BT-Drucksache 18/10006

Vereinbarungen mit der afghanischen Regierung zur Abschiebung afghanischer Flüchtlinge

Vom 12. Oktober 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10006
18. Wahlperiode 12.10.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Jan Korte, Katrin Kunert,
Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Vereinbarungen mit der afghanischen Regierung zur Abschiebung afghanischer
Flüchtlinge

Sowohl die Europäische Union als auch die Bundesregierung haben Anfang Ok-
tober 2016 mit der afghanischen Regierung Vereinbarungen zur Abschiebung af-
ghanischer Staatsangehöriger getroffen, die sich „irregulär“ in Europa aufhalten.
Nach Kenntnis der Fragesteller sind die „Gemeinsame Erklärung zur Migration
zwischen Deutschland und Afghanistan“ (vgl. Homepage des Bundesministeri-
ums des Innern vom 2. Oktober 2016) und der „Gemeinsame Weg nach vorn bei
Migrationsfragen“ (http://statewatch.org/news/2016/sep/eu-council-afghanistan-
12191-16.pdf) in den wesentlichen Aussagen deckungsgleich.
In der Vereinbarung zwischen Afghanistan und der Europäischen Union (EU)
wird festgehalten, man wolle „einen schnellen, effektiven und handhabbaren Me-
chanismus für die reibungslose, menschenwürdige und ordnungsgemäße Rück-
kehr“ ausreisepflichtiger Afghanen schaffen. Abgeschoben werden sollen aus-
drücklich auch alleinstehende Frauen, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und
andere Menschen mit erhöhtem Schutzbedarf. Geprüft werden soll auch, am
Flughafen Kabul einen eigenen Terminal für die Einreise der Abgeschobenen ein-
zurichten. Die EU sagt im Gegenzug Programme zur Unterstützung freiwilliger
Rückkehrer zu, macht Mittel der Entwicklungshilfe aber von der Bereitschaft der
afghanischen Regierung abhängig, bei der Abwicklung von Abschiebungen mit-
zuhelfen („migration sensitive“), die Unterzeichnung des Abschiebeabkommens
zählt dabei als ein Indikator.
Aus Sicht der Fragesteller ist das Vorhaben „reibungsloser“ Abschiebungen an-
gesichts der kriegerischen Realität in Afghanistan zynisch.
In einem Papier vom 3. März 2016 (http://statewatch.org/news/2016/sep/eu-
council-afghanistan-readmission-6738-16.pdf) erörtert die Europäische Kommis-
sion weitere Motive für die Vereinbarung mit der afghanischen Regierung. Darin
wird festgehalten, es gebe „ein hohes Risiko“ weiterer „Migrationsströme“ nach
Europa. Begründet wird Letzteres damit, dass insbesondere Pakistan und Iran da-
rauf drängten, die in ihren Ländern aufhältigen Flüchtlinge nach Afghanistan ab-
zuschieben.
Ausdrücklich wird in diesem Papier auf die „sich verschlechternde Sicherheits-
lage mit einem Rekordniveau terroristischer Anschläge und ziviler Opfer“ einge-
gangen. Dennoch heißt es weiter, „ungeachtet“ dieser schlechten Sicherheitslage
„müssen möglicherweise über 80 000 Personen in der nahen Zukunft zurückge-
bracht werden“. Die Mitgliedstaaten hätten die Kompetenz, bei der Bearbeitung
der Asylanträge festzulegen, „welche Gebiete sicher sind oder nicht“.

Drucksache 18/10006 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die Fragesteller halten diese Absicht für Wunschdenken, das an der Realität kom-
plett vorbeigeht. Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit auf Fragen der
Fraktion DIE LINKE., wo genau sie in Afghanistan „sichere“ Gebiete sieht, keine
präzisen Angaben gemacht. Einerseits hielt sie fest, „in den meisten urbanen Zen-
tren“, darunter der „Mehrzahl“ der Provinzhauptstädte, sei die Sicherheitslage
„ausreichend kontrollierbar“, andererseits übermittelte sie keine Übersicht, wel-
che Städte damit genau gemeint seien und welche nicht. Eine solche Liste wäre
aus Sicht der Fragesteller auch völlig unrealistisch. Befremdlich ist aus deren
Sicht zudem, dass Abschiebungen nach Afghanistan ausgerechnet mit Hinweisen
auf Aussagen der Taliban gerechtfertigt werden sollen. So schrieb die Bundesre-
gierung auf Bundestagsdrucksache 18/8141: „Für die zivile Bevölkerung in den
Gebieten unter militantem Einfluss ist die Bedrohung dagegen geringer, da die
Talibanführung ihre Kämpfer wiederholt glaubhaft und eindeutig angewiesen hat,
zivile Opfer zu vermeiden und zivile Infrastruktur zu schonen.“ Tatsächlich ist
den Fragestellern zwar bewusst, dass nicht die Taliban, sondern das US-Militär
im vergangenen Jahr das Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen bombardiert hat.
Den Taliban besondere Rücksichtnahme gegenüber der Zivilbevölkerung zu be-
scheinigen, halten sie dennoch für übertrieben.
Das erneute Vordringen der Taliban in die Provinzhauptstadt Kunduz Anfang
Oktober 2016 zeigt aus Sicht der Fragesteller deutlich, dass Abschiebungen nach
Afghanistan schon aus humanitären Gründen nicht vertretbar sind. Es gibt in Af-
ghanistan keine sicheren Orte.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Trifft es zu, dass die Aussagen im „Gemeinsamen Weg nach vorn“ und in

der bilateralen deutsch-afghanischen Vereinbarung im Wesentlichen ähnlich
sind, und wenn nicht, worin liegen die grundlegenden Unterschiede?

2. Welchen konkreten Nutzen erhofft sich die Bundesregierung von den beiden
Vereinbarungen, die nach Kenntnis der Fragesteller keine rechtlich verbind-
lichen Dokumente sind?

3. Von wem ging die ursprüngliche Initiative für die bilaterale Vereinbarung
aus, und wie wurde der Vorstoß begründet?

4. Von wem ging nach Kenntnis der Bundesregierung die ursprüngliche Initia-
tive für die Vereinbarung der EU mit der afghanischen Regierung aus, und
wie wurde der Vorstoß begründet?

5. Inwiefern war die Bereitschaft der afghanischen Regierung, Flüchtlinge „zu-
rück“ zu nehmen, in der Vergangenheit aus Sicht der Bundesregierung defi-
zitär, und wie hat die afghanische Regierung auf allfällige entsprechende
Vorhaltungen seitens der Bundesregierung reagiert (bitte möglichst konkret
darlegen)?

6. Wie viele in Deutschland aufhältige afghanische Staatsbürgerinnen und
Staatsbürger sind derzeit ausreisepflichtig?

7. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung von der Zahl insgesamt in der EU
aufhältiger, ausreisepflichtiger afghanischer Staatsbürgerinnen und Staats-
bürger?
Inwiefern hält die Bundesregierung die Zahl von mehr als 80 000 Personen,
die in näherer Zukunft aus der EU nach Afghanistan abgeschoben werden
könnten (siehe Vorbemerkung), für realistisch, und welche Auswirkungen
wird eine solch große Zahl von Abschiebungen für Afghanistan nach Ein-
schätzung der Bundesregierung haben?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10006
8. Inwiefern ist es aus Sicht der Bundesregierung vertretbar, Abschiebungen
(sei es nach Afghanistan oder woandershin) ungeachtet einer sich ver-
schlechternden Sicherheitssituation durchzuführen, bzw. inwiefern muss bei
Abschiebungen bzw. bei ihrer Aussetzung sehr wohl auf eine aktuelle Ver-
schlechterung der Sicherheitslage geachtet werden?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die Entwicklung der Sicherheitslage in
Afghanistan seit dem Jahr 2015?
Inwiefern teilt sie die Auffassung, dass diese sich verschlechtert habe (bitte
begründen)?

10. Wie hat sich der bewaffnete Konflikt in Afghanistan seit dem Jahr 2015 ent-
wickelt (bitte jeweils Angaben zur Zahl von Kampfhandlungen, Anschlägen,
Todesopfern unter Aufständischen, Angehörigen der Polizei, Angehörigen
der Armee, Angehörigen weiterer afghanischer Sicherheitskräfte, Angehöri-
gen ausländischer Militärs, Angehörigen privater Sicherheitsdienstleister –
PMSC – und der Zivilbevölkerung machen und nach Quartalen seit Beginn
des Jahres 2015 aufgliedern)?

11. Kann die Bundesregierung aus eigenen Erkenntnissen die Auffassung des
dänischen Außenministeriums bestätigen, wonach die afghanischen Behör-
den im Allgemeinen nicht in der Lage sind, die Bevölkerung gegen Gewalt
zu schützen, außer „möglicherweise“ in Kabul, aber auch dort nur „in gewis-
sem Umfang“ (vgl. European Asylum Support Office – EASO – , Länderbe-
richt Afghanistan vom Januar 2016)?
Wenn nicht, inwieweit hat sie Grund, an dieser Einschätzung des dänischen
Außenministeriums zu zweifeln (bitte ggf. begründen)?

12. Kann die Bundesregierung aus eigenen Erkenntnissen die Auffassung des
US-Außenministeriums bestätigen, der zufolge Rechtsverstöße afghanischer
Beamter weit verbreitet sind, aber nicht effektiv verfolgt werden (EASO-Be-
richt), und wenn nicht, hat sie Grund, an dieser Einschätzung des US-Außen-
ministeriums zu zweifeln (bitte ggf. begründen)?

13. Kann die Bundesregierung aus eigenen Erkenntnissen die Auffassung von
United Nation Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) bestätigen, es
gebe innerhalb des afghanischen Geheimdienstes eine „allgemeine Stim-
mung der Straflosigkeit in Hinsicht auf Menschenrechtsverletzungen“ („ge-
neral spirit of impunity“), und wenn nicht, hat sie Grund, an dieser Einschät-
zung zu zweifeln (bitte ggf. begründen)?

14. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache,
dass das EASO keine „sicheren“ Zonen in Afghanistan definiert, sondern le-
diglich ausführt, dass „urbane Zentren im Allgemeinen sicherer als ländliche
Gegenden eingeschätzt werden“, aber auch dort „oftmals hohe Opferzahlen“
durch Anschläge verursacht werden?

15. Von welchen Menschenrechtsorganisationen hat die Bundesregierung in den
Jahren 2015 und 2016 Erkenntnisse zur asyl- und menschenrechtlichen Lage
in Afghanistan eingeholt bzw. wurden von ihr bei der Lagebeurteilung be-
rücksichtigt, und welche diesbezüglichen Einschätzungen vertreten diese Or-
ganisationen jeweils (bitte detailliert angeben)?

16. Welche Schlussfolgerungen zieht sie aus diesen Einschätzungen für die Er-
teilung bzw. Versagung von Schutztiteln für afghanische Asylantragsteller
bzw. die Duldung abgelehnter Asylsuchender?

17. Inwiefern hält es die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Durchfüh-
rung von Abschiebungen für realistisch, festlegen zu können, welche Gebiete
in Afghanistan sicher sind und welche nicht (bitte ggf. präzisieren, welcher
Begriff von „Sicherheit“ damit konkret gemeint ist)?

Drucksache 18/10006 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
18. Inwiefern gibt es zwischen den Mitgliedstaaten der EU derzeit eine gemein-
same Definition von sicheren Gebieten in Afghanistan bzw. zur Beschrei-
bung der Sicherheitslage (bitte erläutern), bzw. inwiefern ist es aus Sicht der
Bundesregierung sinnvoll, eine solche Definition zu entwickeln (bitte be-
gründen und soweit möglich angeben, welche Bestandteile und Kriterien aus
Sicht der Bundesregierung dabei zu berücksichtigen sind)?

19. Inwiefern ist eine allfällige Festlegung auf sichere Gebiete mit der Aussage
der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 18/8141, Antwort zu Frage 9)
vereinbar, es seien generell „nur Wahrscheinlichkeitsaussagen zur künftigen
Sicherheitslage möglich“, bzw. inwiefern hält es die Bundesregierung für hu-
manitär vertretbar, Schutzsuchende aufgrund bloßer Annahmen in ein Bür-
gerkriegsland abzuschieben?

20. Ist aus der Aussage der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 18/8141,
Antwort zu Frage 8), „in den meisten urbanen Zentren“ Afghanistans, darun-
ter der „Mehrzahl der Provinzhauptstädte“ , sei die Sicherheitslage „ausrei-
chend kontrollierbar“, zu schließen, dass sie eine Übersicht darüber hat, in
welchen Städten dies gegenwärtig tatsächlich der Fall ist, und in welchen
nicht?
Wenn ja, wie lautet diese Auflistung?
Falls die Bundesregierung keine solche Aufschlüsselung vorliegt, wie be-
gründet sie dann ihre Aussage?

21. Galt die Sicherheitslage in Kunduz in den Tagen kurz vor dem Einmarsch
der Taliban Anfang Oktober 2016 ebenfalls als „ausreichend kontrollierbar“,
und wenn ja, inwiefern sind diese Einschätzungen aus Sicht der Bundesre-
gierung verlässlich genug, um Abschiebungen legitimieren zu können?

22. Hält die Bundesregierung an ihrer Auffassung fest, die Taliban wären be-
müht, zivile Opfer zu vermeiden (vgl. Antwort zu Frage 8 auf Bundestags-
drucksache 18/8141)?
Wenn ja, wie genau begründet die Bundesregierung dann das offiziell gegen
die Taliban gerichtete militärische Engagement in Afghanistan?
Hält sie Gebiete „unter militantem Einfluss“ für sichere Gebiete in dem
Sinne, dass Abgeschobenen zugemutet werden kann, sich dorthin zu bege-
ben?

23. Welche näheren Angaben kann die Bundesregierung dazu machen, inwiefern
afghanische Flüchtlinge in Pakistan und im Iran einem verstärkten Druck zur
Rückkehr nach Afghanistan ausgesetzt sind, und wie viele Flüchtlinge sind
in den Jahren 2015 bzw. 2016 aus Pakistan, dem Iran oder anderen Ländern
bereits nach Afghanistan zurückgekehrt oder abgeschoben worden?
Inwiefern sind ihr Prognosen bekannt, in welchen Dimensionen in der nahen
Zukunft mit einer Rückkehr dieser Flüchtlinge nach Afghanistan bzw. als
Folge hiervon mit einer verstärkten Migration von Afghanistan in die EU zu
rechnen ist?
Wie viele intern vertriebene Personen gibt es innerhalb Afghanistans?

24. Welche Position vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob am Flughafen
Kabul ein eigener Terminal für die Einreise von Abgeschobenen eingerichtet
werden sollte?
Welche Kostenschätzungen dafür sind ihr bekannt?
Würden allfällige Mitfinanzierungen durch Deutschland als Entwicklungs-
hilfe gelten?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/10006
25. Wie genau soll der besondere Schutzbedarf von alleinreisenden Frauen, Kin-
dern, Kranken, Behinderten, Senioren usw. bei Abschiebungen sichergestellt
werden?

26. Sollen Abschiebungen alleinreisender Frauen ausnahmslos nur dann durch-
geführt werden, wenn weibliches Begleitpersonal zur Verfügung steht, oder
soll es Abweichungen von dieser Regel geben?

27. Inwiefern sollen Abschiebungen von Personen mit besonderem Schutzbedarf
davon abhängig gemacht werden, dass diese nicht nur während des Abschie-
bevorgangs, sondern auch in Afghanistan eine – auch ökonomische – Le-
bensperspektive haben?

28. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Fluchtgründe afghanischer
Frauen, und wie hat sich die Lage von Frauen in Afghanistan in den letzten
fünf Jahren geändert?
Wie begründet sie, vor dem Hintergrund des UNHCR-Berichts vom 19. Ap-
ril 2016 (HCR/EG/AFG/16/02) das Abschiebevorhaben „besonders Schutz-
bedürftiger“, insbesondere von Frauen und Mädchen, nach Afghanistan?

29. Mit welchen anderen typischen Herkunftsländern von Flüchtlingen gibt es
Vereinbarungen dergestalt – auf EU-Ebene bzw. binational –, dass das Her-
kunftsland sich ohne quantitative Beschränkung (von der Begrenzung auf
50 Personen pro Flug im ersten Halbjahr abgesehen) zur Rücknahme eigener
Staatsangehöriger bereit erklärt hat, und zwar auch ohne, dass es ausdrück-
lich der Rückübernahme im Einzelfall zugestimmt haben muss (Zustimmung
durch Fristablauf) und auf der Grundlage von EU-Standard-Reisepapieren,
wenn keine nationalen Ausweisdokumente vorliegen (bitte auflisten), und
wie erklärt sich die Bundesregierung die Zustimmung der afghanischen Re-
gierung zu dieser weitgehenden Rückübernahmeerklärung(bitte ausführen)?

30. Ist eine Kontrolle der Mittel, welche der afghanischen Regierung infolge der
Brüsseler Konferenz vom 4. bis 5. Oktober 2016 zur Verfügung gestellt wer-
den sollen, vorgesehen?
Falls nein, bitte begründen.
Falls ja, in welchen Bereichen sollen wie viele Mittel eingesetzt (z. B. Infra-
struktur, Militär, Sicherheit, zivile Projekte etc., Rückkehrhilfe) werden
(bitte prozentual und nach Betrag aufschlüsseln)?

31. Inwieweit sollen Abschiebungen alleinreisender Kinder davon abhängig ge-
macht werden, dass zuvor erfolgreich Familienangehörige identifiziert oder
eine „adäquate“ Aufnahme und Versorgung der Kinder vorbereitet wird?
Was genau wird unter einer „adäquaten“ Aufnahme und Versorgung verstan-
den, wenn es nicht um eine Aufnahme bei Familienangehörigen geht?
Welche Mechanismen sollen dabei sicherstellen, dass die Familienangehöri-
gen bzw. alternative Aufnahmeeinrichtungen nicht nur identifiziert, sondern
auch bereit und unter Berücksichtigung von Wohn- und Einkommenssitua-
tion auch in der Lage sind, sich langfristig dem Kindeswohl angemessen um
die Kinder zu kümmern?
Welche Mechanismen, dies vorab bzw. nach gewissem zeitlichem Abstand
zu prüfen, sind vorgesehen bzw. sollen eingerichtet werden?

32. Wie ist die Vereinbarung zu verstehen, dass Personen, von denen nach er-
folgter Abschiebung bekannt wird, dass sie gar nicht afghanische Bürger
sind, wieder vom entsendenden EU-Mitgliedstaat zurückzunehmen sind?
Wie oft kam derlei in der Vergangenheit nach Kenntnis der Bundesregierung
vor, wie viel Zeit mussten die betreffenden Personen in Afghanistan verbrin-
gen, und was waren die Ursachen für die Verwechslung?

Drucksache 18/10006 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
33. Welche konkreten Überlegungen gibt es hinsichtlich der von der afghani-
schen Regierung angekündigten Aufklärungs- bzw. Abschreckungskampag-
nen, mit denen afghanische Bürger von einer „irregulären“ Migration nach
Europa abgehalten werden sollen, sowie zur Beteiligung an den Kosten für
diese seitens der EU bzw. der Bundesregierung?
Welche legalen Wege der Migration in die EU gibt es für afghanische Flücht-
linge bzw. für afghanische Staatsangehörige im Allgemeinen, und in welcher
Zahl gab es eine legale Migration in die EU bzw. nach Deutschland in den
Jahren 2015 bzw. 2016, wie viele Visa für die Zwecke Asylsuche, Erwerbs-
tätigkeit, Ausbildung usw. wurden in Afghanistan in den Jahren 2015 bzw.
2016 erteilt (bitte so ausführlich wie möglich antworten)?

34. Welche konkreten Überlegungen gibt es zur Einrichtung neuer bzw. zur Neu-
konzeptionierung bestehender Rückkehrförderungen bzw. zur Schaffung
von Arbeitsmöglichkeiten in Afghanistan (bitte nach Möglichkeit Angaben
zu allen solchen Programmen machen, an denen die Bundesregierung, auch
im EU-Rahmen, beteiligt ist)?
a) Inwiefern unterscheiden sich diese von bereits bestehenden Programmen?
b) Welchen finanziellen Rahmen haben die bislang bestehenden Programme,

und inwiefern sollen die bereitgestellten Finanzmittel effektiv erhöht wer-
den (bitte angeben, um wie viel) bzw. lediglich umgeschichtet werden?

c) Wie schätzt die Bundesregierung Erfolge und Verbesserungsbedarf der
bestehenden Programme ein (bitte begründen)?

35. Welche Position hat die Bundesregierung bzw. haben nach ihrer Kenntnis
andere Mitgliedsstaaten der EU zur Frage vertreten, inwiefern die Gewäh-
rung von Entwicklungshilfe oder von anderer Unterstützung von der Bereit-
schaft der afghanischen Regierung abhängig gemacht wird, die genannten
Abkommen zu unterzeichnen und bei Abschiebungen verstärkt zu kooperie-
ren?

36. Inwiefern trifft es zu, dass auf der Geberkonferenz in Brüssel am 4./5. Okto-
ber 2016 der afghanischen Regierung damit gedroht wurde, Entwicklungs-
hilfe partiell oder gar vollständig einzustellen (vgl. SPIEGEL ONLINE vom
4. Oktober 2016)?
Inwiefern hält es die Bundesregierung für legitim, Bedenken der afghani-
schen Regierung, die Sicherheit Abzuschiebender sei in Afghanistan nicht
gewährleistet, gewissermaßen durch Geldvergabe aus dem Weg zu räumen?

37. Welche Zusagen (soweit über die genannten Abkommen hinausgehend oder
diese präzisierend) zur Aufnahme ausreisepflichtiger Staatsbürger hat die af-
ghanische Regierung in Zusammenhang mit der Unterzeichnung der Abkom-
men oder der Konferenz in Brüssel gegeben?

38. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung in der nahen Zukunft treffen,
um die beiden Vereinbarungen mit der afghanischen Regierung umzusetzen
(sowohl auf nationaler Ebene, im bilateralen und im EU-Rahmen)?

39. Inwiefern strebt die Bundesregierung weitere Vereinbarungen mit der afgha-
nischen Regierung in Migrationsangelegenheiten an (bitte ggf. Angaben zum
angestrebten Inhalt machen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/10006
40. Wie groß ist die Zahl der in Deutschland lebenden afghanischen Staatsange-
hörigen, und über welchen Aufenthaltsstatus verfügen sie (bitte differen-
zierte Angaben zu den Bundesländern und zum Alter der Betroffenen ma-
chen, bitte auch genauer nach den Duldungsgründen differenzieren und die
Zahl der vollziehbar Ausreisepflichtigen angeben, nach Bundesländern ver-
teilt), wie groß ist die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge aus
Afghanistan bzw. der inzwischen volljährigen Personen, die als solche ein-
gereist sind (bitte nach Bundesländern aufgliedern)?

41. Wie viele Abschiebungen nach Afghanistan gab es in diesem Jahr (bitte nach
Monaten differenzieren)?

42. Wie viele Asylsuchende aus Afghanistan sind in den Jahren 2015 und 2016
nach Deutschland gekommen (bitte aufgrund der – möglichst bereinigten –
EASY-Zahlen nach Monaten differenziert angeben), und wie waren die Ent-
scheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bei
Asylsuchenden aus Afghanistan (bitte ebenfalls nach Monaten differenziert
angeben und jeweils in absoluten und relativen Zahlen den erteilten Status
bzw. Ablehnungen oder Einstellungen angeben)?

43. Wie ist es zu erklären, dass im Jahr 2016 die Gesamtschutzquote bei afgha-
nischen Asylsuchenden zuletzt gesunken ist, auch gegenüber dem Vorjahr
(vgl. Bundestagsdrucksachen 18/9415 und 18/7625, jeweils Frage 1), ob-
wohl sich die Sicherheitslage in Afghanistan eher verschlechtert hat, und was
entgegnet die Bundesregierung dem von Pro Asyl geäußerten Vorwurf, die
seit dem 1. Halbjahr 2016 „ins Bodenlose fallenden Anerkennungsquoten
verweisen darauf, wie der Schutzstatus von Afghaninnen und Afghanen sys-
tematisch manipuliert wird – bei den Ablehnungen von Afghaninnen und Af-
ghanen wird keiner rechtsstaatlichen Logik gefolgt, sondern der politische
Wille umgesetzt“ (www.proasyl.de/news/eu-afghanistan-konferenz-aufbau-
der-abschiebelogistik/)?

44. Welche (auch internen) Maßnahmen (bitte mit Datum, Inhalt und Veranlas-
ser auflisten: (auch mündliche) Weisungen, Lagebesprechungen, geänderte
Ländereinschätzungen, geänderte Vorgaben zur Gewährung von Flücht-
lings-, subsidiärem oder Abschiebungsschutz in Bezug auf Afghanistan, all-
gemeine Entscheidungsvorgaben, geänderte maßgebliche Textbausteine
usw.) wurden vom Bundesinnenministerium und/oder vom BAMF seit No-
vember 2015 ergriffen, um die vom Bundesminister des Innern Dr. Thomas
de Maizière am 10. November 2015 öffentlich verkündete Ankündigung um-
zusetzen: „Wir wollen, dass in Afghanistan das Signal ankommt: ‚Bleibt dort!
Wir führen euch aus Europa […] direkt nach Afghanistan zurück!‘“ (www.
bmi.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2015/11/bundesinnenminister-
auf-dem-sonderrat-der-innenminister-in-bruessel.html), die er mit „in der
Regel niedrigen Chancen auf eine Anerkennung der Schutzbedürftigkeit“
(ebd.) begründete, was nach Ansicht der Fragesteller zumindest zum dama-
ligen Zeitpunkt falsch war (vgl. Bundestagsdrucksache 18/7625, Frage 1)?

Berlin, den 12. Oktober 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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