BT-Drucksache 17/9564

Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland fördern - Für eine nationale Alphabetisierungsdekade

Vom 9. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9564
17. Wahlperiode 09. 05. 2012

Antrag
der Abgeordneten Oliver Kaczmarek, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, Willi Brase, Ulla Burchardt,
Petra Ernstberger, Michael Gerdes, Iris Gleicke, Klaus Hagemann, Petra Hinz
(Essen), Christel Humme, Daniela Kolbe (Leipzig), Ute Kumpf, Thomas
Oppermann, Florian Pronold, René Röspel, Marianne Schieder (Schwandorf),
Swen Schulz (Spandau), Stefan Schwartze, Andrea Wicklein, Dagmar Ziegler,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland fördern –
Für eine nationale Alphabetisierungsdekade

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Studie „leo. – Level-One“ hat 2010 im Auftrag des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung als erste Studie in Deutschland die Größenordnung des
Analphabetismus unter der erwerbsfähigen Bevölkerung zwischen 18 und
64 Jahren untersucht. Die Studie von Prof. Dr. Anke Grotlüschen und Dr. Wibke
Riekmann wurde Ende Februar 2011 vorgestellt.

Analphabetismus im engeren Sinne betrifft mehr als 4 Prozent der erwerbsfähi-
gen Bevölkerung. Das entspricht einer Größenordnung von 2,3 Millionen Men-
schen. Hier wird die „Satzebene“ unterschritten, das heißt die Personen können
zwar einzelne Wörter lesend verstehen bzw. schreiben, nicht jedoch ganze Sätze.
Gebräuchliche Wörter müssen Buchstabe für Buchstabe zusammengesetzt wer-
den. 300 000 Menschen können noch nicht einmal ihren Namen schreiben.

7,5 Millionen Menschen gelten als funktionale Analphabeten. Das sind über
14 Prozent der Bevölkerung und fast doppelt so viele Menschen, wie bisher an-
genommen. Die Betroffenen können zwar teilweise einzelne Sätze lesen oder
schreiben, nicht jedoch zusammenhängende Texte wie etwa Arbeitseinweisun-
gen, Behördenbriefe, Zeitungen oder Bücher. Die Studie gibt Aufschluss darü-
ber, welche Bevölkerungsgruppen vom funktionalen Analphabetismus betroffen
sind. Menschen ohne Schulabschluss, in prekärer Beschäftigung und über
50 Jahre alt sind besonders gefährdete Risikogruppen. Die Zahlen zeigen aber
auch deutlich, dass der funktionale Analphabetismus die gesamte Gesellschaft
durchdringt. Über 56 Prozent der funktionalen Analphabeten haben einen Beruf,

Deutsch ist bei über 58 Prozent der Betroffenen die Muttersprache und über
70 Prozent haben einen Schulabschluss.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass weitere 13,3 Millionen Menschen in
Deutschland, 25,9 Prozent der erwachsenen Bevölkerung, die vertraute Stan-
dardsprache verwenden, aber fehlerhaft schreiben und keine normalen Bücher,
Zeitungen und Behördenschriftstücke lesen können. Neben den Analphabeten

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und funktionalen Analphabeten bilden diese Menschen eine weitere Gruppe, für
die entsprechende Angebote geschaffen werden müssen, um sie für mögliche
Weiterbildungsprogramme ansprechen zu können.

Das Thema Analphabetismus ist in unserer Gesellschaft immer noch mit Angst
und Scham besetzt. Die Betroffenen haben sich deshalb Strategien zur Tarnung
angeeignet. Diese Strategien führen dazu, dass die Betroffenen aus Angst, „ent-
deckt“ zu werden, ein Leben am Rande der Gesellschaft mit geringer Teilhabe
führen.

Nach Veröffentlichung der leo.-Studie Anfang 2011 hat die Bundesbildungs-
ministerin Dr. Annette Schavan medienwirksam angekündigt, einen gesell-
schaftlichen Pakt für Alphabetisierung und Grundbildung zu initiieren. Beteili-
gen sollten sich neben den Ländern die Sozialpartner, die Volkshochschulen und
die Bundesagentur für Arbeit. Viel blieb von der Ankündigung nicht übrig. Nach
ersten Meldungen in der Presse folgten lange keine weiteren Informationen über
Maßnahmen und Aktivitäten. Schließlich verkündete die Bundesbildungsminis-
terin gemeinsam mit dem Präsidenten der Kultusministerkonferenz Ende 2011
Elemente für eine „Nationale Strategie“ im Kampf gegen Analphabetismus und
kündigte ein Programm zur arbeitsplatzorientierten Forschung und Entwicklung
auf dem Gebiet der Alphabetisierung und Grundbildung an. Allerdings weisen
die Vereinbarungen kaum konkrete Maßnahmen oder Ziele auf. Die Länder, die
unter großem finanziellen Druck stehen, konnten in vielen Fällen noch keine
Aussagen zu ihren finanziellen Möglichkeiten machen. Der Bund müsste hier
auch finanziell eine Vorreiterrolle einnehmen, doch von Seiten der Bundesregie-
rung wird die Verantwortung über wesentliche Maßnahmen auf die Länder und
Kommunen abgeschoben. So ist der konkrete Teil des Programms des Bundes-
bildungsministeriums letztlich lediglich mit 20 Mio. Euro über drei Jahre ausge-
stattet, das heißt knapp 7 Mio. Euro pro Jahr bei 7,5 Millionen funktionalen An-
alphabeten. Dies ist ein völlig unzureichender Beitrag des Bundes.

Zwar ist zu begrüßen, dass es nun zumindest eine erste Vereinbarung zwischen
dem Bund und den Ländern mit einzelnen Handlungsebenen gibt sowie ein Pro-
gramm zur arbeitsplatzorientierten Alphabetisierungsforschung geben wird.
Wenn wir aber die 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten in Deutschland
nicht am Rande der Gesellschaft stehen lassen wollen, brauchen wir mehr Enga-
gement, Kooperation und finanziellen Einsatz. Was bisher vorliegt, ist entschie-
den zu wenig. Besonders problematisch für die Akteure der Alphabetisierungs-
arbeit ist die fehlende nachhaltige Perspektive für ihre Arbeit. Häufig ist diese
von Projektmitteln abhängig, die für einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren ge-
währleistet werden. Dies sorgt für Verunsicherungen bei Betroffenen und Ak-
teuren. So müssen Vereine und Verbände regelmäßig Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter entlassen oder Räumlichkeiten aufgeben, weil sie nicht wissen, wie es
nach den einzelnen Projekten weitergeht. Ziele einer wirkungsvollen Alphabeti-
sierungsarbeit sollten demgegenüber im Sinne der Betroffenen eine sichere und
langfristige Finanzierung sowie der Aufbau von projektunabhängigen, bundes-
weiten und nachhaltigen Strukturen sein.

Wichtige Träger der Alphabetisierungsarbeit wie der Bundesverband Alphabe-
tisierung und Grundbildung e. V., der Deutsche Volkshochschul-Verband e. V.,
die Stiftung Lesen etc. sind zu stärken und in die politischen Planungen mit ein-
zubeziehen.

Der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e. V. ist die einzige
bundesweit tätige Fach-, Service- und Lobbyeinrichtung im Themenfeld Alpha-
betisierung und Grundbildung. Seit 1984 kooperiert der Verband mit Volkshoch-
schulen, Vereinen sowie anderen Einrichtungen der Erwachsenenalphabetisie-
rung und unterstützt diese. Zu den Angeboten des Verbandes zählt zum Beispiel

eine umfassende Beratung. Betroffene, ihre Vertrauenspersonen und sog. Multi-
plikatoren erhalten unter der kostenlosen Rufnummer 0800 - 53 33 44 55 Bera-

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tung und Informationen über ortsnahe Lese- und Schreibkurse. Auf der Internet-
seite http://alfa-telefon.de/ befindet sich ein Kursfinder, über den Einrichtungen
mit Lernangeboten sowie die Kontaktdaten der Ansprechpartner recherchiert
werden können. Bisher wird das ALFA-TELEFON ausschließlich über Spenden
finanziert.

Eine wichtige Rolle spielen zudem die Volkshochschulen (VHS). Bereits seit
Jahrzehnten gestalten Kursleiterinnen und Kursleiter an den VHS mit großem
Engagement Kurse für Menschen mit Schreib- und Leseproblemen. Für zahlrei-
che Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist der Kurs das entscheidende Bindeglied
in die Gesellschaft. Tatsache ist allerdings, dass – gemessen an der großen Zahl
der primären wie funktionalen Analphabetinnen und Analphabeten in der Ge-
samtbevölkerung – die VHS nur eine Minderheit erreichen kann. Aktuell stehen
pro Jahr nur ca. 20 000 Kursplätze zur Verfügung. Die große Herausforderung
besteht darin, einen deutlich größeren Teil der funktionalen Analphabetinnen
und Analphabeten zu erreichen. Keine andere Einrichtung verfügt hinsichtlich
ihrer Organisationsstruktur über so gute Voraussetzungen wie die VHS. Eine
Strategie für Alphabetisierung in Deutschland muss gleichermaßen auf kommu-
naler wie auf regionaler und gesamtstaatlicher Ebene umgesetzt werden. Die
Umsetzung können die Volkshochschulen mit ihrem flächendeckenden Netz
von kommunalen Bildungseinrichtungen und ihrem Zusammenschluss in den
Landesverbänden und im Bundesverband gewährleisten.

„Lesefreude wecken, um Lesekompetenz zu vermitteln“ ist das Ziel der Stiftung
Lesen. Seit 1988 entwickelt sie zahlreiche Projekte, um das Lesen in Deutsch-
land zu stärken. Traditionell steht die Stiftung Lesen unter der Schirmherrschaft
des Bundespräsidenten. Zweck der Stiftung Lesen ist die Förderung von Buch,
Zeitschrift und Zeitung in allen Bevölkerungskreisen. Neben der Durchführung
von Forschungs- und Modellprojekten für Bund und Länder liegt der Schwer-
punkt der Arbeit in breitenwirksamen Projekten, vor allem in den Feldern Kin-
dergarten, Schule, Bibliothek, Buchhandlung sowie in den Medien.

Die Fraktion der SPD hat bereits im Mai 2011 in ihrem Antrag „Alphabetisie-
rung und Grundbildung in Deutschland fördern“ (Bundestagsdrucksache 17/
5914) eine Verbesserung der Alphabetisierungsarbeit gefordert. Vor dem Hinter-
grund der weiterhin unzureichenden Vorlagen der Bundesregierung, der Diskus-
sionen der letzten Monate und eines öffentlich durchgeführten und sehr auf-
schlussreichen Fachgespräches im Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages sind die Forderungen im
Sinne einer nationalen Alphabetisierungsdekade mit diesem Antrag zu konkre-
tisieren und zu erweitern. Zentrale Ziele einer solchen, auf Nachhaltigkeit ange-
legten Dekade sollten sein

• Aufbau eines stabilen und nachhaltigen Netzwerkes der Akteure der Alpha-
betisierungsarbeit in Bund, Ländern und Gemeinden;

• Erhöhung der Anzahl der Kursplätze für Alphabetisierung und Grundbildung
an den VHS und weiteren Trägern auf mindestens 100 000 jährlich;

• Schaffung von dauerhaften und tragfähigen Strukturen der Grundbildungsar-
beit als Teil des allgemeinen Weiterbildungssystems in Deutschland;

• verbindliche Vereinbarung über den dauerhaften Mitteleinsatz der jeweiligen
politischen Ebene;

• Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema;

• Aufbau eines positiven Klimas und von niedrigschwelligen Strukturen für
mehr Literacy, z. B. über „einfache Sprache“;

• größtmögliche Reduzierung der Zahl der funktionalen Analphabeten, min-

destens eine Halbierung.

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Die Bundesregierung sollte ihrer Verantwortung gerecht werden und als Motor
der Alphabetisierungsdekade organisatorisch, personell und finanziell mehr In-
itiative ergreifen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung muss den
Kampf gegen funktionalen Analphabetismus zur Chefsache erklären, da dies
eine nationale Aufgabe der Bildungspolitik ist.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

a) bei der Alphabetisierung und Grundbildung eine entschlossene Führungs-
rolle einzunehmen und eine Dekade der Alphabetisierung im Rahmen einer
gemeinsamen nationalen Strategie durchzuführen, d. h.

1. im Anschluss an die Weltalphabetisierungsdekade, die Ende 2012 aus-
läuft, eine nationale Alphabetisierungsdekade gemeinsam mit den Län-
dern und Trägern der Alphabetisierungsarbeit mit konkreten Projekten,
Zielvorhaben und hinreichenden finanziellen Mitteln zu initiieren;

2. in regelmäßigen Abständen über die Fortschritte der nationalen Alpha-
betisierungsdekade zu berichten;

3. eine Initiative zur Abschaffung des Kooperationsverbotes zwischen
Bund und Ländern in der Bildungszusammenarbeit auf der Grundlage
eines neuen Artikels 104c des Grundgesetzes zu ergreifen, um eine sinn-
volle Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen in der
Alphabetisierung und Grundbildung zu ermöglichen, und darüber unver-
züglich mit den Fraktionen des Bundestages sowie den Ländern in kon-
struktive Verhandlungen einzutreten;

4. die nationale Strategie mit den Ländern um weitere gesellschaftlichen
Kräfte wie Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Sozialverbände, Kir-
chen und Medien verbindlich zu erweitern; insbesondere die Wirt-
schaftsverbände sind hierbei einzubinden und auf eine aktive Beteili-
gung an dieser nationalen Strategie zu verpflichten;

5. diese nationale Strategie mit quantifizierbaren Zielen auszustatten;

6. zusammen mit den Ländern dafür zu sorgen, dass kein Schüler und keine
Schülerin die Schule verlässt, ohne gefestigte und nachhaltige Lese-,
Schreib- und Rechenkompetenzen erworben zu haben, auch durch er-
gänzende Förderprogramme außerhalb der Regelschulzeiten oder im
Rahmen der Schulsozialarbeit; diese sollten langfristig finanziell abgesi-
chert werden;

7. in diesem Zusammenhang den Ausbau der Ganztagsschulen weiter vor-
anzubringen und zu fördern;

8. zusammen mit den Sozialpartnern geeignete Wege und Mittel zu entwi-
ckeln, um Menschen mit geringer Grundbildung im Betrieb zu erkennen
und zu fördern (Aufbau von Beratungs- und Vermittlungsstrukturen,
diagnostische Kompetenz, berufsbegleitende Grundbildung, soziale Be-
gleitung, arbeitsplatzbezogene Assistenz durch geschulte Kollegen);

9. die Förderung von Alphabetisierung und Grundbildung durch die Bun-
desagentur für Arbeit als eine Voraussetzung zur dauerhaften Integration
der Betroffenen in den Arbeitsmarkt anzusehen. Hierzu sind die Schwer-
punkte entsprechend zu setzen;

10. Initiativen zu fördern, die Zeitungen, Bücher oder z. B. Behördenmittei-
lungen in „einfacher“ bzw. „leichter“ Sprache anbieten, um Menschen
mit Lese- und Schreibschwächen an das Lesen und an das Verstehen
ihrer Umgebung heranzuführen. So könnte man ihnen eine Brücke zu

ausreichenden Lese- und Schreibfähigkeiten bauen und somit ihre ge-
sellschaftliche Teilhabe und Arbeitsfähigkeit erhöhen;

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11. zusammen mit den Ländern, den Kommunen und der Bundesagentur für
Arbeit bzw. den Jobcentern ein Konzept sozialpädagogischer Begleitung
der Alphabetisierungskurse zu entwickeln, um die Wiedereingliederung
in die Gesellschaft und ins Erwerbsleben zu beschleunigen;

b) einen eigenen angemessenen finanziellen und organisatorischen Beitrag zu
leisten, um nachhaltig und flächendeckend eine dauerhafte Struktur der
Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit zu schaffen, d. h.

12. 2012 mindestens 25 Mio. Euro und ab 2013 mindestens 50 Mio. Euro im
Jahr als Beitrag des Bundes für konkrete Maßnahmen der Alphabetisie-
rungsoffensive zusätzlich bereitzustellen;

13. mit Bund, Ländern und Kommunen die Ressourcen für ein verlässliches,
für die Interessierten kostenfreies, ausreichend dimensioniertes und qua-
litätsgesichertes Angebot an Alphabetisierungskursen zu schaffen mit
dem Ziel, dass hierbei ein Ausbau der Kursplätze auf mindestens
100 000 pro Jahr erreicht wird, damit die Betroffenen zeitnah ein Kurs-
angebot in vertretbarer Nähe erhalten;

14. das Programm „Soziale Stadt“ um den Bereich der Alphabetisierungs-
und Grundbildungskurse vor Ort zu erneuern, um den Betroffenen in so-
zialen Brennpunkten und Entwicklungsgebieten einen niedrigschwelli-
gen Zugang zu entsprechenden Angeboten zu ermöglichen;

15. die Durchführung von Alphabetisierungskursen im Rahmen der Integra-
tionskurse auszubauen und qualitativ zu verbessern;

16. gemeinsam mit den Ländern eine zentrale, aus öffentlichen Mitteln finan-
zierte Service-, Beratungs- und Informationsstelle einzurichten;

c) die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren und bürgerschaftliches
Engagement zu fördern, d. h.

17. die Öffentlichkeitsarbeit im Bereich der Alphabetisierung zu stärken.
Durch eine zielgruppenorientierte Medienkampagne – eine „Alpha-
Offensive“ – soll Analphabetismus leichter erkannt werden können
und entstigmatisiert werden. Die Betroffenen sollen ermutigt werden,
aus ihrer Anonymität herauszutreten, ihre Hemmungen abzubauen und
sich schneller durch den Besuch eines Alphabetisierungskurses helfen zu
lassen;

18. das Instrument der „einfachen Sprache“ populär zu machen und eigene
Publikationen dafür zu nutzen, aber auch entsprechende Initiativen ande-
rer Stellen bei den Partnern der Alphabetisierungsstrategie bis hin zu den
Medien zu unterstützen;

19. zusammen mit den Kommunen, den Kirchen und den freien Verbänden
Initiativen für konkrete Lesepartnerschaften zu verstärken, um insbeson-
dere auch ältere Menschen in ihrer Lern- und Lesefähigkeit anzuspre-
chen und diese zu fördern.

d) mit verbindlichen Qualitätsvorgaben in Aus- und Fortbildung sowie guten
Arbeitsbedingungen für Kursleiter und Kursleiterinnen für eine hohe Qualität
und Wirksamkeit in der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit zu sor-
gen, d. h.

20. zusammen mit den Ländern die Voraussetzungen für die Entwicklung
eines Rahmencurriculums zu schaffen sowie Modellprojekte zur Quali-
tätsverbesserung der Kurse und zur Entwicklung neuer didaktischer
Konzepte aufzubauen;

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21. gemeinsam mit den Ländern ein System an Zertifikaten zu entwickeln,
das Lernfortschritte und erreichte Leistungsniveaus angemessen und ar-
beitsweltbezogen dokumentiert;

22. gemeinsam mit den Ländern Standards für die Aus- und Fortbildung der
Kursleiter und Kursleiterinnen in Alphabetisierungs- und Grundbil-
dungskursen zu entwickeln und umzusetzen;

23. sich gemeinsam mit den Ländern und Kommunen dafür einzusetzen,
dass die Kursleiterinnen und Kursleiter angemessen bezahlt werden;

24. gemeinsam mit den Ländern für einen Ausbau der Ausbildung zum
Alphabetisierungs- und Grundbildungspädagogen zu sorgen;

25. gemeinsam mit den Ländern zu veranlassen, dass das Thema „Funktio-
naler Analphabetismus“ in der Lehreraus- und -fortbildung fächerüber-
greifend zum Pflichtthema wird;

26. gemeinsam mit den Ländern ein flächendeckendes Netzwerk an beson-
ders geschulten Bildungsberaterinnen und Bildungsberatern mit spezifi-
schen Kenntnissen über die betroffenen Gruppen und die geeigneten An-
gebote aufzubauen;

27. gemeinsam mit den Ländern Beratungs- und Schulungsmaßnahmen für
die Ansprechpartner bei entsprechenden Behörden zu finanzieren, damit
diese für das Problem des Analphabetismus sensibilisiert werden und In-
teressierte über die zur Verfügung stehenden Bildungsmaßnahmen kom-
petent informieren können;

e) durch Monitoring und Evaluation Grundlagen für eine erfolgreiche Alphabe-
tisierungsarbeit zu schaffen, d. h.

28. eine differenzierte Bildungsstatistik über Platzzahlen, Wartelisten, Ver-
weilzeiten etc. im Rahmen der verschiedenartigen Kursangebote aufzu-
bauen;

29. das Thema in die nationale Bildungsberichterstattung aufzunehmen;

30. gemeinsam mit den Ländern und den Trägern der Alphabetisierungs-
kurse ein Konzept zu entwickeln und umzusetzen, nach dem die aktuel-
len Maßnahmen zur Alphabetisierung und Grundbildung systematisch
evaluiert und optimiert werden;

31. die bisherigen Forschungsprogramme auszubauen, um valide Zahlen zu
den Quoten von funktionalen Analphabeten in den einzelnen Bundeslän-
dern zu erhalten;

32. die bisherigen Forschungsprogramme fortzuführen und neue For-
schungsschwerpunkte in der Auswertung der Level-One-Studie, bei der
Diagnostik, der Didaktik und der sozialen Entwicklung der Betroffenen
zu setzen;

33. verstärkt Best-pratice-Beispiele in Ländern zu untersuchen, die bereits
erfolgreiche Alphabetisierungsarbeit leisten, wie zum Beispiel das
Family-literacy-Programm in Großbritannien.

Berlin, den 8. Mai 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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