BT-Drucksache 18/11394

Besuch des Leiters des türkischen Geheimdienstes in Deutschland

Vom 28. Februar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11394
18. Wahlperiode 28.02.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Heike Hänsel, Dr. André Hahn, Inge Höger,
Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu und der Fraktion DIE LINKE.

Besuch des Leiters des türkischen Geheimdienstes in Deutschland

Der Leiter des türkischen Geheimdienstes Milli Istihbarat Teskilati (MIT) Hakan
Fidan besuchte im Februar 2017 die Bundesrepublik Deutschland zu Gesprächen
unter anderem mit Vertretern des Bundesnachrichtendienstes und des Bundesam-
tes für Verfassungsschutz. Thema des Besuches war unter anderem die Koopera-
tion bei der Terrorismusbekämpfung. Zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Türkei gibt es dabei durchaus Differenzen in der Einstufung, welche
Gruppierungen als terroristisch gelten. Während Übereinstimmung bei entspre-
chenden Klassifizierung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sowie einiger links-
radikaler Gruppierungen wie der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front
(DHKP/C) besteht, sieht die Bundesregierung die in der Türkei als Fethullahisti-
sche Terrororganisation (FETÖ) scharf verfolgte Gülen-Bewegung nicht als ter-
roristisch an. Der Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan beschuldigte Deutsch-
land allerdings, auch die Aktivitäten der PKK zu dulden und zum „wichtigsten
Hafen für Terroristen“ geworden zu sein (www.wsj.de/nachrichten/SB100014
24052702304066404579129442811094168).
Der türkische Geheimdienst MIT soll in Deutschland ein Netzwerk von bis zu
6 000 Spitzeln haben, das Oppositionelle unter der türkeistämmigen Migration
ausforscht und unter Druck setzt (www.welt.de/politik/deutschland/article15
7778863/Erdogans-Agenten-bedrohen-Tuerken-in-Deutschland.html). Ein im
Dezember letzten Jahres in Hamburg unter dem Verdacht der Agententätigkeit
verhafteter Türke soll Anschläge auf kurdische Exilpolitiker unter anderem in
Deutschland geplant haben (www.faz.net/aktuell/politik/inland/mutmasslicher-
tuerkischer-spion-plante-attentate-14581037.html). Spionage für die türkische
Regierung betrieben offenbar auch Imame in Moscheevereinen der Türkisch-Is-
lamischen Union der Anstalt für Religion e. V. (DITIB), die als Religionsbeamte
vom Religionsamt Diyanet nach Deutschland geschickt wurden. Während die
Bundesanwaltschaft Ermittlungen wegen Agententätigkeit aufgenommen hat,
wurden mehrere Imame, die Informationen über Anhänger der Gülen-Bewegung
an türkische diplomatische Stellen weitergegeben hatten, aus Deutschland ab-
gezogen (www.hurriyetdailynews.com/directorate-of-religious-affairs-recalls-
imams-accused-of-spying-in-germany-.aspx?pageID=238&nID=109614&News
CatID=351).
Höchst problematisch ist aus Sicht der Fragesteller Hakan Fidans Rolle im sy-
rischen Bürgerkrieg. So lieferte der MIT offenbar große Mengen Waffen und
Munition an in Syrien gegen Regierungstruppen sowie die kurdischen Volks-
verteidigungseinheiten (YPG) kämpfende Kräfte einschließlich terroristischer
Gruppierungen wie dem Islamischen Staat und leistete diesen Gruppierungen

Drucksache 18/11394 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

auch logistische Hilfe etwa beim Grenzübertritt ausländischer Kämpfer
(www.wsj.de/nachrichten/SB10001424052702304066404579129442811094168;
www.taz.de/Tuerkischer-Geheimdienst/!5056529/).
Wie ein abgehörtes Gespräch im türkischen Außenministerium deutlich machte,
schlug Hakan Fidan Anfang 2014 dem damaligem Außenminister Ahmet
Davutoğlu sowie Spitzenmilitärs vor, von seinen Agenten in Syrien Raketen auf
türkisches Territorium abfeuern zu lassen, um einen „Kriegsgrund“ zum Einmarsch
in das Nachbarland zu schaffen (www.faz.net/aktuell/politik/youtube-mitschnitt-
tonaufnahme-legt-tuerkische-angriffsplaene-auf-syrien-nahe-12868697.html;
www.welt.de/print/wams/politik/article157408561/Erdogans-seltsamer-Freund.
html).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wann, auf wessen Initiative, und warum war der Besuch von MIT-Chef

Hakan Fidan in Deutschland arrangiert worden?
2. Wer genau gehörte der Delegation von Hakan Fidan an (Namen und Funkti-

onen bitte angeben)?
3. Wie sah der genaue Terminplan von Hakan Fidan in Deutschland aus?
4. Welche Begegnungen von Vertreterinnen und Vertretern der Bundesregie-

rung, von Bundesbehörden und nach Kenntnis der Bundesregierung von
Landesregierungen und Landesbehörden gab es mit Hakan Fidan bzw. Teil-
nehmerinnen und Teilnehmern seiner Delegation?
Bei welchen dieser Begegnungen waren Vertreterinnen und Vertreter wel-
cher anderen (ausländischer) Geheimdienste oder Polizeibehörden zugegen?

5. Inwieweit haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung Hakan Fidan oder
Mitglieder seiner Delegation während ihres Deutschlandbesuches mit türki-
schen Diplomaten, Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und Insti-
tutionen der türkeistämmigen Migration getroffen?

6. Was waren die genauen Themen der jeweiligen Gespräche zwischen Hakan
Fidan und seiner Delegation sowie deutschen Regierungs- und Behördenver-
tretern, welche genauen Inhalte wurden besprochen, und mit welchem Er-
gebnis?
a) Inwieweit und mit welchem Ergebnis wurden der Umgang mit der Gülen-

Bewegung und die mögliche Auslieferung von führenden Gülenisten, die
nach Deutschland geflohen sind, thematisiert?
Welche diesbezüglichen Erwartungen hat Hakan Fidan gestellt, und wie
war die von der Bundesregierung bzw. den deutschen Sicherheitsbehör-
den dazu vertretene Position?
Welche Dokumente und Unterlagen haben Hakan Fidan und seine Dele-
gation bezüglich der Gülen-Bewegung der Bundesregierung und den
deutschen Sicherheitsbehörden übergeben?

b) Inwieweit wurde ein gemeinsames Vorgehen deutscher und türkischer
Behörden gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) thematisiert?
Welche diesbezüglichen Erwartungen stellte die türkische Seite, und wel-
che Position haben die Bundesregierung und deutsche Sicherheitsbehör-
den dazu eingenommen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11394
c) Inwieweit wurde ein gemeinsames Vorgehen deutscher und türkischer
Behörden gegen die DHKP/C, die Kommunistische Partei der Türkei/
Marxisten-Leninisten (TKP/ML) und gegebenenfalls weitere linksradi-
kale Gruppierungen aus der Türkei thematisiert?
Welche diesbezüglichen Erwartungen stellte die türkische Seite, und wel-
che Position haben die Bundesregierung und deutsche Sicherheitsbehör-
den dazu eingenommen?

d) Inwieweit wurde ein gemeinsames Vorgehen deutscher und türkischer
Behörden gegen den dschihadistischen Terrorismus, Gruppierungen wie
den Islamischen Staat (IS), Al Qaida, Al Nusra (und ihre Nachfolgegrup-
pierungen) und Ahrar al Sham thematisiert?
Welche diesbezüglichen Forderungen stellten die türkische und die deut-
sche Seite jeweils?

e) Inwieweit wurde die enge Zusammenarbeit der türkischen Regie-
rung mit dschihadistischen Terrorgruppen wie Ahrar Al Sham disku-
tiert (www.zeit.de/news/2017-01/21/deutschland-spiegel-tuerkei-und-
islamistengruppe-ahrar-al-scham-kaempfen-in-syrien-gemeinsam-2112
1611)?

f) Inwieweit wurde die Existenz eines aus bis zu 6 000 Informantinnen und
Informanten bestehenden türkischen Spionagenetzwerkes in Deutschland
sowie der von türkeistämmigen Exiloppositionellen erhobene Vorwurf,
von Seiten des türkischen Geheimdienstes unter Druck gesetzt zu werden,
thematisiert?

g) Inwieweit wurde von deutscher oder türkischer Seite thematisiert, dass
das Bundesamt für Verfassungsschutz die Beobachtung der nachrichten-
dienstlichen Tätigkeit des türkischen Geheimdienstes in Deutschland ver-
stärkt hat (Bundestagsdrucksache 18/10739)?

h) Inwieweit war die mutmaßliche Spionagetätigkeit von Religionsbeamten
beim Islamverband DITIB gegenüber Angehörigen der Gülen-Bewegung
in Deutschland Thema der Gespräche mit Hakan Fidan?
Wurde der Abzug von Imamen aus Deutschland, gegen die von der Bun-
desanwaltschaft wegen möglicher Agententätigkeit ermittelt wird, durch
das Religionsamt Diyanet thematisiert, und wenn ja, wie reagierte die tür-
kische Seite auf entsprechende Vorwürfe?

i) Inwieweit waren die Verhaftung eines mutmaßlichen türkischen Agenten
in Hamburg im Dezember letzten Jahres sowie dessen mutmaßliche An-
schlagsplanungen auf kurdische Exilpolitiker Thema der Gespräche mit
Hakan Fidan?

j) Inwieweit waren deutsche Staatsbürger, die sich in Nordsyrien gemein-
sam mit den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) und den Volksver-
teidigungseinheiten (YPG/YPJ) gegen den IS engagieren, Thema der Ge-
spräche (www.n-tv.de/politik/Mehr-als-120-Deutsche-kaempfen-gegen-
IS-article17099221.html)?

7. In welchen thematischen Fragen kam es zu Kontroversen zwischen der De-
legation des MIT und deutschen Behördenvertretern?

8. Welche Vereinbarungen zwischen welchen deutschen und welchen türki-
schen Behörden wurden im Zusammenhang mit dem Deutschlandbesuch von
Hakan Fidan getroffen?

In welchen Bereichen wurde Übereinkunft festgestellt?

Drucksache 18/11394 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
9. Welche Ergebnisse erbrachte der Besuch von Hakan Fidan aus Sicht der
Bundesregierung, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung
daraus?

10. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, dass der MIT unter
Hakan Fidans Verantwortung Waffen an in Syrien kämpfende Gruppierun-
gen geliefert und diesen logistische Hilfe geleistet hat, die sich auf den Ter-
rorlisten der Vereinten Nationen, Europäischen Union oder USA befinden
oder in Deutschland als terroristische Vereinigungen nach § 129a und § 129b
des Strafgesetzbuches verfolgt werden (bitte Gruppierungen benennen und
möglichst konkrete Angaben zu Umfang und Zusammensetzung von Waf-
fenlieferungen bzw. Art der logistischen Hilfe machen)?
a) Inwieweit wurde diese Beihilfe des türkischen Geheimdienstes für terro-

ristische Gruppierungen in den Gesprächen mit Hakan Fidan thematisiert?
b) Welche grundsätzlichen Schlussfolgerungen für ihre Zusammenarbeit mit

dem türkischen Geheimdienst zieht die Bundesregierung aus dem Vor-
wurf, der MIT würde terroristische Gruppierungen in Syrien mit Waffen
und Logistik unterstützen und hätte diese zumindest in der Vergangenheit
unterstützt?

c) Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, Hakan Fidan in
Deutschland wegen des Vorwurfs der Unterstützung terroristischer Ver-
einigungen strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen?

d) Inwiefern wurde im Vorfeld des Besuchs die Möglichkeit bzw. das Erfor-
dernis einer solchen strafrechtlichen Verfolgung in Betracht gezogen, und
zu welchen Schlüssen kam die Bundesregierung (bitte begründen)?

11. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis von einem mitgeschnittenen
Gespräch Hakan Fidans im türkischen Außenministerium aus dem Jahr 2014,
in dem er vorschlug, durch seine Agenten aus Syrien Raketen auf türkisches
Territorium schießen zu lassen, um so einen Grund für ein militärisches Ein-
greifen der türkischen Armee in das Nachbarland zu liefern?
a) Für wie glaubwürdig hält die Bundesregierung die Aufnahme dieses Ge-

spräches?
b) Hat die Bundesregierung jemals gegenüber der türkischen Regierung oder

türkischen Behörden dieses Gespräch thematisiert?
Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
Wenn nein, warum nicht?

c) Welche Schlussfolgerungen bezüglich der Legitimität des unter anderem
mit dem Granatbeschuss türkischen Territoriums begründeten Einmar-
sches der türkischen Armee in Nordsyrien im Rahmen der Operation
Euphrat Schild zieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund der von
Hakan Fidan laut dem abgehörten Gespräch vorgeschlagenen Operation
unter falscher Fahne zur Provokation eines Einmarschgrundes?

12. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der engen Zu-
sammenarbeit der Türkei mit der von deutschen Gerichten als terroristisch
eingestuften dschihadistischen Gruppe Ahrar Al Sham (www.zeit.de/
news/2017-01/21/deutschland-spiegel-tuerkei-und-islamistengruppe-ahrar-al-
scham-kaempfen-in-syrien-gemeinsam-21121611), und welche Konsequen-
zen zieht sie daraus?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/11394

13. Wie vereinbart die Bundesregierung die Tatsache, dass Unterstützer von

Ahrar Al Sham in Deutschland wegen Unterstützung einer terroristischen
Vereinigung verurteilt werden (www.swp.de/ulm/lokales/alb_donau/gericht-
erklaert-ahrar-al-sham-zur-terroristischen-vereinigung-13756199.html) mit
der Freigabe der Lieferung von Ersatzteilen für Leopard-II-Panzer der
türkischen Armee, die im Rahmen der Operation Euphrat Schild an der
Seite der Ahrar al Sham zum Einsatz kommen (www.spiegel.de/politik/
ausland/tuerkei-kaempft-in-syrien-mit-terroristen-und-nutzt-leopard-panzer-
a-1130913.html)?

14. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis von den Anschuldigungen des
als Whistleblower geltenden früheren Leiters der Antiterrorabteilung der
türkischen Polizei Ahmet Said Yayla, wonach Hakan Fidan in den 1990er
Jahren einer Zelle der sogenannten türkischen Hisbollah angehört haben
soll und als Hauptverdächtiger für die Mordanschläge auf mehrere Intel-
lektuelle und Journalisten aus dem Umfeld der Tageszeitung „Cumhuriyet“
gehandelt wird (https://medium.com/insurge-intelligence/former-turkish-
counter-terror-chief-exposes-governments-support-for-isis-d12238698f52
#.dengqn2c5)?
a) Für wie glaubwürdig hält die Bundesregierung die Angaben Ahmet Said

Yaylas bezüglich Hakan Fidan?
b) Inwieweit hat die Bundesregierung Vorwürfe, wonach Hakan Fidan in

Mordanschläge in den 1990er Jahren verwickelt gewesen sein soll, jemals
gegenüber der türkischen Regierung oder türkischen Behörden themati-
siert?

c) Welche generellen Schlussfolgerungen bezüglich ihrer Kooperation mit
Hakan Fidan zieht die Bundesregierung aus den Vorwürfen Ahmet Said
Yaylas, dass der MIT-Chef in den 1990er Jahren einer terroristisch agie-
renden Organisation angehört haben und für Mordanschläge verantwort-
lich gewesen sein soll?

d) Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, Hakan Fidan in
Deutschland wegen des Vorwurfs der Verwicklung in Mordanschläge
strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen?

e) Welche Hinweise hat die Bundesregierung darauf, dass es sich bei Ahmet
Said Yayla um einen führenden Anhänger Fethullah Gülens handelt, und
inwieweit lässt dies gegebenenfalls Rückschlüsse auf die Glaubwürdig-
keit seiner Angaben über Hakan Fidan zu?

Berlin, den 28. Februar 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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