BT-Drucksache 17/9727

Myanmar auf dem Weg zur Demokratie begleiten und unterstützen

Vom 22. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9727
17. Wahlperiode 22. 05. 2012

Antrag
der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Johannes Pflug, Karin Roth (Esslingen),
Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger, Dagmar Freitag, Iris Gleicke,
Günter Gloser, Hans-Ulrich Klose, Ute Kumpf, Dr. Rolf Mützenich, Thomas
Oppermann, Holger Ortel, Franz Thönnes, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Uta Zapf,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Myanmar auf dem Weg zur Demokratie begleiten und unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die neue Regierung Myanmars hat mit ihrer Amtsübernahme im März 2011 eine
Vielzahl von Reformen eingeleitet und die Hoffnung geweckt, dass die seit fast
50 Jahren andauernde Militärdiktatur in dem südostasiatischen Land überwun-
den werden kann. Wesentliche Elemente dieses Reformprozesses waren und
sind die Freilassung politischer Gefangener, die Wiederaufnahme des Dialoges
mit der Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi,
Fortschritte im Friedensprozess mit den ethnischen Minderheiten sowie die
begonnene Liberalisierung etlicher gesellschaftspolitischer und sozioökonomi-
scher Bereiche.

Die Nachwahlen zum nationalen Parlament am 1. April 2012 haben diese Hoff-
nungen und Entwicklungen noch einmal verstärkt. Mit der erstmaligen Zulas-
sung der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) und den in dieser Region über-
durchschnittlich freien und fair durchgeführten Wahlen, hat Myanmar einen
wichtigen Schritt gemacht. Der begonnene Reformprozess wird von der interna-
tionalen Gemeinschaft unterstützt und nährt in nicht unerheblichem Maße einen
weiterhin noch fragilen Demokratisierungsprozess. Präsident Thein Sein scheint
entschlossen, die Öffnung weiter voranzutreiben und Myanmar zu einer „echten
Demokratie“ zu führen, wie er es selbst formuliert. Der Reformprozess ist je-
doch eindeutig noch nicht so stabil, dass er unumkehrbar wäre. Es gibt auch in-
nerhalb der politischen Führung Myanmars noch immer einflussreiche Gegner
des neuen Weges. Alle politischen Kräfte – sowohl in Myanmar als auch in der
internationalen Staatengemeinschaft – sind daher gefordert den Reformprozess
weiter zu unterstützen. Das Militär, welches noch immer eine große Machtfülle
besitzt und dem die Verfassung eine Sperrminorität von 25 Prozent der Sitze im
Ober- und Unterhaus, sowie in den 14 Regionalparlamenten garantiert, spielt

weiterhin eine entscheidende Rolle und hat demnach eine besondere Verantwor-
tung im Reform- und angestrebten Demokratisierungsprozess.

Deutschland und Europa sollten alle Schritte unterstützen, die die politischen,
sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen für die Menschen in Myanmar spür-
bar und nachhaltig verbessern. Die deutliche und vor allem auch nachhaltige
Verbesserung der Menschenrechtslage, die Stärkung der Frauenrechte und Fort-
schritte bei der Geschlechtergleichstellung müssen dabei wesentliche und zu

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priorisierende Ziele sein. Hier sind trotz des teilweise beeindruckenden Tempos
noch weitere Schritte notwendig.

Die Aussetzung des größten Teils der bestehenden Sanktionen der Europäischen
Union gegenüber Myanmar ist ein wichtiges Zeichen der Unterstützung des Re-
formprozesses. Die EU-Mitgliedstaaten können jetzt dringend benötigte Hilfe-
stellungen z. B. bei der Modernisierung des Bildungssystems, bei der Armuts-
bekämpfung, beim Aufbau eines funktionierenden Gesundheitswesens und bei
der Förderung der ländlichen Entwicklung leisten. Die weitere nachhaltige wirt-
schaftliche Entwicklung und der Aufbau sozialer Sicherungssysteme sind drin-
gend notwendig, um den politischen Prozess zu unterstützen. Ein vollständiger
und dauerhafter Wegfall der Sanktionen wäre jedoch bei allen noch offenen Fra-
gen nicht zielführend gewesen. Dennoch gilt es zu überprüfen, ob die auf ein
Jahr befristete Aussetzung der Sanktionen ausreichend Möglichkeiten bietet,
auch längerfristige Unterstützungen leisten zu können.

Die Verwirklichung weiterer grundlegender wirtschaftlicher und sozialer Refor-
men muss dabei mit der stärkeren Beteiligungsmöglichkeit von zivilgesell-
schaftlichen Akteuren und insbesondere von Gewerkschaften einhergehen. Die
Militärregierungen Myanmars haben die freie Betätigung von Gewerkschaften
seit Jahrzehnten unterbunden, Tarifverhandlungen finden nicht statt, Arbeitneh-
merrechtsverletzungen sind weit verbreitet und Zwangsarbeit ist noch immer
existent. Das im Oktober 2011 verabschiedete und nun anfänglich implemen-
tierte neue Gewerkschaftsgesetz weckt Hoffnungen auf eine Verbesserung der
Lage. Deshalb kommt es darauf an, das Gesetz in der Praxis weiter im Sinne
einer effektiven Arbeitnehmervertretung anzuwenden und keine neuen Hemm-
nissen und Hürden aufzubauen, die eine freie Gewerkschaftsarbeit behindern
würden. Auch das Verbot von Zwangsarbeit muss unbedingt umgesetzt werden.
Die in der Vergangenheit verbotenen Gewerkschaften wie der Freie Gewerk-
schaftsbund Birmas, der Federation of Trade Unions – Burma (FTUB) müssen
mit seiner gewählten Führung wieder zugelassen und aus dem Exil zurückkeh-
ren können. Zudem ist es wichtig, dass Myanmar alle Kernarbeitsnormen der
Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ratifiziert. Dies sind vor allem das
Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektivverhandlungen (ILO-Konvention 98),
Entgeltgleicheit (ILO-Konvention 100), Diskriminierungsverbot im Beruf (ILO-
Konvention 111) und das Verbot von Kinderarbeit (ILO-Konventionen 138
und 182).

Myanmar ist trotz reicher natürlicher Ressourcen ein armes Land. Bei der wei-
teren internationalen Zusammenarbeit muss sichergestellt werden, dass die Ein-
nahmen aus den Rohstoffvorkommen nicht alleine den Industrie- und Schwel-
lenländern zugute kommen, sondern als Grundlage für ein eigenes nachhaltiges
und breitenwirksames wirtschaftliches Wachstum in Myanmar selbst genutzt
werden können.

Ein Schwerpunkt sollte hier auf größerer Transparenz der Rohstoffeinnahmen
durch Teilnahme Myanmars an internationalen „Transparenzstrukturen“ wie
z. B. der Extractive Industry Transparency Initiative (EITI) liegen. Auch Pro-
gramme zur Nutzung von Rohstoffeinkommen für eine sozial gerechte und
nachhaltige Entwicklung wären sehr wünschenswert. Beide Vorhaben können
von bilateralen und multilateralen Gebern sowie von auf diese Themen spezia-
lisierte internationale zivilgesellschaftliche Gruppen mitfinanziert und inhaltlich
unterstützt werden.

Eine weitaus größere Herausforderung im Reformprozess stellt die Beilegung
der seit Jahrzehnten andauernden ethnischen Konflikte dar. Die Friedensinitia-
tive der Regierung zeigt zwar erste Erfolge, eine dauerhafte Befriedung der
Konflikte wird jedoch beträchtliche Zeit brauchen. Entscheidend ist, dass die

neue Regierung in den ethnischen Widerstandsgruppen nicht mehr nur aus-
schließlich ein Sicherheitsproblem sieht, sondern bereit ist die tieferliegenden

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Ursachen der Konflikte anzugehen. Nicht zu unterschätzen bei dieser neuen
Friedensinitiative ist die Rolle von zivilgesellschaftlichen Organisationen, deren
Arbeit in besonderem Maße von Deutschland unterstützt werden sollte. Gerade
diesen Organisationen kam bei den Waffenstillstandsverhandlungen der letzten
Monate eine wichtige Aufgabe zu. Es bleibt offen, wie erfolgreich die Initiativen
der jetzigen Regierung in diesem Bereich sind. Die Interessenlagen sind auf
allen Seiten sehr vielfältig. Es gilt jedoch, den eingeschlagenen Weg zu unter-
stützen.

Die Zielsetzung der neuen Regierung Myanmars ihre Außenbeziehungen ausge-
wogener zu gestalten – sowohl durch eine engere Anbindung an die ASEAN
(ASEAN = Association of Southeast Asian Nations) als auch durch mehr Kon-
takte zu Europa und den USA – ist zur Flankierung des Reformprozesses unver-
zichtbar. Dies zeigen unter anderem die Würdigung der Reformschritte durch
die Staats- und Regierungschefs der ASEAN-Staaten und der beschlossene
ASEAN-Vorsitz Myanmars für das Jahr 2014.

Der Europäischen Union kommt hierbei eine besondere Verantwortung und
Rolle zu. Ziel der anstehenden Gespräche mit Myanmars Regierungsvertretern
muss eine gemeinsame Programmierung der Strategie für die Entwicklungs-
zusammenarbeit durch Kommission und Mitgliedstaaten sein. Die Zusammen-
arbeit muss sich an den Grundwerten der Europäischen Entwicklungsarbeit, wie
Menschenrechte, verantwortungsvolle Regierungsführung und Nachhaltigkeit
orientieren.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

gemeinsam mit den europäischen Partnern:

1. den Reformprozess in Myanmar und alle ihn tragenden Kräfte weiterhin zu
unterstützen und gleichzeitig kritisch zu begleiten;

2. den Kapazitätsaufbau in Regierung, Verwaltung und Zivilgesellschaft Myan-
mars inhaltlich und finanziell zu unterstützen und hier insbesondere auch die
Kompetenzen und Erfahrungen der politischen Stiftungen einzubeziehen, um
dadurch einen Beitrag bei der Umsetzung der notwendigen sozio-ökonomi-
schen Reformen zu leisten;

3. aufbauend auf den deutschen Erfahrungen ziviler Konfliktbearbeitung und
Mediation Beiträge zur Stärkung der ethnischen Minderheiten und zur Lö-
sung der regionalen Konflikte zu leisten;

4. durch die politische Zusammenarbeit mit Myanmar dazu beizutragen, die
Mitwirkungs- und Entfaltungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft bei der
weiteren Umsetzung des Reformprozesses zu erhöhen;

5. sich – begleitet durch einen breiten gesellschaftlichen Diskurs – für weiter-
gehende demokratische Reformen in Myanmar bis zu den Wahlen im Jahr
2015 einzusetzen, mit dem Ziel, die Verfassung weiterzuentwickeln und die
dort festgeschriebene Sperrminorität des Militärs zu beseitigen;

6. die Gründung, den Aufbau und die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisa-
tionen und unabhängiger Medien zu unterstützen;

7. die Regierung Myanmars bei der Reform des Rechtswesens zu unterstützen,
um so ein wirklich unabhängiges und unparteiisches Justizwesen zu gewähr-
leisten;

8. sich konsequent für die Verbesserung der Menschenrechtslage und die Frei-
lassung aller politischen Gefangenen einzusetzen;

Drucksache 17/9727 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
9. die Regierung Myanmars aufzufordern, Vorwürfe der sexuellen Gewalt
durch die Streitkräfte Myanmars strafrechtlich zu verfolgen und den Einsatz
von Kindersoldaten unverzüglich einzustellen;

10. gegenüber der Regierung Myanmars die Bedeutung freier Gewerkschafts-
arbeit für die zukünftige Entwicklung des Landes zu unterstreichen und
hierzu auf eine weitere Verbesserung der Rahmenbedingungen für die
Arbeit der Gewerkschaften zu drängen;

11. Myanmar zur Umsetzung der ILO-Konvention, des Verbots von Zwangs-
arbeit und zur Ratifizierung aller ILO-Kernarbeitsnormen anzuhalten und
dabei zu unterstützen;

12. in diesem Zusammenhang den Ausbau des Büros der ILO in Myanmar zu
unterstützen und dazu auch finanzielle Beiträge zu leisten;

13. durch eine umfassende und mit der internationalen Gemeinschaft abge-
stimmte Entwicklungszusammenarbeit einen wesentlichen Beitrag bei der
Modernisierung des Bildungssystems, bei der Armutsbekämpfung, bei der
Verbesserung der Gesundheitsversorgung und der Förderung der ländlichen
Entwicklung zu leisten;

14. sich für eine gemeinsame Programmierung der Europäischen Entwick-
lungszusammenarbeit mit Myanmar und die Verhinderung der Ressourcen-
ausbeutung einzusetzen;

15. entsprechende Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die durch die Aus-
setzung der EU-Sanktionen zukünftig möglichen Handels- und Geschäfts-
beziehungen zwischen Deutschland und Europa sowie Myanmar so gestaltet
werden, dass sie in der Lage sind, vor allem die langfristige wirtschaftliche
und soziale Entwicklung des Landes zu unterstützen und ihre soziale und
ökonomische Nachhaltigkeit zu sichern.

Berlin, den 22. Mai 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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