BT-Drucksache 18/10293

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung - Drucksachen 18/9960, 18/10244 - Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016

Vom 8. November 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10293
18. Wahlperiode 08.11.2016
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Jan
van Aken, Christine Buchholz, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Inge Höger,
Andrej Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Niema Movassat, Alexander Ulrich
und der Fraktion DIE LINKE.

zur der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 18/9960, 18/10244 –

Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher
Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen
durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Charta der
Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages
über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015),
2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie des
Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am
8./9. Juli 2016

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Vor knapp einem Jahr begann der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Mis-
sion „Counter Daesh“ – der US-geführten Koalition gegen den „Islamischen
Staat“ (IS). Die Bundeswehr nimmt mit Aufklärungs-Tornados, Tankflugzeugen
und einer Fregatte an dieser Mission teil. Das angebliche Ziel, dass die Bundes-
regierung laut Mandatstext mit ihrer Teilnahme vorgibt anzustreben, ist weiter
entfernt denn je. Ganz im Gegensatz zum Versprechen des alten wie neuen Man-
datstextes, mit dem militärischem Vorgehen „terroristische Handlungen zu ver-
hüten oder zu unterbinden“, ist der weltweite islamistische Terror keineswegs ge-
schwächt. Die Bombardements von Rakkah und das jetzige militärische Vorge-
hen in Mossul zeigen überdies, dass auch die Anti-IS-Koalition selbst zivile Op-
fer zur Erreichung politischer Ziele in Kauf nimmt. Die Bundesregierung und ihre
Mit-Koalitionäre verweigern sich der Erkenntnis, dass das Problem des islamis-
tischen Terrorismus nicht militärisch zu lösen ist. Im Gegenteil: Seit dem Beginn
des Einsatzes über Syrien und dem Irak wurde die deutsche Öffentlichkeit von

Drucksache 18/10293 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

offizieller Seite über die Realität des Einsatzes im Dunkeln gelassen. Wie die
Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage zugibt, führt sie z. B.
„keine Statistiken über die Zahl, Art oder Wirksamkeit der im Rahmen der Alli-
anz geflogenen Lufteinsätze“ und kann deshalb kein „umfassendes Bild über die
[…] Wirksamkeit der Lufteinsätze erstellen“ (BT-Drs. 18/9162). So gibt sie auch
nicht z. B. über die Anzahl ziviler Opfer Auskunft. Ungeachtet dessen fordert die
Bundesregierung nun nicht nur die Fortsetzung dieser Mission, sondern deren
Ausweitung durch die Beteiligung von AWACS-Maschinen der NATO, die zur
militärischen Aufklärung dienen. Bundeswehrangehörige machen einen großen
Teil der AWACS- Besatzungen aus.

2. Die Verlängerung des Mandats und insbesondere auch seine Erweiterung auf die
Aufklärung durch NATO-Flugzeuge sind politisch unverantwortlich. Der A-
WACS-Einsatz bedeutet den faktischen Eintritt des westlichen Bündnisses in die-
sen Krieg, und damit eine weitere Eskalation des US-angeführten sogenannten
„Kriegs gegen den Terror“. Die AWACS-Aufklärungsfähigkeiten reichen weit in
den syrischen und irakischen Luftraum hinein, auch wenn der Einsatz physisch
nur im NATO-Luftraum und im internationalen Luftraum stattfindet. Zudem
steigt damit das Risiko eines direkten militärischen Aufeinandertreffens mit
Russland in Syrien. Angesichts der verstärkten Präsenz russischer Truppen in Sy-
rien erhöht eine NATO-Präsenz die Gefahr, dass es zu einer direkten militäri-
schen Konfrontation im syrischen oder angrenzenden Luftraum kommt, mit un-
absehbaren Konsequenzen. Der Abschuss eines russischen Kampfjets durch die
Türkei im November letzten Jahres zeigt, wie leicht eine solche Situation, ob ab-
sichtlich oder unabsichtlich, herbeigeführt werden kann. Angesichts der Wahr-
scheinlichkeit einer solchen Zuspitzung hatte die Bundesregierung selbst zuerst
ablehnend auf diesen Vorschlag der NATO reagiert (vgl. Protokoll Bundespres-
sekonferenz AA und BMVg vom 22.1.2016). Im Antragstext begründet die Bun-
desregierung nicht, warum sie ihre Haltung hierzu nunmehr ins Gegenteil ver-
kehrt hat. Vor diesem Hintergrund muss nicht nur, wie laut Mandatstext, die Prä-
senz des IS, sondern gleichermaßen das Eingreifen der NATO als Bedrohung für
den Weltfrieden im Sinne der UN-Charta angesehen werden. Mit der AWACS-
Stationierung in der Türkei bestärkt die NATO überdies die völkerrechtswidrige
Politik der Regierung Erdogan in Syrien und dem Irak. Im Vertrauen auf die
dadurch ausgedrückte politische Solidarität der NATO-Staaten kann Ankara noch
hemmungsloser gegen die kurdischen Gebiete in Nord-Syrien, Irak und die kur-
dische Minderheit im eigenen Land vorgehen. Es ist auch nicht auszuschließen,
dass eventuell bereits vorhandene Fähigkeiten der AWACS-Flotte bei der Boden-
aufklärung von der Türkei zu diesem Zweck genutzt werden können. Durch die
Verlegung der AWACS-Flugzeuge mit überwiegend deutschen Besatzungen
würde auch die Bundesregierung selbst der türkischen Regierung eine Legitima-
tion für ihre Politik der Repression und des militärischen Vabanquespiels verlei-
hen.

3. Die rechtliche Argumentation des aktuellen Mandatsantrags stützt sich weiterhin
auf die Idee einer militärischen Beistandspflicht nach dem islamistischen Attentat
in Paris im November 2015. Diese Argumentation ist völkerrechtswidrig und
vom Grundgesetz nicht gedeckt. Es wird nicht hinreichend dargelegt, warum ein
von französischen und belgischen Staatsbürgern in Paris verübtes Gewaltverbre-
chen anstatt einer polizeilichen Reaktion einen militärischen Beistand nach Arti-
kel 51 UN-Charta in Form eines Angriffs auf syrisches und irakisches Territorium
rechtfertigen soll. Der Antrag der Bundesregierung kann auch nicht glaubhaft
machen, innerhalb welchen Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit gemäß
Artikel 24 Absatz 2 GG die Bundeswehr hier angeblich agiert. Des Weiteren ist
der Anti-IS-Krieg der Mission auf syrischem Territorium ohnehin völkerrechts-
widrig: Eine Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat unter explizitem Bezug

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10293

auf Kapitel VII der UN-Charta liegt bis heute nicht vor und die syrische Regie-
rung wurde nicht angefragt. Darüber hinaus zeigt die Kontroverse über Besuchs-
rechte der Abgeordneten des Deutschen Bundestages bei den in Incirlik statio-
nierten Einheiten der Luftwaffe, dass keine Gewähr besteht, dass die türkische
Regierung eine kontinuierliche parlamentarische Kontrolle der entsendeten Ein-
heiten ermöglichen wird. Auch der vorliegende Antrag der Bundesregierung gibt
hier keinerlei Garantien. Schließlich ist die Beteiligung am US-geführten Anti-
IS-Einsatz auch deshalb zu beenden, weil Deutschland schon aus historischen
Gründen keine Kriegspartei im Nahen Osten sein darf.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. alle in der Türkei stationierten Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr unver-
züglich abzuziehen und den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Syrien
und Irak nicht zu verlängern. Der Bundestag erteilt kein neues Mandat für diese
Mission;

2. die Zusage der Bundesregierung auf die Gestellung von Soldaten der Bundeswehr
für den auf dem Warschauer NATO-Gipfel beschlossenen Einsatz der AWACS-
Flugzeuge zurückzunehmen. Die Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an A-
WACS-Überflügen über der Türkei ist auszuschließen;

3. im NATO-Rat ihr Veto gegen jegliches Eingreifen der NATO als Bündnis in den
Syrienkonflikt oder sein Umfeld einzulegen;

4. im NATO-Rat ihr Veto gegen jegliche Maßnahmen der militärischen Unterstüt-
zung für die Türkei im Rahmen der sogenannten „Maßnahmen der Rückversiche-
rung“ einzusetzen und sich umgehend mit einer diplomatischen Initiative für ei-
nen Waffenstillstand und die Aufnahme von Verhandlungen zwischen allen dazu
bereiten Konfliktparteien in Syrien einzusetzen, als einzigen Weg zur Beendi-
gung dieses Krieges.

Berlin, den 8. November 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.