BT-Drucksache 18/10175

zu dem Antrag der Abgeordneten Andrej Hunko, Azize Tank, Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 18/4092 - 50 Jahre Europäische Sozialcharta - Deutschlands Verpflichtungen einhalten und die Sozialcharta weiterentwickeln

Vom 31. Oktober 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10175
18. Wahlperiode 31.10.2016

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union
(21. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Andrej Hunko, Azize Tank, Katja Kipping,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 18/4092 –

50 Jahre Europäische Sozialcharta - Deutschlands Verpflichtungen einhalten
und die Sozialcharta weiterentwickeln

A. Problem
Der Antrag der Fraktion DIE LINKE. kritisiert, Deutschland gewährleiste nicht
alle Rechte der Europäischen Sozialcharta. Berichte des Europäischen Ausschus-
ses für Soziale Rechte des Europarates belegten, in welchen Bereichen Deutsch-
land seine völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht erfülle.

Zudem weisen die Antragsteller darauf hin, dass die Bundesregierung das Zusatz-
protokoll über Kollektivbeschwerden (SEV-Nummer 158) aus dem Jahr 1995
nicht unterzeichnet habe und die Ratifikation der 1999 in Kraft getretenen revi-
dierten Fassung der Europäischen Sozialcharta (SEV-Nummer 163) in Deutsch-
land noch ausstehe.

Im Zuge der Finanzkrise seit 2009 habe die Bundesregierung zudem in anderen
europäischen Staaten auf einen Abbau sozialer Rechte hingewirkt und trage Ver-
antwortung durch ihre Mitwirkung im Gouverneursrat des Europäischen Stabili-
tätsmechanismus (ESM).

Die Bundesregierung wird aufgefordert, den Gesetzentwurf zur Ratifizierung der
revidierten Europäischen Sozialcharta vorzulegen, den Ratifizierungsprozess des
Zusatzprotokolls über Kollektivbeschwerden (SEV-Nummer 158) einzuleiten so-
wie weitere Maßnahmen vorzunehmen.

B. Lösung
Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN.

Drucksache 18/10175 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

C. Alternativen
Keine.

D. Kosten
Wurden im Ausschuss nicht erörtert.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10175
Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 18/4092 abzulehnen.

Berlin, den 28. September 2016

Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Gunther Krichbaum
Vorsitzender

Dr. Martin Pätzold
Berichterstatter

Angelika Glöckner
Berichterstatterin

Andrej Hunko
Berichterstatter

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Berichterstatter

Drucksache 18/10175 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Bericht der Abgeordneten Dr. Martin Pätzold, Angelika Glöckner, Andrej Hunko und
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn

I. Überweisung

Der Deutsche Bundestag hat die Vorlage auf Drucksache 18/4092 in seiner 88. Sitzung am 26. Februar 2015
beraten und an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union zur federführenden Beratung und
an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, den Ausschuss für Arbeit und Soziales, den Ausschuss für
Gesundheit und den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

Mit dem Antrag soll der Deutsche Bundestag die Bundesregierung dazu auffordern, eine Reihe von Maßnahmen
zu ergreifen, um die Einhaltung und Weiterentwicklung der Europäischen Sozialcharta in Deutschland zu ge-
währleisten. Die 1965 in Kraft getretene Europäische Sozialcharta sei neben der Europäischen Menschenrechts-
konvention (EMRK) ein rechtsverbindliches Instrument zum Schutz der Menschenrechte. Die in der Europäi-
schen Sozialcharta geschützten Rechte würden auch von der EU-Grundrechtecharta bekräftigt und sowohl vom
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als auch vom Europäischen Gerichtshof (EUGH) bei der
Rechtsauslegung herangezogen.

Die Antragsteller kritisieren, Deutschland gewährleiste nicht alle Rechte der Sozialcharta. Der Europäische Aus-
schuss für Soziale Rechte dokumentiere, dass insbesondere das Streikrecht aus Artikel 6 Absatz 4, das Recht auf
gleichen Lohn für Frauen und Männer aus Artikel 4 Absatz 3, das Recht auf faire Bezahlung aus Artikel°4 Ab-
satz°1 nicht eingehalten würden und Deutschland Abschiebungen erlaube, die die Schranken des Artikels 19 Ab-
satz 8 verletzten.

Die revidierte Fassung der Europäischen Sozialcharta (SEV-Nummer 163) sehe weitergehende soziale Grund-
rechte wie beispielsweise das Recht auf eine Wohnung oder den besonderen Schutz vor Armut auf europäischer
Ebene vor. Eine Ratifizierung stehe aus und sei von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates wie-
derholt gefordert worden.

Seit der Finanzkrise 2009 habe die Bundesregierung über die Mitwirkung an Entscheidungen des Gouverneursrats
in anderen europäischen Staaten auf einen Abbau sozialer Rechte hingewirkt. Schließlich machen die Antragstel-
ler geltend, die Antworten vieler Unterzeichnerstaaten der Europäischen Sozialcharta und der EU auf die
Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrise hätten gezeigt, dass die Instrumente zum Schutz sozialer Rechte aus der
Konvention nicht ausreichten, deren Einschränkung zu verhindern. Die Antragsteller fordern eine Reform der
Kontrollmechanismen und die Wiederherstellung von eingeschränkten oder verletzten Rechten.

Der Deutsche Bundestag solle deshalb die Bundesregierung u. a. auffordern,

- dem Bundestag einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung der revidierten Europäischen Sozialcharta (SEV-Nummer
163) und jährlich Berichte über diesbezügliche Fortschritte vorzulegen,

- das Zusatzprotokoll über Kollektivbeschwerden (SEV-Nummer 158) zu unterzeichnen und einen Gesetzentwurf
zur Ratifizierung vorzulegen,

- einen Reformprozess zur Verbesserung des Schutzes sozialer Rechte und zur Weiterentwicklung der Sozial-
charta einzuleiten,

- ein Konzept für eine Reform des Europäischen Ausschusses für Soziale Rechte zu erarbeiten,

- sich für eine Konferenz der Mitgliedstaaten des Europarates zur Auswertung und Korrektur der Sparpolitik der
letzten fünf Krisenjahre einzusetzen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/10175

III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat die Vorlage 18/4092 in seiner 112. Sitzung am 28. Sep-
tember 2016 beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Antrag abzulehnen.

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat die Vorlage 18/4092 in seiner 86. Sitzung am 28. September 2016
beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Antrag abzulehnen.

Der Ausschuss für Gesundheit hat die Vorlage 18/4092 in seiner 89. Sitzung am 28. September 2016 beraten
und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE
LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Antrag abzulehnen.

Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe hat die Vorlage 18/4092 in seiner 69. Sitzung am
27. September 2016 beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Antrag abzulehnen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im federführenden Ausschuss

Am 10. Juni 2015 führte der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union eine öffentliche Anhö-
rung zur Europäischen Sozialcharta, zur Arbeit des Europäischen Ausschusses für Soziale Rechte, der revidierten
Europäischen Sozialcharta und des Zusatzprotokolls sowie zur Kontrolle und Gewährleistung sozialer Rechte in
Deutschland durch. Hierzu waren Prof. Dr. Michael Eilfort, Vorsitzender der Stiftung Marktwirtschaft, Helga
Nielebock, Leiterin der Abteilung Recht, Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und Klaus Lörcher, ehemaliger
Justitiar des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) eingeladen.

Im Verlauf der Anhörung wurden die Entscheidungsfindung auf der Grundlage von Berichten des Europäischen
Ausschusses für Soziale Rechte, dessen Spruchpraxis und demokratische Legitimation sowie Fragen, wie das
Streikrecht für Beamte und die Kollektivbeschwerde beraten. Des Weiteren wurde über die Bedeutung der Rati-
fizierung der revidierten Europäischen Sozialcharta und ihrer Protokolle diskutiert.

Die Stellungnahmen der Sachverständigen Klaus Lörcher (Ausschussdrucksache 18(21)55), Helga Nielebock
(Ausschussdrucksache 18(21)56) und Prof. Dr. Michael Eilfort (Ausschussdrucksache 18(21)57) wurden verteilt.

Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union hat die Vorlage in seiner 69. Sitzung am
28. September 2016 beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Antrag abzulehnen.

Die Fraktion DIE LINKE. begründete den Antrag, der anlässlich des 50. Jahrestages des Inkrafttretens der So-
zialcharta vorgelegt worden sei, mit der besonderen Bedeutung der Sozialcharta. Ziel des Antrags sei, die Sozial-
charta bekannter zu machen sowie die Umsetzung und Ratifizierung der revidierten Sozialcharta und des Zusatz-
protokolls voranzubringen. Darüber hinaus sei es notwendig, die 2007 unterzeichnete revidierte Sozialcharta zu
ratifizieren. Dies habe die Vertreterin des Deutschen Gewerkschaftsbunds in der Anhörung am 10. Juni 2015
bestätigt und empfohlen, die weitergehende Forderung des Antrags aufzugreifen und das Zusatzprotokoll für Kol-
lektivbeschwerden zu ratifizieren. Grundsätzlich stelle sich die Frage der Umsetzbarkeit von Konventionen. Die
Rechte des für die Einhaltung der Sozialcharta zuständigen Ausschusses für Soziale Rechte würden durch die
Unterzeichnung und Ratifizierung des Zusatzprotokolls gestärkt werden. Auch Kommissionspräsident Juncker
habe auf die Bedeutung der sozialen Rechte für die Akzeptanz europäischer Politik hingewiesen.

Die Fraktion der CDU/CSU erklärte, die Bedeutung der Sozialcharta sei in der Debatte zur ersten Lesung her-
vorgehoben worden. Für die Ratifizierung sei aber notwendig, dass die Umsetzung auch praktische Wirkung ent-
falte. Weiterhin seien die Fragen der Auslegung des Diskriminierungsverbotes und des Streikrechts für Beamte
offen und müssten mit den Tarifpartnern abgestimmt werden. Das zuständige Ministerium für Arbeit und Soziales
arbeite intensiv daran und das Ziel einer Ratifizierung werde verfolgt.

Drucksache 18/10175 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die Fraktion der SPD betonte die Bedeutung der durch die Sozialcharta geschützten sozialen Menschenrechte
als wesentlicher Grundpfeiler eines Wohlfahrtstaates. Die Ratifizierung der ergänzenden Regelungen der Sozial-
charta sei erforderlich und verdeutliche den Stellenwert, der dem Schutz der sozialen Menschenrechte zukomme.
In der Anhörung sei deutlich geworden, dass die sozialen Rechte der revidierten Sozialcharta sehr weit gefasst
seien und im Hinblick auf den Querschnittscharakter des Diskriminierungsverbotes umfassende Änderungen ar-
beitsrechtlicher innerstaatlicher Regelungen erfordern würden. Vor einer Ratifizierung müssten daher zunächst
umfassende Prüfungen abgeschlossen werden.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sprach sich für eine Ratifizierung der revidierten Sozialcharta und
des Zusatzprotokolls aus. In Deutschland bestünden bei der Verwirklichung der sozialen Rechte weiterhin Miss-
stände. Deutschland könne Missstände in anderen Ländern nicht kritisieren, solange es die revidierte Sozialcharta
nicht ratifiziert habe.

Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union hat den Antrag der Fraktion DIE LINKE. auf
Drucksache 18/4092 abschließend beraten, über ihn abgestimmt und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den
Antrag abzulehnen.
Berlin, den 28. September 2016

Dr. Martin Pätzold
Berichterstatter

Angelika Glöckner
Berichterstatterin

Andrej Hunko
Berichterstatter

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Berichterstatter

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