BT-Drucksache 18/10429

Immissionsschutz- und Baurecht für die Nutztierhaltung

Vom 22. November 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10429
18. Wahlperiode 22.11.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Christian Kühn (Tübingen), Bärbel Höhn,
Peter Meiwald, Annalena Baerbock, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer,
Steffi Lemke, Dr. Julia Verlinden und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Immissionsschutz- und Baurecht für die Nutztierhaltung

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
(BMUB) hat einen Entwurf für ein Intensivtierhaltungsgesetz vorgelegt. Mit ihm
sollen die negativen Auswirkungen der Massentierhaltung in Deutschland einge-
dämmt werden. Allerdings ist fraglich, ob die im „Entwurf eines Gesetzes zur
Begrenzung und Verminderung der Umweltauswirkungen von Intensivtierhal-
tung“ gemachten Vorschläge sowie die Maßnahmen, die in medialen Ausführun-
gen des BUMB enthalten sind (Quelle: www.topagrar.com/news/Home-top-
News-4351647.html), diesem Anspruch tatsächlich gerecht werden.
Erfordernisse für Änderungen im Bereich der Tierhaltung ergeben sich allein
dadurch, dass in Deutschland derzeit etwa 12,6 Millionen Rinder, 27 Millionen
Schweine, 160,7 Millionen Masthühner und 47,9 Millionen Legehennen leben.
Zusammen mit Schafen, Puten und anderen Nutztieren leben in Deutschland mehr
als doppelt so viele Nutztiere wie Menschen. Hinzu kommt, dass die Zahl der
Betriebe mit Viehbestand in den vergangenen Jahrzehnten stetig gesunken ist,
während die Anzahl der Tiere pro Betrieb zunahm. Daraus ergeben sich unter-
schiedlichste Umweltbelastungen.
So hat sich die Nitratproblematik von Regionen mit intensivem Pflanzenbau in
Regionen mit intensiver Tierhaltung verlagert. Das Ziel der Nationalen Nachhal-
tigkeitsstrategie, den Stickstoffüberschuss bis zum Jahr 2010 auf 80 kg/ha zu be-
grenzen, wurde verfehlt. Der Stickstoffbilanzüberschuss lag im Jahr 2012 bei
rund 96 kg/ha, mit teilweise deutlichen Überschreitungen dieses Wertes in den
Intensivtierhaltungsregionen Nordwestdeutschlands. In Niedersachsen befinden
sich 60 Prozent des Grundwassers in einem schlechten Zustand. In Nordrhein-
Westfalen erreichen rund 40 Prozent des Grundwasserkörpers aufgrund der Nit-
ratbelastung nicht den guten chemischen Zustand.
Auch für die Stickstoffeinträge in die Nordsee ist die Landwirtschaft der Haupt-
verursacher. So wurde für 2006 bis 2008 festgestellt, dass 77 Prozent der Stick-
stoffeinträge in die Fließgewässer des Nordseeeinzugsgebiets diesem Verursa-
cher zugeschrieben werden.
Die Stickstoffüberschüsse in Deutschland und ihre Beeinträchtigungen der
Umwelt haben mittlerweile zu einer Klage wegen der Nichteinhaltung der EU-
Nitratrichtlinie (Richtlinie 91/676/EWG) geführt und ein Vertragsverletzungs-
verfahren bezüglich der Wasserrahmenrichtlinie befindet sich in Vorbereitung.
Während in Deutschland die Emission an Luftschadstoffen aus allen Quellen seit
dem Jahr 1990 für die meisten Schadstoffe reduziert werden konnte, hat sich der
Ausstoß von Luftschadstoffen aus der Landwirtschaft nur geringfügig verringert.

http://www.topagrar.com/news/Home-top-News-4351647.html
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Drucksache 18/10429 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Die Bedeutung der Landwirtschaft als Quelle von Luftschadstoffen nimmt insbe-
sondere in Gebieten mit räumlich konzentrierter Intensivtierhaltung zu. So stam-
men in Deutschland 95 Prozent aller Ammoniak-Emissionen – die sich seit Jahr-
zehnten auf sehr hohem Niveau befinden – aus der Landwirtschaft. Davon entfällt
wiederum der größte Teil der Emissionen mit 81 Prozent auf die Tierhaltung. Das
ist auch der Hauptgrund dafür, dass der Grenzwert der NEC-Richtlinie (Richtlinie
2001/81/EG) in Höhe von 550 kt/Jahr von Deutschland regelmäßig nicht einge-
halten wurde.
Dabei trägt das nach Umwandlung in der Luft gebildete Ammonium in erhebli-
chem Maße zur Stickstoffdeposition und damit zu Eutrophierungs- und Versaue-
rungseffekten und zur Bildung von lungenschädlichem Feinstaub bei. Das erklärt
auch den hohen Anteil der Landwirtschaft bei den Säurebildnern, der im Jahr
2014 auf fast 54 Prozent gestiegen ist, während die SO2- und NOx-Emissionen
aus Verkehr und Industrie zurückgegangen sind. Verdeutlicht wird dieser Zustand
durch ein krasses Missverhältnis: Zum einen stammten 80 Prozent der Ammo-
niak-Emissionen aus der Tierhaltung aus Stall und Lagerstätten, aber nur 2,7 Pro-
zent der Mastschweine- und Aufzuchtferkelplätze und 1,4 Prozent der Sauen-
plätze sind mit Abluftreinigungsanlagen ausgerüstet. Das wirkt sich auch negativ
auf die Artenvielfalt aus: Für die Hälfte aller auf der "Roten Liste" geführten
Pflanzenarten sind hohe Nährstoffeinträge für deren Gefährdung verantwortlich.
Bundesweite Vorgaben fehlen bislang, vielmehr haben grüne Agrarminister in
den Ländern durch so genannte Filtererlässe maßgebliche Regelwerke auf den
Weg gebracht.
Auch an der Klimakrise hat die Tierhaltung einen entscheidenden Anteil. Die
Tierhaltung trägt mit 94,9 Millionen t CO2äqu. bzw. 71 Prozent zum landwirt-
schaftlichen Treibhausgasausstoß bei, wenn die Bereitstellung der Futtermittel in
Deutschland mit berücksichtigt wird.
Die wesentlichen Treibhausgasquellen der Tierhaltung sind die Entstehung von
Methan im Verdauungsprozess, die Lagerung von Wirtschaftsdünger und die Ent-
stehung von Lachgas bei der Verwendung von Wirtschaftsdüngern im Pflanzen-
bau.
Im Jahr 2014 machte das Wirtschaftsdüngermanagement (Lagern und Ausbrin-
gen von Gülle und Festmist) 19,2 Prozent der gesamten Methan-Emissionen aus
der deutschen Landwirtschaft aus.
Dass den schädlichen Umweltwirkungen der Tierhaltung politisch begegnet wer-
den muss, ist angesichts dieser Faktenlage mehr als deutlich. Der „Entwurf eines
Gesetzes zur Begrenzung und Verminderung der Umweltauswirkungen von In-
tensivtierhaltung“ aus dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit (BMUB) und die Ankündigungen in der Presse (Quelle:
www.topagrar.com/news/Home-top-News-4351647.html) hierzu werfen zahlrei-
che Fragen auf.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Emissionsminderungen in der Landwirtschaft sollen nach den Pla-

nungen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit bis wann erreicht werden, und durch welche Maßnahmen (bitte
einzeln auflisten: Maßnahme/voraussichtliche Minderung, getrennt nach
Klimagasen)?

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10429
2. Welche agrarstrukturellen und tierschutzrechtlichen/praktischen Überlegun-
gen sind in die Vorschläge zur Emissionsminderung aus Tierhaltungsanlagen
bislang eingeflossen, und welche Rolle misst die Bundesregierung diesen im
weiteren Verfahren zu (z. B. über die Einführung eines Abwägungsgrundes
Tierschutz im Genehmigungsverfahren)?

3. Sieht die Bundesregierung aktuell eine genehmigungsrechtliche Schieflage
zwischen Haltungen mit und ohne Auslauf zulasten von Außenklimaställen
(z. B. durch die Annahme extrem hoher pauschaler Emissionswerte bei Au-
ßenklimaställen im Genehmigungsverfahren)?
Wenn ja, welche, und mit welchen rechtlichen Änderungen plant sie, diese
zu beseitigen?

4. Inwiefern hält die Bundesregierung eine Haltung mit Auslaufmöglichkeit
mittelfristig für alle Tierarten und Nutzungsformen für erstrebenswert?

5. Welche Reduktion der Nutztierbestände müsste aus Sicht der Bundesregie-
rung mittelfristig erreicht werden, um unter den Bedingungen einer Auslauf-
haltung die Klima- und Luftreinhalteziele nicht zu überschreiten?

6. Wodurch wird die vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit angekündigte Schließung der sogenannten Schlupflö-
cher im Artikel 1 Nummer 2 „Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung und
Verminderung der Umweltauswirkungen von Intensivtierhaltung“ im § 35
Absatz 1a des Baugesetzbuches (BauGB) erreicht, die auf die Kumulation
im Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung zurückgeht?

7. Welche Tierplatzzahlen sollen also künftig den Ausschlag für die Notwen-
digkeit eines Bebauungsplanes ergeben, wenn eine Betriebserweiterung ge-
plant ist und die Auslöseschwelle für die Aufstellung eines Bebauungsplanes
durch eine Betriebserweiterung überschritten wird?

8. Wie begründet das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit die unterschiedlichen Tierplatzzahlen für die Pflicht zur
Aufstellung eines Bebauungsplanes zwischen Truthühnern und Hennen
(15 000) sowie Mastgeflügel und Junghennen (30 000)?

9. Welche Gründe führt das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit an, die Schwellenwerte für Tierhaltungsanlagen im
Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung und der Vierten Verordnung
zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, nicht reduzieren
zu wollen, um den Umweltbelastungen dieser Anlagen besser gerecht wer-
den zu können und Öffentlichkeitsbeteiligungen im immissionsschutzrecht-
lichen Genehmigungsverfahren schon bei einer geringeren Tierplatzzahl
durchzuführen zu müssen?

10. Wie will das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit verhindern, dass das im Artikel 5 des „Entwurfes eines Gesetzes
zur Begrenzung und Verminderung der Umweltauswirkungen von Intensiv-
tierhaltung“ festgelegte Inkrafttreten und die damit verbundene Übergangs-
frist von sieben Monaten des im Artikel 3 Nummer 1b formulierten Grün-
landumbruchverbotes zu vorgezogenen Grünlandumbrüchen genutzt wer-
den?

11. Welche Gesetzesänderungen plant das Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, um die Bürgerbeteiligung in Ge-
nehmigungsverfahren für Tierhaltungsanlagen zu verbessern, wie in der
Presse angekündigt (Quelle: www.topagrar.com/news/Home-top-News-435
1647.html)?

http://www.topagrar.com/news/Home-top-News-4351647.html
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Drucksache 18/10429 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

12. Welche konkreten Änderungen in der Technischen Anleitung zur Reinhal-

tung der Luft plant das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit, und welche Emissionsminderungen werden damit vo-
raussichtlich erreicht?

13. Für welche Tierhaltungen/Nutzungsformen soll der Einbau von Abgasreini-
gungsanlagen festgeschrieben werden, für welche nicht (bitte begründen)?

14. Welche Übergangsfristen sind die für die Nachrüstung mit Abgasreinigungs-
anlagen, Reduktion von Tierplatzzahlen und Indoor-Emissionsreduktions-
maßnahmen geplant, und wie werden diese begründet (bitte unterteilt nach
Tierhaltung und Art der genannten Maßnahmen)?

15. Von welchen Kosten pro Tierhaltungsplatz geht die Bundesregierung bei
Neubau oder Nachrüstung jeweils aus?
Welche Fördermöglichkeiten für welche Betriebe stehen zur Verfügung oder
sind geplant?

16. Welche auf Landesebene bereits bestehenden Vorgaben zum Umgang mit
Gerüchen und Immissionen will das Bundesministerium für Umwelt, Natur-
schutz, Bau und Reaktorsicherheit wie und bis wann in der Technischen An-
leitung zur Reinhaltung der Luft bundeseinheitlich verankern?

Berlin, den 21. November 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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