BT-Drucksache 18/10167

Entwicklung der Zahl per Haftbefehl gesuchter Neonazis bis Herbst 2016

Vom 21. Oktober 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10167
18. Wahlperiode 21.10.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Dr. André Hahn, Kerstin Kassner,
Katrin Kunert, Petra Pau, Martina Renner, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich,
und der Fraktion DIE LINKE.

Entwicklung der Zahl per Haftbefehl gesuchter Neonazis bis Herbst 2016

Die Zahl von Neonazis, die per Haftbefehl gesucht werden, steigt seit Jahren kon-
tinuierlich an. Mit Stichtag 22. März 2016 lagen 576 Haftbefehle zu 441 Personen
vor, das sind 110 Haftbefehle bzw. 69 Personen mehr als noch ein halbes Jahr
davor (vgl. Bundestagsdrucksachen 18/8796 und 18/7211). Von den 441 Neona-
zis wurden 79 wegen eines spezifischen politisch motivierten Deliktes gesucht,
93 wegen eines Gewaltdeliktes.
Aus Sicht der Fragesteller ist nicht nur der absolute Anstieg der Zahlen besorg-
niserregend, sondern auch die Tatsache, dass ein Viertel der Haftbefehle aus den
Jahren 2014 oder früher stammt. Das bedeutet, jeder vierte Gesuchte entzieht sich
seit zwei Jahren oder länger seiner Festnahme. Dies kann ein Zeichen dafür sein,
dass die gesuchten Neonazis gezielt untergetaucht sind.
Die Fragesteller haben vor diesem Hintergrund kein Verständnis dafür, dass die
Bundesregierung die Frage, ob es einen organisierten neonazistischen Untergrund
gibt, in den die Gesuchten abtauchen können, nicht beantwortet. Stattdessen ver-
weist sie lediglich auf eine jeweils notwendige „Betrachtung des Einzelfalls“. Da-
bei sollte es eigentlich möglich sein, darüber hinausgehende Angaben oder Ein-
schätzungen wiederzugeben. Schließlich gibt es im Gemeinsamen Extremismus-
und Terrorabwehrzentrum rechts (GETZ-R) gemeinsame Erörterungen zwischen
Bundes- und Landesbehörden.
Die Fragesteller bitten darum, die Antwort auf die Kleine Anfrage nach Auswer-
tung der dafür notwendigen Zahlenwerte zu übermitteln und sind insoweit mit
einer Verlängerung der Antwortfrist einverstanden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Gegen wie viele Neonazis lagen zum Zeitpunkt der letzten Erfassung (bitte

Datum angeben) wie viele nicht vollstreckte Haftbefehle vor?
a) Gegen wie viele Personen lagen Haftbefehle wegen eines PMK-Deliktes

vor (Mehrfachnennungen bitte angeben)?
b) Gegen wie viele Personen lagen Haftbefehle wegen eines Gewaltdeliktes

vor, und bei wie vielen Personen handelte es sich um ein Gewaltdelikt aus
dem PMK-Bereich (Mehrfachnennungen bitte angeben)?

Drucksache 18/10167 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
c) Wie untergliedern sich die Haftbefehle in solche zur Sicherung des Straf-
verfahrens, zur Strafvollstreckung und zur Durchführung asyl- oder auf-
enthaltsrechtlicher Bestimmungen?

d) Welche Delikte lagen den Haftbefehlen im Einzelnen zugrunde (bitte
vollständig auflisten und dabei jeweils den Sachverhalt bzw. Tathergang
kurz schildern und anmerken, ob das Delikt als PMK und/oder als Ge-
waltdelikt geführt wird)?

2. Wie viele Fälle werden nach Priorität I (Terrorismusdelikte), Priorität II (Ge-
waltdelikte) und Priorität III (sonstige) bewertet?

3. In welchen Jahren sind die aktuellen Haftbefehle jeweils ausgestellt worden
(dabei bitte Anzahl der gesuchten Personen nennen und zusätzlich angeben,
ob der Haftbefehl wegen eines PMK-Deliktes, eines Gewaltdeliktes bzw. ei-
nes PMK-Gewaltdeliktes ausgestellt wurde und ob die jeweilige Person in
polizeilichen oder geheimdienstlichen Informationssystemen als gewaltbe-
reit eingestuft ist)?

4. Wie viele Fälle, bei denen der Haftbefehl seit mehr als einem halben Jahr
nicht vollstreckt worden ist, wurden in diesem Jahr einer besonderen Be-
trachtung unterzogen?
a) Wie viel Zeit wurde auf den Sitzungen der AG Personenpotenziale im

GETZ-R mit diesen Einzelfallbesprechungen verwendet?
b) Inwiefern kann die Bundesregierung Angaben zum konkreten Nutzen die-

ser besonderen Betrachtungen machen?
5. Welches Ergebnis erbrachten die von der AG Personenpotenziale angestell-

ten Erörterungen, „inwiefern sich die betroffenen Personen möglicherweise
gezielt der Vollstreckung eines Haftbefehls entziehen und welche konkreten
Handlungsoptionen bestehen, dies zu verhindern“ (vgl. die Antwort der Bun-
desregierung zu den Fragen 4 und 5 auf Bundestagsdrucksache 18/8796)?
a) In wie vielen „Einzelfällen“ hielt mindestens eine an den Sitzungen der

AG beteiligte Person es für möglich, dass sich die gesuchten Neonazis
gezielt der Festnahme entziehen, und inwiefern war dies Konsens inner-
halb der AG?

b) Welche Schlussfolgerungen wurden aufgrund der diesbezüglich ange-
stellten Erörterungen gezogen?

c) Inwiefern wurden im Rahmen der „Einzelfallbetrachtungen Zusammen-
hänge oder Strukturen identifiziert“, welcher Art waren diese, welche ge-
meinsamen Handlungsoptionen wurden daraus abgeleitet, und inwiefern
wurde die Bildung von bislang unerkannten Täterstrukturen erkannt oder
unterbunden?

6. In welchen einschlägigen Datenbanken deutscher Sicherheitsbehörden sind
jeweils wie viele der mit offenem Haftbefehl gesuchten Neonazis gespeichert
(bitte auch die hierbei gespeicherten personengebundenen Hinweise ange-
ben)?
a) Wie viele jener Neonazis, die wegen eines Gewaltdeliktes gesucht wer-

den, sind in der Gewalttäterdatei „rechts“ erfasst?
b) Wie viele jener Neonazis, die wegen eines politisch motivierten Gewalt-

deliktes gesucht werden, sind in der Gewalttäterdatei „rechts“ erfasst?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10167
c) An welche Behörden von EU- und Drittstaaten bzw. internationale Agen-
turen (bitte genau aufschlüsseln) wurden Datensätze über wie viele ge-
suchte Personen weitergegeben?

d) Wie viele der gesuchten Personen werden mit europäischem bzw. inter-
nationalem Haftbefehl gesucht?

e) Wie viele der gesuchten Personen sind im SIS ausgeschrieben?
7. Wie erklärt es sich, dass mit Stand vom 22. März 2016 lediglich 10 der ge-

suchten Personen in der Gewalttäterdatei „rechts“ gespeichert waren, obwohl
bei 93 Personen dem Haftbefehl ein Gewaltdelikt zugrunde lag und 12 Per-
sonen wegen eines politisch motivierten Gewaltdeliktes gesucht worden wa-
ren (vgl. die Antwort der Bundesregierung zu den Fragen 1c und 6 auf Bun-
destagsdrucksache 18/8796)?

8. Welche weiteren Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Ent-
wicklung der Zahl mit Haftbefehl gesuchter Neonazis und der Beschäftigung
der Sicherheitsbehörden mit der Problematik?

Berlin, den 21. Oktober 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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