BT-Drucksache 18/10392

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2017 (Haushaltsgesetz 2017) - Drucksachen 18/9200, 18/9202, 18/9824, 18/9825, 18/9826 - hier: Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Vom 21. November 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10392
18. Wahlperiode 21.11.2016
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, Jan
van Aken, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, Dr. Diether Dehm, Annette
Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Dr. Alexander
S. Neu, Dr. Petra Sitte, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 18/9200, 18/9202, 18/9824, 18/9825, 18/9826 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2017
(Haushaltsgesetz 2017)

hier: Einzelplan 23

Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Welt steht angesichts der stark zunehmenden sozialen Ungleichheit, immer
verheerenderer Krisen und Konflikte, immer bedrohlicher werdender Auswirkun-
gen des Klimawandels und der daraus resultierenden massiven Fluchtbewegungen
weltweit vor enormen Herausforderungen. Das muss sich auch in den kommenden
Haushalten wiederspiegeln. Eine Erhöhung der Mittel für die Entwicklungszusam-
menarbeit (EZ) muss dabei einhergehen mit einer grundlegenden Neuausrichtung
der Außen-, Wirtschafts-, Agrar-, Migrations- und Handelspolitik im Sinne einer
friedlichen Außenpolitik und solidarischen Zusammenarbeit. Auswärtige Politik
gegenüber den Ländern des Globalen Südens muss sich im Wesentlichen kohärent
an entwicklungs-, menschenrechtlichen und friedenspolitischen Maßstäben orien-
tieren – nicht zuletzt zur Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele (SDG).

2. Deutschland und die NATO-Partner sind durch ihre Kriegspolitik verantwortlich
für die destabilisierten Länder im Mittleren Osten und Nordafrika. Die Europäi-
sche Union (EU) trägt mit ihrer zerstörerischen Freihandelspolitik, darunter den
sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA), eine herausgehobene

Drucksache 18/10392 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Mitverantwortung für die aktuellen weltweiten Fluchtbewegungen. Als Hauptver-
ursacher des Klimawandels sowie als ehemalige Kolonialmetropolen stehen sie in
der Verantwortung und Pflicht, ihren Beitrag für den Aufbau einer gerechteren
Welt und ein Leben in Würde für alle zu leisten. Hierbei ist die EZ ein wichtiges
Instrument, wobei sich auf einzelnen ihrer Felder ganz direkt entscheidet, ob Men-
schen in den Ländern des Südens Perspektiven für sich sehen oder ob sie gezwun-
gen sind, ihre Heimat zu verlassen, um für sich und ihre Familien das Überleben
zu sichern – das gilt insbesondere für die Situation von Kriegsflüchtlingen, die
sich über Jahre in den Zufluchtsländern aufhalten müssen und dort Perspektiven
für ihre Kinder aufbauen wollen. Deshalb muss die EZ sich auf die Bekämpfung
sozialer Ungleichheit, die Stärkung staatlicher Funktionen, auf Bildung und Infra-
strukturausbau und Beschäftigung konzentrieren.

3. Über mehrere Jahre sind die Sonderinitiativen im Einzelplan 23 überproportional
stark angewachsen. Damit wird verstärkt auf eine Themenorientierung statt der
üblichen Länder- und Instrumentenorientierung gesetzt, deren Zusatznutzen nicht
erkennbar und grundsätzlich zweifelhaft ist. Die Sonderinitiative „Fluchtursachen
bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren“ ist in ihrer jetzigen Ausgestaltung ein zu-
sätzliches Instrument der Übergangshilfe, was wenig Sinn macht und deshalb in
die entsprechenden Haushaltstitel des Einzelplans 23 überführt werden muss. Auf
keinen Fall dürfen diese Mittel künftig für die verstärkte Finanzierung von Maß-
nahmen der Grenzsicherung, Fluchtabwehr und Migrationskontrolle zweckent-
fremdet werden, wie es derzeit schon mit Mitteln des Europäischen Entwicklungs-
fonds (EEF) unter anderem über die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zu-
sammenarbeit (GIZ) als Durchführungsorganisation des Programms „Better Mig-
ration Management“ geschieht. Dem muss entschieden entgegengetreten werden,
da sie die eigentlichen Fluchtursachen nicht bekämpfen, sondern die menschen-
rechtliche Situation dieser Menschen eher noch verschlechtern.

4. Der im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Mittelaufwuchs für die
EZ reicht bei weitem nicht aus, um der Verpflichtung Deutschlands gerecht zu
werden. Der Pfad zum wiederholt abgegebenen Versprechen, 0,7 Prozent des
Bruttonationaleinkommens (ODA-Quote) für EZ und humanitäre Hilfe bereitzu-
stellen, muss sich konkret im Haushalt abbilden und das Ziel bis 2020 erreicht
sein. Hierfür müssen die deutschen ODA-Mittel auf dann jährlich mindestens 22
Mrd. Euro ansteigen. Dafür braucht es einen Stufenplan mit einem Mittelaufwuchs
von im Durchschnitt 2 Mrd. Euro pro Jahr von 2017 bis 2020.

5. Der Aufwuchs muss im Wesentlichen im Einzelplan 23 erfolgen, um die maßgeb-
liche Rolle der EZ innerhalb der ODA wiederherzustellen. Nur so kann gewähr-
leistet werden, dass die ODA-Quote die realen Anstrengungen um strukturelle
Verbesserungen in den Ländern des Südens abbildet. Die derzeitige Praxis der
Anrechnung von sachfremden Kosten auf die ODA-Quote ohne jeglichen ent-
wicklungspolitischen Bezug, wie die Mehraufwendungen für Flüchtlinge, Stu-
dienplatzkosten für Studierende aus Ländern des Südens etc., führt zu einer zu-
nehmenden Verzerrung der ODA-Quote. 2015 machten allein die für Asylsu-
chende angerechneten Kosten 0,9 Prozent von der offiziell ausgewiesenen 0,52-
Prozent-ODA-Quote aus. Für 2016 geht die Bundesregierung von 0,17 Prozent,
für 2017 von 0,2 Prozent ODA-Ausgaben allein für Asylsuchende in Deutschland
aus. 2015 lag der BMZ-Haushalt schon bei weniger als der Hälfte der Gesamt-
ODA-Zahlungen (ca. 16 Mrd. Euro). Diese Praxis der Zweckentfremdung von
ODA-Mitteln muss gestoppt werden.

II. Einzelplan 23 – Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung – wird für 2017 insgesamt um 2,236 Mrd. Euro gegenüber 2016 aufge-
stockt. Die Summe der Verpflichtungsermächtigungen wird um 2,093 Mrd. Euro
gegenüber dem Entwurf zum Bundeshaushaltsplan 2017 erhöht.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10392
III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

a) einen Stufenplan bis zum Frühjahr 2017 vorzulegen, in welchem zur Erreichung
des Ziels, die ODA-Quote bis 2020 auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkom-
mens (BNE) anzuheben, der einen durchschnittlichen Aufwuchs von 2 Mrd. Euro
pro Jahr im Einzelplan 23 vorsieht, und den Finanzplan bis 2020 entsprechend zu
ändern;

b) diesen Stufenplan zur Grundlage für die Erstellung des Kabinettsentwurfs für den
Haushaltsplan 2018 zu machen;

c) die Praxis der Anrechnung von sachfremden Kosten auf die ODA-Quote, wie die
Mehraufwendungen für Flüchtlinge, Studienplatzkosten für Studierende aus Län-
dern des Südens etc., zu stoppen und die maßgebliche Rolle des BMZ innerhalb
der ODA wiederherzustellen;

d) den Charakter der Sonderinitiativen als kurzfristiges Instrument zu wahren und ab
dem Bundeshaushalt für 2018 die für die drei bestehenden Sonderinitiativen vor-
gesehenen Mittel und die hierüber initiierten Programme in die entsprechenden
Haushaltstitel des Einzelplans 23 zu überführen;

e) für die Verwendung von ODA-Mitteln eine strikte Zivilklausel einzuführen, die
die Verwendung der Mittel im Rahmen von sicherheitspolitischer oder zivil-mili-
tärischer Zusammenarbeit ausschließt, und in der EU sich für eine entsprechende
Zivilklausel für den Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) einzusetzen, die un-
ter anderem die weitere Finanzierung der Afrikanischen Friedensfazilität über den
EEF beendet und eine künftige Kofinanzierung der militärisch dominierten Au-
ßenpolitik der EU nicht zulässt;

f) die Bekämpfung von Fluchtursachen und das Menschenrecht, nicht migrieren zu
müssen, in den Mittelpunkt der deutschen Entwicklungs-, Außen-, Handels- und
Wirtschaftspolitik zu stellen und die Verwendung von ODA-Mitteln zur Flucht-
abwehr und Migrationskontrolle auszuschließen. Unmittelbar muss sich die Bun-
desregierung hierzu bei der EU für einen Stopp des Abschlusses weiterer EPAs
und die Neuverhandlung bereits abgeschlossener Verträge im Sinne der Schaffung
von Ernährungssouveränität und von lokalen und regionalen Wertschöpfungsket-
ten einsetzen;

g) dabei folgende Schwerpunkte zu setzen:
– Die konsequente Einhaltung und Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozi-

alen und kulturellen Menschenrechte müssen gewährleistet werden und hier-
bei muss der Aufbau funktionierender staatlicher Versorgungs- und Sicher-
heitssysteme (Gesundheit, Bildung, Soziales, Altersversorgung) im Mittel-
punkt der EZ mit den Ländern des Südens stehen.
– Die sektorale und allgemeine Budgethilfe und die programmorientierte

Gemeinschaftsfinanzierung (PGF) sind hierbei wichtige Instrumente,
auch um Demokratie und Transparenz zu stärken;

– das Instrument von sozialen Geldtransfers (social cash transfer pro-
grammes – CTP) hat sich in der Praxis als wirkungsvoll erwiesen, mi-
nimiert die Transferkosten deutlich und wird deshalb stark ausgeweitet;

– die bilaterale EZ ist entsprechend auszurichten, die Beiträge an interna-
tionale Organisationen in diesen Bereichen sind deutlich anzuheben
(insbesondere für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen
– UNDP –, den Fonds Global Partnership for Education – GPE-Fund –
und das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF).

Drucksache 18/10392 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

– Der Zivile Friedensdienst (ZFD) als Instrument der zivilen Krisenprävention
und Konfliktbearbeitung muss gestärkt werden und hierfür müssen bis 2020
die Mittel von derzeit 42 Mio. Euro mindestens verdoppelt und zusätzlich
eine Anschubfinanzierung für die Einrichtung eines Europäischen ZFD und
die Förderung des Aufbaus eines Afrikanischen ZFD bereitgestellt werden.

– Der Ansatz im Titel für Krisenbewältigung und Wiederaufbau/Infrastruktur
sowie der Sockelbetrag für das Welternährungsprogramm (WFP) müssen an-
gesichts der wachsenden Herausforderungen und des großen Bedarfs und vor
dem Hintergrund, dass in lang andauernden Konflikten und nach Konflikten
die unmittelbare humanitäre Nothilfe in Übergangshilfe überführt werden
muss (z. B. für den Aufbau sozialer Infrastrukturen und eines Bildungssys-
tems) zusammen mindestens verdoppelt werden. Hierbei soll der Sockelbe-
trag für das WFP auf 250 Mio. Euro angehoben werden.

– Die Finanzierungsansätze müssen zur Einhaltung der international geleiste-
ten Zusagen zum Klimaschutz deutlich erhöht werden, wobei die Finanzie-
rung des zweifelhaften Waldschutzinstruments REDD+ zu stoppen ist. Die
Bundesregierung soll sich dafür einsetzen, dass ein globaler Kompensations-
fonds für Klimaschäden und die bis heute nachwirkenden negativen Folgen
des Kolonialismus eingerichtet wird, in den Deutschland neben den anderen
Industrieländern und ehemaligen Kolonialmetropolen eine angemessene An-
schubfinanzierung bereitstellt. Hierüber soll in erster Linie der Transfer kli-
mafreundlicher und nachhaltiger Technologien und Infrastruktur in die Län-
der des Globalen Südens finanziert werden.

– Die Förderung der Ernährungssouveränität in den Ländern des Globalen Sü-
dens muss zur Priorität erhoben werden. Hierbei ist eine Förderung der Ag-
roindustrie auszuschließen und stattdessen auf eine Stärkung von Kleinbäu-
erinnen und Kleinbauern zu setzen.

– Die entwicklungspolitische Bildungsarbeit in Deutschland spielt eine wich-
tige Rolle bei der Vermittlung von anderen Kulturen, Weltoffenheit und dem
Kampf gegen Rassismus. Sie ist auch ein wichtiges Instrument auf dem Weg
zur Umsetzung der SDG in Deutschland, die mit einem Mentalitätswandel
einhergehen muss. Durch den verstärkten Zuzug von Flüchtlingen und Mig-
rantinnen und Migranten nimmt ihre Bedeutung noch einmal zu. Deshalb
müssen die Mittel hierfür um mindestens 10 Mio. Euro gegenüber 2016 an-
wachsen, wovon zum weitgehend überwiegenden Teil zivilgesellschaftliche
Projekte zu fördern sind. Um einen tatsächlichen Dialog auf Augenhöhe zu
ermöglichen, müssen künftig auch Übersee-Reisekosten finanziert werden
können.

– Entwicklungspolitische Wirtschaftsförderung muss kleine und mittlere Un-
ternehmen (KMU) in Ländern des Globalen Südens entlang der wirtschafts-
politischen Prioritäten dieser Länder fördern und nicht deutsche Unterneh-
men subventionieren. Die bisherige „Entwicklungspartnerschaft mit der
Wirtschaft“ tut genau dies zudem noch über das hoch umstrittene Instrument
der Öffentlich-Privaten Partnerschaft (ÖPP), bei dem die Intransparenz hoch
und der entwicklungspolitische Nutzen fragwürdig und nicht nachgewiesen
ist. Deshalb ist Titel 687 01 kontinuierlich zurückzubauen.

Berlin, den 21. November 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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