BT-Drucksache 18/11196

Demokratische Kontrolle und Transparenz von Euratom

Vom 10. Februar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11196
18. Wahlperiode 10.02.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Alexander Ulrich, Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Demokratische Kontrolle und Transparenz von Euratom

Am 25. März 1957 wurde in Rom neben dem Vertrag zur Gründung der Europä-
ischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) der Vertrag zur Gründung der Europäi-
schen Atomgemeinschaft (Euratom) unterschrieben. Die „Römischen Verträge“
gelten als Gründungsdokumente der Europäischen Union. Seit Bestehen des Ver-
trages von Lissabon ist Euratom strukturell aus der Europäischen Union (EU)
ausgegliedert und besteht seither als eigenständige Gemeinschaft mit einem eige-
nen Grundlagenvertrag und einer eigenen Rechtspersönlichkeit. Die institutio-
nelle und finanzielle Verflechtung zwischen Euratom und der EU wurde dabei
nicht aufgehoben. Während jeder EU-Mitgliedstaat in der Verpflichtung steht,
sich über den EU-Haushalt an der finanziellen Förderung von Atomenergiepro-
jekten zu beteiligen, gelten hierfür keinerlei demokratische Grundprinzipien. So
ist das in den letzten Jahren aufgewertete und erhöhte Mitbestimmungsrecht des
Europäischen Parlaments an dem Geltungsbereich des Euratom-Vertrages gänz-
lich vorbeigegangen. Bis heute gelten die demokratischen Reformen nicht für die
den Euratom-Vertrag betreffenden Angelegenheiten. Die einzelnen für Euratom-
Bereiche zuständigen Institutionen verteilen sich ausschließlich über die Europä-
ische Kommission. Die EU-Mitgliedstaaten und ihre Bürgerinnen und Bürger ha-
ben keinerlei Mitbestimmungsrecht über einen von ihnen über den EU-Haushalt
mitsubventionierten Bereich, in den jährlich Milliarden von Euro fließen.
Weder die Energiewende, die EU-weit sich ausbreitende Ablehnung der Nutzung
von Atomenergie, die Kenntnisse über die enormen Sicherheitsrisiken und -lü-
cken von alternden Atomkraftwerken in Europa noch ihre hohen Kosten, die in-
zwischen von Atomkraftwerksbetreibern selbst problematisiert werden (www.ippnw.
de/atomenergie/sicherheit/artikel/de/eu-foerderung-der-atomenergie.html), haben zu
grundlegenden Reformen innerhalb der europäischen Energiepolitik geführt. Der
Euratom-Vertrag legitimiert die Nutzung, die Finanzierung und die Förderung der
Atomenergie in ganz Europa seit 60 Jahren. Sein immer noch vertraglich festge-
legtes Ziel, die „Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernin-
dustrie zu schaffen“ (http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=URI
SERV%3Axy0024), bestimmt nach wie vor die Energiepolitik der EU. Dominie-
rende Förderbereiche der Euratom-Rahmenprogramme sind nicht der Strahlen-
schutz oder die Verbesserung der Sicherheitsstandards der Atomkraftwerke
(AKWs), sondern die Fusionsforschung (www.bundestag.de/blob/480104/a94183
e0d8c8b1a6d41afabfdf4bfd61/wd-4-101-16-pdf-data.pdf). Für den Internationa-
len Thermonuklearen Versuchsreaktor (ITER) wird die EU von 2021 an mehr als
5 Mrd. Euro zusätzlich zum bisher beschlossenen Beitrag von 6,6 Mrd. aufbringen
(www.sueddeutsche.de/wissen/projekt-iter-der-milliardenofen-1.3205447). Derweil

http://www.ippnw.de/atomenergie/sicherheit/artikel/de/eu-foerderung-der-atomenergie.html
http://www.ippnw.de/atomenergie/sicherheit/artikel/de/eu-foerderung-der-atomenergie.html
Drucksache 18/11196 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

erzielen die Euratom-Investitionen in den Strahlenschutz und in die Verbesse-
rung der Sicherheitsstandards von AKWs offenbar keine Erfolge. Dies zeigt der
bedrohliche Zustand vieler Atomkraftwerke in der EU, wie z. B. die belgischen
Reaktoren Tihange 2 und Doel 3, die französischen AKWs in Fessenheim und
Cattenom sowie mehrere Reaktoren in Bulgarien und der Ukraine (www.
tagesspiegel.de/politik/atomkraftwerke-in-europa-die-gefaehrlichsten-akws-in-
europa/13305922.html).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wer entscheidet über die durch die Euratom-Rahmenprogramme finanzier-

ten und geförderten Projekte in der EU, und nach welchen Kriterien wird
darüber entschieden?

2. Wer entscheidet über die Vergabe von Euratom-Anleihen an Atomkraft-
werke in Europa gemäß des Beschlusses 77/270/Euratom des Rates vom
29. März 1977?

3. Gibt es eine parlamentarische Kontrolle über die Entscheidungsverfahren,
welche Projekte und Vorhaben über die Euratom-Rahmenprogramme finan-
ziert werden?

4. Sind die nationalen Parlamente an den Entscheidungsverfahren über die
durch die Euratom-Rahmenprogramme geförderten Projekte beteiligt?

Falls nein, warum nicht?
5. Sind die nationalen Parlamente am Entscheidungsprozess über die Vergabe

von Euratom-Anleihen an Atomkraftwerke in Europa gemäß des Beschlus-
ses 77/270/Euratom des Rates vom 29. März 1977 beteiligt?

Wenn nein, warum nicht?
6. Gibt es eine Form der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Auswahl der durch

die Euratom-Rahmenprogramme geförderten Projekte?
Falls nein, warum nicht?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass Euratom die Aarhus-
Konvention nicht ratifiziert hat?

8. Wird sich die Bundesregierung für die Ratifizierung der Aarhus-Konvention
durch Euratom einsetzen?

Falls nein, warum nicht?
9. Gibt es eine Möglichkeit, Zugang zu Informationen über laufende durch Eu-

ratom-Rahmenprogramme geförderte Projekte zu erhalten?

Falls ja, welche?
Falls nein, warum nicht?

10. Gibt es eine Möglichkeit, Zugang zu Informationen zu laufenden Euratom-
Anleihen für Atomkraftwerke in Europa zu erhalten, die im Rahmen des Be-
schlusses 77/270/Euratom des Rates vom 29. März 1977 vergeben worden
sind bzw. noch vergeben werden?
Falls ja, wie?
Falls nein, warum nicht?

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11. Welche Einrichtungen und Organisationen in Deutschland haben nach

Kenntnis der Bundesregierung in den letzten fünf Jahren aus dem Euratom-
Rahmenprogramm eine Förderung erhalten (bitte Zeitpunkt und Höhe der
Zuwendungen angeben)?
Sind Informationen dazu öffentlich zugänglich?
Falls ja, wo?
Falls nein, warum nicht?

12. Welche Einrichtungen und Organisationen in der Europäischen Union haben
nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten fünf Jahren aus dem
Euratom-Rahmenprogramm eine Förderung erhalten (bitte Zeitpunkt und
Höhe der Zuwendungen angeben)?

Sind Informationen dazu öffentlich zugänglich?
Falls ja, wo?
Falls nein, warum nicht?

13. Welche Atomkraftwerke in der Europäischen Union haben nach Kenntnis
der Bundesregierung in den letzten fünf Jahren eine Förderung durch
Euratom-Rahmenprogramme erhalten, durch die sich ihre Sicherheit erhöht
hat (bitte Zeitpunkt und Höhe der Zuwendungen angeben)?

14. Welche Atomkraftwerke in Europa beziehen nach Kenntnis der Bundesre-
gierung aktuell Euratom-Anleihen gemäß des Beschlusses 77/270/Euratom
des Rates vom 29. März 1977, und wie hoch sind diese Anleihen jeweils?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuellen Gefahren von möglichen
Rissen von Reaktordruckbehältern, die durch die übermäßige Alterung und
durch Materialfehler in mindestens 18 aktiven Atomreaktoren in der EU vor-
herrschen und im schlimmsten Fall zu einer Kernschmelze führen können
(www.tagesschau.de/ausland/bruechige-reaktoren-101.html)?
a) Welche konkreten und verbindlichen Schritte wurden nach Kenntnis der

Bundesregierung von der Europäischen Kommission auf Grundlage des
Euratom-Vertrages unternommen, um die gravierenden Sicherheitsmän-
gel bei den AKWs in der EU zu beheben, die durch übermäßige Alterung
und durch Materialfehler entstanden sind?

b) Welche konkreten und verbindlichen Schritte wurden nach Kenntnis der
Bundesregierung von der Europäischen Kommission auf Grundlage des
Euratom-Vertrages unternommen, um die gravierenden Sicherheitsmän-
gel bei den AKWs in der EU zu beheben, die mittels der nach der Reak-
torkatastrophe in Fukushima durchgeführten Stresstests festgestellt wur-
den?

16. Auf welche Weise gewährleisten Euratom bzw. die Euratom-Rahmenpro-
gramme nach Kenntnis der Bundesregierung die Beseitigung der Sicherheits-
mängel der belgischen Risiko-Reaktoren Tihange 2 und Doel 3?

17. Ist die Bundesregierung der Meinung, dass sich die Sicherheitsstandards von
Atomkraftwerken in der EU in den letzten Jahren verbessert haben?

Falls ja, wie begründet sie dies?
18. Hat die Bundesregierung Kenntnis über konkrete Beispiele, an denen sich

die Verbesserung der Sicherheitsstandards von Atomkraftwerken in der Eu-
ropäischen Union aufgrund der Richtlinie 2014/87/EURATOM zur Ände-
rung der Richtlinie 2009/71/EURATOM oder eines anderen auf Grundlage
des Euratom-Vertrages geäußerten Rechtsaktes zeigt?

Falls ja, welche sind das?

http://www.tagesschau.de/ausland/bruechige-reaktoren-101.html
Drucksache 18/11196 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

19. Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirkung der Richtlinie 2014/87/EU-

RATOM angesichts dessen, dass die Unabhängigkeit der Föderalagentur für
Nuklearkontrolle (FANC) von Experten stark in Zweifel gezogen wurde,
nachdem sie die Wiederinbetriebnahme des Kernreaktors Tihange 2 geneh-
migt hatte, obwohl die Sicherheit laut internationaler Experten im Kernreak-
tor nicht gewährleistet ist (http://alsdorf.de/web/cms/upload/bilder-allgemein/
neues2016/BriefbogenStR_Tihange_10062016_EK_gesamt_Canete.pdf)?

20. Hat die Bundesregierung in den letzten Monaten darauf hingewirkt, dass die
Europäische Kommission ihre Befugnisse nach Titel II Kapitel 3 des Ver-
trags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft umsetzt, um hö-
here Sicherheitsstandards für die belgischen Risiko-Reaktoren Tihange 2 und
Doel 3 oder andere in der EU-befindlichen Atomkraftwerke zu erzielen?

21. Wie schätzt die Bundesregierung das tatsächliche Wirken der Europäischen
Kommission ein, höhere Sicherheitsstandards für europäische AKWs durch-
zusetzen?

22. Hat die Europäische Kommission nach Kenntnis der Bundesregierung jemals
die genannten Befugnisse genutzt bzw. umgesetzt, um die Sicherheit der
Atomkraftwerke in der EU zu sichern?

Falls ja, welche Fälle sind der Bundesregierung bekannt?

Berlin, den 9. Februar 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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http://alsdorf.de/web/cms/upload/bilder-allgemein/neues2016/BriefbogenStR_Tihange_10062016_EK_gesamt_Canete.pdf
http://alsdorf.de/web/cms/upload/bilder-allgemein/neues2016/BriefbogenStR_Tihange_10062016_EK_gesamt_Canete.pdf

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