscheen angefertigt und nach Ankara geschickt haben,
liegen vor. Darin geben sie Informationen über angebliche Gülen-Anhänger (Ple-
narprotokoll 18/211).
Laut Verfassungsschutz haben mindestens 13 Imame der DITIB aus Nordrhein-
Westfalen angebliche Gülen-Anhänger an Ankara gemeldet. Es seien die Namen
von 33 bespitzelten Personen und elf Institutionen aus dem Bildungsbereich an
die staatliche türkische Religionsbehörde Diyanet geliefert worden. Für die Be-
richte an Ankara hätten auch Imame aus drei rheinland-pfälzischen Moscheege-
meinden Informationen gesammelt (www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/
ditib-imame-spitzel-100.html).
Mit dem direkt beim türkischen Ministerpräsidenten angesiedelten Amt für Reli-
gionsangelegenheiten Diyanet und der DITIB bildet die Union Europäisch Tür-
kischer Demokraten (UETD) eine „unheilvolle Allianz“ (www.welt.de/politik/
deutschland/article154689954/So-naehren-Erdogans-Prediger-Islamismus-in-
Deutschland.html). Im vergangenen Sommer gab es in Köln, nach dem geschei-
terten Putsch-Versuch in der Türkei, eine große Demonstration von rund 50 000
Erdoğan-Anhängern. Organisiert wurde diese Veranstaltung von der UETD, so
etwas wie dem verlängerten Arm von Erdoğans AKP-Partei (www.deutschland
funk.de/auftritt-in-oberhausen-tuerkischer-ministerpraesident-auf.1769.de.html?
dram:article_id=379105). Einen Monat vor dem Verfassungsreferendum in der
Türkei organisierte die UETD erneut eine Veranstaltung. Diesmal einen „Werbe-
feldzug für eine türkische Diktatur“ in Oberhausen mit dem türkischen Minister-
präsidenten Binali Yıldırım (www.deutschlandfunk.de/auftritt-in-oberhausen-
tuerkischer-ministerpraesident-auf.1769.de.html?dram:article_id=379105). Doch
weder das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit noch andere Grundrechte ge-
währen Veranstaltern einer Demonstration einen Anspruch darauf, ausländischen
Staatsoberhäuptern oder Regierungsmitgliedern die Gelegenheit zu geben, in der
Bundesrepublik Deutschland im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen in ihrer
amtlichen Funktion zu politischen Themen zu sprechen, da die Möglichkeit aus-
ländischer Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder zur Abgabe politischer
Stellungnahmen im Bundesgebiet zur Außenpolitik gehört, wie das Oberverwal-
tungsgericht (OVG) Münster feststellte (www.n-tv.de/mediathek/videos/politik/
Was-der-NRW-Innenminister-macht-ist-voellig-absurd-article19707486.html).

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11571

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass im Gegensatz zu
bestimmten Vereinen, die Kirchen nahestehen oder anderen Religionsge-
meinschaften, die als solche Vereine „gewürdigt“ werden, wenn es instituti-
onelle oder organisatorische Verbindungen gibt – so, wenn in der Satzung
vorgesehen ist, dass in einem Führungsgremium, also namentlich dem Vor-
stand, ein Vertreter der jeweiligen Religionsgemeinschaft sitzt – im Falle der
DITIB keine Verbindung zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft, son-
dern über Diyanet zum türkischen Staat besteht (www.deutschlandfunk.
de/satzung-des-islamverbands-ditib-tuerkische-funktionaere.886.de.html?
dram:article_id=375487)?

2. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse (auch nachrichtendienstli-
che), dass der Inhalt religiöser Bekenntnisse in und durch DITIB nicht unab-
hängig vom türkischen Staat festgelegt wird und DITIB durch den türkischen
Staat so beeinflusst wird, dass die Grundsätze nicht Ausdruck der religiösen
Selbstbestimmung von DITIB, sondern staatsabhängig sind?

3. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine politische
Anlehnung von DITIB an die jeweilige türkische Regierung darin zu erken-
nen ist, dass nach dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 Personal
der DITIB, das „nicht auf Linie“ war, zurückberufen oder entlassen worden
ist (www.zeit.de/2016/47/ditib-islamischer-verband-religionsunterricht-
deutschland)?

4. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse, ob DITIB mehr ein nationa-
ler Interessenverband ist, der nicht dadurch zur Religionsgemeinschaft wird,
dass er sich auch um die Förderung eines in seiner Nation vorherrschenden
Bekenntnisses bemüht?

5. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse, dass bei DITIB keine Reli-
gionsgemeinschaft vorliegt, weil nach Auffassung der Fragestellenden im
Zentrum von Organisation und Praxis der DITIB die Durchsetzung weltli-
cher, wirtschaftlicher, politischer, nationaler oder sonstiger Interessen steht,
während die Pflege des religiösen Bekenntnisses einen lediglich begleiten-
den, dienenden, peripheren Charakter hat?

6. Welche Kenntnisse (auch nachrichtendienstliche) hat die Bundesregierung
über die Tatvorwürfe gegenüber den im Zuge der Notstandsdekrete seit dem
Putschversuch vom 15. Juli 2016 mit Stand vom 2. Februar 2017 nach offi-
ziellen türkischen Angaben insgesamt 1 924 entlassenen und 3 636 suspen-
dierten Mitarbeitern der Diyanet (Plenarprotokoll 18/217)?

7. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis (auch nachrichtendienstliche),
dass aus Deutschland zurückbeorderte Imame nach ihrer Rückkehr fest-
genommen wurden (www.welt.de/politik/deutschland/article161806984/
Tuerkische-Imame-im-Visier-von-Praesident-Erdogan.html)?

8. Wie viele Aufenthaltserlaubnisse nach § 18 Absatz des Aufenthaltsgesetzes
(AufenthG) in Verbindung mit § 14 Absatz 1 Nummer 2 der Beschäftigungs-
ordnung (BeschV) wurden nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2010 er-
teilt (bitte entsprechend den Jahren nach Ländern auflisten)?

9. Wie vielen Imamen ist nach Kenntnis der Bundesregierung nach dem soge-
nannten Diyanet-Verfahren, nach dem Imame aus der Türkei ein Bestäti-
gungsschreiben, das im Visumverfahren als ausreichendes Dokument für die
Ernsthaftigkeit der beabsichtigten Erwerbstätigkeit in Deutschland anerkannt
wird (Antwort zu Frage 29, Bundestagsdrucksache 18/11078), ein Visum seit
2010 für welche Aufenthaltsdauer erteilt worden (bitte nach Jahren auflis-
ten)?

Drucksache 18/11571 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

10. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis, dass sich mehrere türkische

Imame im Rahmen von Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht
in Köln gegen ihre Entlassung durch den türkischen Staat wehren (www.
moz.de/heimat/artikel-ansicht/dg/0/1/1549855/)?

11. In welchem Dienstrechtsverhältnis stehen von Diyanet entsandte Imame aus
der Türkei zur DITIB bzw. zur aufnehmenden Moscheegemeinde nach
Kenntnis der Bundesregierung?

12. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass DITIB zwar
auf dem Papier nicht Arbeitgeber der türkischen Imame ist, aber Weisungen
erteilt und die Unterbringung der Männer und ihrer Familien finanziere
(www.welt.de/politik/deutschland/article161806984/Tuerkische-Imame-im-
Visier-von-Praesident-Erdogan.html)?

13. Inwieweit trifft es zu, dass durch den Generalbundesanwalt beim Bundesge-
richtshof am 16. Januar 2017 unter dem Az.: 3 BJas 5/15-2 ein Ermittlungs-
verfahren wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit
(§ 99 des Strafgesetzbuchs – StGB) gegen 16 namentlich bekannte Beschul-
digte eingeleitet wurde, das aktuell beim Bundeskriminalamt (BKA) bear-
beitet wird (mündlicher Bericht für die Sitzung des Innenausschusses am
9. Februar 2017)?

14. Gegen wie viele Beschuldigte oder Tatverdächtige läuft aktuell ein Ermitt-
lungsverfahren?

15. Wie viele der Beschuldigten oder Tatverdächtigen halten sich derzeit in
Deutschland auf?

16. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse (auch nachrichtendienstliche)
darüber, dass zusätzlich zu Berichten von DITIB-Imamen aus Deutschland
auch Dokumente aus Österreich, der Schweiz, den Niederlanden und Belgien
an die Türkei geliefert wurden, in denen nicht nur Namen von Personen, son-
dern auch Hinweise auf Schulen, Kitas, Kultur- und Studentenvereine über-
mittelt wurden, die angeblich von der Gülen-Bewegung betrieben werden
(Katholische Nachrichten-Agentur KNA vom 18. Februar 2017), und inwie-
weit hat die Bundesregierung Kenntnisse (auch nachrichtendienstliche) über
diese Länder hinaus, aus denen entsprechende Berichte geliefert wurden?

17. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse (auch nachrichtendienstli-
che), dass der türkische Geheimdienst MIT bzw. weitere türkische Geheim-
dienste in die Spitzeltätigkeit der DITIB-Imame inner- und außerhalb
Deutschlands involviert ist?

18. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse (auch nachrichtendienstli-
che), ob die DITIB neben Angelegenheiten der muslimischen Religionsaus-
übung auch umfangreichen wirtschaftlichen Aktivitäten nachgeht, bspw. im
Rahmen von Bestattungsfonds, Wallfahrtsorganisationen, Buchvertrieben
für religiöse Literatur, muslimischen Sozialwerken sowie einer Reihe von
Handelsgesellschaften für den Import und Export von Lebensmitteln und an-
deren Gütern, aber auch im weiteren Umfeld des Verbands angesiedelter Im-
mobilien-, Versicherungs- und Kapitalanlagegesellschaften?

19. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis über Grundbesitz bzw. Liegen-
schaften der DITIB?

20. Inwieweit trifft es zu, dass die Religionsattachés diplomatische Immunität
genießen, bzw. inwieweit sind sie vor Gerichten und Administration in
Deutschland geschützt und können weder strafrechtlich verfolgt noch zivil-
rechtliche Ansprüche ihnen gegenüber eingeklagt werden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/11571

21. Inwiefern hat die Bundesregierung über das BKA und andere Polizeibehör-

den Sicherungsmaßnahmen für den türkischen Ministerpräsidenten beim
Auftritt in Oberhausen durchführen lassen, und welche Kosten haben diese
Einsätze – für einen seitens der Veranstalter und der NRW-Landesregierung
als „privat“ deklarierten Auftritt – für die Steuerzahler verursacht?

Berlin, den 9. März 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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