BT-Drucksache 18/11454

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/10942, 18/11181, 18/11225 Nr. 7, 18/11439 - Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt

Vom 8. März 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11454

18. Wahlperiode 08.03.2017

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Peter Meiwald, Markus Tressel,
Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Steffi
Lemke, Dr. Julia Verlinden, Harald Ebner, Matthias Gastel, Kai Gehring,
Stephan Kühn (Dresden), Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Dr. Valerie
Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung

– Drucksachen 18/10942, 18/11181, 18/11225 Nr. 7, 18/11439 –

Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU

im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens
in der Stadt

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die im Gesetzentwurf der großen Koalition enthaltenen Neuregelungen sind wider-
sprüchlich und in Teilen schädlich. Daher muss das Gesetz korrigiert werden.

Die große Koalition setzt die Gesundheit der Städterinnen und Städter aufs Spiel, in-
dem sie den zulässigen Lärm in den neuen „Urbanen Gebieten“ gegenüber heute ver-
doppelt. Diese Verlärmung Urbaner Gebiete durch pauschal 3db(A) höhere Lärm-
grenzwerte in der TA Lärm (Technische Anleitung Lärm), also eine Verdopplung des
maximalen Lärmniveaus gegenüber heute, lehnt der Deutsche Bundestag ab.

Passiver Lärmschutz als Ausnahme bei heranrückender Wohnbebauung nach dem
Hamburger Vorschlag muss in solchen Einzelfällen möglich werden, wo sonst nicht
gebaut werden könnte, und nur, wenn ruhige Balkone oder Terrassen an derselben
Wohnung vorhanden sind. So kann mit dem sogenannten „Hamburger Fenster“ bei
offenem Fenster ruhiges und gesundes Wohnen sichergestellt werden.

Die große Koalition erleichtert zudem das Bauen außerhalb der Städte und Gemeinden.
Das steht im krassen Widerspruch zu Klimaschutz, Flächenschutz, Naturschutz und
der Bürgerbeteiligung. Statt einer lebenswerten Stadt der kurzen Wege werden damit
Ortszentren und Dorfkerne geschwächt. Denn es soll mit verringerter Bürgerbeteili-
gung und Umweltprüfung und unter Verzicht auf Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen
für Eingriffe in die Natur außerhalb der Städte und Gemeinden geplant und gebaut
werden dürfen. Das lehnt der Deutsche Bundestag ab.

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Außerdem braucht das Gesetz noch Korrekturen am neuen Baugebietstyp „Urbanes
Gebiet“.

Der neue Baugebietstyp „Urbanes Gebiet“ erleichtert in neuen Baugebieten eine
dichte, urbane Bebauung und gemischte Nutzungen. Bauen wird damit erheblich güns-
tiger, denn ein Grundstück kann weit besser ausgenutzt werden.

Das Urbane Gebiet ist damit ein Schritt in die richtige Richtung für die klimafreundli-
che und lebenswerte Stadt der kurzen Wege. Jedoch sollte die Intention des Gesetzes
klargestellt werden, wie es auch der Bundesrat einfordert, dass es dabei nämlich um
durch die Kommune neu ausgewiesene Baugebiete, also neue Bebauungspläne, geht.
Das bedeutet, dass die Bebauung nach Urbanem Gebiet im sogenannten unbeplanten
Innenbereich nach §34 BauGB ausgeschlossen wird. Eine weitere Schwachstelle beim
neuen „Urbanen Gebiet“ ist, dass es für die Kommunen zu einfach wird, damit doch
Gebiete mit weit überwiegendem Wohnanteil auszuweisen und andere Nutzungen wie
Gewerbe, Kultur und Freizeit nur vereinzelt im Quartier vorzusehen. Damit könnten
sie zu einfach auf die Qualitäten der Nutzungsmischung verzichten. Das muss verbes-
sert werden.

Außerdem gilt es, den sozialen Zusammenhalt durch konkrete Maßnahmen im sozia-
len Erhaltungsrecht und im Bodenrecht zu stärken und Kinder stärker an Planungen zu
beteiligen.

Im Baurecht ist auch geregelt, dass Ställe für die Massentierhaltung außerhalb von
Gemeinden immer noch viel zu häufig genehmigt werden müssen. Mit einer der Fläche
angepassten Tierhaltung hingegen könnten wir unsere Umwelt schonen, die Gesund-
heit unserer Bürgerinnen und Bürger wahren und Tieren ein würdiges Leben ermögli-
chen. In einigen Regionen stehen Tierhaltungsanlagen so dicht aneinander, dass sich
Erreger wie die der Vogelgrippe rasend schnell verbreiten und kaum noch eingedämmt
werden können. Diese Regionen kämpfen außerdem mit den Ammoniak-, Feinstaub-
und Geruchsemissionen aus den Anlagen und den gewaltigen Güllemengen, die die
Qualität des Wassers bedrohen. Solche Regionen müssen die Möglichkeit bekommen,
BürgerInnen und Umwelt zu schützen, indem sie den Zuwachs an Tierhaltungsanlagen
begrenzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Gesundheit der Menschen in „Urbanen Gebieten“ nicht durch eine Verdoppelung
des Lärms zu gefährden und dazu

 von der Änderung der Technischen Anleitung Lärm (TA Lärm), mit der das zu-
lässige Lärmniveau um 3db(A) auf dann 63 Dezibel tags und 48 nachts gehoben
und damit verdoppelt wird, abzusehen, denn mit dieser Verlärmung „Urbaner Ge-
biete“ würde ein gesundheitsgefährdendes Lärmniveau gesetzlich akzeptiert und

 statt dessen in der TA Lärm den Vorschlag, den Hamburg in die Bauministerkon-
ferenz eingebracht hat, zur Ermöglichung von passivem Lärmschutz für lärmge-
schützte Innenräume in Wohnungen in sehr engen Grenzen, bei heranrückender
Wohnbebauung, nach vorheriger Ausschöpfung des verträglichen aktiven Lärm-
schutzes bei Gewerbenutzungen, bei Vorhandensein lärmgeschützter Außen-
wohnbereiche, der Beibehaltung des Messpunkts vor dem Fenster und gesund-
heitsverträglich z. B. mit dem sogenannten Hamburger Fenster umzusetzen und
zusätzlich

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Klima-, Flächen-, Naturschutz und Bürgerbeteiligung nicht zu gefährden und dazu das
Bauen auf der grünen Wiese außerhalb der Städte und Gemeinden nicht zu erleichtern
und dazu

 den neuen Paragrafen 13b „Einbeziehung von Außenbereichsflächen in das be-
schleunigte Verfahren“ im Baugesetzbuch zu streichen, damit Ortskerne insbe-
sondere im strukturschwachen oder ländlichen Raum wieder attraktiver werden,
statt zu veröden,

 das Urbane Gebiet in der Baunutzungsverordnung zu verankern, denn damit kön-
nen bei Bedarf Grundstücke dichter bebaut werden als bisher, untergenutzte Flä-
chen besser ausgenutzt werden, schneller Wohnraum geschaffen werden und die
flexible Mischung der Nutzungen gegenüber dem reinen Wohngebiet, dem allge-
meinen Wohngebiet und dem Mischgebiet erleichtert werden,

 eine Bebauung nach Urbanem Gebiet im sogenannten unbeplanten Innenbereich
nach § 34 auszuschließen,

 den neuen Gebietstyp „Urbanes Gebiet“ in der Baunutzungsverordnung noch
nachzubessern und dazu den Satz „Die Nutzungsmischung muss nicht gleichge-
wichtig sein“ zu streichen und ausdrücklich „Gebäude, die dem Wohnen und an-
deren Nutzungen dienen“ in den Katalog zulässiger Nutzungen aufzunehmen,

 das reine Wohngebiet in der Baunutzungsverordnung für neue Gebietsausweisun-
gen abzuschaffen sowie

Kommunen darin zu unterstützen, den sozialen Zusammenhalt in Stadtvierteln zu er-
halten und zu stärken und dazu

 im besonderen Städtebaurecht in sozialen Erhaltungs-/Milieuschutzgebieten nach
§172 Baugesetzbuch sowie in Sanierungsgebieten nach § 136 Baugesetzbuch die
Möglichkeit der Festlegung von Mietobergrenzen ausdrücklich zu verankern,

 einen kommunalen Genehmigungsvorbehalt für die Umwandlung von Miet- in
Eigentumswohnungen, wie er in §172 Baugesetzbuch für Erhaltungs-/Milieu-
schutzgebiete besteht, auch für das gesamte Stadtgebiet zu ermöglichen,

 Ausnahmen vom Umwandlungsschutz, die in Erhaltungsgebieten nach § 172
Abs. 4 Satz 3 Nr. 6 Satz 4 und Satz 5 gelten, wenn der Eigentümer sich verpflich-
tet, innerhalb von sieben Jahren nur an Mieter zu verkaufen, zu streichen,

 Wohnraum in innerstädtischen Lagen zu erhalten und die Verdrängung z. B.
durch Ferienwohnungen zu vermeiden, indem in Wohn- und Mischgebieten auch
Höchstmaße für die zulässige Zahl an Ferienwohnungen angegeben werden dür-
fen,

 die Aktivierung von Flächen und ihre am Gemeinwohl orientierte Nutzung in den
Städten und Gemeinden zu erleichtern und zu beschleunigen, dazu das Gemein-
wohl im Bodenrecht wie folgt zu stärken:

o es Kommunen zu erleichtern, Baugebote nach den §§ 175 und 176 Baugesetz-
buch auf Flächen mit bestehendem Baurecht auszusprechen, damit die Kom-
munen dafür sorgen können, dass dort, wo Baurecht und ein hoher Bedarf an
Wohnraum bestehen, Bauflächen auch entsprechend bebaut werden und sie
die Vorratshaltung und den Handel mit Bauflächen einfacherer begrenzen
können,

o Kommunen und kommunalen Gesellschaften im Gesetz über die Bundesan-
stalt für Immobilienaufgaben (BImAG) zur Berücksichtigung strukturpoliti-
scher, städtebaulicher und wohnungspolitischer Ziele des Bundes, der Länder
und der Kommunen ein preislimitiertes Zugriffsrecht auf bundeseigene Lie-
genschaften einzuräumen, im Bedarfsfall auch unterhalb des Verkehrswertes,

o das Vorkaufsrecht, das den Mietern bei dem Verkauf der Wohnung durch den
Vermieter an einen Dritten (nach § 577 BGB) und Kommunen (nach den

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§§ 175 und 176 Baugesetzbuch) zusteht, auf Genossenschaften, welche die
Mieter gründen wollen bzw. auch Dachgenossenschaften zu diesem Zweck,
auszuweiten,

o Kommunen die Anwendung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme
nach den §§ 165 ff. Baugesetzbuch zu erleichtern, damit diese auch für klei-
nere, kompliziert zu entwickelnde oder verteilte Flächen anwendbar oder
leichter anwendbar wird, spekulative Preissteigerungen vor dem kommunalen
Erwerb der Flächen einfacherer vermieden werden können, und bei der Ver-
äußerung dieser Gebiete nach der Entwicklung gemeinnützige Wohnungsun-
ternehmen, Genossenschaften und kommunale Gesellschaften privilegiert
werden können;

Grüne Infrastruktur zu stärken und Freiräume zu schaffen, für Erholung, Klimaanpas-
sung und Natur und dazu

 den Vorrang einer doppelten Innenentwicklung – von Grün- und Freiräumen pa-
rallel zu Wohnungs- und Städtebau – zu implementieren, die im Innenbereich
grüne Infrastruktur und Freiräume sichert und stärkt sowie eine maßvolle bauli-
che Verdichtung und Nutzungsmischung ermöglicht,

 in der Planung der Freiflächen auf die variable Nutzbarkeit öffentlicher Räume
zu achten und die unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessen der Bewohnerin-
nen und Bewohner in die Planung einzubeziehen. Dazu gehören Treffpunkte,
Rückzugsorte, Sport- und Spielmöglichkeiten oder auch Raum für gemeinschaft-
liche Gärten,

 Natur- und Artenschutz frühzeitig im Verfahren umfassend zu berücksichtigen,
denn so können spätere und unvorhergesehene Bauverzögerungen verhindert
werden. So entstehen Planungssicherheit und ein reibungsloses Bauverfahren,

 die Zukunft der Tierhaltung artgerecht und der Fläche anzupassen, indem nur für
Intensivtierhaltungsanlagen, die keine förmliche Genehmigung nach dem Bun-
des-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) benötigen, die Privilegierung nach § 35
des Baugesetzbuches (BauGB) beibehalten wird und eine Flächenbindung für
Tierhaltungsanlagen in das BauGB eigeführt wird, die es den Gemeinden ermög-
licht, das Wachstum von Intensivtierhaltungsanlagen auf zwei Großvieheinheiten
pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche auf dem Gemeindegebiet zu begren-
zen;

Mehr Raum für Kinder und Jugendliche in Städten schaffen und dazu

 bei allen Bau- und Wohnumfeldmaßnahmen, die Kinder und Jugendliche betref-
fen, ihr Wohl und kindgerechte Lebensbedingungen als einen Gesichtspunkt zu
verankern, der vorrangig zu berücksichtigen ist, und dies im § 1 des Baugesetz-
buches zu verankern. In § 4b des Baugesetzbuches sollen kinder- und jugendge-
rechte Beteiligungsverfahren und Verantwortlichkeiten in der Kommune aufge-
nommen werden;

 die Rechte von Kindern und Jugendlichen in der Bauleitplanung durch eine Prä-
zisierung der Planungsleitlinien und der Festsetzungsmöglichkeiten nach der
Baunutzungsverordnung, wie z. B. für Jugendplätze und Naturerfahrungsräume,
zu stärken.

Berlin, den 8. März 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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Begründung

Zum erleichterten Bauen im Außenbereich (also erleichtertes Wachstum in die Fläche) auch in schrumpfenden
ländlichen Gemeinden – § 13b (neu) Einbeziehung von Außenbereichsflächen in das beschleunigte Verfahren

Künftig dürfen Gemeinden für drei Jahre große Baugebiete bis einen Hektar bebauter Grundfläche – und damit
bis mehrere Hektar Größe – in ihrem Außenbereich im erleichterten Verfahren ausweisen. Die Bundesregierung
spricht damit eine Einladung zur planlosen Zersiedlung aus und befördert, dass Dorfkerne veröden und wertvolle
Grünräume im städtischen Umland verschwinden. So wird sie ihr eigenes Ziel, den Flächenverbrauch bis zum
Jahr 2020 auf 30 Hektar zu begrenzen, um Längen verfehlen. Die Bundesregierung ignoriert an dieser Stelle die
tatsächlichen Bedarfe der Menschen nach einem attraktiven Wohnort und guter Nahversorgung, hebelt die Be-
lange des Naturschutzes aus und setzt das Vermögen vieler Menschen, die Werte ihrer bestehenden Häuser und
Wohnungen, aus Spiel.

Bereits heute ist es möglich und gelebte Praxis, neue Flächen im Außenbereich auf Grundlage einer ordentlichen
Planung in Anspruch zu nehmen, wenn die Bevölkerung wächst und die Bauflächen im Innenbereich knapp sind.

Die hohen Kostenrisiken für die Bewohner und Beschäftigten von in die Fläche wachsenden Gemeinden im
ländlichen Raum beschreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucksache 18/4172: „Grundsätzlich steigen die Infrastrukturfolgekosten durch
Siedlungswachstum und damit Flächenverbrauch. (…) In stagnierenden oder schrumpfenden Regionen erhöht
sich in der Gesamtsicht mit Flächenausweisungen und neuen Infrastrukturen die Kostenbelastung pro Kopf der
Bevölkerung oder pro Arbeitsplatz. Diese zusätzlichen Kosten müssen letzten Endes über höhere Steuern oder
Gebühren von allen getragen werden. Dies kann sich zu einem weiteren Standortnachteil der Region auswachsen.

Zudem werden die Infrastrukturfolgekosten durch die Lage eines neuen Siedlungsgebietes beeinflusst. Eine an
den Verkehrswegen des öffentlichen Personennahverkehrs ausgerichtete Siedlungsentwicklung (wie in vielen
Regionalplänen gefordert), kann dessen Auslastung und damit die Tragfähigkeit verbessern. Ähnliches gilt für
geeignete Anschlusspunkte anderer Infrastrukturen.

(…) Während die einwohnerbezogene SuV [Anm.: SuV = Siedlungs- und Verkehrsfläche] insbesondere in we-
nigen wachsenden Kernstädten und ihrem Umland (Bonn, Berlin, München, Hamburg, Freiburg u. a.) nur wenig
oder mäßig steigt, steigt sie in vielen ohnehin dünner besiedelten, in peripher liegenden und in altindustriellen
Regionen deutlich stärker. Die Ursache dafür liegt nur teilweise in Abwanderung. Sie liegt insbesondere auch in
einer über den Bedarf hinausgehenden, also nicht nachhaltigen Ausweisung neuer Siedlungsflächen. Aus ökono-
mischer Sicht besorgniserregend ist, dass selbst in schrumpfenden und stark schrumpfenden Regionen zusätzlich
SuV ausgewiesen und damit zusätzliche Infrastrukturfolgekosten vorbestimmt werden. Problematisch ist es nicht
nur, wenn die neuen Flächen und Infrastrukturen nicht genügend Nutzer finden, die für die Finanzierung auf-
kommen, sondern problematisch ist es auch, wenn zwar neue Infrastrukturen genügend ausgelastet werden, aber
in der Folge im bisherigen Bestand die Nutzungen ausgedünnt werden oder gar Leerstände auftreten.“

Gerade dort, wo Bevölkerung abwandert und älter wird, wachsen die Gemeinden überproportional in die Fläche.
Hingegen ist der Flächenverbrauch in den wachsenden Städten gering, denn hier entstehen vor allem Wohnungen
im dichteren Geschosswohnungsbau (SRU-Umweltgutachten, 2016).

Statt neuer Einfamilienhäuser am Stadtrand brauchen die meisten Gemeinden im Zuge der Bevölkerungsent-
wicklung und der älter werdenden Bevölkerung vor allem kleine Wohnungen mit guter Nahversorgung. Die
Nahversorgung ist in den Ortskernen leichter zu organisieren als in Siedlungen auf der grünen Wiese. Der Wett-
lauf der Gemeinden um die meisten Einfamilienhäuser schadet am Ende allen. So heißt es im Baukulturbericht
2016/17: „Mit ihrem Kampf um Gewerbe und Einwohner steigern die Gemeinden eine interkommunale Konkur-
renz, die am Ende allen schadet.“

Zur Verlärmung der Urbanen Gebiete:

Der Gesetzentwurf enthält einen weiteren weitreichenden Fehler: Der Lärmschutz in den neuen Urbanen Gebie-
ten wird pauschal und drastisch abgesenkt. Die Bundesregierung ermöglicht damit die Verlärmung von neuen
Stadtvierteln. Mit einer parallel zu diesem Gesetzentwurf angestrebten Änderung der Technischen Anleitung
Lärm und der Sportanlagenlärmschutz-Verordnung (laut Kabinettsbeschluss vom 30.11.2016) soll nämlich der
Lärmschutz im neuen Urbanen Gebiet gegenüber den heutigen Grenzwerten abgesenkt werden. Deutlich höhere
allgemeine Lärmimmissionen als bisher sind damit möglich: 3 Dezibel mehr im Vergleich zum Mischgebiet,

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dann 63 Dezibel tags und 48 nachts. Damit wird eine bedeutende Schwelle gerissen: Das damit erlaubte Lärmni-
veau ist doppelt so hoch wie vorher und gefährdet die Gesundheit. Damit wird der Schutz der Bevölkerung vor
Gesundheitsschäden aufgrund von Lärm im neuen Urbanen Gebiet aufgekündigt. Künftig könnten Gerichte daher
gesundheitsgefährdenden Lärm auch in anderen Gebietstypen, etwa allgemeinen Wohngebieten, akzeptieren.
Diese Änderung der TA Lärm und der Sportanlagenlärmschutz-Verordnung sind daher abzulehnen.

Eine bessere Erleichterung des Lärmschutzes für die Urbanen Gebiete stellt das von Hamburg mit der sogenann-
ten „Großstadtstrategie“ in die Bauministerkonferenz eingebrachte „Hamburger Fenster“ dar. Dieser Vorschlag
bietet eine eng gefasste Möglichkeit für passiven Lärmschutz, wenn Wohnbebauung an Gewerbe heranrückt. So
dürften damit etwa kippbare Fenster, die den Schallpegel im Innenraum auf ein verträgliches Niveau tags wie
nachts verringern, verwendet werden, sofern sonstige Lärmschutzmaßnahmen ausgereizt sind und lärmge-
schützte offene Terrassen oder Balkone an der Wohnung vorhanden sind. Die Lärmwerte können wie bisher auch
bei offenem Fenster außen vor dem Fenster ermittelt werden und anliegendes Gewerbe muss darauf achten, den
Lärm in machbaren Grenzen zu halten. Damit wird das Vorsorgeprinzip gewahrt. Dieser eng gefasste passive
Lärmschutz ist geeignet, das dichte verträgliche Beieinander von Wohnen und Gewerbe in Urbanen Gebieten zu
erleichtern und ist in die TA Lärm aufzunehmen.

Zum neuen Urbanen Gebiet in der Baunutzungsverordnung – erleichterte Standards und höhere Dichte

Das Urbane Gebiet ermöglicht im Vergleich zum Mischgebiet sowie zum allgemeinen Wohngebiet der Baunut-
zungsverordnung eine flexiblere Mischung der verschiedenen Gebäudenutzungen mit dem Wohnen, z. B. Ge-
schäfte, Restaurants, Gewerbe, Sportplätze und Kulturzentren, sofern diese das Wohnen nicht wesentlich stören.
Das bedeutet Erleichterungen bei der Mischung gegenüber dem Mischgebiet, denn der Kreis der genannten Nut-
zungen ist im Urbanen Gebiet größer, und die Mischung muss hier ausdrücklich nicht gleichwertig sein.

Außerdem wird eine deutlich höhere städtebauliche Dichte ermöglicht – Grundstücke dürfen also weit höher
baulich ausgenutzt werden als heute etwa im Wohn- oder Mischgebiet. Dürfen im Mischgebiet bis zu 60 Prozent
der Grundstücksfläche überbaut werden und im allgemeinen Wohngebiet 40 Prozent, so sind es im Urbanen
Gebiet bis zu 80 Prozent (Grundflächenzahl). Während die zulässige Baumasse oder Geschossfläche im Misch-
gebiet bis zum 1,6-fachen der Grundflächenzahl und im allgemeinen Wohngebiet bis zum 1,2-fachen beträgt,
beträgt sie im Urbanen Gebiet ebenso wie im Kerngebiet bis zum 3-fachen. Nur im Kerngebiet ist noch eine
höhere Dichte erlaubt (Grundflächenzahl bis zu 100 bzw. 1 Prozent); dieser Gebietstyp ist aber vor allem zentra-
len Einrichtungen der Kultur und Verwaltung sowie dem Handel und der Wirtschaft vorbehalten.

Zum reinen Wohngebiet:

Das reine Wohngebiet der Baunutzungsverordnung ist wegen der strikten Trennung von Wohnen, Nahversor-
gung und Arbeitsplätzen nicht mehr zeitgemäß, und wird auch heute schon kaum noch bei Neubauvorhaben
angewendet. Es läuft der Stadt der kurzen Wege zuwider und bremst den Ressourcen- und Klimaschutz.

Zur Streichung von Ausnahmen vom Umwandlungsschutz in sozialen Erhaltungsgebieten nach §172 Abs. 4 Satz
3 Nr. 6 Satz 4 und Satz 5 BauGB

Die Streichung des Ausnahmetatbestands soll dazu beitragen, dass vorhandene Wohnquartiere und die dortige
Bewohnerstruktur wirksamer geschützt werden. Stabile Wohnquartiere sind eine wichtige Voraussetzung für eine
Stärkung des Zusammenlebens in den Städten. Damit entspricht diese Änderung der Zielsetzung der von der
Bundesregierung vorgeschlagenen Novelle des Baugesetzbuchs (BauGB). Der Schutz von Mieterinnen und Mie-
tern vor den Folgen einer Umwandlung ihrer Wohnung in Wohnungseigentum nach dem Wohnungseigentums-
gesetz (WEG) hat heute, gerade im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung, eine zunehmend größere Bedeu-
tung und soll verbessert werden.

Der hier vorgeschlagene Wegfall der bisherigen Genehmigungspflicht bei zeitlich beschränkter Veräußerung nur
an die Mieter stellt eine zulässige Regelung von Inhalt und Schranken des Eigentums dar. Dem Eigentümer
verbleibt die Nutzung des Eigentums durch Vermietung der Wohnungen, wobei der Gesetzgeber davon ausgeht,
dass die Wohnungen auch vermietet werden können, da eine entsprechende Nachfrage nach derartigen Wohnun-
gen bestehe. Bei wirtschaftlicher Unzumutbarkeit ist eine Genehmigung zu erteilen (§ 172 Absatz 4 Satz 2
BauGB); die Belange des Eigentümers werden ferner durch die weiteren Regelungen in § 172 Absatz 4 Satz 3
BauGB berücksichtigt.

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Gerade in Ballungsräumen ist von einer weiter steigenden Nachfrage nach Wohnungen in den sozialen Erhal-
tungsgebieten auszugehen.

Die von Artikel 14 Absatz 1 GG zum Schutz des Eigentums gezogenen Grenzen sind erst dann überschritten,
wenn die Beschränkungen auf Dauer zu Verlusten für den Vermieter oder zur Substanzgefährdung führen wür-
den. In derartigen Fällen greift jedoch unter anderem § 172 Absatz 4 Satz 2 BauGB ein.

Zu Baugeboten:

Bereits heute haben die Kommunen die Möglichkeit, Baurecht befristet zu vergeben. Damit können sie Druck
auf Eigentümerinnen und Eigentümer ausüben, erteiltes Baurecht auch auszuüben. Denn die Zahl der realisierten
Bauvorhaben hängt regelmäßig hinter den erteilten Bebauungsplänen und Baugenehmigungen hinterher, auch
dort, wo Wohnraummangel herrscht. Baugebote sind für die Kommunen jedoch mit einem hohen Aufwand be-
lastet. Hier sollten die Kommunen leichtere Möglichkeiten und Handreichungen erhalten, um bei einem entspre-
chend hohen Bedarf die Eigentümer der Flächen leichter dazu bewegen zu können, Bauflächen zu bebauen.

Zum bezahlbaren Wohnen:

Antworten zum Thema sozialer Zusammenhalt beim Wohnen fehlen im Gesetzentwurf der Bundesregierung
völlig. Dabei ist das Zusammenleben von Menschen verschiedener Einkommen und Vermögen in den wachsen-
den Städten und Ballungszentren akut gefährdet. Wer weniger hat, wird durch die steigenden Mietpreise an den
Rand gedrängt. Daher braucht es gesetzliche Möglichkeiten zum besseren Schutz von Menschen mit kleinem
Geldbeutel und Familien vor Immobilienspekulation, steigenden Mietpreisen und vor Verdrängung aus dem ei-
genen Wohnviertel.

Im Baurecht sind so genannte soziale Erhaltungssatzungen, auch bekannt als Milieuschutzgebiete, verankert.
Kommunen können solche Satzungen erlassen, um damit überteuerte Aufwertungen und den Verlust von preis-
wertem Wohnraum in einem festgelegten Gebiet zu vermeiden. Dann sind Umbauten, Zweckentfremdungen und
Abrisse genehmigungspflichtig. Wenn durch Umbau, Verkauf oder Modernisierung von Wohnungen die vor-
handene Bevölkerungsstruktur gefährdet wird, kann die Maßnahme versagt bzw. können Auflagen erteilt werden.
Hamburg, Berlin und andere Städte machen davon Gebrauch, mit begrenztem Erfolg. Denn es fehlen wichtige
Ergänzungen. Bis zu einem Gerichtsurteil im Jahr 2005 in Berlin waren Mietobergrenzen nach öffentlich geför-
derten Modernisierungen gängige Praxis. Dieser Weg soll wieder eröffnet werden und dazu die Möglichkeit von
Mietobergrenzen in den Gesetzestext aufgenommen werden. Die Aufteilung von Miethäusern in Eigentumswoh-
nungen und deren Verkauf häufig über Wert ist ein zentraler Spekulations- und Verdrängungsmotor in innerstäd-
tischen Altbauvierteln. Auch in Erhaltungsgebieten müssen solche Umwandlungen von Miet- in Eigentumswoh-
nungen länger versagt werden können, wenn Landesverordnungen oder städtische Satzungen zum Schutz vor
diesen Umwandlungen gelten. Heute ist das nur unter sehr engen Bedingungen mit weitreichenden Ausnahme-
möglichkeiten der Fall. Es braucht in besonders gefährdeten Gebieten aber einen besseren Schutz, um zu verhin-
dern, dass Geringverdiener und Familien mit mittleren Einkommen aus der Stadt gedrängt werden und als Spe-
kulationsbremse. Ausnahmen vom Umwandlungsschutz die in Erhaltungsgebieten gelten, wenn der Eigentümer
sich verpflichtet, innerhalb von sieben Jahren nur an Mieter zu verkaufen, sollen daher gestrichen werden.

Zur Tierhaltung:

Um eine ausreichende Wirksamkeit für die Genehmigung von Tierhaltungsanlagen nach § 35 BauGB zu erzielen,
sind auch Änderungen im Immissionsschutzrecht notwendig. So wird durch eine Halbierung der Schwellenwerte
im Anhang 1 der 4. BImSchV (Vierte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes)
erreicht, dass z. B. ab 20.000 Mastgeflügelplätzen oder 1.000 Mastschweinen ein förmliches immissionsschutz-
rechtliches Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen ist. Durch die Koppelung die-
ser Schwellenwerte an das Baurecht wird der Gemeinde ermöglicht, steuernd in den geplanten Zubau von Tier-
haltungsanlagen einzugreifen, da bei Überschreitung dieser Schwellenwerte eine neue Stallanlage nur noch auf
dem Weg eines Bebauungsplanes realisiert werden kann.

Als weiteres baurechtliches Instrument werden die Gemeinden in die Lage versetzt, den Zubau neuer Tierhal-
tungsanlagen verhindern zu können, wenn auf dem Gemeindegebiet bereits eine umweltunverträgliche Tierdichte
von zwei Großvieheinheiten pro Hektar (entspricht ca. 15 Mastschweinen pro Hektar) vorhanden ist.

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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