BT-Drucksache 18/1132

Beobachtung der Fraktion DIE LINKE. und ihrer Abgeordneten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz

Vom 9. April 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1132
18. Wahlperiode 09.04.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Katrin Kunert, Petra Pau,
Martina Renner, Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Beobachtung der Fraktion DIE LINKE. und ihrer Abgeordneten durch das
Bundesamt für Verfassungsschutz

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat über die Jahre hinweg die Arbeit von
Bundestagsabgeordneten der Fraktion DIE LINKE. beobachtet. Das Bundes-
verfassungsgericht hat Mitte September 2013 hinsichtlich der Beobachtung des
früheren Abgeordneten Bodo Ramelow eine Verletzung des Grundgesetzes fest-
gestellt (2 BvR 2436/10). Die Begründung der Verfassungsrichter erforderte aus
Sicht der Fragesteller die sofortige Einstellung jeglicher, gegen Abgeordnete der
Partei DIE LINKE. gerichteten Beobachtungen. Dieser Forderung ist das Bun-
desministerium des Innern laut Schreiben vom 13. März 2014 an den Vorsitzen-
den der Fraktion DIE LINKE., Dr. Gregor Gysi, nachgekommen, allerdings
ohne eine Rechtspflicht dazu anzuerkennen. Außerdem wurde angekündigt, eine
solche Beobachtung ggf. wieder aufzunehmen; ebenso müssen Abgeordnete, die
vom Geheimdienst „im Zusammenhang mit der Beobachtung von gewaltberei-
ten oder extremistischen Strukturen … auffällig werden“, weiterhin damit rech-
nen, in der einen oder anderen Form in den Akten des Verfassungsschutzes auf-
zutauchen. Die Fragestellerinnen und Fragesteller sehen daher ihre Sorge, der
Geheimdienst verletze durch seine Praxis das Prinzip des unabhängigen Man-
dats und damit eine tragende Säule der demokratischen Grundordnung, nicht
ausgeräumt, ebenso wenig wie die Einschätzung, es gehe bei der geheimdienst-
lichen Beobachtung im Wesentlichen um die öffentlichkeitswirksame
Diffamierung linker, antikapitalistischer und antimilitaristischer Politik.
Zum Ende der 17. Legislaturperiode wurden nach Informationen des Nachrich-
tenmagazins „DER SPIEGEL“ (2. Juni 2013) 25 Abgeordnete der Fraktion DIE
LINKE. beobachtet.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat festgestellt, dass die Beobachtung
von Abgeordneten, auch wenn sie ausschließlich auf Auswertung öffentlich
zugänglicher Quellen basiert, einen Eingriff in das freie Mandat darstellt. Es
verwies dabei auf die mögliche Stigmatisierung der Beobachteten: „Die bloße
Möglichkeit einer staatlichen Registrierung von Kontakten kann eine ab-
schreckende Wirkung entfalten und schon im Vorfeld zu Kommunikationsstö-
rungen und Verhaltensanpassungen führen.“ Ebenfalls zurückgewiesen wurde
die Behauptung der Bundesregierung, das freie Mandat umfasse ausschließlich
unmittelbar parlamentarische, nicht aber außerparlamentarische Aktivitäten der
Abgeordneten.
Die legalen Möglichkeiten zur Beobachtung von Abgeordneten hat das BVerfG
klar eingeschränkt. Sie komme insbesondere dann in Betracht, „wenn Anhalts-
punkte dafür bestehen, dass der Abgeordnete sein Mandat zum Kampf gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht oder diese aktiv und
aggressiv bekämpft“.

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Damit legitimiert nicht schon die bloße Zugehörigkeit von Abgeordneten zu
einer vom Verfassungsschutz als „extremistisch“ eingestuften Parteiströmung
die Beobachtung, vielmehr muss der Nachweis erbracht werden, dass diese
Abgeordneten ihr Parlamentsmandat dazu nutzen, die Demokratie zu bekämp-
fen. Einen solchen Vorwurf hat, zumindest nach Kenntnis der Fragesteller, die
Bundesregierung bislang noch gegenüber keinem Abgeordneten der Fraktion
DIE LINKE. erhoben. Die Beobachtung der Partei und Fraktion DIE LINKE.
bzw. der PDS wurde bislang von Bundesregierungen verantwortet, denen sowohl
CDU, CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angehörten (wenn
auch letztere an dieser Praxis immer wieder Kritik geübt haben) und hat nach
Auffassung der Fragesteller vor allem die Funktion, eine linke politische Kon-
kurrenz zu diffamieren. Aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller wäre
es überfällig, nicht nur die Beobachtung von 25 Abgeordneten endlich einzustel-
len, sondern auch die der Partei als solcher und ihrer unterschiedlichen Strömun-
gen. Antikapitalismus, Antimilitarismus und enge Verbindungen mit außerpar-
lamentarischen Organisationen sind keine Verstöße gegen das Grundgesetz.
Die Fragesteller bitten darum, bei den Antworten zur Beobachtungstätigkeit,
soweit möglich jeweils getrennt, sowohl den Stand zum Ende der 17. Legislatur-
periode (unmittelbar vor der Entscheidung des BVerfG) als auch zu Beginn der
18. Legislaturperiode (unter Berücksichtigung der neuen Zusammensetzung der
Fraktion DIE LINKE.) anzugeben. Falls der Rechercheaufwand bei einzelnen
Fragen eine Beantwortung nicht in der üblichen Antwortfrist erlaubt, wird gebe-
ten, die Antwort hierzu nachzureichen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Werden nach Kenntnis der Bundesregierung Landtags- oder Bundestags-

abgeordnete der Partei DIE LINKE. von Landesämtern für Verfassungs-
schutz beobachtet, und wenn ja,
a) um welche Landesämter handelt es sich dabei,
b) wie viele Abgeordnete sind davon betroffen,
c) welche Schlussfolgerungen hat man in den Ländern nach Kenntnis der

Bundesregierung aus dem Urteil des BVerfG gezogen?
2. Hat das Bundesamt für Verfassungsschutz in der Vergangenheit Abgeordnete

der Partei DIE LINKE. im Europäischen Parlament oder in Landtagen be-
obachtet, und wenn ja, wie viele (bitte pro Legislaturperiode angeben)?
a) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Entschei-

dung des BVerfG hinsichtlich der Beobachtung von Abgeordneten der
Partei DIE LINKE. im Europäischen Parlament oder in Landtagen?

b) Gilt die Mitteilung, dass im Zuge einer „Beobachtungspriorisierung“ und
mit Blick auf den besonderen Status bis auf Weiteres die Beobachtung von
Abgeordneten des Deutschen Bundestages ausgesetzt wird, auch für Ab-
geordnete des Europäischen Parlaments und von Landtagen, und wenn
nein, warum nicht?

3. Wie viele Mitglieder der Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag sind
am Ende der 17. Legislaturperiode vom Bundesamt für Verfassungsschutz
beobachtet worden?
Falls die Bundesregierung die Antwort klassifiziert, wie genau begründet sie
diese Klassifizierung angesichts der Tatsache, dass die Zahl von 25 Abgeord-
neten ohnehin schon in der Öffentlichkeit bekannt ist?

4. Wie viele Mitglieder der Fraktion DIE LINKE. in der 18. Legislaturperiode
wurden vor Umsetzung der „Beobachtungspriorisierung“ vom Bundesamt
für Verfassungsschutz (BfV) beobachtet?

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5. Wie viele Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE. sind gegenwärtig und
waren vor Beginn der „Beobachtungspriorisierung“ im nachrichtendienst-
lichen Informationssystem gespeichert?

6. Wann genau ist die Sachakte über die Fraktion DIE LINKE. angelegt wor-
den, und inwiefern handelt es sich tatsächlich um eine Sachakte über die
Fraktion bzw. um eine Sachakte zur Partei DIE LINKE.?
a) Welche Bezeichnung hat das Bundesamt für Verfassungsschutz dieser

Sachakte gegeben?
b) Über wie viele Abgeordnete der Fraktion Die LINKE. waren bzw. sind

darin Informationen gesammelt?
c) Zu wie vielen Mitarbeitern der Abgeordneten bzw. der Fraktion

DIE LINKE. waren bzw. sind in der Sachakte Informationen gesammelt?
7. Wird die Sachakte weiter geführt, und wenn ja, warum, und zu welchen

Konsequenzen hinsichtlich der Sachakte sieht sich die Bundesregierung
durch die Entscheidung des BVerfG veranlasst, insbesondere hinsichtlich
der Einschränkung, was die Beobachtung „nicht extremistischer“ Abge-
ordneter allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Partei bzw. Fraktion
DIE LINKE. betrifft?
Falls die Sachakte nicht mehr geführt wird, was ist mit den darin gesammel-
ten Informationen geschehen, und inwiefern stehen diese für eine künftige
Nutzung durch das BfV zur Verfügung?

8. Welche Art von Informationen enthielt bzw. enthält diese Sachakte?
Handelt es sich ausschließlich um Angaben zur Tätigkeit der Abgeordneten
innerhalb oder auch über Tätigkeiten außerhalb des Parlaments sowie über
Entwicklungen in der Partei DIE LINKE.?

9. Über wie viele Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE. enthielt bzw. enthält
die Sachakte personenbezogene Verweise auf bereits bestehende Akten oder
Dateien der Betroffenen beim BfV, bei Landesämtern für Verfassungsschutz
(LfV) und ggf. bei ausländischen Geheimdiensten?

10. Welchen Umfang hat die Sachakte, bzw. welchen Umfang hatte sie zum
Zeitpunkt ihrer allfälligen Schließung?

11. Über wie viele Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE. hat die Sachakte am
Ende der 17. Legislaturperiode Informationen enthalten, die über die Anga-
ben im Amtlichen Handbuch des Deutschen Bundestages hinausgingen?
Über wie viele Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE. im 18. Deutschen
Bundestag enthält die Sachakte Informationen, die über die Angaben im
Amtlichen Handbuch des Deutschen Bundestages hinausgehen?

12. Da die Bundesregierung nicht ausschließen konnte, dass in der Sachakte
Informationen enthalten sind, die „im Einzelfall“ mit nachrichtendienst-
lichen Mitteln gewonnen wurden (Bundestagsdrucksache 16/13990, Ant-
wort der Bundesregierung zu Frage 2 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE
LINKE.), kann die Bundesregierung dies inzwischen ausschließen, und
wenn nein, wie viele Informationen in der Sachakte wurden mit nachrich-
tendienstlichen Methoden gewonnen (bitte ggf. angeben, ob das BfV bzw.
welches LfV die Informationen mit welchen Methoden erhoben hat)?
Sind aus der Sachakte in der Vergangenheit Informationen entnommen wor-
den, die mit nachrichtendienstlichen Methoden gewonnen worden waren,
und wenn ja, um wie viele Informationen handelte es sich dabei, welche
Behörde hat diese Informationen mit welchen Methoden erhoben, und was
war der Grund für ihre Herausnahme?

13. Haben Behörden bzw. Dienststellen in der 17. Legislaturperiode Informa-
tionen aus der Sachakte erhalten, und wenn ja, welche Behörden waren dies,
und um welche Informationen hat es sich gehandelt?

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14. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass die Sachakte dazu verwendet
wurde oder wird, andere Akten oder Dateien des BfV oder der Landesämter
über einzelne Abgeordnete oder die Fraktion DIE LINKE. als solche anzu-
reichern, zu ergänzen oder abzugleichen (bitte ggf. die Mechanismen erläu-
tern und nach Abgeordneten/Fraktionen im Deutschen Bundestag, in den
Landtagen und dem Europäischen Parlament differenzieren)?

15. Gibt es Sachakten zu den vom BfV als „extremistisch“ eingestuften Strö-
mungen und Zusammenschlüssen der Partei DIE LINKE., und wenn ja, zu
welchen genau, seit wann, und welche Informationen werden darin gesam-
melt?

16. Welche weiteren Konsequenzen will die Bundesregierung bzw. nach ihrer
Kenntnis das BfV sowie die LfV aus der Entscheidung des BVerfG ziehen,
bzw. inwiefern sind sie bereits gezogen worden?

17. Wie ist die Ankündigung des Bundesministeriums des Innern (Brief vom
13. März 2014) zu verstehen, das BfV werde Informationen über Abgeord-
nete, die „im Zusammenhang mit der Beobachtung gewaltbereiter oder
extremistischer Strukturen wie etwa der autonomen Szene oder der PKK
auffällig werden“, „bei den Sachakten mitaufnehmen und berücksichti-
gen“?
a) Was bedeutet in diesem Zusammenhang „auffällig werden“ (bitte Krite-

rien nennen)?
b) Umfasst ein „auffällig werden“ auch schon das Verfassen von Artikeln

für eine Zeitschrift der für „extremistisch“ erklärten Organisationen oder
politischen Spektren?

c) Genügt es für ein „auffällig werden“, eine Demonstration anzumelden,
an der sich Angehörige von für „extremistisch“ erklärten Organisationen
beteiligen?

d) Genügt es für ein „auffällig werden“, einen Redebeitrag auf einer Kund-
gebung oder einen Vortrag auf einer Veranstaltung einer für „extremis-
tisch“ erklärten Organisation zu halten?

e) Genügt es für ein „auffällig werden“, sich für eine Aufhebung des Betä-
tigungsverbots der PKK einzusetzen und diesbezügliche Erklärungen ab-
zugeben oder zu unterzeichnen?

f) Welche anderen türkischen bzw. kurdischen Organisationen stehen im
Fokus des BfV, und welche Kriterien gelten hierbei für ein „auffällig
werden“?

18. Bei welchen Sachakten genau werden diese Informationen aufgenommen
(bitte mit Bezeichnungen angeben)?

19. Wie soll sichergestellt werden, dass bei der angekündigten weiteren Be-
obachtung so genannter offen extremistischen Zusammenschlüsse der Partei
DIE LINKE. nicht auch zugleich Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
die diesen inkriminierten Zusammenschlüssen angehören, beobachtet wer-
den?
Wie wird das BfV mit Erkenntnissen über die Tätigkeit dieser Zusammen-
schlüsse umgehen, wenn sich herausstellt, dass diese Tätigkeiten bzw. die
Erkenntnisse einen Bezug zu Bundestagsabgeordneten haben?

Berlin, den 8. April 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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