BT-Drucksache 18/10983

Aktueller Stand des Washingtoner Vertragswerks über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Verträge)

Vom 23. Januar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10983
18. Wahlperiode 23.01.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Niema Movassat und
der Fraktion DIE LINKE.

Aktueller Stand des Washingtoner Vertragswerks über nukleare Mittelstrecken-
systeme (INF-Verträge)

Im Washingtoner Vertragswerk über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Ver-
träge, meist auch INF-Vertrag genannt) einigten sich die Regierungen der Sow-
jetunion und der USA auf die Vernichtung aller Flugkörper mit mittlerer und kür-
zerer Reichweite (500 bis 5 500 Kilometer) und deren Produktionsverbot. Das
Vertragswerk trat am 1. Juni 1988 in Kraft und ist nicht zeitlich beschränkt. In
den technischen Details verfolgen die US- und die russische Regierung unter-
schiedliche Definitionen, was unter den Mittelstreckensystemen zu verstehen ist.
Das INF-Vertragswerk ist ein „Meilenstein“ in der Rüstungskontrolle zwischen
den USA und Russland (www.stratfor.com/analysis/us-russian-arms-treaty-could-
be-trouble).
Am 13. Dezember 2001 informierte die US-Regierung die russische Regierung
darüber, von dem ABM-Vertrag (welcher Teil des INF-Pakets war) zurückzutre-
ten, um am US-Raketenschild weiterarbeiten zu können. Vorher hatten die USA
unter Vertragsbruch an diesem Raketenschild gearbeitet (Keir Giles/Andrew Mo-
naghan: European Missile Defense and Russia, Studie des Strategic Studies Insti-
tute und des Verlags U.S. Army War College Press, Carlisle Barracks 2014,
S. 10).
Seit dem Jahr 2012 deuten offizielle US-Vertreter immer wieder an, dass Russ-
land gegen den INF-Vertrag verstoße. Die russische Seite täte das vor allem mit
Waffentests des Iskander-Systems. Sergei Iwanow, damals Vorsitzender der rus-
sischen Präsidialverwaltung, erklärte wiederum im Jahr 2013, dass Russland sich
an den Vertrag halte, er aber nicht ewig halten werde.
Im Jahr 2014 erklärte die US-Regierung zum ersten Mal offiziell, Russland ver-
letze den INF-Vertrag. Russische offizielle Stellen erwiderten wiederum, dass
US-amerikanische Kampfdrohnen gegen den INF-Vertrag verstießen.
Vertreter Russlands erklärten außerdem, sie hätten gerne genauere Informationen
über die von den USA behaupteten Vertragsverletzungen (www.nytimes.com/
2016/10/20/world/europe/russia-missiles-inf-treaty.html).
US-amerikanische Offizielle teilten angeblich im Oktober 2016 anonym der New
York Times mit, dass die Russische Föderation Raketen, die dem INF-Vertrag
widersprächen, in hoher Zahl produzieren lasse. Dies geschehe, um sie zeitnah an
den russischen Außengrenzen stationieren zu können. Auf Nachfrage der New
York Times äußerte sich das US-Außenministerium dazu nicht offiziell, da es
sich um Geheiminformationen handele (www.nytimes.com/2016/10/20/world/
europe/russia-missiles-inf-treaty.html?_r=0).

http://www.stratfor.com/analysis/us-russian-arms-treaty-could-be-trouble
http://www.stratfor.com/analysis/us-russian-arms-treaty-could-be-trouble
http://www.nytimes.com/2016/10/20/world/europe/russia-missiles-inf-treaty.html
http://www.nytimes.com/2016/10/20/world/europe/russia-missiles-inf-treaty.html
http://www.nytimes.com/2016/10/20/world/europe/russia-missiles-inf-treaty.html?_r=0
http://www.nytimes.com/2016/10/20/world/europe/russia-missiles-inf-treaty.html?_r=0
Drucksache 18/10983 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Nach der Stationierung von russischen Iskander-Raketen in der russischen Ex-
klave Kaliningrad erklärte der damalige estnische Außenminister im Oktober
2016, dass Russland den Mittelstreckenraketenvertrag zwischen den USA und der
Sowjetunion von 1987 verletze, da die Iskander 700 Kilometer weit fliegen und
somit sogar Berlin treffen könnten. Die US-Regierung habe jedoch wiederholt
klargemacht, dass ihre Vorwürfe eine andere Waffe als die Iskander-Raketen be-
treffen würden (NDR Info, Streitkräfte und Strategien, 17. Dezember 2016).
Im Frühjahr 2016 begann die US-Armee mit den Bauarbeiten für einen US-
Stützpunkt im nordpolnischen Redzikowo. Ungefähr ein halbes Jahr später be-
gannen die Vorbereitungen für die Iskander-Stationierung in Kaliningrad. Die
russische Regierung begründet die geplante Stationierung der Iskander in der Ex-
klave zwischen Polen und Litauen seit vielen Jahren mit der vorgesehenen Stati-
onierung von US-Raketenabwehrsystemen im circa 300 Kilometer entfernten
polnischen Redzikowo (NDR Info, Streitkräfte und Strategien, 17. Dezember
2016).
Ende des Jahres 2016 sollte auf Anregung der US-Regierung zum ersten Mal seit
13 Jahren die mit den INF-Verträgen geschaffene Special Verification Commis-
sion (SVC) tagen. In dieser sind die USA auf der einen Seite und Russland, Bela-
rus, Kasachstan und die Ukraine als Rechtsnachfolger der Sowjetunion auf der
anderen Seite Mitglieder (www.wsj.com/articles/u-s-accuses-russia-of-violating-
missile-treaty-1476912606#).
Der österreichische Russlandexperte Gerhard Mangott äußerte sich im Oktober
2016 auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit der Äußerung „Als nächster
Baustein der Abrüstungsarchitektur wird wohl der INF-Vertrag über das Verbot
landgestützter Mittelstreckenraketen fallen“ (twitter.com/gerhard_mangott/status/
789187443077423106).
Für den Fall eines Scheiterns des INF-Vertragswerkes soll das US-Verteidigungs-
ministerium bereits Pläne für eine Reaktion auf diese neue Situation erstellt ha-
ben, das Weiße Haus soll diesen aber noch nicht zugestimmt haben (www.
nytimes.com/2016/10/20/world/europe/russia-missiles-inf-treaty.html?_r=0).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie schätzt die Bundesregierung den aktuellen Stand der INF-Vertrags-

werke ein?
2. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die unterschiedlichen

Definitionen, mit welchen die Regierungen der USA und Russlands für die
unter das INF-Vertragswerk fallenden Waffensysteme operieren?
a) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Definitionen, mit

welchen die Regierungen von Belarus, Kasachstan und der Ukraine für
die unter das INF-Vertragswerk fallenden Waffensysteme operieren?

b) Mit welchen eigenen Definitionen operiert die Bundesregierung für die
unter das INF-Vertragswerk fallenden Waffensysteme, und inwieweit un-
terscheiden sich diese Definitionen von denen der Regierungen von Bela-
rus, Kasachstan, der Ukraine, der USA und Russlands?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass die USA vor
2001 unter Vertragsbruch am US-Raketenschild gearbeitet haben (Keir Gi-
les/Andrew Monaghan: European Missile Defense and Russia, Studie des
Strategic Studies Institute und des Verlags U.S. Army War College Press,
Carlisle Barracks 2014, S. 10)?

http://www.wsj.com/articles/u-s-accuses-russia-of-violating-missile-treaty-1476912606
http://www.wsj.com/articles/u-s-accuses-russia-of-violating-missile-treaty-1476912606
http://twitter.com/gerhard_mangott/status/789187443077423106
http://twitter.com/gerhard_mangott/status/789187443077423106
http://www.nytimes.com/2016/10/20/world/europe/russia-missiles-inf-treaty.html?_r=0
http://www.nytimes.com/2016/10/20/world/europe/russia-missiles-inf-treaty.html?_r=0
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10983
4. Welche – auch nachrichtendienstliche – Erkenntnisse hat die Bundesregie-
rung darüber, dass Russland Raketen, die dem INF-Vertrag widersprechen
würden, in hoher Zahl produzieren lasse (www.nytimes.com/2016/10/20/
world/europe/russia-missiles-inf-treaty.html?_r=0)?

5. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die russische Entwicklung der
R-500 bodenbasierten Lenkwaffenrakete als auch das Testen der SS-27
Mod 2 durch Russland einen Bruch des INF-Vertragswerkes darstellt
(www.stratfor.com/analysis/us-russian-arms-treaty-could-be-trouble)?

6. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass die im US-ame-
rikanischen AEGIS AHORE genutzten universellen vertikalen Startanlagen
Mk.41 technisch nicht nur für Anti-Raketen, sondern auch für Starts von
Langstrecken-Marschflugkörpern wie Tomahawk eingesetzt werden können
(de.sputniknews.com/politik/20161011312902130-usa-verletzung-inf-
vertrag/)?

7. Welchen Zusammenhang sieht die Bundesregierung zwischen der Errich-
tung der US-Raketenabwehrbasis in Nordpolen im Frühjahr 2016 und der
Stationierung von Iskander-Raketen durch die russische Armee in Kali-
ningrad im Herbst desselben Jahres (NDR Info, Streitkräfte und Strategien,
17. Dezember 2016)?
a) Geht die Bundesregierung davon aus, dass die russische Seite die Iskan-

der-Raketen abziehen würde, wenn die NATO und die USA auf den Bau
und die Nutzung des Raketenabwehrkomplexes in Polen verzichten wür-
den?

b) Stellt die Stationierung des Raketenabwehrkomplexes in Polen nach Auf-
fassung der Bundesregierung eine Gefährdung für die Sicherheit im Ost-
seeraum und in Ostmitteleuropa dar?

c) Sieht die Bundesregierung in der Stationierung der Iskander-Raketen in
der Oblast Kaliningrad einen Bruch des INF-Vertrages?

8. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu der Ende 2016 geplan-
ten Tagung der Special Verification Commission – SVC – (www.wsj.com/
articles/u-s-accuses-russia-of-violating-missile-treaty-1476912606#)?
a) In welcher Weise hat sich die Bundesregierung mit den Regierungen der

USA und der Ukraine – als mit der Bundesrepublik Deutschland verbün-
dete Staaten – über die Tagung der SVC koordiniert?

b) Was waren die Ergebnisse der Tagung der Special Verification Commis-
sion?

c) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur nächsten geplanten Sit-
zung der Special Verification Commission?

d) In welchem Rahmen und auf welcher Ebene wurde die Sitzung der Spe-
cial Verification Commission im NATO-Format koordiniert?

e) In welchem sonstigen Rahmen jenseits der NATO hat sich die Bundesre-
gierung mit den Regierungen der USA und der Ukraine zur SVC-Tagung
koordiniert?

9. Welche – auch nachrichtendienstliche – Erkenntnisse hat die Bundesre-
gierung über die vom US-Verteidigungsministerium erstellten Pläne für eine
Reaktion auf ein mögliches Scheitern des INF-Vertragswerkes (www.
nytimes.com/2016/10/20/world/europe/russia-missiles-inf-treaty.html?_r=0)?

http://www.nytimes.com/2016/10/20/world/europe/russia-missiles-inf-treaty.html?_r=0
http://www.nytimes.com/2016/10/20/world/europe/russia-missiles-inf-treaty.html?_r=0
http://www.stratfor.com/analysis/us-russian-arms-treaty-could-be-trouble
http://de.sputniknews.com/politik/20161011312902130-usa-verletzung-inf-vertrag/)
http://de.sputniknews.com/politik/20161011312902130-usa-verletzung-inf-vertrag/)
http://www.wsj.com/articles/u-s-accuses-russia-of-violating-missile-treaty-1476912606
http://www.wsj.com/articles/u-s-accuses-russia-of-violating-missile-treaty-1476912606
http://www.nytimes.com/2016/10/20/world/europe/russia-missiles-inf-treaty.html?_r=0
http://www.nytimes.com/2016/10/20/world/europe/russia-missiles-inf-treaty.html?_r=0
Drucksache 18/10983 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

10. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung in welchem Format unternom-

men, um „nicht all das kaputt [zu] machen, was wir am Ende des Kalten
Krieges an Abrüstungsschritten für Europa vereinbart haben“, wie es der
Bundesminister des Auswärtigen Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) gegen-
über der Zeitung „DIE ZEIT“ äußerte (www.zeit.de/politik/ausland/2016-10/
atomwaffen-vernichtung-usa-sowjetunion)?

11. Welche Initiativen seitens der NATO und der Bundesregierung gibt es, auf
die geplante Stationierung des Raketenabwehrkomplexes in Polen zu ver-
zichten und somit einen russischen Abzug der Iskander-Raketen aus Kali-
ningrad möglich zu machen (NDR Info, Streitkräfte und Strategien, 17. De-
zember 2016)?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass die russische
Regierung am 23. September 2016 die Stationierung von modernisierten US-
amerikanischen B61-12-Bomben in Deutschland kritisierte und deswegen
mit der Kündigung des INF-Vertrages drohte (www.stratfor.com/analysis/
us-russian-arms-treaty-could-be-trouble)?
a) Ist die Bundesregierung davon überzeugt, dass das INF-Vertragswerk ge-

stärkt würde, sollten die US-Atombomben aus Deutschland abgezogen
werden?

b) Wann und in welchem Rahmen hat die Bundesregierung solch einen
Schritt mit der US-Regierung besprochen, um das INF-Vertragswerk zu
retten?

c) Wenn nicht, warum hat die Bundesregierung das gegenüber der US-Re-
gierung nicht thematisiert?

13. Welche – auch nachrichtendienstliche – Erkenntnisse hat die Bundesregie-
rung über die im Jahr 2012 geplante Errichtung einer russischen Radarstation
in Transnistrien als Reaktion auf die US-Raketenabwehrbasis in Rumänien
und die potenzielle Stationierung von Iskander-Raketen in dieser abtrünni-
gen moldauischen Region (www.novinite.com/articles/138577/Russia+to+
Deploy+Missile+Defense+Radar+in+Transnistria+-+Report)?

Berlin, den 20. Januar 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-10/atomwaffen-vernichtung-usa-sowjetunion
http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-10/atomwaffen-vernichtung-usa-sowjetunion
http://www.stratfor.com/analysis/us-russian-arms-treaty-could-be-trouble
http://www.stratfor.com/analysis/us-russian-arms-treaty-could-be-trouble
http://www.novinite.com/articles/138577/Russia+to+%20Deploy+Missile+Defense+Radar+in+Transnistria+-+Report
http://www.novinite.com/articles/138577/Russia+to+%20Deploy+Missile+Defense+Radar+in+Transnistria+-+Report

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