BT-Drucksache 18/11322

Die deutsch-türkische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit und Terror-Abwehr

Vom 15. Februar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11322
18. Wahlperiode 15.02.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Ulla Jelpke, Annette Groth, Heike Hänsel,
Dr. André Hahn, Andrej Hunko, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu und
der Fraktion DIE LINKE.

Die deutsch-türkische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit und
Terror-Abwehr

Wie Anfang Februar 2017 der türkischen Presse zu entnehmen war (z. B. http://
m.milligazete.com.tr/default.aspx#!/haberdetay.aspx?ID=448659), fand in zeitli-
cher Nähe zum Besuch der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel beim türkischen
Staatspräsidenten auch ein Arbeitsbesuch einer deutschen Delegation in der Tür-
kei statt. Diese Delegation wurde von Dr. Emily Haber, Staatssekretärin im Bun-
desministerium des Innern, geleitet und sollte bilaterale Gespräche zu den The-
men Innere Sicherheit und Zusammenarbeit bei der Terror-Abwehr führen. Die
Türkei fordert von Deutschland Maßnahmen gegen Aktivitäten der „Fethullah
Terrororganisation FETÖ“ sowie die Auslieferung der nach dem Putschversuch
vom 15. Juli 2016 in Deutschland aufhältigen Anhängern der Bewegung (www.trt.
net.tr/deutsch/turkei/2017/01/20/merkel-kommt-nach-ankara-655553).
Das erscheint paradox, vor dem Hintergrund, dass die Türkei spätestens im Jahr
2014 begonnen hat, die Geheimdienst-Zusammenarbeit zu unterlaufen, als auf
Nachfragen des Bundesnachrichtendienstes (BND), welche Dschihadisten über
die syrische Grenze in die Türkei gelangt sind, nicht mehr geantwortet wurde und
der türkische Nachrichtendienst dem sogenannten Islamischen Staat (IS) näher zu
stehen schien als dem BND (www.deutschlandfunk.de/tuerkischer-geheimdienst-
in-deutschland-sammelwut-eines-aus.694.de.html?dram:article_id=363800). Pa-
radox erscheint es aber auch deshalb, weil die Europäische Union (EU) im Ge-
genzug für die geplante Visaliberalisierung unter anderem fordert, dass die Türkei
ihr Terrorismusgesetz reformiert, da das Gesetz bislang einen mehr als breiten
Terrorismusbegriff verwendet und von der türkischen Regierung dazu benutzt
wird, kritische Journalisten und Künstler zu verfolgen, Staatspräsident Recep
Tayyip Erdoğan eine engere Terrorismusdefinition jedoch ablehnt (www.
zeit.de/politik/ausland/2016-05/eu-tuerkei-abkommen-recep-tayyip-erdogan-
visafreiheit).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welches Anliegen verfolgte die Bundesregierung mit der Entsendung der

o. g. deutschen Delegation in der Türkei?
2. Welche Personen gehörten auf deutscher Seite der Delegation an?
3. Von wann bis wann hielt sich die deutsche Delegation in der Türkei auf?

http://m.milligazete.com.tr/default.aspx#!/haberdetay.aspx?ID=448659
http://m.milligazete.com.tr/default.aspx#!/haberdetay.aspx?ID=448659
http://www.trt.net.tr/deutsch/turkei/2017/01/20/merkel-kommt-nach-ankara-655553
http://www.trt.net.tr/deutsch/turkei/2017/01/20/merkel-kommt-nach-ankara-655553
http://www.deutschlandfunk.de/tuerkischer-geheimdienst-in-deutschland-sammelwut-eines-aus.694.de.html?dram:article_id=363800
http://www.deutschlandfunk.de/tuerkischer-geheimdienst-in-deutschland-sammelwut-eines-aus.694.de.html?dram:article_id=363800
http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-05/eu-tuerkei-abkommen-recep-tayyip-erdogan-%0bvisafreiheit
http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-05/eu-tuerkei-abkommen-recep-tayyip-erdogan-%0bvisafreiheit
http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-05/eu-tuerkei-abkommen-recep-tayyip-erdogan-%0bvisafreiheit
Drucksache 18/11322 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
4. Welche Inhalte wurden von
a) deutscher und
b) türkischer Seite angesprochen?

5. Zu welchen Ergebnissen hat der Besuch der deutschen Delegation geführt?
6. Welche Beschlüsse wurden zwischen der deutschen und türkischen Seite

während des Besuchs gefasst?
7. Wurde zwischen den beiden Delegationen beziehungsweise den beteiligten

Ministerien ein Arbeitsplan vereinbart?
8. Welche Themen sollen in Zukunft gemeinsam bearbeitet werden (falls ein

Arbeitsplan zwischen beiden Seiten vereinbart wurde)?
9. Hat die Bundesregierung die türkische Seite zu einem Gegenbesuch eingela-

den, und wenn ja, wann soll er stattfinden?
10. Inwiefern war das EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei Gegenstand der

Gespräche?
11. Inwieweit hat die Bundesregierung der türkischen Seite im Zusammenhang

mit der Kontrolle von Migration in Richtung der EU-Staaten Angebote oder
Zusagen gemacht, um Ankara zur Einhaltung des EU-Flüchtlingsabkom-
mens zu bewegen?

12. Ist es beiden Seiten vor dem Hintergrund, dass die EU von der Türkei fordert,
ihre Gesetzgebung und ihre Praxis bezüglich Terrorbekämpfung zu überar-
beiten und in Einklang mit europäischen Standards zu bringen, insbesondere
durch eine Einschränkung der Definition von Terrorismus (www.spiegel.
de/politik/ausland/tuerkei-europaeische-union-haelt-anti-terror-gesetze-fuer-
zu-vage-a-1091988.html), gelungen,
a) einen Konsens – etwa in Form einer Arbeitsdefinition (bitte ggf. wieder-

geben) – über die Begriffe „Terror“, „Terrorist“ und „Terrorismus“ zu er-
zielen und

b) Personen und/oder Personengruppen zu identifizieren, die mit dem Be-
griff „Terrorist“ (oder: „Terroristen“) bezeichnet werden können sowie

c) Staaten oder Staatengruppen zu identifizieren, die „Terror“ bzw. den
„Terrorismus“ fördern oder selbst ausüben?

13. Inwiefern war der Zusammenhang von völkerrechtlich nicht legitimierten
bewaffneten Angriffen – z. B. Raketenangriffe mit Hilfe von Drohnen, un-
provozierte Luftangriffe auf das Territorium eines Nachbarstaates, Beschuss
fremden Territoriums über die Grenze – und der Entstehung irregulärer be-
waffneter Formationen als Reaktion darauf ein Gegenstand der Gespräche?

14. Welche Rolle spielten bei den gemeinsamen Erörterungen die Bekämpfung
der PKK oder ihr zugerechneter Personen
a) in der Türkei,
b) in Deutschland,
c) in anderen Staaten der EU?

15. Welche Rolle spielten bei den gemeinsamen Erörterungen die Bekämpfung
der DHKP-C, TKP/ML und anderer entsprechender Vereinigungen aus der
Türkei oder ihr zugerechneter Personen
a) in der Türkei,
b) in Deutschland,
c) in anderen Staaten der EU?

http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-europaeische-union-haelt-anti-terror-gesetze-fuer-zu-vage-a-1091988.html
http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-europaeische-union-haelt-anti-terror-gesetze-fuer-zu-vage-a-1091988.html
http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-europaeische-union-haelt-anti-terror-gesetze-fuer-zu-vage-a-1091988.html
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11322

16. Inwieweit gab es Absprachen zum Vorgehen deutscher Stellen gegen tat-

sächliche oder vermeintliche Vertreter der sog. Gülen-Bewegung?
17. Inwieweit hat der Fernsehbeitrag des türkischen Senders „A Haber“, der in

seiner Sendung „YAZ BOZ“ ehemalige türkische NATO-Soldaten pau-
schal zu Terroristen der Gülen-Bewegung erklärt, so dass Politiker aus der
Region rund um Mackenbach Sicherheitsbedenken haben, so dass sich auch
das rheinland-pfälzische Innenministerium eingeschaltet hat, um die türki-
sche Fernsehdokumentation gemeinsam mit anderen Sicherheitsbehörden zu
prüfen (www.swr.de/landesschau-aktuell/rp/kaiserslautern/nach-tuerkischem-
fernsehbeitrag-terror-gefahr-fuer-region-ramstein/-/id=1632/did=18906196/
nid=1632/1fi3uu1/), Gegenstand der Gespräche der Staatssekretärin?

18. Hat die deutsche Seite gegenüber der Türkei darauf gedrungen, die Bespitze-
lung vermeintlicher oder tatsächlicher Oppositioneller, darunter auch der Gü-
len-Anhänger, durch die Türkisch-Islamische Anstalt für Religion (DITIB) in
Deutschland unverzüglich zu beenden?

19. Inwieweit liegen der Bundesregierung inzwischen über Medienberichte hin-
ausgehende Kenntnisse (auch nachrichtendienstliche) vor, dass öffentliche
Stellen der Türkei in Moscheegemeinden der DITIB aktiv ist bzw. deren
Strukturen zur Anwerbung von und Einflussnahme auf Gemeindemitglieder
nutzt (Bundestagsdrucksache 18/10739)?

20. Inwieweit liegen der Bundesregierung Kenntnisse (auch nachrichtendienst-
liche) vor, ob öffentliche Stellen der Türkei den Umstand nutzen, dass alle
für DITIB in Deutschland tätigen Imame in der Türkei ausgebildet, ausge-
wählt und von der Türkei bezahlt und nach Deutschland geschickt werden
(Bundestagsdrucksache 18/9399), um diese als Agenten zu verpflichten und
sie, sofern sie sich nicht an diese Abmachung halten, aus ihrem Dienst zu
entlassen und in die Türkei zurückzuschicken (Bundestagsdrucksache
18/10739)?

21. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis, dass Pässe und Aufenthaltsti-
tel von zwei Flüchtlingen, die den türkischen Präsidenten Recep Tayyip
Erdoğan kritisch gegenüberstehen, in der Erstaufnahmeeinrichtung in
Boostedt (Kreis Segeberg) fotografiert und anschließend in sozialen Netz-
werken verbreitet worden sind (www.ndr.de/nachrichten/schleswig-hol-
stein/Erdogan-Kritiker-in-Erstaufnahme-ausspioniert,tuerkei880.html)?

22. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis (auch nachrichtendienstliche)
von weiteren Fällen wie in Boostedt (Kreis Segeberg) aus anderen Erstauf-
nahmeeinrichtungen?

23. Inwiefern hat die deutsche Seite auch auf Arbeitsebene deutlich gemacht,
dass die massenhafte Verfolgung der Opposition, die Repressionen gegen die
Presse und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in der Türkei in keiner
Weise inakzeptabel sind und gegen die fortwährende Verletzung demokrati-
scher verfassungsmäßiger Rechte und rechtsstaatlicher Prinzipien durch die
türkischen Staatsorgane protestiert?

24. Inwieweit hat die deutsche Seite deutlich gemacht, dass aus der Bundesre-
publik Deutschland in die Türkei gelieferte Waffen, Munition und Ausrüs-
tungen nicht zur Repression gegen die eigene Bevölkerung, bewaffneten An-
griffen gegen sie oder zu völkerrechtswidrigen Angriffen gegen Dritte jen-
seits der türkischen Grenzen eingesetzt werden dürfen?

25. Welche Rolle spielten Wirtschafts- und Handelsfragen im Zusammenhang
mit den – wie es in der erwähnten türkischen Pressemeldung sinngemäß
hieß – vorrangig angesprochenen Problemen der inneren Sicherheit und der
Terror-Abwehr?

http://www.swr.de/landesschau-aktuell/rp/kaiserslautern/nach-tuerkischem-fernsehbeitrag-terror-gefahr-fuer-region-ramstein/-/id=1632/did=18906196/nid=1632/1fi3uu1/
http://www.swr.de/landesschau-aktuell/rp/kaiserslautern/nach-tuerkischem-fernsehbeitrag-terror-gefahr-fuer-region-ramstein/-/id=1632/did=18906196/nid=1632/1fi3uu1/
http://www.swr.de/landesschau-aktuell/rp/kaiserslautern/nach-tuerkischem-fernsehbeitrag-terror-gefahr-fuer-region-ramstein/-/id=1632/did=18906196/nid=1632/1fi3uu1/
http://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Erdogan-Kritiker-in-Erstaufnahme-ausspioniert,tuerkei880.html
http://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Erdogan-Kritiker-in-Erstaufnahme-ausspioniert,tuerkei880.html
Drucksache 18/11322 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

26. Inwiefern hat die deutsche Delegation vor dem Hintergrund der türkischen

innenpolitischen Entwicklung die Interessen deutscher Kapitalanleger in der
Türkei angesprochen?

27. Inwieweit war die Zahl offizieller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des tür-
kischen Geheimdienstes MIT in Deutschland Bestandteil der Gespräche der
Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern, Dr. Emily Haber?

28. Inwieweit waren die der Bundesregierung vorliegenden Anhaltspunkte da-
für, dass der türkische Nachrichtendienst MIT seine Aufklärungsarbeit in
Deutschland im Zuge des Putschversuchs ausgeweitet und intensiviert hat,
Gegenstand besagter Gespräche (Bundestagsdrucksache 18/10739)?

29. Inwieweit waren die Vorgänge um den Kovorsitzenden des Europäisch-Tür-
kisch-Demokratischen Gesellschaftskongresses der Kurdinnen und Kurden
in Europa (KCDK-E), Yüksel Koç, und dem Kovorsitzenden des Volks-
kongresses Kurdistan (Kongra-Gel), Remzi Kartal, die durch den türki-
schen Geheimdienst MIT bzw. weitere türkische Agentenstrukturen über-
wacht wurden bzw. werden, Gegenstand der Gespräche (Bundestagsdruck-
sache 18/10739)?

30. Inwieweit ist die Antwort der Bundesregierung zu Frage 15 auf Bundestags-
drucksache 18/10739 so zu verstehen, dass das Bekanntwerden der zwischen
dem BND und dem MIT begrenzten Kooperation seit dem Jahr 2014, als die
Türkei auf Nachfragen des BND, welche Dschihadisten über die syrische
Grenze in die Türkei gelangt sind, nicht mehr antworteten, also die türki-
schen Nachrichtendienste im Jahr 2014 näher am „Islamischen Staat“ (IS)
als am BND waren, zu unterlaufen begannen, einen erheblichen Vertrauens-
verlust auf Seiten des MIT zur Folge hätte und ein Rückgang der Kooperati-
onsbereitschaft mit dem BND zu befürchten wäre?

31. Inwieweit ist nach Kenntnis der Bundesregierung (auch nachrichtendienstli-
chen) bezüglich der Kooperation des BND mit öffentlichen Stellen der Tür-
kei, in der derzeit die Einhaltung grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien
nicht gewährleistet ist, davon auszugehen, dass die im Rahmen der Koope-
ration vom MIT und anderen öffentlichen Stellen erhobenen Daten nur zu
dem Zweck verwendet werden, zu dem sie erhoben wurden, und die Erhe-
bung und Verwendung mit grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien ver-
einbar sind (Bundestagsdrucksache 18/10739)?

32. Durch welche konkreten Maßnahmen ist im Bundesamt für Verfassungs-
schutz die Beobachtung nachrichtendienstlicher Aktivitäten der Türkei ver-
stärkt worden (Bundestagsdrucksache 18/10739)?

Berlin, den 14. Februar 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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