BT-Drucksache 17/9728

Für eine Neubelebung und Stärkung der transatlantische Beziehungen

Vom 22. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9728
17. Wahlperiode 22. 05. 2012

Antrag
der Abgeordneten Hans-Ulrich Klose, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger,
Iris Gleicke, Ute Kumpf, Dr. Rolf Mützenich, Thomas Oppermann, Dr. Frank-Walter
Steinmeier und der Fraktion der SPD

Für eine Neubelebung und Stärkung der transatlantischen Beziehungen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die transatlantische Zusammenarbeit war und ist sowohl für Europa als auch
für Nordamerika von existenzieller Bedeutung.

Amerikaner und auch Kanadier haben in den Jahren nach 1945 mit einem
umfassenden Mittelansatz beim Wiederaufbau des verwüsteten Kontinents
geholfen. Ihre über das Kriegsende hinweg fortdauernde militärische Präsenz
hat Westeuropa vor dem Zugriff der Sowjetunion gesichert. Deutschland, ge-
nauer der westliche Teil des geteilten Landes, wandelte sich in den Nach-
kriegsjahren vom Feind zum Partner. Die Bundesrepublik Deutschland ent-
wickelte sich mit amerikanischer Hilfe zum Erfolgsmodell eines politisch-
demokratischen Neuanfangs und wirtschaftlichen Wiederaufstiegs. Festig-
keit gegen Druck und Erpressung, militärische Zusammenarbeit, verlässlich
abgesichert durch den NATO-Vertrag, dazu die in Europa in den 60er- und
70er-Jahren entwickelte Strategie der politischen Entspannung, die von den
USA begleitet und unterstützt wurde, führten zum Ende des Kalten Krieges.
Der Warschauer Pakt löste sich auf, die Sowjetunion zerfiel. Deutschland
blieb – wiedervereinigt – Mitglied der fortbestehenden NATO, der heute auch
die baltischen Staaten und mit Polen, Tschechien, der Slowakei, Slowenien,
Ungarn, Rumänien und Bulgarien vormalige Mitgliedstaaten des Warschauer
Paktes angehören.

2. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind noch immer die Führungsmacht
der NATO. Ihre militärische Präsenz in Europa hat sich jedoch verändert, und
zwar aus zwei Gründen:

– Die USA will, dass die europäischen NATO-Länder mehr Verantwortung
übernehmen für ihre eigene Sicherheit und zur Stabilisierung der europä-
ischen Peripherie und Nachbarschaft. Es geht um Lastenteilung (burden
sharing) im Sinne einer strategischen Mitverantwortung der Europäer in

einer veränderten Welt.

– Die USA bleiben in Europa mit reduzierten militärischen Kräften präsent,
orientieren sich aber stärker auf die Krisenregion Mittlerer Osten, auf Zen-
tralasien und den pazifischen Raum. Die strategische Neuausrichtung der
USA folgt damit der realen Entwicklung, genauer der seit Jahren zu be-
obachtenden Umverteilung von ökonomischer Dynamik und Macht in

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Richtung Pazifik. Für die pazifische Macht USA ist diese Neuausrichtung
folgerichtig. Barack Obama ist der erste Präsident, der dies offen aus-
gesprochen und sich selbst als pazifischen Präsidenten bezeichnet hat.

3. Die Konsequenzen dieser Entwicklung für die transatlantischen Bezie-
hungen sind unübersehbar:

3.1 Die NATO, das politische und militärische Bündnis des Westens, wird
bleiben, militärisch aber an Bedeutung verlieren. Umso wichtiger ist es,
die politischen und faire wirtschaftliche Beziehungen zwischen den atlan-
tischen Partnern in besonderer Weise zu pflegen.

3.1.1 Die politische Zusammenarbeit auf Regierungs- und Parlamentsebene
muss beibehalten und – wie schon bisher – durch Austausch von Personen
und Wissen ergänzt werden. Gesellschaftliche Organisationen (u. a. pri-
vate und politische Stiftungen) leisten dabei wertvolle Dienste, die sich im
bilateralen Verhältnis und darüber hinaus bewährt haben.

3.1.2 Die wirtschaftliche Zusammenarbeit könnte durch Einrichtung einer trans-
atlantischen Freihandelszone weiter ausgebaut werden. Deutschland – aus
amerikanischer Sicht das „europäische Powerhaus“ – sollte dieses trans-
atlantische Projekt mit Nachdruck fördern, vorantreiben und dabei anstre-
ben, dass die jeweils fortschrittlichsten Regeln hinsichtlich sozialer und
ökologischer Standards, der Regulierung der Finanzmärkte und der Trans-
parenz zugrunde gelegt werden.

3.2 Die europäischen Mitgliedsländer der NATO werden sich in Zukunft um
die eigene (europäische) Sicherheit und die Probleme in der europäischen
Nachbarschaft selbst kümmern müssen. Die USA werden (wie im Fall
Libyen) helfen, aber nicht führen. Sie erwarten, dass die Europäer strate-
gische Verantwortung übernehmen, vor allem an der südlichen und öst-
lichen Peripherie der Europäischen Union.

3.3 Die Europäer sind auf die Veränderungen im transatlantischen Verhältnis
und die daraus entstehenden Herausforderungen nur unzureichend vorbe-
reitet.

3.3.1 Es fehlt eine verlässliche Organisation der außen- und sicherheitspoliti-
schen Zusammenarbeit. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
(GASP) der EU ist von effektiver Handlungsfähigkeit weit entfernt. Dafür
gibt es viele Gründe. Sie resultieren nicht zuletzt aus der mangelnden Be-
reitschaft nationaler Regierungen, außen- und sicherheitspolitische Ver-
antwortung/Souveränität an Brüssel abzutreten. Gemeinsame Beschlüsse
werden zudem durch abweichendes Votieren und Handeln kleiner und
großer EU-Mitgliedsländer immer wieder infrage gestellt. Deutschland
hat dazu beigetragen, zuletzt durch sein politisches und faktisches Verhal-
ten im Fall Libyen. Dass muss sich ändern, wenn Europa vorankommen
soll. Alle EU-Länder, auch die sogenannten Großen, sollten ihre politische
Strategie danach ausrichten, dass sie handlungsfähig und stark nur dann
sind, wenn sie gemeinsam entscheiden und handeln. Deutschland als wirt-
schaftsstärkstes Land der EU ist dabei in besonderer Weise gefordert.
Auch Deutschland muss einen seinen Möglichkeiten entsprechenden Bei-
trag leisten, um Europa zusammenzuführen. In diesem Zusammenhang
wird es für die gesellschaftspolitische Akzeptanz der europäischen Inte-
gration darauf ankommen, dass die parlamentarische Dimension der
Europäischen Union nachhaltig gestärkt wird.

3.3.2 Die Fortsetzung und Vollendung des europäischen Projekts ist entschei-

dend für uns, für Europa und für den gesamten Westen, der sich durch
neue Mächte politisch und ökonomisch substantiell herausgefordert sieht.

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Europa war und ist ein Wiederaufbauprojekt, ein Friedensprojekt und zu-
gleich ein Projekt der Selbstbehauptung in einer sich rasch wandelnden
Welt. „Burden sharing“ (= solidarische Lastenteilung) lautet das Leitwort
künftiger transatlantischer und europäischer Zusammenarbeit. Die USA
haben das europäische Projekt immer gefördert und unterstützt. Sie haben
dies auch im eigenen Interesse getan; denn die USA braucht handlungs-
und leistungsfähige Partner, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen
und Lasten gemeinsam zu tragen. Darauf mit Nachdruck hinzuweisen, ist
wichtig vor allem in Zeiten des Umbruchs und der Krise. Das transatlan-
tische und europäische Projekt der Kooperation und verantwortungsvollen
Freiheit ist und bleibt zentrales Anliegen deutscher Außenpolitik.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. zusammen mit den europäischen Partnern einen neuen und kraftvollen Im-
puls für eine dringend notwendige Stärkung der transatlantischen Partner-
schaft insbesondere im politischen und wirtschaftlichen Bereich zu ent-
wickeln;

2. die jüngste Initiative der US-Administration zur Neubelebung und Stärkung
der transatlantischen Beziehungen positiv zu beantworten;

3. zusammen mit den europäischen Partnern und den USA neue Impulse zur
Gestaltung der gesamteuropäischen Sicherheit zu entwickeln;

4. die Ausrichtung der US-Außenpolitik auf den asiatisch-pazifischen Raum
auch als Chance zu nutzen, um mit einer abgestimmten europäischen
Außenpolitik einen Beitrag dazu zu leisten, dass auch in dieser Region die
Politik der Kooperation und des Interessenausgleichs Vorrang bekommt vor
einer Politik der Konfrontation;

5. neue Initiativen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle voranzubringen, um
der von dem US-Präsidenten Barack Obama als Ziel deklarierten atomwaf-
fenfreie Welt Schritt für Schritt näher zu kommen;

6. zusammen mit den Partnern darauf hinzuwirken, dass die geplante NATO-
Raketenabwehr in Kooperation mit Russland realisiert werden kann;

7. mit einer transatlantisch abgestimmten Strategie die Umbrüche in der arabi-
schen Welt politisch zu begleiten;

8. die politische Zusammenarbeit auf Regierungs- und Parlamentsebene zu in-
tensivieren und durch den Austausch von Personen und Wissen zu ergänzen.
Da in diesem Zusammenhang insbesondere den gesellschaftlichen Organi-
sationen – wie zum Beispiel den politischen Stiftungen – eine besondere
Mittlerrolle zukommt, sollte die Bundesregierung deren Arbeit gezielt för-
dern und unterstützen;

9. zur Stärkung der transatlantischen Beziehungen auch und gerade für die
junge Generation ein Sonderprogramm Transatlantischer Jugend- und Stu-
dierendenaustausch zu initiieren;

10. die bestehenden transatlantischen Partnerschaften in den Bundesländern
und Kommunen durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen, so dass z. B.
im Rahmen von Kulturaustausch und Spracherwerb die Basis für gegensei-
tiges Verständnis stärker gefördert wird;

Drucksache 17/9728 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
11. zusammen mit den europäischen Partnern die Einrichtung einer transatlan-
tischen Freihandelszone zu prüfen und dabei anzustreben, dass die jeweils
fortschrittlichsten Regeln hinsichtlich ökonomischer, sozialer und ökologi-
scher Standards, der Regulierung der Finanzmärkte und deren Transparenz
zugrunde gelegt werden.

Berlin, den 22. Mai 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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