BT-Drucksache 18/10430

Neuausrichtung der Polizeiorganisation Interpol im Projekt "INTERPOL 2020"

Vom 21. November 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10430
18. Wahlperiode 21.11.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Annette Groth, Inge Höger, Ulla Jelpke,
Jan Korte, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Frank Tempel und der
Fraktion DIE LINKE.

Neuausrichtung der Polizeiorganisation Interpol im Projekt „INTERPOL 2020“

Mit „INTERPOL 2020“ verfolgt die internationale Polizeiorganisation eine Neu-
ausrichtung ihrer Tätigkeiten. Das Projekt wurde im Januar 2015 vom neuen Ge-
neralsekretär und früheren Vizepräsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA),
Jürgen Stock, angestoßen (Plenarprotokoll 18/172). Zu den Zielen von „INTER-
POL 2020“ gehört, die Organisation und ihre Aufgaben, Prioritäten und Struktu-
ren „umfassend zu überprüfen und gegebenenfalls notwendige Veränderungen
anzustoßen“. Das Projekt begann mit einer organisationsinternen Überprüfung im
Generalsekretariat von Interpol. Im Jahr 2016 folgte die Einbindung der 190 Mit-
gliedsländer in einem Konsultationsprozess, der sich in die drei Themenbereiche
„Verwaltung, insbesondere Finanzierung und Organisation“, „Partnerschaften
und Netzwerkbildung“ und „Entwicklung neuer Dienste und technischer Lösun-
gen“ gliederte. Erste Empfehlungen sollten der Generalversammlung von Inter-
pol im November 2016 vorgelegt werden. Auch das BKA hat sich anlässlich der
44. Europäischen Regionalkonferenz von Interpol in Prag zu den Themen bzw.
diesbezüglich aufgeworfenen Fragen mündlich sowie in einer Stellungnahme
auch schriftlich positioniert.
Zu den beschlossenen Neuerungen gehört die Einrichtung eines Postens als Prä-
sident, der den Generalsekretär ergänzen soll. Die Generalversammlung wählte
den chinesischen Minister für Sicherheit und Ordnung, Meng Hongwei, in das
Amt (Pressemitteilung Interpol vom 10. November 2016). Dies sorgt unter Bür-
ger- und Menschenrechtsorganisationen für Kritik und die Besorgnis (New York
Times vom 10. November 2016), da China zu den Ländern gehöre, die Interpol
(etwa über die als „Rotecken“ verteilten internationalen Fahndungsersuchen) zur
politischen Verfolgung von Oppositionellen nutzten. Die Polizeiorganisation darf
jedoch laut Artikel 3 der Interpol-Statuten nicht in Fällen politischer Natur tätig
werden, das Gleiche gilt für militärische, „rassische” oder religiöse Verfolgung.
Interpol gibt hierzu in Einzelfällen selbst entsprechende Hinweise. Von den im
Jahr 2014 über den Interpol-Kanal im BKA eingegangenen 12 632 Ersuchen zur
Festnahme oder Aufenthaltsermittlung hat Interpol beispielsweise in 70 Fällen
einen Artikel-3-Verstoß mitgeteilt (Schriftliche Frage 36 des Abgeordneten
Andrej Hunko auf Bundestagsdrucksache 18/5536). Frühere Zahlen sind nicht
bekannt, da Artikel-3-Verstöße laut dem Bundesministerium des Innern erst seit
dem Jahr 2013 statistisch erfasst würden.
Auf Basis des Berichts einer Arbeitsgruppe, die alle Phasen der Datenverarbei-
tung bei Interpol untersuchte, hat die Generalversammlung hierzu eine Resolution
beschlossen (Pressemitteilung Interpol vom 9. November 2016). Unter anderem

Drucksache 18/10430 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

sollen die Mechanismen zur Supervision gestärkt werden. Die Kontrollkommis-
sion CCF erhält ein neues Statut und soll Interpol zu Vorhaben oder Regularien
bezüglich der Verarbeitung von Personendaten beraten. Eine neue Stelle entschei-
det in einem festgelegten Zeitrahmen über Anfragen zu Auskunftsersuchen oder
Akteneinsicht sowie die Korrektur oder Löschung gespeicherter Daten. Jedoch
sind die Kriterien entsprechender Entscheidungen nicht bekannt.
Im Fokus von „INTERPOL 2020“ steht außerdem der Informationsaustausch
durch die Festigung der Organisation als „Informationsdrehscheibe“ der interna-
tionalen Polizeikooperation durch qualitativ hochwertigen Datenaustausch, poli-
zeiliche Ausbildungsangebote sowie die Entwicklung „praktische[r] Tools“
(Pressemitteilung des Bundesministeriums für Inneres der Republik Österreich
vom 24. Mai 2016). Hierzu gehört die „systematische Sammlung und Speiche-
rung“ biometrischer Daten (Pressemitteilung Interpol vom 9. November 2016).
Lediglich 10 Prozent der Datensätze zu 9 000 „ausländischen Kämpfern“ enthiel-
ten Interpol zufolge beispielsweise Fingerabdrücke und/oder DNA-Daten. Auch
Gesichtsbilder seien kaum in hoher Auflösung verfügbar. Dass diese nicht zur
Gesichtserkennung genutzt werden könnten, bezeichnet der frühere BKA-Vize-
präsident Jürgen Stock als „Schwachstelle“. Möglichkeiten zur Nutzung von In-
terpol-Diensten bestünden etwa in der Einbindung eines „Ereignis-Reaktions-
teams“ („Incident Response Team“) zur Suche bzw. Identifizierung Verdächtiger
mit Hilfe biometrischer Indikatoren. Laut Interpol hätten die Teams beispiels-
weise in Gefängnissen Personen aufgespürt, die in Verbindung mit terroristischen
Anschlägen gestanden haben sollen. Schließlich soll auch das „I-Checkit“-Pro-
gramm zur Abfrage der Interpol-Datenbank gestohlener oder als vermisst gemel-
deter Ausweisdokumente durch Reiseanbieter auf die Schifffahrtsindustrie aus-
geweitet werden. Dies hatte der deutsche Generalsekretär bei der Generalver-
sammlung im letzten Jahr als weitere „strategische Partnerschaften mit dem Pri-
vatsektor“ angekündigt (Pressemitteilung Interpol vom 5. November 2015).
Die nächste Interpol-Generalversammlung soll im November 2017 in Peking
stattfinden, im Jahr 2018 folgt Uganda.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche internen oder externen Arbeitsgruppen oder Institutionen haben nach

Kenntnis der Bundesregierung die Aufgaben, Prioritäten und Strukturen der
Polizeiorganisation im Rahmen des Projekts „INTERPOL 2020“ „umfas-
send“ überprüft (Plenarprotokoll 18/172, Anlage 16)?

2. Welche Vorschläge zu „notwendige[n] Veränderungen“ haben nach Kennt-
nis der Bundesregierung die Arbeitsgruppen oder Institutionen diesbezüglich
gemacht (Plenarprotokoll 18/172, Anlage 16)?

3. Welchen Inhalt hatten die vom BKA anlässlich der 44. Europäischen Regio-
nalkonferenz von Interpol in Prag mündlich sowie anschließend in einer Stel-
lungnahme auch schriftlich vorgetragenen Vorschläge bzw. Positionen hin-
sichtlich des Projekts „INTERPOL 2020“?

4. Welche einzelnen Empfehlungen haben nach Kenntnis der Bundesregierung
die Arbeitsgruppen oder Institutionen der Generalversammlung von Interpol
im November 2016 vorgelegt?

5. Was ist der Bundesregierung über daraus hervorgegangene einzelne Maß-
nahmen oder Pläne des Projekts „INTERPOL 2020“ in den Bereichen „Ver-
waltung, insbesondere Finanzierung und Organisation“, „Partnerschaften
und Netzwerkbildung“ und „Entwicklung neuer Dienste und technischer Lö-
sungen“ bekannt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10430
6. Aus welchen Beweggründen entschloss sich nach Kenntnis der Bundesregie-
rung die Generalversammlung zur Einrichtung eines neuen Präsidenten, und
wie grenzt sich dessen Arbeit zum Generalsekretär ab?

7. Wie hat sich die Bundesregierung zur Wahl des chinesischen Ministers für
Sicherheit und Ordnung, Meng Hongwei, in das Amt verhalten, und wie hat
das BKA hierzu gestimmt?

8. Was ist der Bundesregierung zu den Vorwürfen oder Tatsachen bekannt, in-
wiefern bzw. in welchem Umfang China und Uganda in der Vergangenheit
die Interpol-Fahndungen zur politischen Verfolgung von Oppositionellen
nutzten?

9. Zu wie vielen im Jahr 2015 über den Interpol-Kanal im BKA eingegangenen
Ersuchen zur Festnahme oder Aufenthaltsermittlung hat Interpol einen Arti-
kel-3-Verstoß mitgeteilt?

10. Bei wie vielen der im Jahr 2015 über den Interpol-Kanal im BKA eingegan-
genen Ersuchen zur Festnahme oder Aufenthaltsermittlung haben das BKA
oder das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz selbst ei-
nen Artikel-3-Verstoß gefunden?

11. Wie hat das BKA zu den Anträgen der palästinensischen sowie der kosova-
rischen Regierungen für eine Interpol-Mitgliedschaft gestimmt, und wie be-
gründet sie ihre Entscheidung (Reuters vom 8. November 2016)?

12. Was ist der Bundesregierung über Inhalte eines neuen Statuts der Interpol-
Kontrollkommission CCF bekannt?

13. Bei welcher Stelle können nach Kenntnis der Bundesregierung zukünftig
Anfragen zu Auskunftsersuchen bzw. Akteneinsicht sowie zur Korrektur
oder Löschung gespeicherter Daten eingereicht werden, bzw. welche Stelle
bearbeitet diese Anträge?
a) Nach welchen Kriterien werden die Entscheidungen zu den Anträgen ge-

troffen?
b) Gegenüber welcher bei Interpol angesiedelten Stelle können die Antrags-

stellerinnen und Antragssteller die Bescheide anfechten?
14. Auf welche Weise soll Interpol nach Kenntnis der Bundesregierung zur In-

formationsdrehscheibe der internationalen Polizeikooperation ausgebaut
werden, und welche „praktische[n] Tools“ werden hierzu entwickelt (Pres-
semitteilung des österreichischen Bundesministeriums für Inneres vom
24. Mai 2016)?

15. Wie viele der Datensätze zu 9 000 „ausländischen Kämpfern“ wurden vom
BKA angeliefert, und wie viele dieser Datensätze enthalten
a) Fingerabdrücke,
b) DNA-Daten,
c) (hochauflösende) Gesichtsbilder?

16. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern die Gesichtsbilder
bei Interpol von der Organisation selbst und von den Behörden der Mitglied-
staaten der Europäischen Union mit Verfahren zur Gesichtserkennung verar-
beitet werden können, und welche Technik wird hierfür benutzt?

17. Welche Pläne zur Verbesserung der Verfahren zur Gesichtserkennung sind
der Bundesregierung bekannt?

18. Was ist der Bundesregierung über die Zusammensetzung und Tätigkeiten
von „Ereignis-Reaktionsteams“ („Incident Response Teams“) bekannt?

Drucksache 18/10430 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

19. Mithilfe welcher (biometriebasierten) Technologien übernehmen diese „Er-

eignis-Reaktionsteams“ die Suche bzw. Identifizierung Verdächtiger?
20. Was ist der Bundesregierung über Pläne und Projekte Interpols bekannt, die

Kooperation mit Frontex und Europol zur Bekämpfung von „Migranten-
schmuggel“ weiter auszubauen (Ratsdokument 14546/16)?

21. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, auf welche Weise der Be-
schluss der Interpol-Generalversammlung unter Leitung des früheren Vize-
präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA) umgesetzt werden soll, das
„I-Checkit“-Programm auf die Schifffahrtsindustrie auszuweiten?
a) Welche weiteren Unternehmen außer der Carnival Corporation (Presse-

mitteilung der Carnival Corporation vom 8. Juli 2016) sollen nach derzei-
tigem Stand eingebunden werden?

b) Welche bei Europol hinterlegten Daten sollen von der Schifffahrtsindust-
rie zum Abgleich von Passagierdaten genutzt werden?

c) Über welche Netzwerke sollen entsprechende Abfragen vorgenommen
werden, und wie sind diese gegen Missbrauch gesichert?

22. Welche weiteren Pläne Interpols zum Aufbau „strategische[r] Partnerschaf-
ten mit dem Privatsektor“ (Plenarprotokoll 18/172) sind der Bundesregie-
rung bekannt?

Berlin, den 21. November 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.