BT-Drucksache 17/9931

Ausgleichsabgabe erhöhen und Menschen mit Behinderung fairen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen

Vom 12. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9931
17. Wahlperiode 12. 06. 2012

Antrag
der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben), Anette Kramme, Josip Juratovic,
Anton Schaaf, Petra Ernstberger, Elke Ferner, Iris Gleicke, Hubertus Heil (Peine),
Gabriele Hiller-Ohm, Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf,
Gabriele Lösekrug-Möller, Katja Mast, Thomas Oppermann, Ottmar Schreiner,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Ausgleichsabgabe erhöhen und Menschen mit Behinderung fairen Zugang zum
Arbeitsmarkt ermöglichen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In Deutschland hat die Unterstützung von Menschen mit Behinderung eine
lange Tradition. Bereits 1974 wurde mit der Umwandlung des „Schwerbeschä-
digtengesetzes“ ins „Schwerbehindertengesetz“ ein erster Paradigmenwechsel
vollzogen. Neben Kriegsgeschädigten, Blinden und Körperbehinderten wurden
von nun an alle Menschen mit Behinderung in den gesetzlichen Schutz mit ein-
bezogen. Ein Meilenstein wurde im Jahr 2001 durch die Etablierung des Neun-
ten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) geschaffen, welches behinderten Men-
schen Teilhabe in der Arbeitswelt und der Gesellschaft zusichert. 2002 trat das
Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes in Kraft, in dem das Benachteili-
gungsverbot konkretisiert und Barrierefreiheit verankert wurde. Ein weiterer
Schritt erfolgte durch die 2006 von den Vereinten Nationen verabschiedete und
2009 in Kraft getretene UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Be-
hinderungen. Die Ratifizierung des Übereinkommens durch den Bundestag und
den Bundesrat erfolgte bereits im Jahr 2008.

Mit der Konvention wird das Ziel verfolgt, Menschen mit Behinderung die
volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft sowie die Einbeziehung in die
Gesellschaft zu gewährleisten. Dies bedeutet, dass Menschen mit Behinderung
in die Lage versetzt werden sollen, ein Höchstmaß an Unabhängigkeit sowie
umfassende körperliche, geistige, soziale und berufliche Fähigkeiten zu errei-
chen und zu bewahren. Zur umfassenden Teilhabe an allen Aspekten des Le-
bens gehört auch der vollständige Zugang zum Arbeitsmarkt.

In Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention heißt es unter der Prämisse
„Recht auf Arbeit“, dass die Arbeitsaufnahme für Menschen mit Behinderung
durch Maßnahmen der Staaten zu fördern ist. Ein Blick auf die Arbeitsmarkt-

zahlen für Menschen mit Behinderung zeigt, dass dieser Artikel bis jetzt nur
ungenügend umgesetzt wurde. Aus dem „Nationalen Aktionsplan der Bundes-
regierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention geht hervor,
dass rund drei Millionen Menschen mit Behinderung im erwerbsfähigen Alter
sind. In Deutschland herrscht eine in § 71 Absatz 1 SGB IX geregelte Pflicht
der Arbeitgeber zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen. Bei beschäf-
tigungspflichtigen Unternehmen handelt es sich um Arbeitgeberinnen und
Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich mindestens 20 Arbeitsplätzen. Sie ha-

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ben die Pflicht, auf wenigstens 5 Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte
Menschen zu beschäftigen. Für ein Unternehmen mit 20 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern muss demnach ein Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten
Menschen besetzt werden. Darüber hinaus müssen Arbeitgeberinnen und Ar-
beitgeber mit mehr als 40 Arbeitsplätzen zwei schwerbehinderte Menschen be-
schäftigen.

31 Prozent der deutschen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber haben weniger als
1 Prozent schwerbehinderte Beschäftigte. Fast jedes dritte Unternehmen erfüllt
die gesetzliche Beschäftigungspflicht von Menschen mit Behinderung dem-
nach überhaupt nicht oder völlig unzureichend. 2009 konnte im Durchschnitt
lediglich ein Anteil von 4,5 Prozent schwerbehinderter Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer erreicht werden. 106 800 Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber hatten
ihre Beschäftigungsquote nicht voll erfüllt und 37 800 beschäftigungspflichtige
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber hatten überhaupt keinen entsprechenden Ar-
beitsplatz besetzt. Es kann nicht sein, dass einerseits über Fachkräftemangel ge-
klagt wird und andererseits Bewerberinnen und Bewerber nicht eingestellt wer-
den, weil sie ein Handicap haben. Von den drei Millionen Menschen mit Behin-
derung im erwerbsfähigen Alter arbeiten circa 846 000 bei beschäftigungs-
pflichtigen Unternehmen. 142 700 schwerbehinderte Menschen sind bei
nichtbeschäftigungspflichtigen Unternehmen angestellt. Rund 280 000 Perso-
nen arbeiten in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Arbeitslos gemel-
det waren im Januar 2012 3 081 706 Menschen, darunter 182 390 schwerbehin-
derte Menschen, die überwiegende Mehrheit im Wirkungskreis des SGB II. Es
zeigt sich also, dass ein großer Teil der Menschen mit Behinderung im erwerbs-
fähigen Alter nach wie vor keinen Zugang zur Beschäftigung findet. Die spezi-
fische Arbeitslosenquote schwerbehinderter Menschen ist seit Jahren fast dop-
pelt so hoch wie die nichtbehinderter Personen und steigt weiter, obwohl nach
dem allgemeinen Trend die Arbeitslosigkeit abnimmt. Das liegt hauptsächlich
am Anstieg der Arbeitslosigkeit von älteren schwerbehinderten Menschen im
Alter von 55 bis 65 Jahren. Die Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt sich bei die-
sem Personenkreis zusehends und erschwert die Wiedereingliederung. Es liegt
eine mit Oktober 1999 vergleichbare Situation vor, als die Zahl der Arbeits-
losen unter den Schwerbehinderten 190 000 erreichte. Damals ist als Gegen-
mittel das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter ver-
abschiedet worden. Damit gelang es, die spezifische Arbeitslosigkeit dieser
Personengruppe um fast 25 vom Hundert zu senken. Es bedarf heute einer ver-
gleichbaren gesetzgeberischen Anstrengung:

Beschäftigungspflichtig sind Unternehmen, die jahresdurchschnittlich mindes-
tens über 20 Arbeitsplätze verfügen. Sie haben auf 5 Prozent ihrer Arbeitsplätze
im Sinne von § 73 SGB IX schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer zu beschäftigen (sog. Beschäftigungsquote). 2003 wurde die Quote von
6 auf 5 Prozent gesenkt. In der Konsequenz stieg die Zahl schwerbehinderter
Arbeitsloser. Die Absenkung hat also keine positiven Effekte für Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer gehabt. Deshalb sollte zur Quote von 6 Prozent zu-
rückgekehrt werden. Geändert werden hingegen muss die Definition von
Arbeitsplätzen nach § 73 Absatz 3 SGB IX. Danach werden Arbeitsplätze für
den Umfang der Beschäftigungspflicht dann nicht gezählt, wenn Arbeitnehme-
rinnen oder Arbeitnehmer mit weniger als 18 Stunden in der Woche beschäftigt
werden. Das privilegiert Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die nur geringfügig
Beschäftigte einsetzen. Dieses Privileg ist ungerecht. Es benachteiligt Arbeit-
geberinnen und Arbeitgeber, die Vollzeitarbeitsplätze einrichten: Wer
20 Vollzeitplätze hat, muss eine schwerbehinderte Arbeitnehmerin oder einen
schwerbehinderten Arbeitnehmer beschäftigen. Wer 10 000 geringfügig
beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat, muss keine schwer-

behinderte Arbeitnehmerin oder keinen schwerbehinderten Arbeitnehmer be-
schäftigen.

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Damit die beschäftigungspflichtigen Unternehmen die Quote erfüllen, werden
sie durch Erhebung einer Ausgleichsabgabe zur Schwerbehindertenbeschäfti-
gung angehalten (sog. Antriebsfunktion der Ausgleichsabgabe). Die Aus-
gleichsabgabe dient dazu, besondere Leistungen zur Förderung der Teilhabe
schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben sowie die begleitende Hilfe
durch die Integrationsämter zu finanzieren. Sie hat nicht nur eine Antriebs-,
sondern auch eine Ausgleichsfunktion, weil mit den Mitteln der Ausgleichs-
abgabe auch Leistungen an Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber erbracht werden,
die finanzielle Lasten tragen müssen, weil sie Arbeitsplätze für schwerbehin-
derte Menschen behindertengerecht einrichten und ausstatten. Hier liegt ein
Defizit vor; denn die Einnahmen durch die Abgabe decken lediglich 60 Prozent
der schwerbehindertenspezifischen Leistungen ab, die für behindertengerechte
Beschäftigung an Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern zu erbringen sind. Eine
Erhöhung der Mittel der Ausgleichsabgabe ist deshalb angebracht. Das geeig-
nete Mittel hierfür ist die Heraufsetzung der Höhe der Ausgleichsabgabe, die
zurzeit wie folgt nach dem Grad der Nichterfüllung progressiv gestaffelt ist.

Neben der von der Zahlung der Abgabe ausgehenden Antriebsfunktion werden
nach dem Gesetz Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die nicht alle betrieblichen
Möglichkeiten ausschöpfen, durch das Instrument des Ordnungswidrigkeiten-
rechts angehalten, ihre Beschäftigungsquote zu erfüllen. Nach § 156 Absatz 1
Nummer 1 SGB IX ist die vorsätzliche oder fahrlässige Nichterfüllung der Be-
schäftigungspflicht als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von bis zu
10 000 Euro zu ahnden. Zuständig ist als Verwaltungsbehörde die Bundesagen-
tur für Arbeit. Hier besteht seit langer Zeit ein erhebliches Vollzugsdefizit. Im
Jahr 2009 wurden insgesamt nur zehn Fälle aufgegriffen und sechs Verwarnun-
gen verhängt. 2010 wurden sogar nur vier Fälle behandelt und zwei Geldbußen
mit einer Gesamtsumme von lediglich 550 Euro verhängt. Die Bundesagentur
für Arbeit steht hier in einem Interessenkonflikt: Sie möchte nicht gegen Ar-
beitgeberinnen und Arbeitgeber ermitteln und Bußen verhängen, die sie als
Kundinnen oder Kunden für die Vermittlung von arbeitslosen Menschen in Ar-
beit gewinnen will.

Die berufliche Ausbildung ist in der Regel der erste Zugang zum Arbeitsmarkt.
Für Menschen mit Behinderung kann ihre Bedeutung nicht hoch genug ge-
schätzt werden. Die berufliche Ausbildung dient ihnen als Schlüssel für ein
selbstbestimmtes und inklusives Leben. Daher ist es erfreulich, dass sich die
Ausbildungssituation für Jugendliche mit Behinderung in den vergangenen Jah-
ren leicht verbessert hat. Dennoch ist der Anteil betrieblicher und außerbetrieb-
licher Ausbildungsmöglichkeiten ausbaufähig. Weniger als 1 Promille der be-
trieblichen Ausbildungsplätze ist barrierefrei oder barrierearm. Die Maßnah-
men, die im Rahmen des Ausbildungspaktes getroffen worden sind, werden
Menschen mit Behinderung nicht hinreichend gerecht.

Die institutionelle Förderung aus Mitteln der Ausgleichsabgabe für Wohnheime
und Werkstätten für behinderte Menschen betrug im Jahr 2010 immer noch
48 Mio. Euro. Diese Förderung muss zukünftig in die Förderung der Integra-
tion auf den ersten Arbeitsmarkt investiert werden. So wird dem Anspruch der
Inklusion entsprochen.

Die Förderungen durch das SGB IX sind primär auf Arbeitnehmerinnen und

Erfüllungsquote Abgabe für monatlich unbesetzten Pflichtplatz

3 bis unter 5 Prozent 115 Euro

2 bis unter 3 Prozent 200 Euro

0 bis unter 2 Prozent 290 Euro
Arbeitnehmer ausgelegt. Rund 200 000 Schwerbehinderte nehmen jährlich an
einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teil, wobei für das Jahr 2010 ein

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Rückgang von gut 10 Prozent zu verzeichnen ist. Menschen mit Behinderung,
die sich selbstständig machen wollen, haben das Nachsehen. Neben vielfältigen
(Kommunikations-)Barrieren, die zu Informationsdefiziten führen können,
wird der Wunsch nach Selbstständigkeit häufig mit der Begründung verneint,
dass das erzielte Einkommen nicht ausreichen würde, um davon den Lebens-
unterhalt zu bestreiten. Erfolgreiche Selbstständige sind potentielle Arbeitgebe-
rinnen oder Arbeitgeber. Eine verstärkte Förderung der Selbstständigkeit von
Menschen mit Behinderung kann schließlich ein Stück zu einem Mentalitäts-
wechsel innerhalb der Bevölkerung beitragen und damit zu einer stärkeren Ver-
ankerung des Inklusionsgedankens in der Mitte der Gesellschaft führen.

Als ebenso problematisch und dem Zugang von Menschen mit Behinderung
auf dem Arbeitsmarkt nicht dienlich stellt sich die strikte Einschränkung des
durch das SGB IX eingeschlossenen Kreises geförderter Personen dar. Das
SGB IX greift in seinem zweiten Teil nur, wenn der Grad der Behinderung we-
nigstens 50 oder wenigstens 30 mit Gleichstellungsbescheid wegen einer Ver-
mittlungserschwernis oder behinderungsbedingten Arbeitsplatzgefährdung be-
trägt. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist auch in diesem Zusammenhang
nicht vollständig umgesetzt. Der Geltungsbereich der Förderung ist im Über-
einkommen weiter gefasst. Eine behindertengerechte Beschäftigung der
Gruppe der Menschen mit „einfacher“ Behinderung wird bislang nur durch das
allgemeine Benachteiligungsverbot in den §§ 1 und 7 des Allgemeinen Gleich-
behandlungsgesetzes (AGG) und das Gebot der Rücksichtnahme bei Weisun-
gen im Rahmen von § 106 Satz 3 der Gewerbeordnung (GewO) „gefördert“.
Denn auch ein nach momentanem Recht geringerer Grad der Behinderung kann
im Arbeitsleben zu Einschränkungen führen und damit letztendlich Teilhabe
verhindern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung dazu auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der folgende Punkte umfasst:

1. Die Ausweitung der Behindertenrechte und das UN-Übereinkommen über
die Rechte von Menschen mit Behinderungen muss vollständig in deutsches
Recht umgesetzt werden, um eine umfassende Förderung für Menschen mit
Behinderung zu ermöglichen. Die in § 69 Absatz 1 Satz 6 SGB IX vorge-
nommene Beschränkung: „Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein
Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt“ ist dahin zu ändern:
„Eine Feststellung ist zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von we-
nigstens 10 vorliegt.“ In den versorgungsmedizinischen Grundsätzen wer-
den geringere Grade als 20 erfasst. Auch ein geringerer Grad der Behinde-
rung als 20 kann im Arbeitsleben zu Einschränkungen führen und damit
Teilhabe verhindern.

2. § 73 Absatz 3 SGB IX sollte gestrichen werden. Nach der bisherigen Rege-
lung werden Arbeitsplätze für den Umfang der Beschäftigungspflicht nicht
gezählt, wenn darauf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit weniger als
18 Stunden in der Woche beschäftigt werden.

3. Die Ausgleichsabgabe nach § 77 SGB IX je unbesetzten Pflichtplatz ist zu
erhöhen. Der besonderen Situation klein- und mittelständischer Unterneh-
men soll durch eine begleitende Ausweitung der Fördermöglichkeiten Rech-
nung getragen werden.

4. Die schrittweise Anhebung der Ausgleichsabgabe sollte wie folgt festgelegt
werden:

Bei einer Beschäftigungsquote von 3 bis weniger als künftig 6 Prozent sollte
dann die Ausgleichsabgabe pro fehlendem Arbeitsplatz/Monat von 115 Euro
auf 250 Euro, bei einer Beschäftigungsquote von 2 bis weniger als 3 Prozent

von 200 Euro auf 500 Euro und bei einer Beschäftigungsquote von weniger
als 2 Prozent von 290 Euro auf 750 Euro angehoben werden.

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5. Die institutionelle Förderung aus Mitteln der Ausgleichsabgabe ist zukünftig
nicht mehr für Werkstätten und Wohnheime, sondern für die Inklusion auf
dem Arbeitsmarkt zu verwenden. Die Aufteilung des Aufkommens der Aus-
gleichsabgabe ist dahingehend neu zu regeln, dass mehr Mittel für die För-
derung von Integrationsunternehmen und -projekte verwendet werden kön-
nen. Die Rücklagemittel im Ausgleichsfonds des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales sind für eine neue Beschäftigungsinitiative für schwer-
behinderte Arbeitslose zu verwenden.

6. Die Integrationsämter erhalten in § 102 SGB IX die ausdrückliche Aufgabe,
auch schwerbehinderte Menschen, die einer selbstständigen Erwerbstätig-
keit nachgehen, zu unterstützen. Die Förderung, die speziellen Bedürfnissen
entsprechen muss, sollte zeitlich begrenzt in Form von Budgets zur Verfü-
gung gestellt werden. Zur Diskussion der konkreten Ausgestaltung der För-
derung sollte ein Runder Tisch mit Vertreterinnen und Vertretern der Behin-
dertenverbände einberufen werden.

7. Die Schwerbehindertenvertretung nach dem SGB IX ist zu einer Behinder-
tenvertretung weiterzuentwickeln. Die in den Betrieben und Verwaltungen
gewählten Vertrauenspersonen der schwerbehinderten und gleichgestellt be-
hinderten Beschäftigten haben sich zu einem Motor für die Eingliederung in
Arbeit, Beruf und Gesellschaft entwickelt. Für die Durchsetzung der Teil-
haberechte nach der UN-Behindertenrechtskonvention ist die Ausweitung
des ehrenamtlichen Engagements der Vertrauenspersonen auf alle Beschäf-
tigten mit Behinderung sinnvoll. Da mit dieser Aufgabenerweiterung auch
die Anforderungen an die Schwerbehindertenvertretung als Ein-Personen-
Vertretung wächst, muss die Rechtsstellung des stellvertretenden Mitglieds
gestärkt werden. § 95 Absatz 1 Satz 4 SGB IX ist zu ändern: Die Vertrauens-
person ist bereits dann berechtigt das erste stellvertretende Mitglied zur
Erledigung bestimmter Aufgaben der Behindertenvertretung heranzuziehen,
wenn die Zahl der behinderten Menschen im Betrieb oder in der Dienststelle
in der Regel 50 übersteigt (bisher 100).

8. Die Bundesagentur für Arbeit ist dazu zu verpflichten, jährlich eine Über-
sicht über die Erfüllung der Beschäftigungsquote von allen Menschen mit
Behinderung zu erstellen und zu veröffentlichen.

Ergänzend sollte geprüft werden, ob im Sinne des Bürokratieabbaus die Be-
triebe ihre Meldungen zur Erfüllung der Beschäftigungsquote zusammen
mit der Anzeige aller Beschäftigungsverhältnisse an die Sozialversicherung
zum Jahresende erledigen könnten, und die Übersicht durch diese erstellt
und veröffentlich werden kann.

9. Die Beratung und Vermittlung von arbeitslosen schwerbehinderten Men-
schen seitens der Bundesagentur für Arbeit ist zu verbessern. Die Kontakt-
dichte zwischen Vermittlungsfachkräften und schwerbehinderten Arbeits-
losen ist zu gering. Darüber hinaus muss auch die Betreuung der sich im
Rechtsrahmen des SGB II befindlichen Menschen mit Behinderung verbes-
sert werden. In allen Agenturen und Jobcentern sind daher speziell für
schwerbehinderte Menschen qualifizierte Vermittlungsfachkräfte einzufüh-
ren, um eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderung beim Eintritt
in den Arbeitsmarkt fachlich auszugleichen. Am sinnvollsten wäre eine Be-
treuung aller schwerbehinderten Arbeitslosen und Leistungsempfangenden,
unabhängig vom Rechtskreis, durch die Agenturen für Arbeit. Die spezifi-
sche Personalausstattung bei der Agentur für Arbeit im Bereich Rehabilita-
tion ist deutlich zu verbessern. Die Fallquote pro Mitarbeiterin bzw. Mitar-
beiter in den nach § 104 Absatz 4 SGB IX einzurichtenden besonderen Stel-
len ist deutlich zu senken.

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10. Verstöße gegen die Beschäftigungspflicht sind als Ordnungswidrigkeiten
konsequent zu verfolgen und die Nichterfüllung der Mindestbeschäftigung
zu ahnden. Wenn die Verstöße gegen die Beschäftigungspflicht nicht ver-
folgt werden, handelt es sich um eine fahrlässige Nichterfüllung. Die ge-
setzliche Regelung sollte erweitert und dem § 151 Absatz 1 SGB IX sollte
folgender Satz angefügt werden: „Fahrlässig im Sinne der Nummer 1 han-
delt insbesondere, wer nicht ausreichend prüft, welche geeigneten Maßnah-
men zu ergreifen sind, um die Erfüllung der Beschäftigungspflicht entspre-
chend § 81 Absatz 3 des Neunten Buches sicherzustellen.“ Über die An-
zahl der Anzeigen, amtswegig aufgegriffene Fälle, Ermittlungen, Verwar-
nungen und Bußgeldverhängungen ist jährlich ein gesonderter
Tätigkeitsbericht vorzulegen. Die Bundesagentur für Arbeit ist nicht die
geeignete Verwaltungsbehörde, um diese Ordnungswidrigkeiten konse-
quent zu verfolgen. Auch eine Übertragung der Aufgabe auf die Integrati-
onsämter würde zu Interessenkonflikten führen. Bei der Bekämpfung von
illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit hat sich die Übertragung der
Kontrollaufgaben auf die Finanzkontrolle Schwarzarbeit bewährt. Dieser
sollte die Aufgabe übertragen werden. Hierzu muss sie entsprechend perso-
nell ausgestattet werden.

Berlin, den 12. Juni 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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