BT-Drucksache 18/10977

zu der Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksachen 18/7991, 18/10364 - Erfahrungen aus 14 Jahren "Krieg gegen den Terror" - Eine Bilanz in Irak, Afghanistan, Pakistan

Vom 24. Januar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10977
18. Wahlperiode 24.01.2017
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth,
Heike Hänsel, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage
der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksachen 18/7991, 18/10364 –

Erfahrungen aus 14 Jahren „Krieg gegen den Terror“ – Eine Bilanz in Irak,
Afghanistan, Pakistan

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der sogenannte Krieg gegen den Terror ist gescheitert. Er hat viele Menschen das Le-
ben gekostet und den Terror nicht besiegt, sondern nach Europa geholt.
Am 16. November 2001 beschloss der Deutsche Bundestag auf Antrag der von dem
damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) geführten rot-grünen Bundesregie-
rung die militärische Beteiligung an der Operation ENDURING FREEDOM (OEF).
Damit zog die Bundeswehr in den von den USA nach den Terroranschlägen vom 11.
September 2001 ausgerufenen „Krieg gegen den Terror“. Am 22. Dezember 2001
folgte der Beschluss über das Mandat zur Beteiligung der Bundeswehr an der NATO-
geführten Mission ISAF (International Security Assistance Force) in Afghanistan.
Der sogenannte „Krieg gegen den Terror“ erfuhr im Laufe der Jahre erhebliche geo-
graphische Weiterungen. Am 20. März 2003 begann eine völkerrechtswidrige Inter-
vention der USA, Großbritanniens und einer „Koalition der Willigen“ im Irak. Angeb-
liche Kontakte des irakischen Diktators Saddam Hussein zu Terroristen, die am Ter-
roranschlag vom 11. September 2001 beteiligt gewesen seien, und die falsche Behaup-
tung, der Irak verfüge über chemische Massenvernichtungswaffen, lieferten die Be-
gründung für den Angriff. Dieses Mal beteiligte sich die Bundesregierung nicht. Sie
unterstützte den Krieg im Irak aber geheimdienstlich und logistisch.
Im Nord-Irak bewaffnet und berät die Bundeswehr die Armee der kurdischen Regio-
nalregierung (Peschmerga) in ihrem Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“

Drucksache 18/10977 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
dies ungeachtet dessen, dass diese Regierung nicht mehr demokratisch legitimiert ist
und im Zuge des Anti-Terror-Kampfs für Kriegsverbrechen und Menschenrechtsver-
letzungen verantwortlich gemacht wird.
Am 4. Dezember 2015 beschlossen die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und SPD
den Einsatz von bis zu 1200 Soldatinnen und Soldaten im Syrienkrieg – als Reaktion
auf den unmenschlichen Terrorakt am 13. November 2015 in Paris, bei dem 130 Men-
schen ermordet wurden (Bundestagsdrucksache 18/6866). Die Täter waren nahezu
ausschließlich französische und belgische Staatsbürger.
Zum sogenannten Krieg gegen den Terror gehören auch die Drohnenmorde. Durch das
Drohnenprogramm der US-Regierung wurden nach Angaben der US-Regierung vom
Juni 2016 allein in Pakistan, Jemen, Libyen und Somalia über 2500 „Kämpfer“ und
116 Zivilisten getötet. Im November 2016 bestätigte die Bundesregierung in ihrer Ant-
wort auf eine Schriftliche Frage (Plenarprotokoll 18/205), dass die Drohneneinsätze
der USA über die US-Militärbasis Ramstein in Deutschland geplant, überwacht und
ausgewertet werden. Damit unterstützt die Bundesregierung extralegale Tötungen.
Laut einer Studie der Ärzteorganisation IPPNW wurden im „Krieg gegen den Terror“
allein in Afghanistan mindestens 220.000 und in Pakistan 80.000 Menschen getötet.
Im Irak wurden über eine Million Menschen direkt getötet oder sind an den indirekten
Kriegsfolgen gestorben. Die Bilanz der Kriege und militärischen Interventionen fällt
erschütternd aus. Das zeigt auch die Antwort der Bundesregierung auf die Große An-
frage der Fraktion DIE LINKE. (18/7991).
Terrorismus
Der seit 15 Jahren mit Bomben und Drohnen geführte „Krieg gegen den Terror“ hat
die bekämpften Gruppen wie Taliban und Al Kaida kaum geschwächt. Er hat Gesell-
schaften zerstört, westliche Angriffe auf Staaten und Individuen legitimiert, ganze Re-
gionen weiter destabilisiert und Bürger- und Stellvertreterkriege hervorgerufen. Die
absolute Mehrzahl der Opfer dieses Krieges sind keine „Terroristen“ sondern ganz
normale Menschen. Auch die schrecklichen Attentate von Nizza, Paris und Brüssel
sind ein Ergebnis des Anti-Terror-Kriegs, der die Spirale aus Krieg und Terror immer
weiter vorantreibt. Im vergangenen Jahr wurden 2016 erstmals auch deutsche Städte
zum Ziel von Attentätern. In Berlin verloren am 19.12.2016 zwölf Menschen bei einem
Terroranschlag ihr Leben.
Afghanistan
Afghanistan wurde durch ISAF und die Nachfolgemission Resolute Support (RSM)
nicht stabilisiert. Stattdessen kontrollieren die Taliban heute mehr Territorium als je
seit 2001 und ein Ende des Krieges ist nicht absehbar. So kam es im Herbst 2016 zu
Angriffen auf Militärbasen von Bundeswehr und US-Armee. Die Präsenz ausländi-
scher Truppen mobilisiert den Widerstand der Taliban und legitimiert ihn in den Au-
gen von Teilen der afghanischen Bevölkerung, auch wenn mittlerweile vor allem af-
ghanische Zivilisten und Sicherheitskräfte zu Tode kommen, während die Opferzahl
unter den Soldaten der NATO 2016 die niedrigste seit 2001 war. Dass die einheimische
Bevölkerung den Preis für die westliche Invasionspolitik zahlt, ist auch ein Ergebnis
der NATO-Strategie, die defacto die afghanischen Sicherheitskräfte zu ihren Hilfstrup-
pen macht.
Im Jahr 2015 stellten 31.382 Menschen aus Afghanistan erstmalig einen Asylantrag in
Deutschland. Das waren fünfmal so viele wie im Jahr 2001 (5.837). Die Bundesregie-
rung bezeichnet in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage der Linksfraktion (18/7991)
nur 9 von 123 Distrikten (Stand 2015) als kontrollierbar. Die Anzahl der sicherheits-
relevanten Vorfälle von 2013 bis 2015 lag bei 75.722.
Nach VN-Angaben wurden allein zwischen 2013 und 2016 über 19.000 afghanische
Soldaten und 10.000 Zivilisten in den Auseinandersetzungen mit den Taliban getötet.
Dennoch sollen bis zu 80.000 Afghaninnen und Afghanen aus der EU nach Afghanis-
tan abgeschoben werden.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10977
Ein Ausdruck der verzweifelten Situation in Afghanistan ist auch der Umstand, dass
der Opiumkonsum erheblich angestiegen ist: Das International Narcotics Control
Board ging 2012 von ca. 1,5 Millionen Opiumkonsumenten in Afghanistan aus (bei 32
Millionen Einwohnern).
Irak
Im Irak wurden von 2013 bis 2015 über 12.500 Angehörige der irakischen Armee ge-
tötet. Angaben über die Opfer irakischer Zivilisten zeigen seit 2012 eine zunehmende
Eskalation in diesem Land, mit 12.342 Toten im Jahr 2014. Der Großteil der irakischen
Bevölkerung lebt in Regionen mit einer „ausreichend kontrollierbaren Sicherheits-
lage“, das ist weit entfernt von einem sicheren Leben. Irak ist einer der gefährlichsten
Orte für Kinder weltweit. Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist katastrophal
(6,1 Fachpersonal/100.000 Menschen). Die geschätzte Zahl direkter Todesfälle durch
Konflikte liegt bei 83,6 pro 100.000 Menschen (2011 bis 2015). Vier von fünf Kindern
sind der Gewalt ausgesetzt. Tod durch gewaltsame Konflikte ist mit 6 Prozent die dritt-
häufigste Todesursache überhaupt.
Knapp 14 Jahre nach der völkerrechtswidrigen Invasion, der ein 12-jähriges Wirt-
schaftsembargo vorausgegangen war, ist der Irak nach wie vor instabil und droht aus-
einanderzubrechen. Im Nord-Irak bildet die Bundeswehr kurdische Peschmerga-
Kämpfer aus, obgleich ihren Verbänden im Kampf gegen den IS schwere Menschen-
rechtsverstöße vorgeworfen werden und obgleich Teile der Führung der kurdischen
Autonomieregion im Nord-Irak offen für die Abspaltung dieses Gebiets vom Irak ein-
treten.
Pakistan
In Pakistan ist die Anzahl der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle in den letzten fünf
Jahren ungebrochen angestiegen auf 2517 im Jahr 2015. Allein in den von der pakis-
tanischen Regierung erfassten Jahren von 2011 bis 2015 stieg die Zahl der durch Ge-
fechte ums Leben gekommenen Menschen in Pakistan von 2161 auf 5334. Auch in
Pakistan bleibt, wie auf allen Schauplätzen des „Kriegs gegen den Terror“, die wirt-
schaftliche und soziale Entwicklung weit hinter den Möglichkeiten zurück: Die Müt-
tersterblichkeit schwankt zwischen 175 und 319 pro 100.000 Geburten (Durchschnitt
Bundesrepublik: 5 pro 100.000).
Bei all dem ist auffällig, wie sich die Bundesregierung einer umfassenden wissen-
schaftlichen und politischen Bilanzierung von Anspruch und Resultaten dieser Inter-
ventionskriege und damit auch einer Auswertung der Ergebnisse der Auslandseinsätze
der Bundeswehr verweigert.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. jegliche Abschiebungen nach Afghanistan sofort zu stoppen;
2. den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan vorzubereiten;
3. die demokratischen und friedlichen zivilen Kräfte in Afghanistan zu stärken, ins-

besondere Frauenorganisationen, und den zivilen Aufbau zu fördern;
4. die Beratungs- und Ausstattungshilfe für die kurdischen Peschmerga einzustel-

len;
5. Ramstein als Relaisstation für US-Drohnenflüge und als Drehkreuz für die US-

Luftwaffeneinsätze im Nahen und Mittleren Osten sowie Afrika sofort zu schlie-
ßen;

6. das US-Drohenprogramm als völkerrechtliche extralegale Tötungen zu verurtei-
len und juristische Konsequenzen einzuleiten;

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Drucksache 18/10977 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

7. sich gegenüber den verbündeten Regierungen gegen die Regime-Change-Politik
einzusetzen und sich nicht an militärischen Einsätzen mit dem Ziel des Regime-
Change zu beteiligen;

8. sich national und international für eine Konversion der Rüstungspolitik einzuset-
zen, Forschung für Rüstungskonversion zu unterstützen und einen Konversions-
fonds im Bundeshaushalt einzurichten;

9. sich dafür einzusetzen, dass auf deutscher und internationaler Ebene (VN, EU,
OSZE) die humanitären, langfristigen Folgen von Militäreinsätzen inklusive der
Opfer indirekter Kriegsfolgen kontinuierlich von unabhängigen Expertinnen und
Experten überprüft und die Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht
werden.

Berlin, den 24. Januar 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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