BT-Drucksache 17/9189

Praxisgebühr abschaffen - Hausärztinnen und Hausärzte stärken

Vom 28. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9189
17. Wahlperiode 28. 03. 2012

Antrag
der Abgeordneten Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, Bärbel Bas,
Petra Ernstberger, Dr. Edgar Franke, Iris Gleicke, Angelika Graf (Rosenheim),
Petra Hinz (Essen), Ute Kumpf, Steffen-Claudio Lemme, Hilde Mattheis,
Thomas Oppermann, Mechthild Rawert, Dr. Carola Reimann, Ewald Schurer,
Dr. Marlies Volkmer, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Praxisgebühr abschaffen – Hausärztinnen und Hausärzte stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die von der Fraktion der CDU/CSU im Rahmen der Verhandlungen zum Ge-
setz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) 2003
durchgesetzte Praxisgebühr von 10 Euro pro Quartal hatte das Ziel, die Inan-
spruchnahme von Vertragsärztinnen und Vertragsärzten besser zu strukturieren.
Diese Steuerungsfunktion hat sich bis heute, also nach fast zehn Jahren, nicht
erfüllt. Daher ist es sinnvoll, diese Maßnahme kritisch zu prüfen und andere
Steuerungsansätze zu erwägen.

Die Fraktion der CDU/CSU forderte eine generelle Selbstbeteiligung der Kran-
ken in Höhe von 10 Prozent der Behandlungskosten, mindestens jedoch 5 Euro
für jeden Arztbesuch, gleichgültig ob Haus- oder Facharzt, Erstbesuch oder
Wiedereinbestellung. Um die von der Fraktion der CDU/CSU geforderten
weitergehenden Zuzahlungen für die Patientinnen und Patienten zu vermeiden,
sah die Kompromisslösung vor, dass 10 Euro pro Quartal vom Versicherten
bezahlt werden müssen; Kinder sind befreit. Ebenso kann eine Befreiung auf
Antrag für ein Kalenderjahr ausgestellt werden, sofern über 2 Prozent des bei-
tragspflichtigen Einkommens (1 Prozent bei chronisch Kranken) bereits für
Zuzahlungen (etwa für Krankenhaus oder Arznei) belegt werden können. Nach
Entrichtung der einmaligen 10 Euro kann der Versicherte weitere Ärztinnen
und Ärzte per Überweisung aufsuchen, ansonsten fallen nochmals 10 Euro an.

Die Steuerungswirkung der Praxisgebühr ist dennoch diffus geblieben. Immer
noch liegt Deutschland bei der Zahl der Arztkontakte mit 17 im Jahr pro Ein-
wohner international an der Spitze. Ebenso bescheiden fällt die fiskalische Wir-
kung mit weniger als 1 Prozent der GKV-Ausgaben (GKV: gesetzliche Kran-
kenversicherung) aus. Das durch die Praxisgebühr geschöpfte Finanzvolumen
betrug im Jahr 2011 für ärztliche und zahnärztliche Behandlung zusammen we-

niger als 2 Mrd. Euro.

Da auch Fachärztinnen und Fachärzte als überweisende Ärztin oder Arzt nach
Entrichtung der 10 Euro eingesetzt werden können, blieb eine Stärkung der
hausärztlichen Versorgung aus. Zudem trat nach einer erheblichen anfänglichen
Verärgerung der Versicherten ein Gewöhnungseffekt ein. Um die ursprünglich
beabsichtigte Steuerungswirkung auf Dauer zu erhalten, müsste die Praxisge-
bühr in regelmäßigen Abständen erhöht werden.

Drucksache 17/9189 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Aufgrund dieser mangelhaften Effekte und der positiven Finanzlage der GKV
ist die Praxisgebühr ersatzlos zu streichen. Ziel sind die Rückkehr zu paritätisch
finanzierten Beitragssätzen und die Abschaffung des von den Mitgliedern allein
zu entrichtenden Beitrages in Höhe von 0,9 Beitragssatzpunkten. Im Zuge der
Einführung einer Bürgerversicherung müssen zudem die Zusatzbeiträge abge-
schafft werden und es muss zurückgekehrt werden zur Beitragssatzautonomie
der Krankenkassen.

Um die ärztliche Versorgung der Bevölkerung zu verbessern, sollte stattdessen
die hausärztliche Versorgung gestärkt werden. In Deutschland nimmt die Zahl
der Hausärztinnen und Hausärzte jedes Jahr weiter ab. Es entscheiden sich im-
mer weniger Medizinstudentinnen und Medizinstudenten für den Hausarzt-
beruf. Dies geht auch auf die deutlich schlechtere Honorierung von Hausärztin-
nen und Hausärzten im Vergleich zu Fachärztinnen und Fachärzten zurück. Das
ist eine besonders teure Fehlentwicklung, weil die Hausärztinnen und Haus-
ärzte diejenigen wären, die verstärkt die Vorbeugemedizin anbieten könnten,
weil sie oft ihre Patientinnen und Patienten über lange Zeiträume hinweg ver-
sorgen. Über 95 Prozent unserer Gesundheitsausgaben gehen in die rein kura-
tive Versorgung. Dabei ist es mittlerweile wissenschaftlich gesichert, dass
rd. 80 Prozent aller Krankheitsfälle durch eine bessere Vorbeugung vermieden,
aufgeschoben oder gelindert werden können. Nur durch eine Stärkung der
Hausärztinnen und Hausärzte lassen sich die Wirtschaftlichkeit und Qualität
unseres Gesundheitssystems langfristig sichern.

Zur Stärkung der Hausärztinnen und Hausärzte und damit der Prävention müs-
sen die Änderungen zurückgenommen werden, mit denen die schwarz-gelbe
Koalition entgegen ihrem eigenen Koalitionsvertrag die hausarztzentrierte Ver-
sorgung behindert. Zunächst hatten die Fraktionen der CDU/CSU und FDP Be-
standsschutz für die hausarztzentrierte Versorgung vereinbart. Doch mit dem
GKV-Finanzierungsgesetz wurden die Honorare für Hausärztinnen und Haus-
ärzte in Verträgen nach § 73b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V)
begrenzt, sofern diese nach dem 22. September 2010 geschlossen wurden. In
diesen Fällen müssen die Vertragsparteien den Grundsatz der Beitragssatzstabi-
lität einhalten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf mit folgendem Inhalt vorzulegen:

1. Die Praxisgebühr nach § 28 Absatz 4 SGB V ist ersatzlos zu streichen.

2. Rückkehr zum Rechtszustand vor dem 22. September 2010 bei der haus-
arztzentrierten Versorgung nach § 73b SGB V.

Berlin, den 28. März 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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