BT-Drucksache 17/9735

Myanmar - Reformkräfte unterstützen, den Wandel beschleunigen, Perspektiven eröffnen

Vom 22. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9735
17. Wahlperiode 22. 05. 2012

Antrag
der Abgeordneten Jürgen Klimke, Philipp Mißfelder, Michael Grosse-Brömer,
Stefan Müller (Erlangen), Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und
der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Patrick Kurth (Kyffhäuser), Bijan Djir-Sarai, Rainer
Brüderle und der Fraktion der FDP

Myanmar – Reformkräfte unterstützen, den Wandel beschleunigen,
Perspektiven eröffnen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Myanmar befindet sich auf einem positiven Weg, die jahrelange Militärdiktatur
schneller zu überwinden als es die meisten Beobachter nach wiederholter ge-
waltsamer Niederschlagung friedlicher Demokratisierungsversuche der Opposi-
tion durch das Regime in den letzten Jahren erwartet haben. Nach jahrzehntelan-
ger internationaler Isolation und strengen Sanktionen der westlichen Werte-
gemeinschaft entwickelt sich ein demokratischer Frühling. Die Nachwahlen für
das Parlament am 1. April 2012 waren eine entscheidende Bewährungsprobe für
die Ernsthaftigkeit des eingeschlagenen Demokratisierungsprozesses und die
Glaubwürdigkeit der Bemühungen der Regierung. Diese Bewährungsprobe hat
das Land bestanden. Die Wahlen waren friedlich und weitestgehend fair, der
Wahlsieg der Opposition wurde anerkannt. Der Deutsche Bundestag begrüßt die
Einladung der myanmarischen Regierung an ausländische Wahlbeobachter und
deren Beobachtung der Wahlen. Der ASEAN-Vorsitz (ASEAN = Association of
Southeast Asian Nations) Myanmars 2014 bedeutet eine enorme Chance für das
Land, sich als verlässlicher Partner darzustellen und sich weiter aus der interna-
tionalen Isolation zu befreien.

Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP beobachten in Myanmar den äußerst
seltenen Fall, dass sich eine Diktatur offenbar von sich heraus wandelt. Es ist ur-
sächlich dem neuen Staatspräsidenten Thein Sein zuzuschreiben, dass Opposi-
tionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi nach über
einem Jahrzehnt in Hausarrest mittlerweile als unabhängige Gesprächspartnerin
der Regierung akzeptiert wird, dass politische Gefangene freigelassen werden,
dass Internet- und Pressezensur massiv gelockert werden und nicht zuletzt die
öffentliche Meinung, wie beim Stopp des chinesischen Staudammprojektes, bei

den neuen Regierenden Gehör findet. Auch die Bemühungen um nationale Ver-
söhnung, das Ende des bewaffneten Konflikts und der Unterdrückung der ethni-
schen und religiösen Minderheiten weisen in diese Richtung. Zugleich verdie-
nen die Bereitschaft von Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi zum Dialog mit
der Regierung, zur Kandidatur bei den jüngsten Nachwahlen und zur aktiven
Mitarbeit in dem von der Regierung gesteuerten Reformprozess Respekt und
Anerkennung.

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Trotz dieser vielen sehr ermutigenden Signale muss der Prozess von der interna-
tionalen Gemeinschaft weiter kritisch begleitet werden. Noch immer haben pen-
sionierte sowie aktive Militärs die weitaus meisten Sitze in beiden Parlaments-
kammern auf Zentralstaatsebene und in allen Regionalparlamenten inne. Einige
politische Gefangene sind immer noch in Haft. Weitere Missstände bestehen
beispielsweise durch Folter, Kinderarbeit, Einsatz von Kindersoldaten und
Zwangsarbeit. Frieden, die Achtung der Menschenrechte sowie politische Lö-
sungen der Konflikte mit Minderheiten sind noch nicht erreicht. Jetzt gilt es,
eine Balance zu finden zwischen einer uneingeschränkten Anerkennung des Er-
reichten, der Förderung der weiteren Demokratisierung und dem Fordern, die-
sen Weg in allen Bereichen unvermindert fortzuführen, damit der demokratische
Reformprozess unumkehrbar wird. Dabei ist sicherzustellen, dass auch die
Grenzregionen angemessen in die demokratische und wirtschaftliche Entwick-
lung einbezogen werden und die dort lebenden Minderheiten angemessen im
politischen System repräsentiert werden.

Ob eine nachhaltige Demokratisierung in Myanmar gelingen wird, hängt von
politischen Reformen mit dem Ziel einer Verbesserung der Lebensumstände der
Menschen und dem weiteren Aufbau wirtschaftlicher Strukturen ab.

Richtungsweisend war die Zusicherung der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
im März 2011 gegenüber der Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionsführe-
rin Aung San Suu Kyi, die von ihr angestrebte Demokratisierung ihres Landes
zu unterstützen. Gezielte Besuche hochrangiger Vertreter, wie beispielsweise
zahlreicher Mitglieder des Deutschen Bundestages und des Beauftragten der
Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Markus
Löning, in Myanmar sind weitere wichtige Schritte. Die Fraktionen der CDU/
CSU und FDP begrüßen ausdrücklich, dass der damalige Staatsminister im Aus-
wärtigen Amt Dr. Werner Hoyer im November 2011 in Myanmar war und dass
der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dirk
Niebel im Februar 2012 als erster deutscher Bundesminister seit 1984 das Land
besucht hat. Der Besuch von Bundesminister Dr. Guido Westerwelle im April
2012, der als erster deutscher Außenminister seit 25 Jahren das Land besucht
hat, ist ein weiterer wichtiger Ausdruck der Anerkennung der Reformbemühun-
gen durch die Bundesregierung.

Die derzeitige positive Entwicklung in Myanmar, insbesondere die zufrieden-
stellenden Nachwahlen, rechtfertigt die Suspendierung der Sanktionen. Bei dem
zukünftigen Umgang mit Myanmar liegt der Schwerpunkt auf einem stufenwei-
sen Vorgehen und sollte sich zunächst auf die Verbesserung der grundlegenden
Lebensbedingungen der Menschen, einschließlich der Schaffung von nachhalti-
gen Arbeitsplätzen, z. B. durch Förderung der Privatwirtschaftsentwicklung so-
wie der Infrastruktur, der Agrarwirtschaft, der Gesundheit, der Förderung des
Bankensektors, der Bildung und der Ausbildung konzentrieren. Daher begrüßt
der Deutsche Bundestag, dass die EU-Außenminister am 23. April 2012 die
Sanktionen gegen Myanmar – mit Ausnahme des Waffenembargos – ausgesetzt
haben. Dieser Schritt basiert auf Grundlage der derzeitigen positiven politischen
Entwicklungen und mit Blick auf die Fortsetzung des Reformprozesses. Mit die-
sem klaren Signal stärkt die EU die Reformkräfte um Staatspräsident Thein Sein
und streckt die Hand zur Zusammenarbeit aus. Ferner begrüßt der Deutsche
Bundestag die von Bundesminister Dirk Niebel am 23. April 2012 in Aussicht
gestellte Aufstockung der Mittel von 6,2 Mio. Euro um weitere 10 Mio. Euro für
die Entwicklungszusammenarbeit mit Myanmar und die vom Bundesminister
des Auswärtigen Dr. Guido Westerwelle initiierte engere kultur- und bildungs-
politische Zusammenarbeit, einschließlich der geplanten Eröffnung eines Goethe-
Instituts, sowie den vom Auswärtigen Amt neu eingerichteten Ressortkreis
Myanmar zur engen Abstimmung aller deutschen Maßnahmen gegenüber

Myanmar.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9735

Es bedarf

• der Nutzung der Chancen, die die weitgehende Suspendierung des „Gemein-
samen Standpunktes“ bieten, und der Förderung des privatwirtschaftlichen
Engagements;

• der Unterstützung für einen nachhaltigen Aufbau einer Vertrauensbasis zwi-
schen den internationalen Institutionen und Staaten mit Myanmar sowie der
vollen Förderung der Integration Myanmars in den politischen und wirt-
schaftlichen Kontext Asiens;

• der Unterstützung bei der Schlichtung und nachhaltigen Lösung bewaffneter
Konflikte und einer Einbeziehung der ethnischen Minderheiten in die politi-
sche und wirtschaftliche Partizipation;

• der zügigen Wiederaufnahme der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit
mit Myanmar, besonders im Bereich der nachhaltigen Wirtschaftsentwick-
lung zusätzlich zu bisher schon geleisteten Hilfeleistungen durch Nichtregie-
rungsorganisationen; dabei sind finanzielle Zuwendungen entsprechend dem
Grundsatz der deutschen Entwicklungszusammenarbeit konditioniert an die
Einhaltung allgemeiner Menschenrechtsstandards gebunden;

• der politischen Unterstützung für die deutsche Wirtschaft bei der Verstärkung
ihres Engagements in Myanmar und die Verknüpfung von Entwicklungs- und
Außenwirtschaftspolitik zum Erreichen wirtschaftlicher und sozialer Ent-
wicklungsziele;

• nach den jüngsten erfolgreichen Besuchen von mehreren parlamentarischen
Delegationen aus Myanmar in Deutschland einer verstärkten Kooperation
des Deutschen Bundestages mit dem Parlament Myanmars, mit dem Ziel, den
Know-how-Transfer zwischen beiden Parlamenten zu fördern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Reformkräfte in Myanmar weiterhin zu unterstützen, den Wandel zu be-
schleunigen, insbesondere durch die Forderungen nach allgemeinen, unmit-
telbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen, welche an die positiven, de-
mokratischen Fortschritte bei der Parlamentsnachwahl vom 1. April 2012
anknüpfen, nach Achtung der Menschenrechte im Allgemeinen, der Rechte
von ethnischen und religiösen Minderheiten sowie der sofortigen Freilassung
aller politischen Gefangenen im Besonderen;

2. sich weiterhin in der EU dafür einzusetzen, die Unterstützung für weitere Re-
formen in Myanmar durch Reisen hochrangiger Vertreter zum Ausdruck zu
bringen;

3. weiterhin darauf hinzuwirken, dass die EU-Außenminister nach ihrem Be-
schluss vom 23. April 2012 weitere Schritte prüfen, damit die Europäische
Union in Abstimmung mit ihren Partnern geeignete Maßnahmen entwickelt,
mit denen die Reformkräfte in Myanmar unterstützen werden;

4. im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel kohärente Maßnah-
men zur wirtschaftlichen, sozialen und politischen Unterstützung des Reform-
prozesses zu erarbeiten und umzusetzen, welche die Belange der Außen-,
Menschenrechts-, Entwicklungs-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik ein-
schließen. Die Bundesregierung muss die Möglichkeiten, die ihr die weitge-
hende Suspendierung des „Gemeinsamen Standpunktes“ bietet, nutzen. Dies
beinhaltet die Wiederaufnahme der bilateralen Entwicklungszusammenar-
beit, die Verstetigung unserer humanitären Hilfe sowie weitere Unterstützung
der Demokratiebemühungen von Regierung und Zivilgesellschaft in Myan-

mar. Zur Erreichung dieser Ziele sollen unter anderem auch die politischen
Stiftungen und die Nichtregierungsorganisationen in die Lage versetzt wer-

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den, ihr Engagement insbesondere im Bereich „democracy-building“ auszu-
weiten;

5. die Bemühungen in Myanmar, zu einem friedlichen Zusammenleben aller
ethnischen und religiösen Gruppen bei Achtung der Rechte von Minderheiten
und der Religionsfreiheit zu kommen sowie die Rückkehr der Flüchtlinge aus
den Nachbarländern zu ermöglichen, durch geeignete Programme im Rah-
men der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel zu fördern;

6. für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Regierung Myanmars den
Bedürfnissen der Menschen prioritäre Sektoren festzulegen und dabei insbe-
sondere Möglichkeiten zur Förderung der Privatwirtschaftsentwicklung so-
wie Infrastruktur, Agrarwirtschaft, Gesundheit, Bildung und beruflichen Bil-
dung und des Bankensektors zu prüfen und mit der Umsetzung im Rahmen
der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel zeitnah zu beginnen;

7. dabei auch den Einsatz der Instrumente zur Beteiligung der deutschen Wirt-
schaft an der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit in Abstimmung mit
den Organisationen der Wirtschaft zu prüfen und gegebenenfalls mit dieser
Arbeit zeitnah zu beginnen;

8. Möglichkeiten für eine intensivierte Hochschulzusammenarbeit, gemeinsam
mit den Mittlerorganisationen, sowie die Eröffnung eines Goethe-Instituts zu
prüfen und auch ein verstärktes Engagement der Privatwirtschaft auf diesem
Gebiet zu fördern.

Berlin, den 22. Mai 2012

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion

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