BT-Drucksache 18/10872

Landwirtschaft braucht Zukunft - Gutes Essen braucht eine gute Landwirtschaft

Vom 18. Januar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10872
18. Wahlperiode 18.01.2017
Antrag
der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Nicole Maisch,
Markus Tressel, Annalena Baerbock, Matthias Gastel, Bärbel Höhn, Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Stephan Kühn (Dresden), Christian Kühn
(Tübingen), Steffi Lemke, Peter Meiwald, Dr. Julia Verlinden, Dr. Valerie
Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Landwirtschaft braucht Zukunft – Gutes Essen braucht eine gute
Landwirtschaft

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Stillstand, Festhalten an überholten Konzepten und der feste Schulterschluss mit der
Agrarindustrie – nach drei Jahren Amtszeit ist das die Bilanz der jetzigen Bundesre-
gierung.
Die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Landwirtschaft und die Menschen, die
täglich für sie ackern, haben mehr verdient. Sie haben verdient, dass verantwortliche
Politikerinnen und Politiker mit ihnen gemeinsam Perspektiven für die Zukunft entwi-
ckeln und umsetzen. Eine zukunftsfähige Landwirtschaft arbeitet im Einklang mit der
Natur – statt die eigenen Grundlagen aufzuzehren. Sie behandelt Tiere mit Würde –
nicht nur als Ware. Und sie hat die Verbraucherinnen und Verbraucher im Blick und
setzt auf Qualität, Transparenz und regionale Herkunft – statt auf anonyme Massen-
ware für den Weltmarkt. Nur mit einer zukunftsfähigen Landwirtschaft erhalten wir
lebenswerte ländliche Räume. Und nur eine zukunftsfähige Landwirtschaft wird wert-
geschätzt von den Bürgerinnen und Bürgern, die für sich und ihre Kinder gute, mög-
lichst regional und ökologisch erzeugte Lebensmittel wünschen.
Über 11 Jahre lang haben sich CSU-Ministerinnen und -Minister dagegen gesträubt,
einer solchen Landwirtschaft den Weg zu ebnen. Tierschutz, Ökolandbau, Senkung
der Stickstoffüberschüsse und vieles mehr wurden entweder auf die lange Bank ge-
schoben oder nur mehr auf dem Papier abgehandelt. Die zaghaften Ansätze, Landwirt-
schaft nach vorne zu entwickeln, nachhaltiger und damit gesellschaftlich anerkannter
zu machen, wurden vom Bundeslandwirtschaftsminister im Keim erstickt. Bestes Bei-
spiel ist der Entwurf des Ministers für ein Gentechnikgesetz, das Gentechnikanbau
eher ermöglicht, statt ihn zu verhindern. Weder gegen Biopatente noch gegen Kon-
zentrationsprozesse in der Land- und Lebensmittelwirtschaft hat sich der Minister
stark gemacht. Für das wichtige Ziel, die Lebensmittelverschwendung bis 2020 zu hal-
bieren, fehlt noch immer die angekündigte Gesamtstrategie – stattdessen wurden Info-
postkarten gedruckt und Doggy-Bags in Restaurants verteilt. Beim Kampf gegen Fehl-
ernährung und Übergewicht wurden keine Fortschritte erreicht. Die Belastung unserer

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Lebensmittel mit giftigen Mineralölen versucht der Minister einfach auszusitzen. Und
aus dem Klimaschutzplan strich das Bundeslandwirtschaftsministerium nach und nach
alle sinnvollen Maßnahmen – bis nur noch leere Worthülsen stehen blieben. Zur Er-
reichung des Ziels, 20 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ökologisch zu bewirt-
schaften, waren warme Worte der einzige Beitrag des Bundesministers.
Infolge dieser Politik des Stillstands mussten noch mehr Bäuerinnen und Bauern ihre
Existenzen aufgeben, litten viel zu viele Tiere in den Ställen, verschlechterte sich die
Qualität von Gewässern und Böden und wurde die Artenvielfalt auf Feldern und Wie-
sen durch einen ungebremst hohen Einsatz von Pestiziden weiter zerstört. Die Indust-
rialisierung der Lebensmittelproduktion schreitet voran und damit verschwinden viele
kleine bäuerliche Betriebe, Metzgereien und Bäckereien – und damit die Vielfalt an
Lebensmitteln und die regionalen Eigenarten.
So hätte es nicht sein müssen.
In zahlreichen Anträgen hat die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den
Versuch unternommen, die Bundesregierung zu einer Politik für die Landwirtschaft zu
bewegen, die den Weg in die nächsten Jahrzehnte weist. In dieser Wahlperiode bleiben
nur noch wenige Monate, um die Ernährungs- und Agrarpolitik aus der bisherigen Er-
starrung der Bundesregierung zu lösen. Der Bundestag muss jetzt der Schrittmacher
für eine progressive Landwirtschaft werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. gemeinsam mit den Ländern so schnell wie möglich den maximalen Satz von 15
Prozent von EU-Geldern für die Landwirtschaft in Deutschland umzuschichten –
für eine tiergerechte Haltung, mehr Ökolandbau, Umwelt-, Natur- und Klima-
schutz und regionale Vermarktung;

2. den Umbau hin zu einer Tierhaltung in Deutschland einzuleiten, die allen Tieren
ein würdiges Leben ermöglicht. Dafür muss die Bundesregierung gezielte Förde-
rung anbieten und den gesetzlichen Rahmen grundlegend nachbessern – die Tiere
brauchen mehr Platz, Auslauf, Licht und Beschäftigung. Kükentöten, Amputati-
onen und Qualzucht muss die Bundesregierung wirksam beenden;

3. Weichen für eine Tierhaltung zu stellen, die an die Fläche gebunden ist und öko-
logische Grenzen respektiert. Die Fixierung auf eine Herstellung tierischer Pro-
dukte für den Export muss die Bundesregierung beenden;

4. eine verlässliche, transparente und verbindliche Tierhaltungskennzeichnung ent-
sprechend der erfolgreichen Eierkennzeichnung auf den Weg zu bringen, so dass
auf Fleisch und Milch klar erkennbar wird, unter welchen Bedingungen die Tiere
gehalten wurden. Verbrauchertäuschende Werbung und Produktaufmachung, die
Bauernhof-Idylle vorgaugelt, wo industrielle Massentierhaltung drinsteckt, muss
wirkungsvoll unterbunden werden;

5. die Transparenz dadurch zu erhöhen, dass sie gemeinsam mit der EU die Her-
kunftskennzeichnung ausweitet und sie es Verbraucherinnen und Verbrauchern
durch eine transparente Regionalkennzeichnung ermöglicht, regionale Qualität
zu kaufen und Bäuerinnen und Bauern für ihr Engagement zu belohnen;

6. eine nationale Strategie mit wirkungsvollen Maßnahmen und branchenspezifi-
schen Reduzierungszielen gegen Lebensmittelverschwendung auf allen Stufen
der Wertschöpfungskette vorzulegen;

7. im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch die Grundlage für eine bundesweit
einheitliche Hygienekennzeichnung für Restaurants zu schaffen und ein nationa-
les Konzept für eine Nährwertampel vorzulegen, mit dem von der Möglichkeit
einer freiwilligen nationalen Regelung Gebrauch gemacht wird;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10872
8. gemeinsam mit den Ländern ein Programm für regionales, ökologisches und ge-

sundes Essen an Ganztagsschulen und in Einrichtungen der Gemeinschaftsver-
pflegung aufzulegen;

9. die Förderung des Ökolandbaus entsprechend dem vom Nachhaltigkeitsrat aus-
gerufenen Ziel von „20 Prozent Ökolandbau in 2020“ deutlich auszubauen;

10. eine gesetzliche Regelung vorzulegen, mit der der Anbau von Gentechnikpflan-
zen bundesweit rechtssicher verboten wird, und im Interesse der Verbraucherin-
nen und Verbraucher die Lücke bei der Kennzeichnung tierischer Produkte, die
unter Verwendung von gentechnisch veränderten Organismen produziert wurden,
zu schließen;

11. ein wirksames Pestizidreduktionsprogramm aufzulegen, das Risiken für Mensch,
Artenvielfalt und Umwelt reduziert. Kurzfristig muss die Bundesregierung unter
anderem den Ausstieg aus der Nutzung der bienengiftigen Neonicotinoide ein-
läuten und eine grundlegende Reform des Zulassungsverfahrens von Pestizid-
wirkstoffen auf den Weg bringen, die dem Stand der Wissenschaft Rechnung
trägt und eine Risikobewertung unabhängig von wirtschaftlichen Interessen und
Einflüssen der Hersteller sicherstellt. Langfristig soll die Landwirtschaft in die
Lage versetzt werden, weitestgehend ohne Pestizide auszukommen;

12. das Düngerecht so zu gestalten, dass Stickstoffströme mit Hilfe einer Hoftorbi-
lanz ordentlich erfasst und die Überschüsse deutlich auf ein naturverträgliches
Maß gesenkt werden;

13. ein Krisenmanagementprogramm für den Milchmarkt einzuführen, um bei
Marktkrisen kurzfristig die Milchmenge auf dem Markt aktiv reduzieren zu kön-
nen und um kostendeckende Erzeugerpreise für Milchbäuerinnen und Milchbau-
ern zu sichern;

14. Maßnahmen zur besseren Regulierung des Bodenmarktes auf den Weg zu brin-
gen mit dem Ziel, die Aktivität von außerlandwirtschaftlichen Kapitalinvestoren
auf dem Bodenmarkt zu begrenzen und bäuerliche Betriebe zu erhalten.

Berlin, den 17. Januar 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
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Drucksache 18/10872 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Begründung

Obwohl 15 Prozent der Gelder aus der ersten Säule in die zweite Säule umgeschichtet werden könnten, sind es
in Deutschland nur 4,5 Prozent. Und dass in Deutschland überhaupt umgeschichtet wurde, ist nur dem Druck der
grünen Agrarministerinnen und Agrarminister in den Bundesländern zu verdanken. Würden 15 Prozent umge-
schichtet, kämen ab 2019 jährlich zusätzlich 525 Millionen Euro einer besseren Landwirtschaft und gutem Essen
zugute. Vor allem würde damit der Umbau hin zu einer faireren und ökologischeren Tierhaltung in Deutschland
ermöglicht. Gerade bei tierischen Produkten müssen sich Verbraucherinnen und Verbraucher außerdem auf Pro-
duktinformationen verlassen können. Eine große Mehrheit der Menschen wünscht sich eine bessere Tierhaltung
und wäre bereit, dafür etwas mehr zu bezahlen – vorausgesetzt, sie können glaubhaft erkennen, dass es den Tieren
tatsächlich besser geht. Im Sinne größerer Transparenz muss zudem die Herkunftskennzeichnung ausgeweitet
werden auf Lebensmittel, die nur aus einer Zutat bestehen sowie auf Fleisch in zusammengesetzten Lebensmit-
teln.
Lebensmittel sind wertvoll. Damit wirklich weniger Lebensmittel verschwendet werden, muss die Bundesregie-
rung valide Zahlen und Verschwendungsgründe erheben sowie mit der Wirtschaft branchenspezifische Reduzie-
rungsziele vereinbaren.
Mit dem Beschluss einer europäischen Lebensmittelinformationsverordnung wurde die europaweite Einführung
einer Nährwertampel verhindert, die Möglichkeit einer freiwilligen nationalen Nährwertkennzeichnung in Form
einer Nährwertampel jedoch zugelassen. Diese Möglichkeit sollte genutzt und die Diskussion über eine europä-
ische Lösung erneut geführt werden.
Das derzeitige Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern verhindert den sinnvollen und notwendigen Aus-
bau der Schulverpflegung durch Bundesprogramme. Daher müssen das Kooperationsverbot aufgehoben und Pro-
gramme für den notwendigen Ausbau der Schulernährung aufgelegt werden.
Um den Ökolandbau endlich um den nötigen Quantensprung voranzubringen, muss die Bundesregierung das
Bundesprogramm Ökolandbau sowie die entsprechenden Forschungsmittel deutlich aufstocken und sich stärker
engagieren bei der Aus- und Weiterbildung sowie der Durchfinanzierung der Umstellungs- und Beibehaltungs-
förderung. Landwirtinnen und Landwirte brauchen diese verlässlichen Leitplanken, um den Schritt der Umstel-
lung zu gehen.
Die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger lehnt Gentechnik auf dem Acker ab und will wissen, welche Lebens-
mittel gentechnisch veränderte Zutaten enthalten. Das gilt auch für den Einsatz von gentechnisch veränderten
Futtermitteln zur Erzeugung von tierischen Lebensmitteln – der Erfolg der „ohne Gentechnik“-Kennzeichnung
bei Milch und Fleisch im Handel zeigt das deutlich. Und das gilt auch für die neuen Gentechnik-Verfahren. Diese
sind genauso Gentechnik wie die bisherigen Techniken. Im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher und
der gentechnikfreien Land- und Lebensmittelwirtschaft müssen sie deshalb auch unter das Gentechnik-Recht
fallen und entsprechenden Kennzeichnungsregulierungen unterliegen.

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