BT-Drucksache 18/11485

Cannabismedizin und Straßenverkehr

Vom 8. März 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11485
18. Wahlperiode 08.03.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Frank Tempel, Ulla Jelpke, Jan Korte, Katrin Kunert,
Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE.

Cannabismedizin und Straßenverkehr

Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und an-
derer Vorschriften (Bundestagsdrucksache 18/8965) wird Cannabis ein verschrei-
bungsfähiges Medikament, ohne dass die Patientinnen und Patienten noch einer
Ausnahmegenehmigung nach § 3 Absatz 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG)
bedürfen.
Schätzungsweise 1 004 Patientinnen und Patienten dürfen Cannabis legal ver-
wenden (Stand: 22. Dezember 2016), wobei der Anstieg der Zahlen im Jahr 2016
vermuten lässt, dass die Anzahl an Cannabispatientinnen und Cannabispatienten
weiter steigen wird (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche
Frage 40 auf Bundestagsdrucksache 18/10773, S. 31).
Durch Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern ist den Fragestellern bekannt, dass
häufig Polizeibeamte nicht ausreichend darüber aufgeklärt sind, dass es überhaupt
legales Cannabis zum medizinischen Gebrauch gibt. Das ist aus Sicht der Frage-
steller aufgrund der ideologisch motivierten Verbotspolitik bei Cannabis zu Ge-
nusszwecken nicht überraschend. Oftmals ist sich die Polizei nicht sicher, ob es
sich um legales medizinisches Cannabis handelt oder um illegales Cannabis zum
Freizeitkonsum. Insbesondere bei Straßenverkehrskontrollen sehen sich Can-
nabispatientinnen und Cannabispatienten der Gefahr ausgesetzt, durch die poli-
zeiliche Praxis kriminalisiert zu werden, auch wenn die Rechtslage eine andere
zu sein vermag.
Bei bestimmungsgemäßer Einnahme fahren Cannabispatientinnen und Can-
nabispatienten nicht unter Rausch. Erst durch den Einsatz von Cannabismedizin
sind sie überhaupt in der Lage, sicher am Straßenverkehr teilzunehmen. Trotz
ärztlicher Gutachten sehen sich Cannabispatientinnen und Cannabispatienten mit
Ermittlungsverfahren aufgrund eines Anfangsverdachts des Verstoßes gegen Be-
täubungsmittel oder wegen Trunkenheit im Verkehr konfrontiert oder ihnen wird
die charakterliche Eignung zum Führen eines Fahrzeuges abgesprochen. Darin
sehen die Fragesteller eine unzulässige Kriminalisierung von Cannabispatientin-
nen und Cannabispatienten. Angesichts der zunehmenden Verbreitung von Can-
nabis zu medizinischen Zwecken sehen die Fragesteller einen dringenden Bedarf,
um die polizeiliche Praxis im Interesse der Patientinnen und Patienten zu verbes-
sern.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Patientinnen und Patienten besitzen nach heutigem Stand eine

Ausnahmegenehmigung nach § 3 Absatz 2 BtMG?

Drucksache 18/11485 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
2. Wie viele Patientinnen und Patienten haben ab Januar 2017 bis heute eine
Ausnahmegenehmigung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-
proukte (BfArM) beantragt, und wie wurden diese Anträge beschieden (bitte
nach Anzahl der Anträge, Anzahl der Genehmigungen sowie Anzahl der Ab-
lehnungen aufschlüsseln)?

3. Wie viele Verordnungen für das Fertigarzneimittel Sativex wurden im Jahr
2016 ausgestellt?

4. Wie viele Verordnungen für das Fertigarzneimittel Canemes wurden im Jahr
2016 ausgestellt?

5. An welchen Erkrankungen leiden jeweils wie viele Patientinnen und Patien-
ten nach Kenntnis der Bundesregierung, die eine vom BfArM genehmigte
Therapie mit cannabishaltigen Medikamenten, Cannabisblüten oder -extrak-
ten erhalten (bitte tabellarisch auflisten)?

6. Aus welchen Bundesländern kommen die Patientinnen und Patienten mit ei-
ner Ausnahmegenehmigung nach § 3 Absatz 2 BtMG (bitte tabellarisch auf-
listen)?

7. Wie alt sind die Patientinnen und Patienten mit einer Ausnahmegenehmi-
gung nach § 3 Absatz 2 BtMG (bitte tabellarisch auflisten)?

8. Wie viele dieser Patientinnen und Patienten nach § 3 Absatz 2 BtMG besit-
zen eine Fahrerlaubnis?

9. Unter welchen Umständen können Cannabispatientinnen und Cannabispati-
enten nach § 3 Absatz 2 BtMG ein Fahrzeug führen trotz der Einnahme von
Cannabis?
Inwiefern ändern sich die Regelungen zur Teilnahme am Straßenverkehr mit
dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vor-
schriften (Bundestagsdrucksache 18/8965) für Cannabispatientinnen und
Cannabispatienten, und was ist der wesentliche Inhalt dieser Änderungen?

10. Gibt es nach aktueller Rechtslage und Rechtsprechung einen THC-Höchst-
wert im Blut, bei dem ein Kraftfahrzeug bzw. ein Fahrrad nicht mehr straffrei
im Straßenverkehr geführt werden kann?

Wie wird dieser Wert ermittelt?
Wie hoch ist dieser Wert?
Inwiefern ist dieser Wert für Cannabispatientinnen und Cannabispatienten
relevant?

11. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass Cannabispatientinnen
und Cannabispatienten aufgrund chronischer Erkrankungen und ihrer Tole-
ranzentwicklung den Höchstwert übertreffen können, ohne berauscht zu
sein?
Welche Auswirkungen hat dies in der Praxis zum Führen eines Kraftfahrzeu-
ges bzw. eines Fahrrads?

12. Inwiefern unterscheiden sich die Straßenverkehrsregelungen zum Führen ei-
nes Kraftfahrzeuges für Cannabispatientinnen und Cannabispatienten einer-
seits und Personen, die Cannabis zu Genusszwecken konsumieren, anderer-
seits?
Welche Regelungen gibt es für das Fahren eines Fahrrads (bitte jeweils un-
terteilen nach Strafgesetzbuch – StGB –, nebenstrafrechtlichen und verwal-
tungsrechtlichen Sanktionen)?
a) Unter welchen Umständen haben Cannabispatientinnen und Cannabispa-

tienten ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen § 316 StGB zu befürch-
ten?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11485
b) Unter welchen Umständen haben Cannabispatientinnen und Cannabispa-
tienten ein Bußgeldverfahren wegen Verstoßes gegen § 24a des Straßen-
verkehrsgesetzes – StVG – zu befürchten?

c) Unter welchen Umständen haben Cannabispatientinnen und Cannabispa-
tienten einen verwaltungsrechtlichen Entzug der Fahrerlaubnis wegen
fehlender charakterlicher Eignung zum Führen eines Fahrzeuges zu be-
fürchten?

d) Welche anderen Sanktionen können auf Cannabispatientinnen und Can-
nabispatienten zukommen?

13. Inwiefern sind bestehende Unterschiede zwischen der Sanktionierung von
Menschen, die Cannabis aus medizinischen Gründen konsumieren, und Ge-
nusskonsumierenden notwendig und geeignet, die Verkehrssicherheit zu ver-
bessern (bitte einzeln begründen)?

14. Inwiefern muss nach Kenntnis der Bundesregierung bei einer verkehrsrecht-
lichen Polizeikontrolle nachgewiesen werden,
a) dass das Cannabis legal ärztlich verordnet wurde;
b) dass das Cannabis legal in Deutschland bezogen wurde;
c) dass das Cannabis bestimmungsgemäß angewendet wurde (§ 24a Ab-

satz 2 Satz 3 StVG);
d) dass eine Kostenübernahme durch eine Krankenkasse oder ein Versiche-

rungsunternehmen vorliegt?
15. Inwiefern ist es nach Kenntnis der Bundesregierung für andere ärztlich ver-

ordnete Betäubungsmittel (z. B. Morphin) bei einer verkehrsrechtlichen Po-
lizeikontrolle notwendig nachzuweisen,
a) dass das Arzneimittel legal ärztlich verordnet wurde;
b) dass das Arzneimittel legal in Deutschland bezogen wurde;
c) dass das Arzneimittel bestimmungsgemäß angewendet wurde (§ 24a Ab-

satz 2 Satz 3 StVG);
d) dass eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen oder ein Versiche-

rungsunternehmen vorliegt?
16. Inwiefern hält sie einen unterschiedlichen Umgang bei den verschiedenen

verkehrs- und verschreibungsfähigen Betäubungsmitteln (Anlage 3 BtMG)
für notwendig oder wünschenswert, und was unternimmt sie dafür bzw. da-
gegen?

17. Inwiefern sind in Deutschland nach Kenntnis der Bundesregierung Verfah-
ren zum Nachweis über den legalen Bezug eines Arzneimittels etabliert, und
wie stellt sich die Bundesregierung gegebenenfalls einen entsprechenden
Nachweis bei Cannabispatientinnen und Cannabispatienten vor?

18. Welche Prüfmöglichkeiten und -pflichten haben nach Kenntnis der Bundes-
regierung die Landespolizeien bei der Kontrolle, ob der Nachweis eines Be-
täubungsmittels gemäß § 24a Absatz 2 Satz 3 StVG „aus der bestimmungs-
gemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen
Arzneimittels herrührt“?

19. Inwiefern hält die Bundesregierung eine bundeseinheitliche Polizeipraxis
beim Umgang mit Cannabispatientinnen und Cannabispatienten für wün-
schenswert oder geboten, und was unternimmt sie dafür?

Drucksache 18/11485 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

20. Welche Testmethode findet nach Kenntnis der Bundesregierung zurzeit bei

Straßenverkehrskontrollen Anwendung, um Cannabis bei Personen nachzu-
weisen, die ein Kraftfahrtzeug unmittelbar im Straßenverkehr führen?
a) Inwiefern unterscheiden sich nach Kenntnis der Bundesregierung die an-

gewendeten Kontrollmethoden der Straßenverkehrspolizeien der einzel-
nen Länder zum Nachweis einer berauschenden Wirkung von Cannabis
(bitte einzeln nach Bundesländern auflisten)?

b) Wie bewertet die Bundesregierung die angewendeten Kontrollmethoden
auf ihre Geeignetheit, einerseits die Verkehrssicherheit zu garantieren, an-
dererseits Cannabispatientinnen und Cannabispatienten die Teilnahme am
Straßenverkehr zu ermöglichen?

c) Wie bewertet die Bundesregierung etwaige Differenzen zwischen ange-
wendeten Kontrollmethoden?

d) Welche Kontrollmethode sieht die Bundesregierung als besonders geeig-
net an, um eine unmittelbare Rauschwirkung durch Cannabis im Zeitraum
einer Verkehrskontrolle nachzuweisen?

e) Was unternimmt die Bundesregierung, um den Einsatz einer besonders
geeigneten Kontrollmethode zum Nachweis einer unmittelbaren
Rauschwirkung von Cannabis durch die Landespolizeien zu befördern?

f) Inwiefern können die angewendeten Testmethoden zwischen der Wir-
kung von medizinischem Cannabis und der Wirkung von Cannabis zu Ge-
nusszwecken unterscheiden?

21. Welche weiteren Kontrollmethoden werden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung derzeit erforscht und geprüft?

22. Sind der Bundesregierung Beschwerden von Cannabispatientinnen und Can-
nabispatienten bekannt, die auf eine Diskrepanz zwischen geltender Rechts-
lage zum Führen eines Kraftfahrzeuges für Cannabispatientinnen und Can-
nabispatienten und der polizeilichen Praxis bei Straßenverkehrskontrollen
hinweisen (z. B. durch Anfragen beim BfArM, beim Bundesministerium für
Gesundheit, beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruk-
tur)?

23. Wie wird die Bundesregierung die polizeiliche Praxis im Umgang mit Can-
nabispatientinnen und Cannabispatienten, insbesondere im Straßenverkehr,
zukünftig evaluieren?

In welchem konkreten Rahmen findet diese Evaluierung statt?
24. Welche Maßnahmen sollten Cannabispatientinnen und Cannabispatienten

zum ordnungsgemäßen Führen eines Kraftfahrzeuges treffen, um bei Poli-
zeikontrollen eindeutig zu belegen, dass sie zum Führen eines Kraftfahrzeu-
ges berechtigt sind (z. B. Mitführen eines ärztlichen Gutachtens zum Führen
eines Kraftfahrzeuges, Mitführen des Cannabisrezeptes, Bestätigungsschrei-
ben der Cannabisverschreibung durch die Krankenkassen)?
Inwiefern unterscheiden sich die Regelungen zum Führen eines Fahrrads?

25. Welche Methode sehen die gesetzlichen Krankenkassen nach Kenntnis der
Bundesregierung mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung betäubungs-
mittelrechtlicher und anderer Vorschriften (Bundestagsdrucksache 18/8965)
zur Abrechnung von erstattungsfähigem Cannabis vor (Vorkasse durch Pati-
entinnen und Patienten, Abrechnung per Chipkarte etc.)?
Inwiefern unternimmt die Bundesregierung Maßnahmen zur Vereinheitli-
chung der Erstattungsfähigkeit von Cannabis?

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26. Inwiefern gehen mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung betäubungs-

mittelrechtlicher und anderer Vorschriften (Bundestagsdrucksache 18/8965)
Vorgaben zur Applikation von Cannabis einher?
Inwiefern können Patientinnen und Patienten ihre Medizin im öffentlichen
Raum anwenden, sofern dies notwendig ist?

Berlin, den 6. März 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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