BT-Drucksache 18/114

Erweiterung des Vereinigungsbegriffs in den §§ 129 und 129a des Strafgesetzbuchs aufgrund des Rahmenbeschlusses der Europäischen Union zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität

Vom 28. November 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 18/114
18. Wahlperiode 28.11.2013
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Andrej Hunko, Kersten Steinke und der
Fraktion DIE LINKE.

Erweiterung des Vereinigungsbegriffs in den §§ 129 und 129a des
Strafgesetzbuchs aufgrund des Rahmenbeschlusses der Europäischen Union zur
Bekämpfung der organisierten Kriminalität

Der am 24. Oktober 2008 von der Europäischen Union verabschiedete Rahmen-
beschluss des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der organisierten
Kriminalität definiert in Artikel 1 die Begriffe der „kriminellen Vereinigung“ so-
wie des „organisierten Zusammenschlusses“.
Nach dieser Definition ist eine Unterordnung der einzelnen Gruppenmitglieder
unter einen gemeinsam Gruppenwillen für das Vorliegen einer „kriminellen Ver-
einigung“ nicht erforderlich. Entsprechend sieht auch der Rahmenbeschluss der
Europäischen Union zur Terrorismusbekämpfung für die Bildung einer „terro-
ristischen Vereinigung“ nicht vor, dass ein Gesamt- oder Gruppenwille gebildet
werden muss.
Diese Definitionen in den Rahmenbeschlüssen der Europäischen Union unter-
scheiden sich damit deutlich von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
(BGH), der bislang die Bildung eines Gemeinschaftswillens als erforderlich für
die Bildung einer „kriminellen“ oder „terroristischen“ Vereinigung ansieht. Der
BGH lehnt bislang eine Anpassung seiner Rechtsprechung zu den §§ 129 und
129a des Strafgesetzbuchs (StGB) an den Vereinigungsbegriff des Europarechts
ab.
Nach der herrschenden Meinung sind solche Gruppierungen vom Anwendungs-
bereich des § 129 StGB ausgeschlossen, deren Mitglieder sich jeweils nur für
sich der vom Gruppenwillen nicht abgeleiteten autoritären Führung einer be-
stimmten Person unterwerfen. Nach dieser Auffassung fällt ein gewisser Anteil
der kriminellen Organisationen nicht unter den § 129 StGB. Auf Bundestags-
drucksache 16/12346 wies die Bundesregierung allerdings daraufhin, dass diese
Meinung nicht unumstritten sei und die Gegenauffassung darauf verweise, dass
sie nach dem Wortlaut und Gesetzessinn keineswegs zwingend sei. Die Bundes-
regierung sah zum damaligen Zeitpunkt im Frühjahr 2009 „keinen gesetzgebe-
rischen Handlungsbedarf“. Vielmehr sollte die weitere Entwicklung insbeson-
dere im Hinblick auf den Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union
zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität sorgfältig beobachtet werden.
Die Umsetzungsfrist für diesen Rahmenbeschluss der Europäischen Union ist
am 10. Mai 2010 abgelaufen.

Drucksache 18/114 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie genau definiert der Rahmenbeschluss der Europäischen Union zur orga-

nisierten Kriminalität und zur Terrorismusbekämpfung die Begriffe „krimi-
nelle Vereinigung“, „terroristische Vereinigung“ und „organisierter Zusam-
menschluss“, und wie unterscheiden sich diese Definitionen von den bislang
gültigen Definitionen der deutschen Rechtsprechung?

2. Inwieweit müssen diese Vereinigungsdefinitionen der Rahmenbeschlüsse der
Europäischen Union zwingend in deutsches Recht überführt werden?

3. Hat sich die auf Bundestagsdrucksache 16/12346 geäußerte Haltung der Bun-
desregierung geändert, wonach kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf be-
züglich des Vereinigungsbegriffs in § 129 StGB besteht?
Wenn ja, wann, und warum?

4. Welche rechtlichen und politischen Alternativen zu einer Änderung des Ver-
einigungsbegriffs in den §§ 129 und 129a StGB sieht die Bundesregierung
zur Anpassung an die Definitionen im europäischen Recht?

5. Welche Mindermeinungen von Juristinnen und Juristen sind der Bundesre-
gierung bekannt, die für eine andere als die derzeit vom Bundesgerichtshof
vorgenommene Auslegung des Vereinigungsbegriffs in den §§ 129 und 129a
StGB plädieren?

6. Inwieweit, wann, und durch welche europäischen Behörden oder Institutio-
nen gab es Ermahnungen an die Bundesrepublik Deutschland, den Vereini-
gungsbegriff in den §§ 129 und 129a StGB an die Definition der entsprechen-
den Rahmenbeschlüsse der Europäischen Union anzupassen?

7. Welche Staaten oder Behörden fremder Staaten (EU- und Drittstaaten) sind
bislang an die Bundesregierung mit der Forderung herangetreten, die Defini-
tionen der §§ 129 und 129a StGB dem Rahmenbeschluss der Europäischen
Union anzupassen, und wenn, mit welcher Begründung?

8. Sind der Bundesregierung Forderungen der Justiz- und Ermittlungsbehörden
nach einer Erweiterung des Vereinigungsbegriffs bekannt, und wenn ja, von
welchen Behörden, mit welchem Inhalt, und mit welchen Begründungen?
Inwieweit wird dabei auf (welche) konkreten Erfahrungen verwiesen?

9. In wie vielen und welchen Fällen hat nach Kenntnis der Bundesregierung die
herrschende Rechtsprechung zu konkreten Problemen bei der Verfolgung
schwerer Straftaten bzw. zur Einstellung von Ermittlungen oder zu Freisprü-
chen in Gerichtsverfahren geführt?

Berlin, den 26. November 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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