BT-Drucksache 18/10587

Effizienz von Videoüberwachungen

Vom 6. Dezember 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10587
18. Wahlperiode 06.12.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Kerstin Kassner, Jan Korte,
Katrin Kunert und der Fraktion DIE LINKE.

Effizienz von Videoüberwachungen

Die Bundesregierung strebt eine Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes an,
um den Einsatz von Videoüberwachungsgeräten ausweiten zu können. In einem
Referentenentwurf wird das Vorhaben mit der bisherigen „restriktiven“ Entschei-
dungspraxis der zuständigen Datenschützer der Länder begründet. Deren Ten-
denz, dem Datenschutz bzw. den Persönlichkeitsrechten einen hohen Wert einzu-
räumen, will die Bundesregierung dadurch begegnen, dass sie den „Schutz von
Leben, Gesundheit oder Freiheit“ ausdrücklich als Gewichtungsvorgabe im Ab-
wägungsprozess der Datenschützer festschreibt. Damit soll erreicht werden, wie
es in der Begründung heißt, die Sicherheit der Bevölkerung zu erhöhen „und An-
schläge wie in Ansbach und München im Sommer 2016 zu verhindern“.
Von Datenschützern, aber auch Richtern und Staatsanwälten gibt es bereits mas-
sive Kritik an den neuen Überwachungsplänen. Die Konferenz der unabhängigen
Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder forderte in einer Entschließung
vom 9. November 2016 die Bundesregierung auf, die Pläne zurückzuziehen. Der
Gesetzentwurf „suggeriert mehr Sicherheit, ohne die bisher geltende Rechtslage
tatsächlich zu verbessern“. Ein Nachweis, dass die angestrebte Erleichterung der
Videoüberwachung tatsächlich geeignet sei, die öffentliche Sicherheit besser zu
gewährleisten, fehle im Gesetzentwurf. Es sei auch falsch, zu suggerieren, die
Datenschutzaufsichtsbehörden hätten bislang die Durchführung von Videoüber-
wachung verweigert. Die Konferenz weist zudem darauf hin, dass die Betreiber
von Videoüberwachungsanlagen meist nicht in der Lage seien, die Videoüberwa-
chung in einer Art auszuweiten, dass bei Gefahren unmittelbar eingegriffen wer-
den könne.
Der Deutsche Richterbund e. V. weist in einer Stellungnahme von Novem-
ber 2016 darauf hin, es erscheine fraglich, ob das Vorhaben des Bundesministe-
riums des Innern „angesichts des damit verbundenen erheblichen Eingriffs in das
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verhältnismäßig“ ist.
Die Europäische Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz e. V. kriti-
siert den Entwurf, weil mit der flächendeckenden Möglichkeit zur Videoüber-
wachung eine Überwachungsdichte des öffentlichen Raumes geschaffen werde,
„die bisher beispiellos ist“.
Von allen Kritikern wird zudem die Wirksamkeit einer ausgeweiteten Videoüber-
wachung in Frage gestellt. Auch den Fragestellern ist nicht ersichtlich, wie eine
Videokamera dazu hätte beitragen sollen, den Anschlag vom 24. Juli 2016 in An-
sbach zu verhindern. Ein Selbstmordattentäter dürfte sich kaum von einer Kamera
abschrecken lassen. Das Gleiche gilt für die von der Münchner Polizei als
„Amoklauf“ bezeichneten Mordtaten eines möglicherwiese rechtsextrem moti-

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vierten Täters am 22. Juli 2016. Angesichts des schnellen Tatablaufs können Vi-
deokameras die Taten zwar möglicherweise aufzeichnen, aber nicht zu ihrer Ver-
hinderung beitragen. Zumindest fehlt im Referentenentwurf jeglicher Hinweis
auf empirische Untersuchungen zur Wirksamkeit von Videoüberwachungen.
Diese wären aber aus Sicht der Fragesteller das Mindeste, was die Bundesregie-
rung vorlegen müsste. Andernfalls läuft eine Ausweitung der Videoüberwachung
darauf hinaus, massive Einschränkungen der Grundrechte einer hohen Zahl un-
bescholtener Bürgerinnen und Bürger zu verursachen, ohne auch nur einen mini-
malen Gewinn an Sicherheit zu bieten.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwiefern wäre nach Einschätzung der Bundesregierung eine (ggf. erwei-

terte) Videoüberwachung auf dem Ansbacher Musikfestival geeignet gewe-
sen, den Terroranschlag dort zu verhindern, und worauf beruht diese Ein-
schätzung?

2. Inwiefern wäre nach Einschätzung der Bundesregierung eine (ggf. erwei-
terte) Videoüberwachung in München geeignet gewesen, den sog. Amoklauf
am 22. Juli 2016 zu verhindern, und worauf beruht diese Einschätzung?

3. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über entsprechende Einschät-
zungen der zuständigen bayerischen Polizeibehörden, inwiefern eine ausge-
weitete Videoüberwachung die Anschläge in Ansbach und München hätte
verhindern können?

4. Sind nach Kenntnis der Bundesregierung in der Vergangenheit Terroran-
schläge in Deutschland maßgeblich durch Videoüberwachungssysteme ver-
hindert worden, und wenn ja, welche, und welche konkrete Wirkung hatte
die eingesetzte Videoüberwachung dabei?

5. Stützt sich die Bundesregierung bei ihren Plänen zu einer ausgeweiteten Vi-
deoüberwachung auf empirische Daten zur Wirksamkeit von Videoüberwa-
chung?
Wenn ja, auf welche (bitte einzeln angeben), wenn nein, warum initiiert sie
angesichts der grundrechtseinschränkenden Wirkung von Videoüberwa-
chung nicht eine entsprechende Untersuchung, ehe sie die Ausweitung der
Videoüberwachung einfordert?

6. Inwiefern glaubt die Bundesregierung, dass Videoüberwachungssysteme
Selbstmordattentäter abschrecken könnten?
Geht sie davon aus, dass Selbstmordattentäter aufgrund von Videoüberwa-
chungen von Anschlägen generell ablassen oder lediglich andere Anschlags-
ziele suchen würden?
Auf welchen empirischen Daten beruhen diese Annahmen?

7. Inwiefern liegen dem Vorhaben der Bundesregierung empirische Daten über
die Wirksamkeit von Videoüberwachung im Ausland zugrunde (bitte aus-
führen)?

8. Inwiefern verfügen die Betreiber von Videoüberwachungssystemen in Sport-,
Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren und Parkräumen
nach Kenntnis der Bundesregierung über das Personal, um bei der Beobach-
tung verdächtiger Vorgänge unverzüglich einzuschreiten?

9. Warum setzt die Bundesregierung bei der Terrorabwehr auf eine Verlage-
rung auf private Stellen?

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10. Stimmt die Bundesregierung der Lesart der bisherigen Fassung des Bundes-

datenschutzgesetzes durch die Konferenz der Datenschutzbehörden zu, ge-
mäß der auch jetzt schon in Abwägung legitimer Sicherheitsinteressen der
Einsatz von Videoüberwachungssystemen bewilligt werden kann und auch
bewilligt worden ist (falls nein, bitte begründen), und wenn ja, worin genau
sieht sie dann ein Problem?

11. Hält die Bundesregierung die Entscheidung der zuständigen Landesdaten-
schutzbehörde Hamburg, die Zahl von Videoüberwachungssystemen in ei-
nem Einkaufszentrum zu reduzieren, für falsch (bitte begründen), und inwie-
fern sieht sie einen Anlass, daran zu zweifeln, dass auch die Hamburger Be-
hörde an der Sicherheit des Publikums interessiert ist?

12. Traut die Bundesregierung den zuständigen Landesdatenschutzaufsichts-
behörden nicht zu, gemäß der bisherigen Fassung des Bundesdatenschutz-
gesetzes eine angemessene Abwägung von Sicherheitsaspekten und Grund-
rechtserwägungen vorzunehmen (bitte begründen)?

13. Verfügt die Bundesregierung, außer des im Referentenentwurf genannten
Hamburger Beispiels über verlässliche Zahlen, wie häufig die zuständigen
Landesbehörden die Zustimmungen zu Videoüberwachung verweigert bzw.
die Entfernung von Überwachungssystemen veranlasst haben (falls ja, bitte
ausführen), und falls nein, auf welcher Grundlage geht sie dann davon aus,
die Landesbehörden verfolgten eine zu „restriktive“ Entscheidungspraxis?

14. Welchen Stellenwert will die Bundesregierung der Einführung von Ge-
sichtserkennungssoftware einräumen, welche Schlussfolgerungen zieht sie
aus bisherigen Forschungsprojekten, und inwiefern beabsichtigt sie weitere
Förderungen (bitte umfassend beantworten)?

15. Inwiefern zieht die Bundesregierung Schlussfolgerungen aus der Kritik von-
seiten von Datenschützern und des Deutschen Richterbundes e. V.?

Berlin, den 5. Dezember 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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