BT-Drucksache 17/9638

Grenzüberschreitende Öffentlichkeitsbeteiligung beim Bau atomrechtlicher Anlagen in Nachbarstaaten

Vom 11. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9638
17. Wahlperiode 11. 05. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn,
Oliver Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch,
Dr. Hermann E. Ott, Elisabeth Scharfenberg, Dorothea Steiner und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Grenzüberschreitende Öffentlichkeitsbeteiligung beim Bau atomrechtlicher
Anlagen in Nachbarstaaten

In Nachbarstaaten wie in Polen, der Tschechischen Republik oder den Nieder-
landen sind Zulassungsverfahren im Gang bzw. werden vorbereitet, um atom-
rechtliche Anlagen zu genehmigen. Bestandteil dieser Verfahren ist auch eine
grenzüberschreitende Öffentlichkeitsbeteiligung, an der sich die deutsche Öf-
fentlichkeit beteiligen kann. Diese ist gemäß Espoo-Konvention bzw. Aarhus-
Konvention in Grundzügen geregelt, allerdings ergeben sich beim praktischen
Vollzug und der Einbeziehung der deutschen Öffentlichkeit in verfahrensrecht-
licher Hinsicht viele Fragen. Insbesondere ist zu klären, welche Rolle die Bun-
desregierung in solchen Verfahren einnimmt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Nach welchen Kriterien und Prämissen wird seitens der Bundesregierung
festgelegt, welche Behörde für die Koordination der jeweiligen Verfahren in
den Nachbarstaaten zuständig ist?

Hält die Bundesregierung bei atomrechtlichen Anlagen in Nachbarstaaten
das bisherige Vorgehen, bei dem eine Öffentlichkeitsbeteiligung deutscher
Bürgerinnen und Bürger stark von der Entscheidung einzelner deutscher Lan-
desregierungen hinsichtlich einer Betroffenheit abhängt, für angemessen und
sinnvoll, und welchen Verbesserungsbedarf sieht sie?

Hält sie es beispielsweise für eine ausreichende Wahrnehmung der Interes-
sen der deutschen Bürgerinnen und Bürger, wenn sich in der Praxis die Bun-
desländer Sachsen und Bayern von dem Atomkraftwerkprojekt Temelín 3
und 4 als betroffen ansehen, das Land Thüringen jedoch nicht?

2. Wie werden die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland über die laufenden
Verfahren in Kenntnis gesetzt?

Welche Homepage gibt Auskunft über die grenzüberschreitenden Öffentlich-
keitsbeteiligungen?

Werden vorhandene Auskunftsportale wie z. B. das länderübergreifende

„Portal U“ genutzt, um die deutsche Öffentlichkeit ausreichend über die Ver-
fahren zu informieren?

Wie wird sichergestellt, dass alle Bürgerinnen und Bürger, die sich beteiligen
wollen, auch rechtzeitig in Kenntnis gesetzt werden?

3. Wie wird sichergestellt, dass Einwendungen deutscher Bürgerinnen und Bür-
ger die zuständigen Stellen der Nachbarstaaten zuverlässig erreichen?

Drucksache 17/9638 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
4. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen Einwendungen der deut-
schen Öffentlichkeit in größerer Anzahl nicht bei der federführenden Ge-
nehmigungsbehörde des Nachbarstaates ankamen?

5. Wie würde die Bundesregierung reagieren, wenn ein solcher Fall eintreten
würde?

Wie definiert sie ihre Rolle in einem solchen Verfahrensfall?

Sieht sie sich als Anwalt der deutschen Öffentlichkeit oder nur als Bote, der
die entsprechenden Informationswege ebnet?

6. Wie wird sichergestellt, dass Einwendungen deutscher Bürgerinnen und Bür-
ger in Nachbarstaaten in den Verfahren angemessen berücksichtigt werden?

7. Wie trägt das jeweils federführende Ministerium (Landesumwelt- oder Bun-
desministerium) die Gewähr dafür, dass in den Zulassungsstellen des Nach-
barlandes die Einwendungen entsprechend gewürdigt werden?

8. Wie ist geregelt, dass auf deutsch verfasste Einwendungen in den Nachbar-
staaten im Verfahrensablauf berücksichtigt werden können?

Gibt es zwischen der federführenden Einrichtung von deutscher Seite und
dem federführenden Ressort des Nachbarstaates im Vorfeld der Öffentlich-
keitsbeteiligung Konsultationen über die Frage, wie die Verständigung si-
chergestellt wird?

9. Wenn die Bundesregierung feststellt, dass prozedurale Erfordernisse hin-
sichtlich der Öffentlichkeitsbeteiligung von Seiten des Nachbarlandes nicht
eingehalten werden, nach welchen Kriterien leitet sie gegebenenfalls ein
Vertragsverletzungsverfahren ein?

10. Wer überprüft, ob das Verfahren des Nachbarlandes europäischen Standards
entspricht?

11. Wie wird seitens der Bundesregierung Sorge dafür getragen, dass ein Er-
örterungstermin zu einem Vorhaben nicht nur in der Landessprache, sondern
auch auf Deutsch stattfindet, um der deutschen Öffentlichkeit Gelegenheit
zu geben, ihre Einwendungen vorzutragen und zu begründen?

Wie versucht die Bundesregierung, den jeweiligen Nachbarstaat davon zu
überzeugen, dass das Abhalten eines Erörterungstermins auf deutschem
Territorium sinnvoll und angemessen ist?

12. Wie organisiert die Bundesregierung, dass die Öffentlichkeit in Deutschland
erfährt, wie mit den Einwendungen umgegangen wurde?

13. Ist vorgesehen, dass der Genehmigungsbescheid zu einem atomrechtlichen
Vorhaben, welches in einem Nachbarland stattgefunden hat, in einer deut-
schen Behörde in deutscher Sprache ausgelegt oder in vergleichbarer Weise
zugänglich gemacht wird?

14. Was unternimmt die Bundesregierung, um nach dem Ausstiegsbeschluss
aus der Atomenergie im Jahr 2011 auf europäischer Ebene dafür zu sorgen,
dass atomrechtliche Anlagen in Mitgliedstaaten der Europäischen Union
nicht ohne Beteiligung der europäischen Bevölkerung realisiert werden
können?

15. Gibt es Bestrebungen seitens der Bundesregierung, sich dafür einzusetzen,
dass ein Klagerecht anerkannter Umweltverbände auch auf europäischer
Ebene künftig möglich sein soll?

Berlin, den 11. Mai 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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