BT-Drucksache 17/9484

Umsetzung der Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. und der "Charta für Landwirtschaft und Verbraucher" zum Fleischkonsum

Vom 27. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9484
17. Wahlperiode 27. 04. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Nicole Maisch, Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg),
Friedrich Ostendorff, Cornelia Behm, Harald Ebner, Thilo Hoppe, Markus Tressel
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Umsetzung der Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. und
der „Charta für Landwirtschaft und Verbraucher“ zum Fleischkonsum

Die Kritik an intensiver Massentierhaltung und Proteste von Bürgerinitiativen
nehmen stetig zu. Und auch Verbraucherinnen und Verbraucher nehmen die
Auswirkungen von übermäßigem Fleischkonsum auf Natur, Umwelt, Tierschutz
und die eigene Gesundheit mit steigendem Interesse wahr. Durchschnittlich ver-
zehren die Deutschen 1,2 kg Fleisch pro Woche und Kopf – viel mehr, als mit
einer nachhaltigen Landwirtschaft und artgerechten Tierhaltung vereinbar ist.

Der massenhafte Konsum von Fleisch ist nur möglich, weil Nutztiere als Pro-
duktionsfaktoren gesehen und in zumeist drangvoller Enge ohne Frischluft oder
Einstreu gehalten werden. Damit die Tiere sich nicht gegenseitig verletzen, wer-
den ohne Betäubung Schnäbel kupiert und Ringelschwänze amputiert. Völlig
unzureichende gesetzliche Vorgaben machen dies möglich.

Auch auf Natur und Umwelt hat diese Form der Fleischproduktion erhebliche
Auswirkungen. Durch den Import riesiger Mengen Soja, vorwiegend aus Süd-
amerika, werden immer noch Regenwälder abgeholzt – mit fatalen Folgen für
Klima und indigene Bevölkerung. Speziell der Anbau gentechnisch veränderter
Futtermittel gefährdet Umwelt und Gesundheit der Bevölkerung in den Anbau-
ländern. Mit den Futtermittelanbauflächen entzieht die deutsche Fleischproduk-
tion der lokalen Bevölkerung 3 Millionen Hektar für deren Nahrungsmittelver-
sorgung, was als „virtuelles Landgrabbing“ gewertet werden muss. So beträgt
beispielsweise laut einer vom World Wide Fund for Nature beauftragten Studie
der Flächenfußabdruck der Deutschen derzeit 2 900 m2 pro Person für die Er-
zeugung der nachgefragten Agrarrohstoffe. Zukünftig werden nach Schätzun-
gen von Experten nur noch 2 000 m2 zur Verfügung stehen. Allein für die Er-
zeugung von Lebensmitteln tierischer Herkunft werden jedoch 1 678 m2 benö-
tigt. Doch auch hier in Europa sind die Umweltauswirkungen erheblich. Durch
Nährstoffanreicherung, Nitratbelastung und Antibiotika aus der Tierhaltung sind
Gewässer, Trinkwasser und Böden hochgradig gefährdet.

Auch für die Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher ist der über-
mäßige Konsum von Fleisch bedenklich. Die Deutsche Gesellschaft für Ernäh-

rung e. V. (DGE) empfiehlt, maximal 300 bis 600 Gramm Fleisch und Fleisch-
produkte in der Woche aus gesundheitlichen bzw. ernährungsphysiologischen
Gründen zu verzehren. Tatsächlich wird im Durchschnitt mehr als die doppelte
Menge konsumiert. Zu den Erkrankungsrisiken bei übermäßigem Fleischkon-
sum zählen u. a. Herz-Kreislauferkrankungen, Krebserkrankungen sowie Dia-
betes Typ 2.

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Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
(BMELV) hat vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Erwartungen und beste-
hender ökonomischer Zwänge für die Landwirtschaft mit der „Charta für Land-
wirtschaft und Verbraucher“ einen Prozess initiiert, der unter Einbeziehung der
verschiedenen Akteure einen Diskurs ermöglichen sollte über die künftige Pro-
duktion von Lebensmitteln. Die Reduktion des Fleischverzehrs wurde in der
Charta mehrfach „als besonders wichtiger Beitrag für einen nachhaltigeren Kon-
sum“ genannt. Die Ergebnisse der „Charta für Landwirtschaft und Verbraucher“
müssen nun mit konkreten Maßnahmen unterfüttert werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie will die Bundesregierung mit den regional sehr hohen Viehdichten und
der damit verbundenen Belastung von Anwohnern und Umwelt umgehen, und
wäre aus Sicht der Bundesregierung die Festlegung der maximalen Zahl der
Tiere pro Region – wie im Rahmen der „Charta für Landwirtschaft und Ver-
braucher“ diskutiert – eine mögliche Maßnahme, und wenn ja, welche Maß-
nahmen plant die Bundesregierung hier, und wenn nein, warum nicht?

2. Welche konkreten Vorgaben für Tierhaltung und Management müssen aus
Sicht der Bundesregierung nach Abschluss der „Charta für Landwirtschaft
und Verbraucher“ vordringlich angegangen werden, und welche konkreten
Pläne gibt es hier seitens der Bundesregierung?

3. Sieht die Bundesregierung in den Ergebnissen der repräsentativen Bevölke-
rungsbefragung der Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analy-
sen mbH (forsa) vom März 2012, nach der 74 Prozent der Befragten sich für
ein Tierwohllabel aussprachen, einen Hinweis, dass ein solches nationales
Label von den Verbrauchern gewünscht wird, und wird die Bundesregierung
diesem Wunsch der Verbraucher entsprechen, und wenn ja, wie sollte ein sol-
ches Label aus Sicht der Bundesregierung ausgestaltet sein, und welchen
Zeitplan verfolgt die Bundesregierung diesbezüglich, und wenn nein, warum
nicht?

4. Teilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass
insbesondere die Kennzeichnung der Haltungsform von Eiern auf verarbeite-
ten Produkten ohne großen Aufwand möglich wäre, und wenn ja, wann und
wie soll dies umgesetzt werden, und wenn nein, warum nicht?

5. Liegen der Bundesregierung Daten über die volkswirtschaftlichen Kosten
vor, die in Deutschland aufgrund des hohen Fleischkonsums und der damit
einhergehenden intensiven Tierhaltung entstehen – insbesondere bezüglich
der Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen durch den hohen Einsatz von
Antibiotika, Pestiziden und Düngemitteln?

6. Ist es aus Sicht der Bundesregierung wünschenswert, dass Agrarprodukte,
insbesondere tierische Produkte, wie im Rahmen der „Charta für Landwirt-
schaft und Verbraucher“ angeregt, künftig ihre „wahren Kosten“ reflektieren
sollen, d. h. auch ihre Auswirkungen, z. B. auf Gewässer und Biodiversität,
und wenn ja, welche Pläne hat die Bundesregierung hier, und wenn nein,
warum nicht?

Empfehlungen der DGE sowie der „Charta für Landwirtschaft und Verbraucher“
zum Fleischkonsum

7. Erfolgten im Nachgang der Erarbeitung der „Charta für Landwirtschaft und
Verbraucher“ und auf Grundlage deren Ergebnisse bereits Aktivitäten von-
seiten der Bundesregierung mit dem Ziel, den Fleischkonsum zu reduzieren,
wenn ja, welche sind das, und wenn nein, weshalb nicht?
Plant die Bundesregierung, eine Strategie zu erarbeiten, um Anreize zu schaf-
fen, den Fleischkonsum zu reduzieren, und wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9484

8. Plant die Bundesregierung, die Öffentlichkeit mittels Informationskam-
pagnen über die Folgen eines zu hohen Fleischkonsums auf Gesundheit,
Umwelt, Tierschutz und die globale Ernährungssicherheit aufzuklären?

9. Plant die Bundesregierung, die Öffentlichkeit mittels Informationskampag-
nen dazu aufzurufen, ihren Fleischkonsum an die Empfehlungen der DGE
anzupassen?

10. Unterstützt die Bundesregierung die Kampagne für einen in vielen Städten
bereits erfolgreich eingeführten vegetarischen Tag pro Woche in Kantinen
(Veggie-Day), wenn ja, wird sie diesen in den Kantinen der Bundes-
behörden umsetzen, und wenn nein, warum nicht?

11. Welche Rolle spielen die DGE-Empfehlungen zum Fleischkonsum in den
über den nationalen Aktionsplan IN FORM geförderten Projekten?

12. Unterstützt die Bundesregierung im Rahmen von IN FORM oder anderen
Fördermaßnahmen gezielt Projekte zur Reduzierung des Fleischkonsums,
und wenn ja, welche sind das?

Richtlinie für Kantinen bei Dienststellen des Bundes

13. Ist es vonseiten der Bundesregierung angedacht, die Richtlinie für Kantinen
bei Dienststellen des Bundes (Kantinenrichtlinie), die 1954 in Kraft trat und
zuletzt im August 1983 geändert wurde, und die in Absatz 3 festlegt: „In der
Kantine sollen nach Möglichkeit mindestens zwei Essen bereitgestellt wer-
den. Das Essen soll aus Fleisch, Gemüse, Kartoffeln oder anderen gleich-
wertigen Nahrungsmitteln bestehen.“, zu novellieren, und wenn ja, wann,
und in welcher Formulierung?

14. Hält es die Bundesregierung für notwendig, dass die DGE-Empfehlungen
als ernährungsphysiologische Grundlage Eingang in diese Richtlinie finden,
und wenn nein, warum nicht?

15. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus den Empfehlungen der
DGE für die Betriebsverpflegung, die für die Mittagsverpflegung maximal
zweimal pro Woche Fleischerzeugnisse inklusive Wurstwaren vorsehen,
und plant die Bundesregierung, diese Empfehlung in der Kantinenrichtlinie
zu verankern, und wenn nein, warum nicht?

16. Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, dass in den Kantinen und Dienst-
stellen des Bundes mindestens ein angebotenes Essen pro Mahlzeit vegeta-
risch sein sollte, und plant sie, dies in der Kantinenrichtlinie zu verankern?

17. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass bei einer Novellierung der Richt-
linie festgelegt werden sollte, dass ein bestimmter Anteil der Zutaten aus
ökologischem Landbau stammen sollte, um einen Beitrag zum in der Na-
tionalen Nachhaltigkeitsstrategie festgelegten Ziel, 20 Prozent ökologisch
bewirtschaftet Fläche in Deutschland zu erreichen, zu leisten?

Wenn nein, warum nicht?

18. Welche Dienststellen des Bundes mit wie vielen Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeitern fallen unter die Richtlinie, und wie viele Kantinen unterliegen die-
ser Richtlinie?

Verordnung über die Schüler- und Kinderspeisung

19. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die Verordnung über die Schüler-
und Kinderspeisung und deren Durchführungsbestimmung, die beide 1975
in Kraft traten und seitdem nicht novelliert wurden, nur für die neuen Bun-

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desländer gelten, und dass den jeweiligen Bundesländern die Änderungsbe-
fugnis zukommt, bzw. sieht die Bundesregierung gegebenenfalls vor, den
Geltungsbereich der Verordnung auf alle Bundesländer auszudehnen?

20. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass bei möglichen Novellierungen die
Empfehlungen des Forschungsinstituts für Kinderernährung als ernährungs-
physiologische Grundlage Eingang in die Verordnung finden sollten, und
wenn nein, warum nicht?

21. Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, dass in der Schüler- und Kinder-
speisung mindestens ein angebotenes Essen pro Mahlzeit vegetarisch sein
sollte, und plant sie, dies in der Verordnung bzw. anderen Bestimmungen zu
verankern?

22. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass bei einer Novellierung der Ver-
ordnung und der Durchführungsbestimmung festgelegt werden sollte, dass
ein bestimmter Anteil der Zutaten aus ökologischem Landbau stammen
sollte, um einen Beitrag zum in der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie
festgelegten Ziel, 20 Prozent ökologisch bewirtschaftet Fläche in Deutsch-
land zu erreichen, zu leisten?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 27. April 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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