BT-Drucksache 17/9232

Entsorgung von giftigem Lagerstättenwasser bei der Förderung von Erdgas und Erdöl

Vom 30. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9232
17. Wahlperiode 30. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Oliver Krischer, Nicole Maisch, Dorothea Steiner,
Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg),
Dr. Hermann E. Ott und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entsorgung von giftigem Lagerstättenwasser bei der Förderung von Erdgas
und Erdöl

Erdgas und Erdöl werden in Deutschland aus mehreren Tausend Meter tief
liegenden Gesteinsschichten gefördert. Dabei handelt es sich vor allem um
Sandstein und Carbongestein. Derzeit erwägen mehrere Erdgasunternehmen in
Deutschland, die Förderung auf Schiefergestein und Kohleflöze, vor allem in
Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, auszuweiten. Auch in Baden-
Württemberg, Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben sich die
Unternehmen bereits Aufsuchungslizenzen gesichert. Unabhängig davon, aus
welcher Art Tiefengestein das Erdgas gefördert wird, gelangt dabei sogenann-
tes Lagerstättenwasser mit an die Oberfläche, welches anschließend entsorgt
werden muss. Dieses Lagerstättenwasser hat verschiedene für die Entsorgung
bedenkliche Eigenschaften: Je nach Muttergestein verfügt das Lagerstätten-
wasser über einen sehr hohen Salzgehalt. Weiter ist es häufig mit Schwermetal-
len und radioaktiven Stoffen belastet. Wurde bei der Bohrung die Hydraulic
Fracturing genannte Methode zur Stimulation angewendet, vermischt sich das
Lagerstättenwasser zusätzlich mit sogenannten Frack-Fluiden, bei welchen es
sich u. a. um Biozide und teils toxische und karzinogene Chemikalien handelt.
Das Gemisch aus Lagerstättenwasser und zurückströmenden Frack-Fluiden
bilden den sogenannten Flowback. Die Menge des Flowbacks unterscheidet sich
je nach Muttergestein zum Teil erheblich. Auch die Anteile von Lagerstätten-
wasser und Frack-Fluiden sind stets unterschiedlich. Grundsätzlich ist die Ent-
sorgung des Flowbacks problematisch. Zunächst muss das Abwasser über teils
große Entfernungen transportiert werden. Dies geschieht in Niedersachsen zum
Teil durch Leitungen, von denen, aufgrund von Leckagen, erst kürzlich einige
außer Betrieb genommen werden mussten. Die aufgetretenen Leckagen führten
zu einer Kontamination von Boden und Grundwasser mit krebserregendem
Benzol und dem Umweltgift Quecksilber. Der Transport per Lkw ist auch nicht
ohne Risiko. Beim Befüllen und Entladen kam es schon mehrfach zu Unfällen.
Zum Transport sind teils mehrere Lkw pro Tag notwendig. In der bisherigen
Praxis wurden die Abwässer in sogenannten Disposalbohrungen entsorgt. Der
Flowback wird dabei nach einer weitgehend ungeklärten Reinigungsprozedur

wieder unterirdisch verpresst. Über die Langzeitauswirkungen dieser Verpres-
sung ist jedoch wenig bekannt. Die Verpressung steht darüber hinaus im Ver-
dacht, seismische Erschütterungen auszulösen. Weiter ergeben sich angesichts
der giftigen und teils radioaktiven Substanzen im Flowback erhebliche Sicher-
heitsrisiken. Eine mögliche und großflächige Ausweitung der Erdgasförderung
aus unkonventionellen Lagerstätten, lassen diese ungelöste Entsorgungsproble-
matik umso dringender erscheinen.

Drucksache 17/9232 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Nach welchen rechtlichen Vorschriften erfolgt die unterirdische Verpres-
sung des Flowbacks in sogenannten Disposalbohrungen, und welche
Behörden sind für die Vergabe dieser Genehmigungen in Deutschland zu-
ständig?

2. Wie viele Disposalbohrungen existieren gegenwärtig in Deutschland, in
denen Flowback aus der Förderung von Erdgas und Erdöl verpresst wird
oder wurde (bitte einzeln nach Bundesländern aufschlüsseln; bitte ebenfalls
ausweisen, ob es sich dabei um eine Verpressung im Tiefengestein oder in
einer ausgeförderten Erdöl- oder Erdgaslagerstätte handelt)?

3. Welche Mengen Flowback sind in den vergangenen zehn Jahren bei der
Erdöl- und Erdgasförderung in Deutschland angefallen (bitte nach Jahr,
Bundesland und Unternehmen aufschlüsseln)?

4. Welcher Anteil davon (in Prozent und in absoluten Zahlen) wurden per
Disposalbohrung entsorgt?

5. Welche anderen Entsorgungsmethoden für den Flowback wurden in diesem
Zeitraum genutzt (bitte nach Menge, Methode und Jahr aufschlüsseln)?

6. Über welche Kenntnisse verfügt die Bundesregierung über gesundheits-
und/oder umweltschädigende Stoffe im Flowback, und wie wird die Kon-
zentration solcher Stoffe im Flowback kontrolliert?

7. Ist nach Kenntnis der Bundesregierung für die unterirdische Verpressung
des Flowbacks in Disposalbohrungen eine wasserrechtliche Erlaubnis not-
wendig?

Wenn nein, warum nicht, angesichts der Tatsache, dass dabei Grundwasser-
leiter durchbohrt werden?

8. Welche Risiken bestehen bei der Verpressung des Flowbacks in andere Hori-
zonte, und welche Kenntnisse liegen über mögliche chemische Reaktionen
dabei vor?

9. Wird bei den sogenannten Disposalbohrungen der Flowback nur in Tiefen-
gesteinsschichten verpresst oder auch in ausgeförderten Erdöl- und Erdgas-
lagerstätten?

10. In welcher Tiefe wird der Flowback für gewöhnlich durch Disposalbohrun-
gen verpresst?

11. Welchen Unterschied macht es aus genehmigungsrechtlicher Sicht für die
Entsorgung des Flowbacks, ob dieser nur aus Lagerstättenwasser besteht,
oder auch Frack-Fluide enthält?

12. Ist eine Rückholung von bereits ohne Genehmigung in Disposalbohrungen
verpressten Frack-Fluiden (so zum Beispiel geschehen nahe dem Ort Völ-
kersen/Niedersachsen) möglich und/oder erforderlich?

13. Werden die Komponenten des Lagerstättenwassers von denen der Frack-
Fluide aus dem Flowback getrennt, bevor es zu einer Verpressung in einer
Disposalbohrung kommt, und wenn ja, welche technischen Verfahren kom-
men dabei zur Anwendung?

14. Wird der Flowback vor der Verpressung gereinigt, und wenn ja, welche
Stoffe werden bei dieser Reinigung konkret aus dem Flowback entfernt?

15. Wenn ja, welche Behörden sind für die Überwachung dieses Vorgangs zu-
ständig, und wie wird eine konsequente Überwachung sichergestellt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9232

16. Existieren vollständige Aufzeichnungen über die einzelnen Verfahrens-
schritte (Reinigung, Transport, Entsorgung), und wenn ja, wie werden
diese einzelnen Schritte dokumentiert?

17. Fallen bei der Reinigung des Flowbacks auch radioaktive Rückstände an,
und wenn ja, wie werden diese entsorgt?

18. Kann der Flowback auch in kommunalen Kläranlagen gereinigt werden,
und wenn nein, warum nicht?

19. Welche alternativen Möglichkeiten und technischen Verfahren zur Ent-
sorgung des Flowbacks sind der Bundesregierung neben der Verpressung
in Disposalbohrungen bekannt, und wie bewertet sie diese Verfahren?

20. Welche Unfälle hat es in den vergangenen zehn Jahren gegeben, bei denen
Flowback in die Umwelt gelangte (bitte nach Ort/Menge/Datum/Unterneh-
men aufschlüsseln), und welche Umweltschäden wurden dadurch ver-
ursacht?

21. Welche rechtlichen Vorschriften existieren für den Transport des Lager-
stättenwassers und/oder des Flowbacks durch Rohrleitungen, und wie ge-
nau sehen diese aus?

22. Wie bewertet die Bundesregierung die nach Medienberichten wiederholt in
Niedersachsen aufgetretenen Leckagen an den Rohrleitungen zum Trans-
port von Flowback/Lagerstättenwasser, und welche Konsequenzen zieht
sie daraus?

23. Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung, um eine sichere
und umweltverträgliche Entsorgung des Flowbacks bei einer flächen-
deckenden Erschließung der unkonventionellen Erdgasfelder in Nordrhein-
Westfalen sicherzustellen, angesichts der Tatsache, dass gerade bei der
Schiefergasförderung große Mengen an mit Chemikalien versetztem Was-
ser zum Aufsprengen des Gesteins (Fracking) eingesetzt werden und auch
der Flowback aus dem Schiefergestein vergleichsweise hoch ist?

24. Mit welchen Mengen an Lagerstättenwasser ist bei der Förderung von Erd-
gas aus Kohleflözen angesichts der Tatsache zu rechnen, dass das Wasser
vollständig abgepumpt werden soll, damit das Gas austreten kann, und wie
sollen diese im vorwiegend ländlichen Raum des Münsterlandes entsorgt
werden?

25. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass nach Angaben der
Europäischen Chemikalienagentur ECHA bisher bei keinem der im Rah-
men der REACH-Verordnung registrierten Stoffe, die beim Fracking-
prozess genutzt werden, die Verwendung als Additiv bei der Aufsuchung
oder Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten als Expo-
sitionsszenario angegeben ist, diese aber in der Praxis genau dazu ein-
gesetzt werden?

26. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um zukünftig
sicherzustellen, dass unter REACH (Registrierung, Bewertung und Zulas-
sung von Chemikalien – REACH) registrierungspflichtige Stoffe im
Frackingprozess nur eingesetzt werden, wenn dieses Expositionsszenario in
den entsprechenden Registrierungsdossiers ausreichend betrachtet wurde
und in die Bewertung der Stoffe mit eingeflossen ist?

27. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung derzeit und wird sie er-
greifen, um trotz der fehlenden Betrachtung des Expositionsszenarios
„Verwendung als Additiv bei der Aufsuchung oder Gewinnung von Erdgas
aus unkonventionellen Lagerstätten“ im Rahmen der REACH-Registrie-
rungsdossiers sicherzustellen, dass beim Einsatz der einzelnen Stoffe im

Frackingverfahren die Vorgaben der REACH-Verordnung in vollem Um-
fang erfüllt werden?

Drucksache 17/9232 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
28. Welche konkreten Tatbestände müssen vorliegen, damit eine Wasserbe-
hörde eine Genehmigung für die Niederbringung einer Bohrung unter
Rückgriff auf § 48 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) (Besorgnisgrund-
satz) versagen kann?

29. Wann plant die Bundesregierung eine Konkretisierung der Maßstäbe für
§ 48 WHG, wie vom Umweltbundesamt auf S. 18 seiner Stellungnahme
aus dem Dezember 2011 vorgeschlagen, und wie wird eine solche Konkre-
tisierung dieser Maßstäbe aussehen?

30. Über welche Kenntnisse verfügt die Bundesregierung über die seismischen
Auswirkungen von Disposalbohrungen?

31. Ist es in Deutschland bereits zu seismischen Ereignissen gekommen, deren
Ursache Disposalbohrungen waren, und wie werden die seismischen Aus-
wirkungen der gesamten Prozesskette der Erdgasförderung von den zu-
ständigen Behörden überwacht?

32. Welche konkreten Ursachen hatten die seismischen Ereignisse, welche
nach Auskunft der Bundesregierung (siehe Antwort der Bundesregierung
zu Frage 3 der Kleinen Anfrage „Auswirkungen des vom Landgericht
Saarbrücken gesprochenen Urteils vom 25. November 2011 für Bergbau-
geschädigte“ auf Bundestagsdrucksache 17/8532) durch die Erdgasförde-
rung in Niedersachsen verursacht wurden, und welche Stärke hatten diese
seismischen Ereignisse?

33. Beabsichtigt die Bundesregierung die Überwachung seismischer Ereig-
nisse, welche in Norddeutschland durch die Erdgasförderung verursacht
wurden, zu verbessern, und wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 30. März 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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