BT-Drucksache 17/9932

Mehr Sicherheit bei Medizinprodukten

Vom 12. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9932
17. Wahlperiode 12. 06. 2012

Antrag
der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, Petra Ernstberger,
Elke Ferner, Dr. Edgar Franke, Iris Gleicke, Angelika Graf (Rosenheim),
Dr. Karl Lauterbach, Steffen-Claudio Lemme, Hilde Mattheis, Thomas
Oppermann, Mechthild Rawert, Dr. Carola Reimann, Ewald Schurer,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Mehr Sicherheit bei Medizinprodukten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Patientinnen und Patienten, bei deren Behandlung Medizinprodukte verwendet
werden, müssen sich darauf verlassen können, dass diese Produkte funktionsfä-
hig und sicher sind. Durch ihren Einsatz muss sichergestellt sein, dass ihr Nut-
zen eventuelle Risiken überwiegt. Das gilt vor allem für Medizinprodukte, die
in den Körper der Patientinnen und Patienten implantiert werden und dort u. U.
für viele Jahre verbleiben, wie es z. B. bei künstlichen Gelenken, Herzschritt-
machern, Stents oder Brustimplantaten der Fall ist.

Bei einem neuen Arzneimittel können sich Patientinnen und Patienten darauf
verlassen, dass Risiken und Nutzen in klinischen Studien belegt worden sind,
bevor es eine europaweite amtliche Zulassung erhält. Dagegen müssen die Her-
steller von Medizinprodukten lediglich freiwillige Selbsterklärungen gegenüber
sogenannten Benannten Stellen abgeben, damit sie ein CE-Zertifikat für ihr
Produkt bekommen und es in Verkehr bringen dürfen.

Immer wieder wird über Vorkommnisse mit fehlerhaften Medizinprodukten be-
richtet, in jüngster Vergangenheit z. B. bei Brustimplantaten, Metallhüftgelen-
ken oder Defibrillatoren. Diese Vorfälle haben gezeigt, dass die derzeitigen Re-
gelungen nicht ausreichen, um die Sicherheit der Patientinnen und Patienten zu
gewährleisten.

Vor allem bei Medizinprodukten der hohen Risikoklassen IIb und III ist ein ef-
fektiverer Patientenschutz notwendig. Dies beinhaltet sowohl eine Regulierung
des Marktzugangs als auch eine wirksamere Überwachung des Herstellungs-
prozesses und der im Umlauf befindlichen Produkte. Wenn ein Problem be-
kannt geworden ist, muss zudem sichergestellt werden, dass die betroffenen
Patientinnen und Patienten schnell informiert und die fehlerhaften Produkte
nicht weiter verwendet und vertrieben werden.
Wenn es trotzdem dazu kommt, dass Patientinnen und Patienten durch fehler-
hafte Medizinprodukte zu Schaden kommen, muss zumindest die Haftungs-
frage unmissverständlich und eindeutig geregelt sein. Den Betroffenen ist es
nicht zuzumuten, dass sie neben gesundheitlichen Schäden auch noch finan-
zielle Nachteile zu befürchten haben oder in langen Prozessen mit unklaren Er-
folgsaussichten um ihr Recht kämpfen müssen. Es ist auch nicht einzusehen,

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dass die gesetzlichen Krankenkenkassen für den Ersatz fehlerhafter Medizin-
produkte aufkommen und aus Beitragsmitteln der Versichertengemeinschaft
die Versäumnisse oder Betrügereien von Herstellern finanziert werden.

Für die Halter von Kraftfahrzeugen gibt es eine europaweite Haftpflichtversi-
cherungspflicht mit dem Ziel, die Insassen von Kraftfahrzeugen vor Schäden zu
bewahren. Dazu gehört außerdem ein durch die Haftpflichtversicherer finan-
zierter Entschädigungsfonds. Dieser Fonds befriedigt bei Problemfällen Ersatz-
ansprüche von Geschädigten; ergänzend dazu existiert eine Entschädigungs-
stelle für Schäden aus Auslandsunfällen. Dieses System funktioniert seit Jahr-
zehnten. Es ist nicht nachvollziehbar, dass ein ähnliches Schutzniveau für Pa-
tientinnen und Patienten, die Medizinprodukte implantiert bekommen, nicht
erreicht werden kann.

Völlig unverständlich ist zudem, dass unser Informationsstand über den lang-
fristigen Nutzen und die langfristigen Risiken von Medizinprodukten immer
noch unzureichend ist. Freiwillige Initiativen wie das voraussichtlich in diesem
Sommer startende Endoprothesenregister sind zu begrüßen, reichen jedoch
nicht aus, um den Bedarf der Versorgungsforschung zu decken. Patientinnen
und Patienten müssen wissen, wie lange ein Implantat voraussichtlich hält und
welche Verbesserungen, Einschränkungen oder Risiken damit verbunden sein
können, bevor sie die Entscheidung für oder gegen eine Operation treffen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine europaweit einheitliche amtliche Zulassung für Medizinprodukte der
Risikoklassen IIb und III zu erreichen

Die Bundesregierung soll auf europäischer Ebene darauf hinwirken, dass für
Medizinprodukte der Risikoklassen IIb und III, zusätzlich zu den bisher vorge-
schriebenen Selbsterklärungen der Hersteller, ein einheitliches Zulassungsver-
fahren eingeführt wird. Die Medizinprodukte dieser Risikoklassen erhalten eine
amtliche Zulassung. Für die Zulassung und bei signifikanten Änderungen an
Bauweise, verwendeten Materialien oder Produktionsmethoden sollen klini-
sche Studien mit patientenrelevanten Endpunkten durchgeführt werden. Ziel
muss es sein, dass nur solche Medizinprodukte zugelassen werden, für die der
Patientennutzen im Verhältnis zu den Risiken nachgewiesen und vertretbar ist.
Alle Studien müssen – unabhängig von den Ergebnissen – im Deutschen Regis-
ter Klinischer Studien veröffentlicht werden.

Um schnell einen besseren Schutz der Patientinnen und Patienten in Deutsch-
land zu erreichen, sollen die Kosten für neu auf den Markt kommende Medizin-
produkte der Risikoklassen IIb und III von den gesetzlichen Krankenkassen nur
dann getragen werden dürfen, wenn ihr Patientennutzen im Verhältnis zu den
Risiken nachgewiesen und vertretbar ist;

2. die Sicherheit von Medizinprodukten zu verbessern, die schon auf dem
Markt sind

Die Benannten Stellen werden verpflichtet, im Rahmen der Bewertung neuer
Medizinprodukte eine Baumusterprüfung vorzunehmen und die auf dem Markt
befindlichen Medizinprodukte durch regelmäßige Stichprobenziehungen mit
den Baumustern zu vergleichen. Die Fertigungsstätten müssen durch die Be-
nannten Stellen durch unangekündigte Besuche kontrolliert werden. Im Rah-
men dieser Kontrollen müssen ebenfalls Stichproben von Medizinprodukten
aus dem Fertigungsprozess gezogen und überprüft werden;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9932

3. eine Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung für die Hersteller
von Medizinprodukten einzuführen

Für Medizinprodukte der Klassen IIb und III muss der Hersteller bzw. das Un-
ternehmen, das die Medizinprodukte in Umlauf bringt – unabhängig von seiner
Rechtsform – in Zukunft eine Haftpflichtversicherung abschließen, so dass si-
chergestellt ist, dass im Fall eines Schadens alle betroffenen Patientinnen und
Patienten in vollem Umfang entschädigt werden. Um die Patientinnen und Pa-
tienten in Fällen abzusichern, in denen weder der Hersteller noch seine Haft-
pflichtversicherung die Ansprüche aus einem eingetretenen Schaden beglei-
chen will oder kann, wird ein Entschädigungsfonds errichtet, der durch Bei-
träge der Haftpflichtversicherer finanziert wird. Die Bundesregierung wird auf-
gefordert, auf eine europaweit einheitliche Regelung, analog zur KFZ-
Haftpflicht, hinzuwirken;

4. den Austausch von Implantaten auf Kosten des Herstellers bei Serienfehlern
zu ermöglichen

Bei fehlerhaften Serien von Medizinprodukten wird es den betroffenen Patien-
tinnen und Patienten ermöglicht, auch vor Eintritt eines möglichen Schadens
die Medizinprodukte der fehlerhaften Serie auf Kosten des Herstellers austau-
schen zu lassen;

5. ein Implantatregister zur Versorgungsforschung und ein Verzeichnis zur
Rückverfolgung bei bekannt gewordenen Problemen einzurichten

Für alle Medizinprodukte der Klasse III wird ein zentrales Register eingerich-
tet, in dem alle Daten gespeichert werden, die für die Versorgungsforschung re-
levant sind.

Um bei bekannt gewordenen Problemen die betroffenen Patientinnen und Pa-
tienten möglichst schnell informieren zu können, wird außerdem ein Verzeich-
nis eingerichtet, in dem die benötigten Informationen enthalten sind, um direkt
Kontakt mit den Patientinnen und Patienten aufnehmen zu können. Die Anfor-
derungen des Datenschutzes sind dabei zu berücksichtigen;

6. Möglichkeiten zu prüfen, wie die Meldungen über Vorkommnisse und Pro-
bleme bei Medizinprodukten national und international verbessert werden
können

Die bestehenden Regelungen und Pflichten zur Meldung und Information bei
Vorkommnissen sind unzureichend. Um eine Verbesserung der völlig unzurei-
chenden Informationslage zu erreichen, müssen Verstöße gegen bestehende
Meldeverpflichtungen wirksam überwacht und ggf. spürbar sanktioniert wer-
den. Überdies sollte bei unterlassenen Meldungen durch einen Arzt oder ein
Krankenhaus eine Beweislastumkehr greifen, sodass Patientinnen und Patien-
ten bei späteren gerichtlichen Auseinandersetzungen bessergestellt werden. Die
Benannten Stellen müssen in den Informationsfluss eingebunden werden, um
ihren Prüf- und Kontrollpflichten nachkommen zu können.

Berlin, den 12. Juni 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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