BT-Drucksache 18/10

Weiterer Umgang mit menschlichen Gebeinen aus ehemaligen deutschen Kolonien und anderen Überseegebieten

Vom 23. Oktober 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10
18. Wahlperiode 23. 10. 2013
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Niema Movassat, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger und der Fraktion DIE LINKE.

Weiterer Umgang mit menschlichen Gebeinen aus ehemaligen deutschen
Kolonien und anderen Überseegebieten

Bis heute lagern in deutschen Universitäten und Museen eine unbestimmte grö-
ßere Anzahl menschlicher Gebeine aus den ehemaligen deutschen Kolonien. Im
Jahr 2008 deckte das MDR-Fernsehmagazin „FAKT“ auf, dass sich allein in den
Archiven der Universität Freiburg und der Charité – Universitätsmedizin Berlin
rund 60 Schädel befinden, die zum Großteil aus den Massakern an den Herero
und Nama stammen, welche deutsche Kolonialtruppen 1904 bis 1908 in der ehe-
maligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, der heutigen Republik Namibia be-
gangen haben. Die Gebeine wurden einst zu menschenverachtenden „rassen-
kundlichen Forschungszwecken“ nach Deutschland verbracht. Die „Beschaf-
fung“ erfolgte systematisch über die deutsche „Schutztruppe“. Häufig wurden
Frauen dazu gezwungen, die abgetrennten Köpfe ihrer ermordeten Männer für
die Verschiffung nach Deutschland auszuwaschen und die Haut mit Glasscher-
ben abzukratzen (siehe Ursula Trüper: „Gewalt ist meine Politik“, Berliner Zei-
tung, 21. Mai 2011). Auch aus anderen deutschen Kolonien und Überseegebie-
ten wurden menschliche Gebeine nach Deutschland verbracht und warten bis
heute auf eine würdevolle Bestattung in ihren Herkunftsländern nach den Riten
ihrer Angehörigen.
Als Reaktion auf die „FAKT“-Berichterstattung richtete die Berliner Universi-
tätsklinik das Projekt „Charité Human Remains Project“ ein, welches die Deut-
sche Forschungsgemeinschaft e. V. (DFG) mit 300 000 Euro förderte. Ende Sep-
tember 2011 wurden daraufhin die ersten 20 Schädel seitens der Charité an
Namibia an die Nachfahren der Opfer zurückgegeben. Mit dem Hinweis darauf,
dass die Gebeine sich im Besitz von Landeseinrichtungen befänden und dem
Verweis auf die „Kulturhoheit der Länder“ spielte die Bundesregierung lediglich
die Rolle eines Vermittlers und empfing unter anderem auch deshalb die aus Na-
mibia Ende September 2011 angereiste große Delegation, der auch der damalige
Kulturminister Kazenambo Kazenambo angehörte, nicht offiziell. Bei der Über-
gabezeremonie erschien die Staatsministerin beim Bundesminister des Auswär-
tigen Cornelia Pieper auch nur als „Gast“ und sorgte durch ihre Rede und ihr
vorzeitiges Verlassen des Saals durch den Hinterausgang für einen Eklat (siehe
DER TAGESSPIEGEL, 1. Oktober 2011, „Pieper sorgt bei Schädelübergabe an
Namibia für Eklat“).
Die Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia haben sich daraufhin und
noch verstärkt durch das Auftreten des damaligen deutschen Botschafters in
Namibia deutlich verschlechtert (siehe The Namibian, 16. Dezember 2011,
„Germany supports Kochanke“ und Windhoek Observer, 27. Januar 2012, „Ger-
man ambassador peeves Pohamba“). Im Frühjahr 2012 entschuldigte sich der
damalige Afrikabeauftrage, Botschafter Walter Lindner, im Auswärtigen Amt

Drucksache 18/10 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
bei der namibischen Seite hierfür und stellte in Aussicht, dass künftige Überga-
ben von menschlichen Gebeinen in einem würdevolleren Rahmen stattfinden
würden (siehe The Namibian, 3. Februar 2012, „Official apology still lacking“).
Mittlerweile haben schon 2011 – von der Öffentlichkeit weitgehendst unbe-
merkt – die Sammlungen an menschlichen Gebeinen der Charité den Besitzer
gewechselt und sind nach Informationen der Fragesteller – wie es schon länger
im Gespräch war (siehe Frank Thadeusz – DER SPIEGEL –, 22. August 2011,
„Trübsal im Gruselkabinett“) – in das Eigentum der Stiftung Preußischer Kul-
turbesitz (SPK) und dessen Museum für Vor- und Frühgeschichte übergegangen
– mit Ausnahme der Bestände aus Namibia und Australien. Die SPK gehört
Bund und Ländern, wobei die Bundesregierung den größten Eigentumsanteil
hält und mit 75 Prozent auch den größten Teil des Stiftungsvermögens beisteu-
ert. Wenn dem so ist, stünde bei einer Übertragung auch der Bestände aus Na-
mibia und Australien einer direkten Übergabe der verbleibenden Gebeine aus
der Hand der Bundesregierung an die beiden Länder, die Restitutionsansprüche
auf diese Gebeine erhoben haben, auch juristisch nichts mehr im Wege. Eine sol-
che Übergabe auf bilateraler staatlicher Ebene ist, wie den Fragestellern von den
Opferverbänden mitgeteilt wurde, eine der Bedingungen von Herero und Nama
für eine würdevolle Übergabe, die aus ihrer Sicht schon deshalb aus der Hand
eines hochrangigen deutschen Regierungsvertreters (Bundeskanzlerin, Bundes-
präsident) erfolgen muss, da es damals der deutsche Kaiser war, der die Gebeine
durch seine Anordnungen nach Deutschland hat verschiffen lassen.
Nun gibt es nach Informationen der Fragesteller Bestrebungen, die erst 2011
übernommenen Sammlungen von Gebeinen aus der SPK in eine andere, wo-
möglich private Institution zu verschieben. Scheinbar soll dies unter Ausschluss
einer öffentlichen Diskussion, unter Geheimhaltung und ohne die Herkunftslän-
der über diesen Schritt zu informieren, umgesetzt werden. Auch wenn die nami-
bischen und australischen Gebeine zur weiteren Provenienz-Forschung in der
Charité verblieben sind, ist die Gefahr nicht ausgeschlossen, dass sich in der
SPK-Sammlung auch sensible Gebeine befinden, die in Zukunft Gegenstand
eines Rückgabeanspruchs werden könnten. Während der ersten Übergabe 2011
wurde den Gebeinen aus Namibia eine breite öffentliche Aufmerksamkeit zuteil,
ihre Fragwürdigkeit als Sammlungsgegenstände stand im Raum und Paramount
Chief Kuaima Riruako forderte als Teil der namibischen Delegation endlich eine
Anerkennung des aus ihrer Sicht begangenen „Völkermords“ als solchen und
eine offizielle deutsche Entschuldigung für diesen (siehe Larina Boeckmann,
Inter Press Service, 4. Oktober 2011, „Skulls Repatriated – But No Official Ger-
man Apology“). Vor diesem Hintergrund kann man dies nur als Akt der SPK und
seiner staatlichen Eigentümer verstehen, sich dieses sensiblen Themas mög-
lichst leise und schnell zu entledigen, bevor es zu weiteren Restitutionsforderun-
gen durch weitere Herkunftsländer kommt. Es liegt die Vermutung nahe, dass es
seitens der Bundesregierung nicht gewünscht ist, die nicht übernommenen na-
mibischen und australischen Gebeine, aber auch nicht irgendwelche anderen Be-
stände in würdevollen, staatlich-bilateralen Restitutionsprozessen an die ent-
sprechenden Herkunftsländer zu übergeben. Folgende Gründe machen daher
diese geplante Sammlungsmigration höchst problematisch: eine private Institu-
tion stünde als Adressatin möglichen Restitutionsanfragen unverbindlicher ge-
genüber als die Bundesrepublik Deutschland. Bei der privaten Berliner Gesell-
schaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (BGAEU), die auch über
Sammlungen menschlicher Gebeine aus dem Gebiet des heutigen Namibia ver-
fügt, ist es beispielsweise schon heute der Fall, dass sie sich hinsichtlich einer
Provenienz-Feststellung und Verhandlungen über Rückgabeansprüche relativ
unkooperativ gibt. Schließlich soll diese Migration einer öffentlichen Sammlung
unter Ausschluss der Öffentlichkeit und dem Wissen der Herkunftsländer statt-
finden.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass sich ein Teil der ehemaligen

Sammlungen der Berliner Charité von menschlichen Gebeinen aus ehema-
ligen deutschen Kolonien und anderen Überseegebieten seit dem Jahr 2011
(oder später) im Besitz der SPK und damit in Bundeseigentum befinden?

2. Aus welchem Grund hat die SPK die Charité-Bestände an Gebeinen aus Na-
mibia und Australien nicht ebenfalls mit übernommen?

3. Inwiefern hat die Bundesregierung die Herkunftsländer und -völker und die
deutsche Öffentlichkeit darüber informiert, dass sich nun die ehemaligen
Charité-Bestände an menschlichen Gebeinen mindestens zum Teil im Eigen-
tum der SPK und damit in Bundeseigentum befinden und damit etwaige Res-
titutionsansprüche direkt bei der Bundesregierung geltend gemacht werden
können?
Wenn eine solche Information an eine der genannten Beteiligten und Betrof-
fenen – Herkunftsländer und -völker und die deutsche Öffentlichkeit – nicht
erfolgt ist, warum nicht?

4. Plant die Bundesregierung, die mutmaßlich aus dem Gebiet des heutigen Na-
mibia stammenden Schädel nach dem Abschluss der derzeit in der Berliner
Charité und der Universität Freiburg laufenden Provenienz-Feststellungsver-
fahren ebenfalls in die SPK und damit in Bundeseigentum zu übernehmen
und sie dann an die Republik Namibia und die Nachfahren der Opfer des
deutschen „Vernichtungskrieges“ vor über 100 Jahren würdevoll, d. h. aus
Sicht der Fragesteller aus der Hand eines hochrangigen Vertreters der Bun-
desregierung, zu übergeben?
Wenn nein, warum ist dies trotz Zusage einer „würdevollen Übergabe“ nicht
vorgeschehen?

5. Was soll konkret nach dem aktuellen Sachstand mit der Sammlung mensch-
licher Gebeine der SPK geschehen?

6. Inwiefern kann die Bundesregierung die Absicht der SPK bestätigen, die
Sammlungen an menschlichen Gebeinen der SPK an andere, möglicherweise
private deutsche Institutionen zu übertragen?
a) Wenn ja, an wen genau sollen die Sammlungen von Gebeinen übertragen

werden?
b) Wenn ja, warum wird seitens der SPK und damit auch der Bundesregie-

rung solch eine Sammlungsmigration beabsichtigt?
7. Inwiefern wurde nach Kenntnis der Bundesregierung die Provenienz-For-

schung der Bestände an menschlichen Gebeinen aus Namibia seit 2011 voran-
getrieben, und wie ist hierbei der Sachstand (bitte nach Institutionen, Städten,
jeweiligem Forschungsstand, etwaiger Probleme und ihrer Gründe und etwa-
iger Unterstützung durch die Bundesregierung des Forschungs- und Aufklä-
rungsprozesses aufschlüsseln)?

8. Wie verhält sich die Bundesregierung zur Kritik, dass auch schon die Absicht
verantwortungslos wäre, lediglich die Teile der Sammlung aus dem eigenen
SPK-Eigentum abzugeben, zu deren Provenienz noch keine oder keine voll-
ständigen Ergebnisse einer Forschung vorliegen und/oder noch keine Rück-
gabeforderungen seitens der Herkunftsländer erhoben wurden?

9. Inwiefern kann die Bundesregierung bestätigen, dass die SPK schon Ver-
handlungen darüber aufgenommen hat, die eigene Sammlung an mensch-
lichen Gebeinen an einen privaten Träger zu übergeben?

Drucksache 18/10 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
10. Sollten solche Verhandlungen seitens der SPK hinsichtlich einer Samm-
lungsübertragung schon erfolgt oder schon im Gange sein, wie ist der bis-
herige Verlauf und der Sachstand bzw. das Ergebnis dieser Verhandlungen,
mit welchen Institutionen wurde verhandelt, und welche konkreten Eck-
punkte wurden oder sollen noch vereinbart werden – insbesondere im Hin-
blick auf weitere Provenienz-Nachforschungen und dem Umgang mit et-
waigen Rückgabeforderungen aus den Herkunftsländern?

11. Falls eine Übertragung des Eigentums an der SPK-Sammlung an mensch-
lichen Gebeinen an eine andere, möglicherweise sogar private Institution in
Deutschland geplant oder sogar schon verhandelt wird, warum finden die
Planungen und Gespräche über die Zukunft einer sich in öffentlichem Bun-
desbesitz befindlichen Sammlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt?

12. Wie beabsichtigt die Bundesregierung damit umzugehen, dass die weitere
Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit und die Provenienz-
Forschung ergeben könnte, dass weitere Teile der künftig möglicherweise in
private Trägerschaft abgegebenen Sammlung ebenso aus Gewaltzusammen-
hängen stammen könnte, wie die Schädel der Herero und Nama?

13. Inwiefern beabsichtigt die Bundesregierung vermittelnd oder mit anderen
Maßnahmen gegenüber privaten deutschen Trägern zu intervenieren, die
sich einer Provenienzfeststellung und der Rückgabe von menschlichen Ge-
beinen aus ihren Sammlungen und Beständen gegenüber sehr „zugeknöpft“
bis ablehnend gegenüber den auf Rückgabe drängenden Herkunftsländern
verhalten?

14. Ist derzeit eine weitere Rückgabe von Schädeln von Opfern des deutschen
„Vernichtungsfeldzugs“ an Namibia konkret geplant?
Wenn ja, aus welchen deutschen Institutionen, und in welchem Zeitfenster?
Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 23. Oktober 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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