BT-Drucksache 18/10475

Nachhaltigkeit im politischen Prozess verankern

Vom 30. November 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10475
18. Wahlperiode 30.11.2016
Antrag
der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Beate Walter-Rosenheimer, Harald
Ebner, Peter Meiwald, Kai Gehring, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn,
Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Christian Kühn (Tübingen), Steffi
Lemke, Dr. Julia Verlinden, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden),
Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nachhaltigkeit im politischen Prozess verankern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland hat seit 2002 eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie, die als Leitstrategie
der Bundesregierung im Kanzleramt verankert ist. Trotzdem ist Nachhaltigkeit als
Leitprinzip noch immer nicht in ausreichendem Maße in allen Politikbereichen erkenn-
bar.
Eine übergeordnete Strategie ist sinnvoll, aber ohne Verknüpfung mit dem Procedere
der politischen Entscheidungsfindung wird sie nicht dazu beitragen, steuernde und ko-
härenzbildende Prozesse zu verstärken. Mit konkreten, strukturellen Maßnahmen muss
Nachhaltigkeit stärker in den politischen Entscheidungsprozess verankert werden. Der
Dreiklang aus ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekten ergibt sich nicht
von selbst, sondern das Aushandeln ist und muss Gegenstand des politischen Prozesses
sein. Deshalb gehört das Prinzip der Nachhaltigkeit ins Zentrum des politischen Pro-
zesses und nicht an den Rand oder sogar ans Ende. Es ist nicht ausreichend, am Ende
eines Gesetzgebungsverfahrens die Nachhaltigkeitsauswirkungen zu beschreiben.
Diese müssen bereits von Beginn an im Verfahren mitgedacht, offengelegt und disku-
tiert werden können, um auch die Möglichkeit zu haben, Regelungen vor Verabschie-
dung noch anzupassen. Zielkonkurrenzen der Nachhaltigkeit müssen offen dargestellt
und auch offen ausdiskutiert werden. Dieses war der ursprüngliche Ansatz und Ziel
bei der Schaffung einer Nachhaltigkeitsprüfung. Nun wird aber ersichtlich, dass in den
Ministerien die Nachhaltigkeitsprüfung immer mehr zu einer bestenfalls lästigen, zu
vernachlässigenden Pflichtaufgabe wird. Politisches Handeln muss sich in der heuti-
gen Zeit in allen Politikfeldern an der Tauglichkeit für nachfolgende Generationen,
d. h. an den Prinzipien der Nachhaltigkeit ausrichten.
Zentral ist die ökologische Komponente, denn ohne intakte Umwelt stehen auch sozi-
ale Verbesserungen und wirtschaftlicher Erfolg auf tönernen Füßen. Der Erhalt der
natürlichen Lebensgrundlagen ist Leitplanke für das politische Handeln.

Drucksache 18/10475 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
II. Der Deutsche Bundestag ergreift dafür vor allem zwei Maßnahmen:

• die Steigerung und Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Fachaus-
schüssen, um mehr Kohärenz im parlamentarischen Handeln herzustellen;

• den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung als einziges parlamen-
tarisches Gremium, das sich primär mit Nachhaltigkeit befasst, durch eine Auf-
nahme in die Geschäftsordnung des Bundestages zu institutionalisieren und zu
verstetigen.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

• die Prüfung von Nachhaltigkeit auch in das Gesetzgebungsverfahren hinein zu
verlagern. Sinnvolle Maßnahmen sind eine prinzipielle Einbindung des Themas
Nachhaltigkeit ins Anhörungsverfahren und eine Evaluation von Regelungen,
Strategien und Gesetzen auf ihre Auswirkungen auf Nachhaltigkeit, mit der Mög-
lichkeit, Gesetze, Regelungen etc. bei schädlichen Nachhaltigkeitsauswirkungen
zu ändern oder auch zu streichen. Besonders ist dabei auf den Erhalt der ökologi-
schen Lebensgrundlagen zu achten;

• das Ressort Umwelt mit einem Initiativrecht außerhalb des eigenen Geschäftsbe-
reiches auszustatten, um umweltpolitische Initiativen in anderen Politikbereichen
anzustoßen. Vorbild dafür ist das Initiativrecht des BMFSFJ und des BMJV. Dar-
über hinaus sollte dem Ressort Umwelt ein Vetorecht im Kabinett zukommen,
wenn es um Fragen von erheblicher ökologischer Bedeutung geht. Ein ähnliches
Modell hat sich u. a. bei Vorhaben mit finanzieller oder rechtspolitischer Bedeu-
tung bewährt;

• dafür Sorge zu tragen, dass Programme und Maßnahmen, die explizit dem Ziel
einer nachhaltigen Entwicklung dienen, mit geeigneten Finanzmitteln ausgestattet
werden, damit diese Programme nicht im Status eines reinen Maßnahmenkatalogs
verbleiben, sondern auch konkret umgesetzt werden können;

• für die Vertiefung und Verbreiterung und eine zuverlässige Berücksichtigung der
Aspekte von Nachhaltigkeit in allen Politikbereichen Nachhaltigkeitsbeauftragte
in allen Ressorts auf der Ebene der Abteilungsleiter oder Unterabteilungsleiter ein-
zurichten. Hier muss gesichert werden, dass diese vor allem koordinierend wirken
können;

• ihrer Berichtspflicht im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie regelmäßig nachzu-
kommen und damit mindestens zweimal in der Legislaturperiode dem Deutschen
Bundestag über den Stand der Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie zu berich-
ten;

• zu prüfen, ob diese Berichte in Form einer Regierungserklärung erfolgen können,
um die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema zu steigern;

• die Gesetzesfolgenabschätzung zu Nachhaltigkeit, die bereits erfolgt, weiterzu-
führen und zu vertiefen. Auch Zielkonkurrenzen und die Konsequenzen von
Nichthandeln sollten dargestellt werden;

• relevante Maßnahmen bereits vor Durchführung auf ihre nationalen und globalen
Nachhaltigkeitsauswirkungen hin zu überprüfen;

• den bewährten Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung zu stärken,
damit dieser sich einem breiten Themenfokus widmen kann;

• die Strukturen zur Messung nachhaltiger Entwicklung weiter zu stärken, u. a. auch
durch mehr personelle Kapazitäten bei der Indikatorenentwicklung und im Statis-
tischen Bundesamt;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10475
• sich möglichst zeitnah nach Verabschiedung der an die Sustainable Development

Goals – SDGs angepassten deutschen Nachhaltigkeitsstrategie einem weiteren
Peer-review-Prozess zu unterziehen, wie er das letzte Mal 2013 durchgeführt
wurde.

Berlin, den 29. November 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Dreißig Jahre nach der wegweisenden Definition der Brundtland-Kommission steckt die praktische Umsetzung
nachhaltiger Politik hierzulande noch in den Kinderschuhen. Mit den internationalen Beschlüssen im Jahr 2015
hat sich ein neues Zeitfenster für transformative und nachhaltige Politik geöffnet, das es zu nutzen gilt. Die UN-
Vollversammlung im September 2015 in New York mit der Verabschiedung der Agenda 2030, die mit ihren 17
nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals, SDGs) den Weg in eine nachhaltige Zukunft
weist und im Dezember dann der Durchbruch in den internationalen Klimaverhandlungen. Bei der COP 21 in
Paris einigte sich die Staatengemeinschaft auf eine Begrenzung der Erderwärmung deutlich unter 2 Grad.
Nachhaltige Politik kann und muss den Schwung der internationalen Beschlüsse nutzen, vor allem gilt es, nach-
haltige Politik hierzulande umzusetzen. Deutschland hat eine institutionalisierte und ausgewogene Nachhaltig-
keitsarchitektur, daran muss man jetzt anknüpfen. Die große Lücke in der Kohärenz zwischen dieser Struktur
und der praktischen Politik der Bundesregierung muss endlich geschlossen werden. Deutschland hat die Chance,
hier eine weltweite Vorreiterrolle einzunehmen, dafür muss aber Nachhaltigkeitspolitik auch relevant für die
Regierungspolitik werden.

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