BT-Drucksache 17/9938

Neue Herausforderungen der regionalen Wirtschaftsstruktur meistern - GRW fortführen und EU-Kohäsionspolitik zukunftsorientiert gestalten

Vom 12. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9938
17. Wahlperiode 12. 06. 2012

Antrag
der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Andreas G. Lämmel, Thomas Bareiß,
Veronika Bellmann, Cajus Caesar, Gitta Connemann, Erich G. Fritz, Dr. Michael
Fuchs, Michael Grosse-Brömer, Dr. Matthias Heider, Ernst Hinsken, Robert
Hochbaum, Karl Holmeier, Dieter Jasper, Andreas Jung (Konstanz), Ulrich Lange,
Stephan Mayer (Altötting), Dr. h. c. Hans Michelbach, Dr. Mathias Middelberg,
Stefan Müller (Erlangen), Dr. Georg Nüßlein, Franz Obermeier, Rita Pawelski,
Ulrich Petzold, Eckhart Rehberg, Dr. Heinz Riesenhuber, Albert Rupprecht
(Weiden), Anita Schäfer (Saalstadt), Nadine Schön (St. Wendel), Christian Freiherr
von Stetten, Lena Strothmann, Andrea Astrid Voßhoff, Kai Wegner, Volker Kauder,
Gerda Hasselfeldt und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Martin Lindner (Berlin),
Claudia Bögel, Klaus Breil, Christian Lindner, Rainer Brüderle und der Fraktion
der FDP

Neue Herausforderungen der regionalen Wirtschaftsstruktur meistern –
GRW fortführen und EU-Kohäsionspolitik zukunftsorientiert gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-
schaftsstruktur“ (GRW) ist seit 1969 das zentrale und bewährte Instrument zur
grundgesetzlich gebotenen Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in
Deutschland. Gemeinsam unterstützen Bund und Länder strukturschwache
Regionen, die den Strukturwandel nicht aus eigener Kraft bewältigen können
bzw. die vor besonderen regionalen Herausforderungen stehen.

Hauptziel ist die Schaffung bzw. Sicherung dauerhaft wettbewerbsfähiger Ar-
beitsplätze in strukturschwachen Regionen durch die Förderung von gewerb-
lichen Investitionen, Investitionen in die wirtschaftsnahe Infrastruktur und ge-
zielten Maßnahmen zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mitt-
lerer Unternehmen (KMU).

Die GRW wird beständig weiterentwickelt und aktuellen Entwicklungen ange-
passt. So wurde mit dem Maßnahmenpaket zugunsten der Entwicklung struk-
turschwacher Regionen im ländlichen Raum das GRW-Gebiet speziell im länd-

lichen Raum ausgeweitet und mit neuen Fördermaßnahmen ergänzt. Dabei
kommt der Förderung und Aktivierung der regionalen Kräfte ein besonderer
Schwerpunkt zu.

Die positiven Beiträge der GRW für die wirtschaftlichen Chancen der Men-
schen in den strukturschwachen Regionen werden in der letzten Evaluation
deutlich hervorgehoben. Schwerpunkte der Förderung liegen eindeutig bei

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kleinen und mittleren Unternehmen und bei Innovationen. So haben die geför-
derten Unternehmen zwischen 1998 und 2008 einen Beschäftigungszuwachs in
Höhe von durchschnittlich 4,6 Prozent und einen Einkommenszuwachs in
Höhe von 6 Prozent. Gerade in den jüngsten Krisenjahren konnte mit dem Son-
derprogramm der GRW auf ein bewährtes und eingespieltes System zurückge-
griffen werden, um die wirtschaftliche Basis in den strukturschwachen Regio-
nen zu stärken.

Zwischen 2008 und 2010, also während des heftigsten Einbruchs der Konjunk-
tur in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, führten 5,8 Mrd. Euro
an GRW-Mitteln von Bund und Ländern sowie EFRE-Mittel (EFRE: Europä-
ischer Fonds für regionale Entwicklung) der Europäischen Union zu 25,1 Mrd.
Euro Investitionen von Unternehmen, in der gewerblichen Wirtschaft wurden
über 74 000 neue Dauerarbeitsplätze geschaffen und ca. 301 000 Dauerarbeits-
plätze erhalten. Hohe Mittelabflüsse von über 90 Prozent belegen das hohe In-
teresse seitens der Bundesländer und der Unternehmen vor Ort. Die Regional-
politik in Deutschland steht vor großen Herausforderungen:

• Die beihilferechtlichen Rahmenbedingungen für die nationale Regionalpoli-
tik werden von der Europäischen Kommission für die neue Förderperiode ab
dem Jahr 2014 neu ausgerichtet. Diese Regeln werden festlegen, wo und
was zukünftig in Deutschland regionalpolitisch gefördert werden darf.

• Der demographische Wandel wirkt zuerst in ländlichen und strukturschwa-
chen Räumen, also in jenen Gebieten, auf die sich die GRW-Mittel konzent-
rieren.

• GRW-Mittel stehen auch für die gewerbliche Umwidmung ehemaliger Bun-
deswehrstandorte zur Verfügung („Konversion“). Die angelaufene Reform
der Bundeswehr stellt eine neue Aufgabe für die GRW dar.

• Die Investitionszulage (I-Zulage) für Unternehmen in Ostdeutschland wird
Ende des Jahres 2013 auslaufen. Der Solidarpakt II zur Unterstützung der
ostdeutschen Bundesländer ist bis zum Jahr 2019 befristet. Die Mittel aus
den europäischen Strukturfonds werden in Deutschland ab dem Jahr 2014
vermutlich ebenfalls erkennbar zurückgehen, so dass der GRW eine höhere
regionalpolitische Verantwortung zukommt.

• Die europäischen Strukturfonds werden ab 2014 neu fokussiert.

Daher werden derzeit die Weichen dafür gestellt, dass die GRW effektiv und
flexibel zur Stärkung der Regionen im Standortwettbewerb beitragen kann und
auch die strukturschwachen Regionen ihren Anteil am gesamtdeutschen Wirt-
schaftswachstum leisten können.

II. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,
im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel

1. den Haushaltstitel der GRW auf bestehendem hohem Niveau fortzuführen
und finanziell so auszustatten, dass sie strukturell wirksam bleibt,

2. bei der Haushaltsplanung für 2013 die Rolle der GRW bezüglich der Kon-
version ehemaliger Bundeswehrliegenschaften entsprechend zu würdigen,

3. gegenüber den Regierungen der Bundesländer auf der Sicherstellung der pa-
ritätischen Co-Finanzierung durch Landesmittel zu bestehen,

4. die Förderung in Regionen mit umfangreichen Strukturproblemen insbeson-
dere auch mit Maßnahmen fortzusetzen, die zur Aktivierung und Unterstüt-
zung lokaler Initiativen führen,
5. die kommunale Koordinierung und Kooperation in ländlichen Regionen zu
unterstützen,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9938

6. die Länder darin zu bestärken, die bestehenden Möglichkeiten der Breit-
bandförderung im Rahmen der GRW über technologieneutrale sowie wirt-
schaftliche Lösungen für Anschlüsse im Gewerbebereich zu nutzen.

Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bundesregierung bei den Verhandlun-
gen zur Weiterentwicklung der Regionalleitlinien der Europäischen Union. Es
muss faire und wirksame Übergangsregelungen für Regionen geben, die ihren
Status als A-Fördergebiet verlieren. In Deutschland betrifft dies konkret die
Unterstützung des Angleichungsprozesses der ostdeutschen Bundesländer. Ent-
sprechend dem Grundsatz der Subsidiarität müssen auch künftig nationale
Spielräume zur wirkungsvollen Förderung strukturschwacher Regionen in den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union bestehen. Dies betrifft auch die Förde-
rung strukturschwacher Regionen in Westdeutschland.

Regelungen der Europäischen Union dürfen den grundgesetzlichen Auftrag zur
Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland nicht behindern.

Der Deutsche Bundestag fordert daher von der Bundesregierung, in den Ver-
handlungen zur Weiterentwicklung der Leitlinien der Regionalpolitik der Euro-
päischen Union, den Einsatz für

7. die Verlängerung der Übergangsperiode für ex-A-Gebiete bis 2020,

8. die Begrenzung des Fördergefälles zu Höchstfördergebieten auf 15 Pro-
zentpunkte,

9. die Beibehaltung des nationalen Vergleichsmaßstabes bei der Berechnung
des C- Plafonds,

10. die Fördermöglichkeit von Großunternehmen auch in ex-A- und C-Gebie-
ten,

11. die Beibehaltung des gesamteuropäischen Bevölkerungsplafonds von min-
destens 45,5 Prozent,

12. die Zuweisung eines gesonderten Kontingents an Fördergebietseinwohnern
ohne Anrechnung auf den regulären Bevölkerungsplafond für die Gebiete,
die an ein A-Fördergebiet eines anderen Mitgliedstaats grenzen,

13. die Verwendung der Datengrundlage von 2007 bis 2009.

Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bundesregierung bei den Verhandlun-
gen über die zukünftige Kohäsionspolitik. Insbesondere begrüßt er, dass die
Strukturfonds verstärkt auf die Ziele der Strategie Europa 2020 ausgerichtet
werden und damit Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltiges Wachstum vorantrei-
ben. Dabei muss die Kohäsionspolitik weiter auf das Vertragsziel, den Abbau
regionaler Entwicklungsunterschiede, ausgerichtet bleiben. Wir brauchen einen
effizienten und zweckmäßigen Einsatz der EU-Mittel in allen Staaten. Daher ist
die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene thematische Ausrich-
tung und Konzentration der künftigen Kohäsionspolitik in weiten Teilen sinn-
voll. Allerdings müssen den Regionen dabei Spielräume verbleiben, um den
spezifischen regionalen Bedürfnissen und Erfordernissen Rechnung tragen zu
können.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich in den weiteren
Verhandlungen des Legislativpaketes für die Kohäsionspolitik einzusetzen für

14. eine Konzentration auf nachhaltiges Wirtschaftswachstum, das die Wettbe-
werbsfähigkeit stärkt und Beschäftigung sichert. Dabei sollte dem differen-
zierten Förderbedarf der einzelnen Regionen hinreichend Spielraum gege-
ben werden;

Drucksache 17/9938 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
15. eine an den Zielen der Europa-2020-Strategie ausgerichtete Konzentration
auf den Übergang zu einer CO2-armen, dem Klimawandel standhaltenden,
ressourceneffizienten und umweltverträglichen Wirtschaft, auf Innovation
und Forschung sowie auf die Wettbewerbsfähigkeit von KMU;

16. die Förderfähigkeit von Unternehmensinvestitionen auch außerhalb von
KMU;

17. ein Sicherheitsnetz für ehemalige Konvergenzregionen, das mindestens
zwei Dritteln der Förderung aus 2007 bis 2013 entspricht;

18. die Sicherstellung eines effizienten und zweckmäßigen Einsatzes der EU-
Mittel in allen Mitgliedstaaten, im Sinne von „better spending“, und deren
regelmäßige Fortschritts- und Erfolgskontrolle;

19. die Senkung der Bürokratiekosten bei der Umsetzung der Kohäsionspolitik
für alle Beteiligten, insbesondere für die nationalen Behörden und die be-
troffenen Unternehmen;

20. die Fortführung der europäischen territorialen Zusammenarbeit und im
Speziellen für eine Abfederung des Förder- und Behilfengefälles in den
Grenzregionen;

21. die Verhinderung der Einflussnahme der Europäischen Kommission auf
kohäsionsfremde Politikfelder durch die „Ex-ante-Konditionalitäten“, die
außerhalb der EU-Kompetenzen liegen. Da die Strukturförderung in
Deutschland im Wesentlichen durch die Länder umgesetzt wird, ist diese
von der Europäischen Kommission angestrebte Einflussnahme problema-
tisch;

22. die Aufrechterhaltung der Förderfähigkeit touristischer Infrastruktur in
ländlichen Räumen.

Berlin, den 12. Juni 2012

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion

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