BT-Drucksache 18/11061

Geplante Beschränkung des Rechtsweges bei Autobahnprojekten

Vom 26. Januar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11061
18. Wahlperiode 26.01.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden),
Tabea Rößner, Markus Tressel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Geplante Beschränkung des Rechtsweges bei Autobahnprojekten

Im Nachgang zur Verabschiedung des neuen Bundesverkehrswegeplans der Bun-
desregierung und der daraus abgeleiteten Änderung des Fernstraßenausbaugeset-
zes beabsichtigt die Bundesregierung nun weitere gesetzliche Änderungen. Mit-
hilfe gesetzlicher Anpassungen soll für bestimmte weitere Straßenprojekte der
Rechtsweg durch die Einsetzung des Bundesverwaltungsgerichtes als erste und
einzige Gerichtsinstanz für Streitigkeiten, die Planfeststellungs- und Plangeneh-
migungsverfahren für Bundesfernstraßenvorhaben betreffen, um eine Instanz be-
schränkt werden.
Unter den Vorhaben, die die Bundesregierung unter diese Sonderregelung stellen
möchte, befinden sich auch besonders umstrittene Vorhaben, wie der Neubau des
17. Bauabschnittes der Stadtautobahn A 100 in Berlin, und solche Straßenbau-
pläne, für die auch die Bundesregierung die Auswirkungen auf Umwelt und Natur
im Bundesverkehrswegeplan als „hoch“ einstuft, wie der Neubau der A 20 von
Weede (Schleswig-Holstein) Richtung Westen oder der A 39 von Lüneburg nach
Wolfsburg (Niedersachsen).
Aus Sicht der Fragesteller ist unbestritten, dass Handlungsbedarf in der Planung
und Umsetzung bei Ersatzmaßnahmen von Verkehrsprojekten besteht. Die beab-
sichtigte Beschränkung des Rechtsweges bei Straßenprojekten erweckt jedoch
den Eindruck, als läge die Verantwortung für Verzögerungen bei Planung und
Bau von Verkehrsprojekten allein bei der Beteiligung der Bürgerinnen und Bür-
ger oder der Umweltverbände. Die Ursachen dafür begründen sich jedoch mit
mangelnder Flexibilität bzw. Kapazität der Planungsverwaltungen, falscher Prio-
ritätensetzung und mangelhafter Konfliktbewältigung oder Kompromissbereit-
schaft für den Ausgleich von Ökonomie und Ökologie.
Hauptgründe für die Konflikte bleiben weiterhin die Intensität der Eingriffe in
Siedlungsstrukturen und der Belastung für Mensch, Umwelt, Natur und Land-
schaft sowie eine unzureichende Berücksichtigung intelligenter Alternativen. Bei
der Aufstellung des Bundesverkehrswegeplans hat die Bundesregierung jedoch
die Chance verpasst, die nach EU-Recht vorgesehene Beteiligung im Rahmen der
Strategischen Umweltprüfung zu nutzen, um verkehrsträgerübergreifende und
schonende Alternativen ergebnisoffen zu prüfen (vgl. z. B. Bundestagsdrucksa-
che 18/8568).
Weder die Einschränkung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger noch eine mög-
liche Überlastung des Bundesverwaltungsgerichtes tragen zur schnelleren Um-
setzung von Verkehrsprojekten bei. Verfahren lassen sich hingegen beschleuni-
gen, wenn die Planungsqualität erhöht, Bürger intensiver einbezogen und die
Transparenz und Effizienz in Planungsverfahren erhöht werden.

Drucksache 18/11061 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Weiterhin bestehen aus Sicht der Fragesteller erhebliche verfassungsrechtliche
Bedenken, dem Bundesverwaltungsgericht bestimmte Verfahren erstinstanzlich
zuzuweisen. Nur in äußersten Ausnahmesituationen ist diese Sonderregelung, wie
im Zuge von Infrastrukturprojekten nach der Wiedervereinigung oder für drin-
gend benötigte Ersatzneubauten für marode Brückenbauwerke an Hauptverkehr-
sachsen, zu rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund ist zu hinterfragen, inwiefern
die Notwendigkeit der Beschränkung des Rechtsweges für die von der Bundesre-
gierung vorgeschlagenen Straßenprojekte überhaupt gegeben ist.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Vorteile erhofft sich die Bundesregierung durch die Beschränkung

auf eine Instanz für Streitigkeiten, die Planfeststellungs- und Plangenehmi-
gungsverfahren für Bundesfernstraßenvorhaben betreffen?

2. Inwiefern rechtfertigen die in der Frage 1 erfragten Vorteile die Einschrän-
kung des Rechtsschutzes der Bürgerinnen und Bürger?

3. Wie ist die Beschränkung auf einen Instanzenzug vereinbar mit Artikel 19
Absatz 4 des Grundgesetzes?

4. a) Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse oder Prognosen vor, die bestä-
tigen, dass die Verkürzung auf eine Gerichtsinstanz die Planung und Um-
setzung von Fernstraßenprojekten wesentlich verkürzt?

b) Wenn ja, mit welcher durchschnittlichen Verfahrensdauer rechnet die
Bundesregierung bei Streitigkeiten, die Planfeststellungs- und Plangeneh-
migungsverfahren für Bundesfernstraßenvorhaben betreffen, durch die
Verkürzung auf eine Gerichtsinstanz?

c) Wenn nein, warum beabsichtigt die Bundesregierung dennoch weiterhin,
den Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger einzuschränken?

5. a) Wie hoch ist die Anzahl der Bundesfernstraßenprojekte mit bestandskräf-
tigem Baurecht, aufgeschlüsselt nach Bundesländern, deren Bau noch
nicht begonnen wurde?

b) Um welche Vorhaben handelt es sich, und seit wann liegt das bestands-
kräftige Baurecht jeweils vor (bitte Datum angeben)?

c) Wie hoch ist der Finanzierungsbedarf für diese Bundesfernstraßenpro-
jekte (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?

d) Wie viele Planfeststellungsbeschlüsse für Bundesfernstraßenprojekte
werden zurzeit beklagt (bitte nach Bundesländern, Projekten und Projekt-
kosten aufschlüsseln)?

6. a) Wie viele geplante Fernstraßenprojekte des Bundes wurden seit 2007 ins-
gesamt beklagt (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?

b) Wie hoch war im gleichen Zeitraum die Anzahl der nicht beklagten Vor-
haben im jeweiligen Bundesland?

c) Wie schlüsseln sich die Klagegruppen nach privat Betroffenen, Natur-
schutzverbänden, Gebietskörperschaften und Behörden auf?

d) Wie viele der beklagten Fernstraßenprojekte des Bundes wurden seit 2007
in mehr als einer Instanz behandelt, und wie hoch ist ihr Anteil an den
insgesamt beklagten Projekten im selben Zeitraum?

e) Für wie viele Fernstraßenprojekte des Bundes wurde seit 2007 das Bau-
recht auf dem Gerichtsweg aufgehoben (bitte nach Bundesländern und
Projekten aufschlüsseln)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11061
7. Welche durchschnittliche Bauverzögerung ergab sich durch Klagen zu Bun-
desfernstraßenprojekten?

8. Wie lange betrug der durchschnittliche Gesamtrealisierungszeitraum der bis-
her umgesetzten Bundesfernstraßenprojekte im Zeitraum von 2003 bis 2016
(bitte Neu- und Ausbauvorhaben getrennt angeben und nach Bundesländern
aufschlüsseln)?

9. Welchen Anteil hatten die durchschnittlichen klagebedingten Bauverzöge-
rungen am Gesamtrealisierungszeitraum, d. h. vom Beginn der Planung bis
zur Verkehrsfreigabe (bitte durchschnittlichen Gesamtrealisierungszeitraum
sowie Dauer der Verzögerung angeben)?

10. Für wie viele der aktuell im Gesetz enthaltenen Projekte gab es keine bzw.
nur geringe Planungsaktivitäten (im Falle geringerer Planungsaktivitäten
bitte Aktivitäten genauer bezeichnen)?

11. Wie viele der aktuell im Gesetz enthaltenen Projekte wurden im neuen Bun-
desverkehrswegeplan nicht dem Vordringlichen Bedarf zugeordnet (bitte
Projekte benennen und aktuelle Dringlichkeitseinstufung aufzeigen)?

12. Inwiefern sieht die Bundesregierung einen Widerspruch zwischen der im Ge-
setz angenommenen Dringlichkeit der Vorhaben und der Tatsache, dass für
einige der enthaltenen Projekte keine bzw. wenig Planungsaktivitäten statt-
gefunden haben bzw. im neuen Bundesverkehrswegeplan kein Vordringli-
cher Bedarf mehr festgestellt wurde?

13. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus den Antworten zu den Fra-
gen 6 und 7 jeweils?

14. a) Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle Auslastung des Bundes-
verwaltungsgerichtes?

b) Kann die Bundesregierung versichern, dass Zuständigkeitsverlagerung
auf das Bundesverwaltungsgericht in den dafür zuständigen Senaten zu
keinerlei Rechtssprechungsstau führen würde, damit der durch die Bun-
desregierung gewünschte Gesetzgebungseffekt nicht in Gegenteil ver-
kehrt werden würde?

Wenn ja, wie?
Wenn nein, was bedeutet dies für die beabsichtige Novellierung des Fern-
straßengesetzes?

15. a) Wie viele Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Absatz 5 der
Verwaltungsgerichtsordnung wurden in Verbindung mit dem Bundesfern-
straßengesetz in den vergangenen 15 Jahren gestellt?

b) Auf welchen Instanzen wurden diese Anträge gestellt?
In wie vielen Fällen war ein solcher Antrag erfolgreich (bitte möglichst
nach Jahren, Straßenbauprojekten und Instanz aufschlüsseln)?

c) Wie lange haben Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz den Bauprozess
durchschnittlich verzögert (bitte möglichst nach Instanz aufschlüsseln)?

Drucksache 18/11061 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

16. Hat die Bundesregierung die mit hohen ökologischen und ökonomischen

Kosten verbundenen Neubauvorhaben im Zuge der A 20 in der Aufstellung
des Bundesverkehrswegeplans (BVWP) 2030 mit dem Zusatz „Engpassbe-
seitigung“ versehen?
Wenn ja, wieso wurde dies nicht im BVWP 2030 dargestellt?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn nein, wieso beabsichtigt die Bundesregierung dann, die Aufnahme des
Neubauvorhabens A 20 von Bremerhaven bis Weede in die Liste der Stra-
ßenprojekte Bundesfernstraßen mit erstinstanzlicher Zuständigkeit des Bun-
desverwaltungsgerichtes (Anlage zu § 17e des Bundesfernstraßengesetzes)
mit der Begründung einer „besonderen Funktion zur Beseitigung schwerwie-
gender Verkehrsengpässe“?

17. Berücksichtigt die Bundesregierung bei ihrer Absicht der Neuaufnahme des
geplanten Neubaus A 20 von Bremerhaven bis Weede die Tatsache, dass die
natur- und umweltfachliche Beurteilung der Bundesregierung zu dem Ergeb-
nis kam, die Auswirkungen des Neubauvorhabens auf Umwelt und Natur in
die höchste Betroffenheitsstufe einzuordnen („hoch“)?

Wenn ja, inwiefern?
Wenn nein, wieso nicht?

18. Hat die Bundesregierung die mit hohen ökologischen und ökonomischen
Kosten verbundenen Neubauvorhaben im Zuge der A 39 in der Aufstellung
des Bundesverkehrswegeplans 2030 mit dem Zusatz „Engpassbeseitigung“
versehen?

Wenn ja, wieso wurde dies nicht im BVWP 2030 dargestellt?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn nein, wieso beabsichtigt die Bundesregierung dann, die erneute Auf-
nahme des Neubauvorhabens A 39 von Lüneburg bis Wolfsburg in die Liste
der Straßenprojekte Bundesfernstraßen mit erstinstanzlicher Zuständigkeit
des Bundesverwaltungsgerichtes (Anlage zu §17e des Bundesfernstraßenge-
setzes) mit der Begründung einer „besonderen Funktion zur Beseitigung
schwerwiegender Verkehrsengpässe“?

19. Berücksichtigt die Bundesregierung bei ihrer Absicht der erneuten Auf-
nahme des geplanten Neubaus der A 39 von Lüneburg bis Wolfsburg die
Tatsache, dass die natur- und umweltfachliche Beurteilung der Bundesregie-
rung zu dem Ergebnis kam, die Auswirkungen des Neubauvorhabens auf
Umwelt und Natur in die höchste Betroffenheitsstufe einzuordnen („hoch“)?

Wenn ja, inwiefern?
Wenn nein, wieso nicht?

20. Hat die Bundesregierung die mit hohen ökologischen und ökonomischen
kostenverbundenen Neubauvorhaben im Zuge der A 1 in der Aufstellung des
Bundesverkehrswegeplans 2030 mit dem Zusatz „Engpassbeseitigung“ ver-
sehen?
Wenn ja, wieso wurde dies so nicht im BVWP 2030 dargestellt?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn nein, wieso beabsichtigt die Bundesregierung dann, die erneute Auf-
nahme des Neubauvorhabens A 1 Blankenheim – Kelberg in die Liste der
Straßenprojekte Bundesfernstraßen mit erstinstanzlicher Zuständigkeit des
Bundesverwaltungsgerichtes (Anlage zu §17e des Bundesfernstraßengeset-
zes) mit der Begründung einer „besonderen Funktion zur Beseitigung
schwerwiegender Verkehrsengpässe“?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/11061

21. Berücksichtigt die Bundesregierung bei ihrer Absicht der erneuten Auf-

nahme des geplanten Neubaus A 1 von Blankenheim – Kelberg die Tatsache,
dass die natur- und umweltfachliche Beurteilung der Bundesregierung zu
dem Ergebnis kam, die Auswirkungen des Neubauvorhabens auf Umwelt
und Natur in die höchste Betroffenheitsstufe einzuordnen („hoch“)?

Wenn ja, inwiefern?
Wenn nein, wieso nicht?

22. Inwiefern beabsichtigt die Bundesregierung die Neuaufnahme des Neubaus
der A 100 Dreieck Neukölln (A 113) bis Storkower Straße in die Liste der
Straßenprojekte Bundesfernstraßen mit erstinstanzlicher Zuständigkeit des
Bundesverwaltungsgerichtes (§ 17e des Bundesfernstraßengesetzes), ob-
wohl die Bundesregierung in Bezug auf den 17. Bauabschnitt (Treptower
Park – Storkower Straße) von „noch konkret zu entwickelnden Planung“
(Bundestagsdrucksache 18/5771) spricht, sich das Vorhaben also in einem
frühen Planungsstadium befindet und damit nicht die Kriterien für die Auf-
nahme in die Liste zur Beschleunigung von Planungsverfahren erfüllt?

23. Wie begründet die Bundesregierung die Notwendigkeit der Aufnahme des
17. Bauabschnittes der A 100 trotz des sehr frühen Planungsstadiums und
angesichts der Vereinbarungen des Koalitionsvertrags der Berliner Landes-
verbände von SPD, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, in dem
vereinbart wurde „in dieser Legislaturperiode keinerlei Planungsvorbereitun-
gen bzw. Planungen für den 17. Bauabschnitts durch(zu)führen“ („Koaliti-
onsvereinbarung: Berlin gemeinsam gestalten. Solidarisch. Nachhaltig.
Weltoffen“, S. 61), also demnach in den nächsten Jahren keine Planungsak-
tivitäten stattfinden werden sollen?

24. Inwiefern sieht die Bundesregierung eine Notwendigkeit der Aufnahme des
Ausbaus der A 8 AD Inntal – Bundesgrenze D/A in die Liste der Straßenpro-
jekte Bundesfernstraßen mit erstinstanzlicher Zuständigkeit des Bundesver-
waltungsgerichtes (§ 17e des Bundesfernstraßengesetzes), obwohl der Ab-
schnitt AS Traunstein/Siegdorf – Bgr. D/A im Bedarfsplan zum Fernstraßen-
ausbaugesetz nur dem Weiteren Bedarf mit Planungsrecht zugeordnet ist, mit
einer Umsetzung vor 2030 also nicht zu rechnen ist?

25. Beabsichtigt die Bundesregierung, den neuen Investitionsrahmenplan für die
Verkehrsinfrastruktur des Bundes noch in dieser Legislaturperiode vorzule-
gen?

Wenn ja, wann (bitte Datum nennen)?
Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 24. Januar 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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