BT-Drucksache 18/10625

zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Kordula Schulz-Asche, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksachen 18/7908 - Zivilgesellschaftliches Engagement braucht Raum - Anti-NGO-Gesetze stoppen, Menschenrechtsverteidiger stärken

Vom 13. Dezember 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10625
18. Wahlperiode 13.12.2016

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Kordula Schulz-Asche, Claudia
Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
– Drucksache 18/7908 –

Zivilgesellschaftliches Engagement braucht Raum ‒ Anti-NGO-Gesetze
stoppen, Menschenrechtsverteidiger stärken

A. Problem
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verweist in ihrem Antrag auf einen
weltweit zu beobachtenden Trend zur Einschränkung des öffentlichen Raums
durch immer mehr Staaten. Insbesondere die Arbeit von Nichtregierungsorgani-
sationen (NGOs) werde von staatlicher Seite systematisch verkompliziert, diffa-
miert, behindert und kriminalisiert. Die Handlungsspielräume der Zivilgesell-
schaft würden dabei nicht nur von autoritären oder diktatorischen Regimen, son-
dern auch von demokratischen Regierungen eingeschränkt. So seien allein in den
letzten drei Jahren in über 60 Staaten explizite NGO-Gesetze verabschiedet wor-
den, wobei als Hauptdruckmittel die Pflicht zur Registrierung als „ausländischer
Agent“ und die Beschränkung der Nutzung ausländischer Finanzmittel zur An-
wendung kämen. Das Phänomen des „shrinking space“ müsse von der Bundesre-
gierung ernst genommen und systematisch angegangen werden.

In dem Antrag werden konkrete Forderungen an die Bundesregierung gestellt, die
unter anderem aufgefordert werden soll,

− den Umgang mit Menschenrechtsverteidigern sowie der lokalen Zivilgesell-
schaft zu einem wesentlichen Faktor bei Regierungsverhandlungen und der
Gestaltung der bilateralen Beziehungen mit anderen Ländern zu machen und
dabei auch die Koordinierung mit den „Focal Points“ zu Demokratie und
Menschenrechten in den jeweiligen EU-Delegationen zu suchen,

− den Dialog mit besonders gefährdeten zivilgesellschaftlichen Akteuren zu
verstärken und diese Akteure im Rahmen der deutschen Außen- und Entwick-
lungspolitik gezielt zu fördern, um ihre Bedeutung für eine lebendige Demo-
kratie deutlich zu machen,

Drucksache 18/10625 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
− die internationale Vernetzung der Zivilgesellschaft gezielt zu fördern und

hierfür Finanzierungsmöglichkeiten zu schaffen, die es deren Vertretern er-
laubt, an internationalen Konferenzen teilzunehmen,

− politische Maßnahmen auf EU- wie auf Bundesebene, insbesondere im Be-
reich der Entwicklungs-, Außen- und Handelspolitik, auf negative Rückwir-
kungen auf die Handlungsspielräume der Zivilgesellschaft zu überprüfen und
diese gegebenenfalls zu vermeiden sowie

− die EU-Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern vollständig
umzusetzen, sie besser bekannt zu machen und weitere europäische Initiati-
ven wie den Ende 2015 von der EU-Kommission ins Leben gerufenen „Hu-
man Rights Defenders Mechanism“ aktiv zu unterstützen.

B. Lösung
Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei
Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE.

C. Alternativen
Annahme des Antrags.

D. Kosten
Wurden im Ausschuss nicht erörtert.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10625
Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 18/7908 abzulehnen.

Berlin, den 30. November 2016

Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Michael Brand
Vorsitzender

Dr. Bernd Fabritius
Berichterstatter

Frank Schwabe
Berichterstatter

Annette Groth
Berichterstatterin

Tom Koenigs
Berichterstatter

Drucksache 18/10625 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Bericht der Abgeordneten Dr. Bernd Fabritius, Frank Schwabe, Annette Groth und
Tom Koenigs

I. Überweisung

Der Deutsche Bundestag hat den Antrag auf Drucksache 18/7908 in seiner 164. Sitzung am 14. April 2016 erst-
mals beraten und an den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zur federführenden Beratung sowie
an den Auswärtigen Ausschuss, den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und den
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union zur Mitberatung überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

Die Antragsteller verweisen auf einen weltweit zu beobachtenden Trend, wonach es zu einer besorgniserregenden
Einschränkung des öffentlichen Raums, in dem die Zivilgesellschaft agiert, durch immer mehr Staaten komme.
Insbesondere die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) werde von staatlicher Seite systematisch ver-
kompliziert, diffamiert, behindert und kriminalisiert. Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Ver-
sammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Maina Kiai, habe für diese kontinuierliche Schrumpfung des öffentlichen
Raumes den Begriff des „shrinking space“ geprägt.

Obwohl die Rechte, die zivilgesellschaftliches Engagement schützten und stützten, in zahlreichen Dokumenten
kodifiziert seien – allen voran in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem Internationalen Pakt
über die bürgerlichen und sozialen Rechte (Zivilpakt) – lebten sechs von sieben Menschen in Ländern, in denen
das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit beschränkt werde. Die Auswirkungen seien fatal, da zivilge-
sellschaftliche Akteure eine Vielfalt von Aufgaben wahrnähmen, die von der Vertretung von Bevölkerungs- und
Interessengruppen bis zur Funktion als Watchdog für Demokratie und Menschenrechte reichten.

Die Handlungsspielräume der Zivilgesellschaft würden nicht nur von autoritären oder diktatorischen Regimen,
sondern auch von demokratischen Regierungen eingeschränkt. Es würden alle drei Staatsgewalten und auch die
Medien systematisch zur Einschränkung des öffentlichen Raumes für die Zivilgesellschaft benutzt. Im legislativen
Bereich seien Gesetze aus verschiedenen Bereichen betroffen, so zum Beispiel Anti-Terror-, Medien-, Steuer-
und Strafgesetze.

Explizite NGO-Gesetze seien allein in den letzten drei Jahren in über 60 Staaten verabschiedet worden, wobei als
Hauptdruckmittel die Pflicht zur Registrierung als „ausländischer Agent“ und die Beschränkung der Nutzung
ausländischer Finanzmittel, welche als ausländische Einmischung in staatliche Souveränität diffamiert würden,
zur Anwendung kämen.

Auch für die deutsche Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik ergäben sich dadurch neue Herausforderun-
gen. So könne beispielsweise in der Entwicklungszusammenarbeit die Offenlegung von Finanzquellen den Part-
nerorganisationen vor Ort zum Nachteil gereichen. Auch für die Wirtschaft seien Investitionsmöglichkeiten und
menschenrechtliche Konsequenzen schwerer einzuschätzen, wenn keine unabhängige zivilgesellschaftliche Be-
obachtung mehr stattfinde. Das Phänomen des „shrinking space“ müsse von der Bundesregierung ernst genom-
men und systematisch angegangen werden.

Der Umstand, dass 2016 der 50. Jahrestag des Zivilpaktes der Vereinten Nationen, der die Versammlungs- und
Vereinigungsfreiheit garantiere, gefeiert werde sowie die Tatsache, dass Deutschland in diesem Jahr den Vorsitz
der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) innehabe, solle zum Anlass genommen werden, um
dem Kriminalisieren, Behindern, Diffamieren und Verkomplizieren zivilgesellschaftlichen Engagements durch
staatliche Stellen entgegenzutreten und diese an ihre Schutz- und Gewährleistungspflichten zu erinnern.

In dem Antrag werden konkrete Forderungen gegenüber der Bundesregierung erhoben. So soll sie aufgefordert
werden,

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/10625
1. den Umgang mit Menschenrechtsverteidigern sowie der lokalen Zivilgesellschaft zu einem wesentlichen Faktor
bei Regierungsverhandlungen und der Gestaltung der bilateralen Beziehungen mit anderen Ländern zu machen
und dabei auch die Koordinierung mit den „Focal Points“ zu Demokratie und Menschenrechten in den jeweiligen
EU-Delegationen zu suchen;

2. den Dialog mit besonders gefährdeten zivilgesellschaftlichen Akteuren zu verstärken und diese Akteure im
Rahmen der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik gezielt zu fördern, um ihre Bedeutung für eine lebendige
Demokratie deutlich zu machen;

3. die internationale Vernetzung der Zivilgesellschaft gezielt zu fördern und hierfür Finanzierungsmöglichkeiten
zu schaffen, die es deren Vertretern erlaubt, an internationalen Konferenzen teilzunehmen;

4. auf EU- wie auf Bundesebene politische Maßnahmen, insbesondere im Bereich der Entwicklungs-, Außen- und
Handelspolitik, auf negative Rückwirkungen auf die Handlungsspielräume der Zivilgesellschaft zu überprüfen
und diese gegebenenfalls zu vermeiden;

5. die EU-Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern vollständig umzusetzen, sie besser bekannt zu
machen und weitere europäische Initiativen wie den Ende 2015 von der EU-Kommission ins Leben gerufenen
„Human Rights Defenders Mechanism“ aktiv zu unterstützen;

6. den Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie (2015-2019) des Rates der EU, in dem sich die EU ver-
pflichtet, „mit verstärkten Anstrengungen ein sicheres und geeignetes Umfeld (zu) fördern, in dem sich die Zivil-
gesellschaft“ entfalten kann, umzusetzen und voranzutreiben;

7. sich der European-Shelter-City-Initiative der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft von 2009 anzuschließen
und besonders gefährdeten zivilgesellschaftlichen Akteuren nach dem Beispiel der Niederlande auch in Deutsch-
land temporären Schutz zu gewähren und sie in dieser Zeit finanziell und logistisch in die Lage zu versetzen, ihre
Aktivitäten fortzusetzen;

8. innerhalb der EU, des Europarates und der Vereinten Nationen den weltweiten Trend zur Beschränkung des
öffentlichen Raumes für die Zivilgesellschaft

a. bekannt zu machen,

b. öffentlich zu verurteilen und

c. die Entwicklung von Strategien gegen das Problem des „shrinking space“ voranzutreiben;

9. die Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zur Situation von Menschenrechtsverteidigern und für Ver-
sammlungs- und Vereinigungsfreiheit finanziell und politisch in- und außerhalb des Menschenrechtsrates aktiv
zu unterstützen;

10. die Stärkung der menschlichen Dimension der OSZE und ihrer Instrumente, wie das Büro für Demokratische
Institutionen und Menschenrechte (ODIHR), ins Zentrum des deutschen OSZE-Vorsitzes 2016 zu rücken, dessen
Focal Point Human Rights Defenders aktiv zu stärken und sich für die vollständige Umsetzung der OSZE-Gui-
delines on the Protection of Human Rights Defenders einzusetzen;

11. sich für eine Stärkung von zivilgesellschaftlichen Beteiligungsmöglichkeiten in der internationalen Politikge-
staltung, z. B. auf Ebene der G20, einzusetzen.

III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Auswärtige Ausschuss hat den Antrag auf Drucksache 18/7908 in seiner 69. Sitzung am 1. Juni 2016 beraten
und mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE. Ablehnung empfohlen.

Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat den Antrag in seiner 71. Sitzung
am 30. November 2016 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE. Ablehnung empfoh-
len.

Drucksache 18/10625 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union hat den Antrag in seiner 75. Sitzung am
30. November 2016 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE. Ablehnung empfohlen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe hat den Antrag auf Drucksache 18/7908 in seiner
74. Sitzung am 30. November 2016 beraten. Er empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE
LINKE. den Antrag abzulehnen.

Die Fraktion der CDU/CSU erklärte, der Antrag greife ein Thema auf, das insbesondere in Bezug auf Staaten
wie die Türkei und Russland hoch aktuell bleibe. Allerdings sei es falsch, der Bundesregierung vorzuwerfen, sie
habe hier in der Vergangenheit zu wenig getan. Bereits im Dezember 2015 sei im Plenum, auch mit den Stimmen
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ein entsprechender Beschluss gefasst worden, der nach wie vor Gül-
tigkeit habe. Es sei daher auch kein neuer Handlungsbedarf zu erkennen, der über das hinausreiche, was man 2015
bereits verabschiedet habe.

Die Fraktion der SPD zeigte sich beunruhigt, dass mit Blick auf die Ausgestaltung repressiver NGO-Gesetze
offensichtlich ein intensiver Informationsaustausch zwischen den Staaten existiere. Im Übrigen würden nicht nur
NGOs unter Druck geraten, sondern auch internationale Institutionen wie die Vereinten Nationen oder der Euro-
parat, die von innen heraus geschwächt würden, insofern in ihnen Akteure unterwegs seien, die keineswegs die
Absicht hätten, die Menschenrechtsmechanismen in ihren Ländern zur Geltung zu bringen. Auch vor diesem
Hintergrund könne das Patenschaftsprogramm des Deutschen Bundestages „Parlamentarier schützen Parlamen-
tarier“ nicht genug hervorgehoben werden, das im internationalen Bereich längst eine wichtige Vorbildfunktion
erhalten habe.

Die Fraktion DIE LINKE. betonte, dass sie ungeachtet ihrer ausdrücklichen Unterstützung für zahlreiche im
Antrag enthaltene Forderungen, darunter die Umsetzung der EU-Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsver-
teidigern, die Rolle von NGOs für zu wenig kritisch beleuchtet halte. NGOs spielten keineswegs immer eine
positive Rolle, weshalb einzelne Länder auch eine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten befürchteten
und zum Instrument von NGO-Gesetzgebungen griffen.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legte dar, dass sie mit ihrem Antrag darauf hinweisen wolle, dass
die Arbeit der Zivilgesellschaft in derzeit über 60 Staaten, darunter auch ausgewiesenen Demokratien, vor allem
durch repressive NGO-Gesetze immer stärker eingeschränkt werde. Das Thema „shrinking space“ werde daher
gegenwärtig auch in den Vereinten Nationen und der gesamten Zivilgesellschaft intensiv diskutiert. Der Antrag
solle die Bundesregierung verpflichten, sich international stärker für die Zivilgesellschaft und den Schutz von
Menschenrechtsverteidigern einzusetzen.

Berlin, den 30. November 2016

Dr. Bernd Fabritius
Berichterstatter

Frank Schwabe
Berichterstatter

Annette Groth
Berichterstatterin

Tom Koenigs
Berichterstatter

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.