BT-Drucksache 18/10815

Konsequenzen aus PISA 2015

Vom 9. Januar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10815
18. Wahlperiode 09.01.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Konsequenzen aus PISA 2015

Anfang Dezember 2016 wurden die Ergebnisse der internationalen OECD-Ver-
gleichsstudie PISA 2015 (OECD: Organisation für wirtschaftliche Zusammenar-
beit und Entwicklung) in Berlin vorgestellt. Die erste Teil-Studie, „PISA 2015
Ergebnisse (Band I), Exzellenz und Chancengerechtigkeit in der Bildung“, wurde
auch auf Deutsch vorgestellt und beurteilt die Qualität, Chancengerechtigkeit und
Effizienz von Schulsystemen aus 72 Ländern. Mit der Untersuchungsrunde
„PISA 2015“ ist der zweite Zyklus der Schulleistungstests seit 2000 vollendet. In
Naturwissenschaften, Mathematik und Lesen sind über die anderthalb Jahrzehnte
zehntausende Jugendliche in den OECD-Staaten, aber auch in anderen Volkswirt-
schaften in ihren Kompetenzen getestet worden. Aufgrund der gemessenen Er-
gebnisse sind in vielen der teilnehmenden Staaten bildungspolitische Entschei-
dungen getroffen, Reformen angegangen und positive Entwicklungen verstärkt
worden. Auch in Deutschland hat der „PISA-Schock“ im Jahr 2001 einiges in
Bewegung gesetzt. Nun ist es Zeit für eine Zwischenbilanz. Angesichts der an-
stehenden Änderungen des Grundgesetzes bezüglich der Kooperation von Bund
und Ländern im Bildungsbereich und der gemeinsamen angekündigten Initiativen
im Bereich der Digitalisierung und der Förderung der leistungsstärksten Schüle-
rinnen und Schülern sind dabei auch die Absichten der Bundesregierung von be-
sonderem Interesse und Relevanz.
Mit der Testrunde von 2015 ist nun auch der Schwerpunkt Naturwissenschaften
zum zweiten Mal nach 2006 durchlaufen worden. Naturwissenschaftliche Grund-
kompetenzen sind für unser alltägliches Leben von großer Bedeutung. Erst das
Vertrautsein mit der (natur-)wissenschaftlichen Methodik ermöglicht es, selbst-
ständig und unvoreingenommen Ereignisse zu analysieren, unter objektiven As-
pekten zu bewerten und ggf. zu hinterfragen. In unserer durch naturwissenschaft-
lichen Fortschritt geprägten Zeit ist naturwissenschaftliches Wissen unabdingbar
für die faktische Auseinandersetzung mit einigen der größten gesellschaftlichen
Themen wie z. B. Klimaerwärmung, Einsatz von Gentechnik und den Auswir-
kungen der Digitalisierung. Naturwissenschaftliche Kompetenzen sind somit
auch eine Voraussetzung, um an unserer Gesellschaft aktiv teilzuhaben. Vor die-
sem Hintergrund ist es besorgniserregend, dass die deutschen Schülerinnen und
Schüler ihre Kompetenzen im naturwissenschaftlichen Bereich nicht ausbauen
konnten und in Teilen gar verschlechtert haben.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie erklärt sich die Bundesregierung die unterschiedlichen Entwicklungen

innerhalb der drei Schwerpunkte im Bereich der Spitzenleistungen seit 2006?

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2. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass die Kompetenzen in Naturwis-
senschaften und Mathematik stagnieren, während die Leseleistung steigt?

3. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass vor allem die Spitzenleistung in
den Naturwissenschaften stagniert bzw. sogar gesunken ist?

4. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Befund, dass
17 Prozent der deutschen Jugendlichen im Bereich der Naturwissenschaften
nicht die Kompetenzstufe II erreichen (OECD 2016, PISA 2015 Ergebnisse,
Exzellenz und Chancengerechtigkeit in der Bildung, Band I, S. 349, Tab.
I.2.2a, im Folgenden ECB), so dass zu befürchten ist, dass sie nicht in der
Lage sein werden, auf grundlegendes Wissen zurückzugreifen, um einfache
Daten zu verstehen?

5. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Befund, dass der
Anteil der Jugendlichen in Naturwissenschaften auf den höchsten Kompe-
tenzstufen V und VI seit 2006 sinkt (ECB, Tab. I.2.2a, S. 349 )?

6. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Befund, dass in
Deutschland die Leistungsdifferenz zwischen Jungen und Mädchen mehr als
15 Punkte beträgt (vgl. Reiss, Christina et al., PISA 2015, Eine Studie zwi-
schen Kontinuität und Innovation, im Folgenden ESKI, S. 235, Abb. 6.4)?
a) Hält die Bundesregierung eine differenzielle Förderung von Mädchen für

sinnvoll?
b) Wenn ja, wie wird sie sich an deren Umsetzung beteiligen?
c) Wenn nicht, warum nicht, und mit welchen anderen Maßnahmen will die

Bundesregierung dann hier zu einer Leistungssteigerung beitragen?
d) Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Feststellung,

dass zwischen den beiden Erhebungen von 2006 und von 2015 die Basis-
kompetenz bei Mädchen in den Naturwissenschaften zurückgegangen ist
(ESKI, S. 93)?

e) Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Befund, dass
in allen anderen Vergleichsstaaten mehr Mädchen einen naturwissen-
schaftsbezogenen Beruf ausüben wollen als in Deutschland (ESKI;
Abb. 3.5, S. 119)?

7. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Aussage der
OECD, die Aufteilung von Jugendlichen oder gar Kindern auf verschiedene
Bildungsgänge oder Schultypen mittelbar zu einer Entfremdung von den Na-
turwissenschaften führen kann, weil dort Umfang und Niveau des Naturwis-
senschaftsunterrichts strukturell stark variieren (OECD 2016, PISA 2015,
Ergebnisse im Fokus – EiF –, S. 8)?

8. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Befund, dass
Freude und Interesse an den Naturwissenschaften an den weiterführenden
Schulen seit 2006 nachgelassen hat (ESKI, Abb. 3.4, S. 117)?

9. Wie erklärt sich die Bundesregierung im Vergleich zu PISA 2006 den statis-
tisch bedeutsamen Rückgang der naturwissenschaftlichen Kompetenz an
deutschen Gymnasien (ESKI, S. 94)?

10. Wie erklärt die Bundesregierung, dass trotz diverser MINT-Offensiven eine
Verbesserung der Leistungen im naturwissenschaftlichen Bereich ausgeblie-
ben ist, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?

11. Wie erklärt sich die Bundesregierung die fortlaufende Diskrepanz zwischen
Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, die weniger Punkte
im Bereich Naturwissenschaften erzielen als Schülerinnen und Schüler ohne
Migrationshintergrund, und mit welchen Maßnahmen gedenkt sie im Beneh-
men mit den Bundesländern dem entgegenzutreten (ECB, S. 283)?

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12. Was schließt die Bundesregierung daraus, dass die OECD in ihrer offiziellen

Zusammenfassung von PISA 2015 schreibt, dass im Durchschnitt der Staaten
mit relativ hohem Migrantenanteil eine höhere Migrationskonzentration
nicht mit geringeren Schülerleistungen assoziiert ist (OECD 2016, PISA
2015, EiF, S. 6), während der Bildungsbericht 2016 für Deutschland „migra-
tionsspezifische Segregationstendenzen in Kindertageseinrichtungen und
Schulen“ feststellt, was „einen alltagsnahen Erwerb der deutschen Sprache
bereits im Kleinkindalter“ (Bildungsbericht 2016, S. 204) erschwere und da-
mit deren gesamte Lernleistung schwächt bzw. zu schwächen drohe?

13. Für welches Jahr rechnet die Bundesregierung damit, dass die Kompetenz-
niveaus sich zwischen den sozialen Schichten so angenähert haben werden,
dass man von Durchlässigkeit und sozialer Gerechtigkeit wird sprechen kön-
nen, wenn man die bisherige Annäherungsgeschwindigkeit seit 2000 zu-
grunde legt und gleichzeitig die Entwicklung der Anzahl von Kindern und
Jugendlichen mit so genannten Risikolagen einbezieht (vgl. SKI, S. 9)?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkung der Testumstellung auf
Computerfragebögen bezogen auf z. B. Jugendliche mit Migrationshinter-
grund bzw. einer anderen Familiensprache als Deutsch?

15. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Befund, dass die
10 Prozent der sozioökonomisch am schlechtesten gestellten Schülerinnen
und Schüler aus Vietnam mit 504 Punkten in den Naturwissenschaften bes-
sere Leistungen erzielt als das mittlere Dezil der deutschen Schülerinnen und
Schüler mit 496 Punkten (ECB, Tab. I.6.4a, S. 349)?

16. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Angaben der
Schülerinnen und Schüler, die deutlich machen, dass die individuelle Unter-
stützung durch die Lehrkräfte stärker ist, wenn die Schülerinnen und Schüler
zu einem späteren Zeitpunkt auf Bildungsgänge oder Schularten aufgeteilt
werden (EiF, S.10)?

17. Was können nach Auffassung der Bundesregierung außerschulische Initiati-
ven wie „Haus der kleinen Forscher“, „Schüler experimentieren“ und „Ju-
gend forscht“ dazu beitragen, das Interesse der Schülerinnen und Schülern
an naturwissenschaftlichen Themen zu wecken?

18. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Feststellung der
OECD, dass im OECD-Durchschnitt „sozioökonomisch begünstigte Schulen
mit deutlich größerer Wahrscheinlichkeit Naturwissenschaftswettbewerbe
und Naturwissenschafts-AGn als Schulaktivitäten anbieten als sozioökono-
misch benachteiligten Schulen“ (EiF, S.10)?

19. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Aussage der
OECD, dass Schulsysteme in Naturwissenschaften tendenziell schlechter ab-
schneiden, wenn „die Schüler nach der Schule mehr Zeit mit dem Lernen in
Form von Hausaufgaben, Zusatzunterricht oder selbständigem Lernen ver-
bringen“ (EiF, S. 11) im Vergleich zu Schülerinnen und Schülern mit einer
größeren Anzahl von Stunden im naturwissenschaftlichen Fachunterricht?

20. Kann nach Auffassung der Bundesregierung die Qualitätsoffensive Lehrer-
bildung z. B. in den Naturwissenschaften zu einer Leistungssteigerung füh-
ren, indem sie etwa die von der OECD angeregte Steigerung der Unterrichts-
effektivität fördert (EiF, S.12)?
a) Wenn ja, wie?
b) Wenn nein, warum nicht?

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21. Teilt die Bundesregierung die von der OECD vertretene Auffassung, dass es

im 21. Jahrhundert unabdingbar geworden sei, „wie Naturwissenschaftler zu
denken“, und wenn ja, wie will sie dazu beitragen, diese Haltung in allen
Altersgruppen in der Bevölkerung zu stärken?

22. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung einleiten, um eine gleichmä-
ßige Förderung der drei Teilkompetenzen (Phänomene naturwissenschaftlich
erklären, naturwissenschaftliche Forschung bewerten und Untersuchung pla-
nen, Daten und Evidenz naturwissenschaftlich interpretieren) zu fördern, was
aktuell nur unzureichend gelingt?

23. Was schließt die Bundesregierung aus den Ergebnissen der Befragung der
Schülerinnen und Schüler zu ihrer Vertrautheit mit und ihrer Nutzung von
Informations- und Kommunikationstechnologien (vgl. EiF, S. 3)?

24. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung mit Blick auf das Bil-
dungs- und Teilhabepaket aus der Empfehlung der OECD, „zusätzliche Mit-
tel für kostenfreien Nachhilfeunterricht in sozioökonomisch benachteiligten
Schulen bereit[zu]stellen, um die Entstehung eines Schattenbildungssystems
zu verhindern – und Chancengerechtigkeit in der Bildung zu gewährleisten“
(EiF, S. 14)?

25. a) Wie bewertet die Bundesregierung die sich abzeichnende Einigung im
Rahmen der Bund-Länder-Finanzverhältnisse, dass der Bund zukünftig
Finanzhilfen für Bildungsinfrastruktur in finanzschwachen Kommunen
geben darf, angesichts der Erkenntnisse, die die OECD mit Blick auf öko-
nomisch benachteiligte Schulen zieht, dass diese mehr Mittel brauchen,
um ihren Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, „ein Grundniveau
an naturwissenschaftlicher Kompetenz zu erwerben und ein lebenslanges
Interesse an naturwissenschaftlichen Themen zu entwickeln“ (EiF, S. 8)?

b) Sind nach Auffassung der Bundesregierung ökonomisch benachteiligte
Schulen nur in Gemeinden und Gemeindeverbänden zu finden, die gemäß
des neuen Artikels 104c des Grundgesetzes als „finanzschwach“ gelten
werden?

26. Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung der TUM zu, dass der Com-
putereinsatz und ein verfeinertes Skalierungsmodell dazu führen, dass „Ver-
gleiche der Ergebnisse mit früheren PISA-Studien [...] deshalb schwieriger
geworden“ (Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien, PM
„PISA_Studie: Deutschland hält hohes Leistungsniveau“, 6. Dezember
2016, S. 1) sind?
a) Falls nein, wieso nicht?
b) Falls ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?

27. Wie will die Bundesregierung im Rahmen ihrer Verhandlungen mit den Län-
dern zum Digitalpakt#D sicherstellen, dass die von der OECD geforderte
lernorientierte Nutzung von Computern mit Internetzugang geschaffen wird,
die nicht vom Lernen ablenkt, sondern es verbessert (vgl. EiF, S. 14)?

Berlin, den 4. Januar 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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