BT-Drucksache 17/9576

Einführung eines generellen Schüler-BAföG - Ein Instrument für mehr Chancengleichheit im deutschen Schulsystem

Vom 9. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9576
17. Wahlperiode 09. 05. 2012

Antrag
der Abgeordneten Marianne Schieder (Schwandorf), Swen Schulz (Spandau),
Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, Willi Brase,
Ulla Burchardt, Petra Ernstberger, Michael Gerdes, Iris Gleicke, Klaus Hagemann,
Petra Hinz (Essen), Christel Humme, Oliver Kaczmarek, Daniela Kolbe (Leipzig),
Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Florian Pronold, René Röspel, Stefan
Schwartze, Andrea Wicklein, Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Einführung eines generellen Schüler-BAföG – Ein Instrument für mehr
Chancengleichheit im deutschen Schulsystem

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Zehn Jahre nach der PISA-Schuluntersuchung, die eine Debatte über den
Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schulerfolg anstieß, herrscht
immer noch ein massives Defizit an Chancengleichheit an deutschen Schulen.
Immer wieder belegen Studien aufs Neue, dass das Elternhaus und insbeson-
dere dessen finanzielle Möglichkeiten einen enormen Einfluss darauf haben, ob
Kinder die allgemeine Hochschulreife erlangen können.

Die jüngste Studie zur Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit im deut-
schen Schulsystem des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Techni-
schen Universität Dortmund und der Bertelsmann Stiftung vom März 2012 be-
legt erneut mit eindeutigen Zahlen den Zusammenhang zwischen schulischer
Leistung und sozialer Herkunft. So gelingt es Kindern einkommensschwacher
Eltern viel seltener, ein Gymnasium zu besuchen, als dem Nachwuchs von
Akademikern, auch wenn die Kinder gleich intelligent sind. Dieser Zusammen-
hang ist besonders in Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein ausge-
prägt. Dort ist die Chance der Akademikerkinder auf ein Abiturzeugnis gut
sechs Mal höher als die von Arbeiterkindern.

Auch wenn in Ländern wie Berlin, Brandenburg oder Hamburg der Unter-
schied nur beim Zweieinhalbfachen liegt, so ist die Problematik im gesamten
Bundesgebiet zu beobachten. Zieht man darüber hinaus die Studie „Herkunft
zensiert? Leistungsdiagnostik und soziale Ungleichheiten in der Schule“ im
Auftrag der Vodafone Stiftung Deutschland gGmbH vom November 2011 he-
ran, wird endgültig der Handlungsdruck offenbar: Die Ergebnisse zeigen auf,

dass es zwischen den Noten eines Schülers und dem sozialen Status seiner El-
tern einen Zusammenhang gibt.

Bundesweit gibt es derzeit kaum Unterstützung für finanziell schwächere
Eltern, deren Kinder aufgrund ihres Leistungsniveaus ein Gymnasium be-
suchen könnten. Lediglich Schülerinnen und Schüler einer weiterführenden
allgemeinbildenden Schule, die nicht bei den Eltern wohnen, können ab der

Drucksache 17/9576 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
zehnten Jahrgangsstufe ein elternabhängiges BAföG als Vollzuschuss erhalten.
Alle anderen, die im eigenen Elternhaus wohnen, werden derzeit davon aus-
geschlossen.

Bis 1982 gab es ein allgemeines BAföG für Schülerinnen und Schüler. Es bot
finanzielle Unterstützung für alle, die kein finanzstarkes Elternhaus hatten und
die allgemeine Hochschulreife erlangen wollten. Seit der Abschaffung dieser
Förderung durch die Regierung von Dr. Helmut Kohl ist der Anteil der Kinder
aus Arbeiterfamilien und aus prekären Familienverhältnissen, die studieren,
stetig zurückgegangen. Bereits die Entscheidung, nach der Grundschule auf ein
Gymnasium zu gehen, wird in Familien auch im Kontext ökonomischer Mög-
lichkeiten getroffen. Dies belegen unter anderem die regelmäßigen Sozialerhe-
bungen des Deutschen Studentenwerks e. V.

Eine gerechte Bildungsteilhabe ist Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches
Bildungssystem. Angesichts des drohenden Fachkräftemangels und der Tatsa-
che, dass die Quelle des Erfolgs für den Wirtschaftsstandort Deutschland im
Bildungsniveau der breiten Bevölkerung liegt, ist dringend Handlungsbedarf
geboten. Es ist nicht länger hinnehmbar, dass die Bildungsperspektiven unserer
Kinder in hohem Maße vom Budget der Eltern abhängen.

Es braucht daher ein breit aufgestelltes BAföG für Schülerinnen und Schüler,
das elternabhängig von Bund und Ländern gemeinsam getragen wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. umgehend einen Entwurf für eine 25. BAföG-Novelle vorzulegen, die Fol-
gendes beinhaltet:

a) Einführung eines BAföG für bedürftige Schülerinnen und Schüler weiter-
führender allgemeinbildender Schulen ab Klasse 10 als Vollzuschuss;

b) das BAföG für Schülerinnen und Schüler ist als Sozialleistung bedarfs-
abhängig zu gewähren, d. h. analog den geltenden Richtlinien für die
bestehende Förderung von Schülerinnen und Schülern von der wirt-
schaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern abhängig auszugestalten;

c) der Zuschuss ist unabhängig vom Wohnort der Schülerinnen und Schüler
zu gewähren. Wohnen Schülerinnen und Schüler nicht in der elterlichen
Wohnung, ist zusätzlich ein Wohnkostenzuschuss zu gewähren;

d) die Neuregelung soll spätestens mit dem Schuljahr 2013/2014 in Kraft
treten;

e) die bisherigen BAföG-Regelungen für Schülerinnen und Schüler weiter-
führender allgemeinbildender Schulen dürfen durch die Neuregelung
nicht beeinträchtigt werden;

2. zügig mit den Bundesländern in Verhandlungen einzutreten, um die gemein-
same Finanzierung der erweiterten Ausbildungsförderung für Schülerinnen
und Schüler durch Bund und Länder entsprechend den geltenden Vertei-
lungsschlüsseln sicherzustellen,

3. bereits für das Haushaltsjahr 2013 im Bundeshaushalt zusätzlich 100 Mio.
Euro bereitzustellen, damit die erweiterte Schülerinnen- und Schülerförde-
rung spätestens zu Beginn des Schuljahres 2013/2014 starten kann.

Berlin, den 9. Mai 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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