BT-Drucksache 17/9121

Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit - Stand der Fusion

Vom 23. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9121
17. Wahlperiode 23. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Dr. Dietmar Bartsch,
Sevim Dag˘delen, Annette Groth, Andrej Hunko, Niema Movassat,
Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit – Stand der Fusion

Am 16. Dezember 2010 wurde die Fusion der Organisationen der Technischen
Zusammenarbeit vollzogen. Die neue Organisation trägt den Namen Deutsche
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH und befindet sich
zu 100 Prozent in Bundeseigentum. Ziel der Fusion war die Bündelung der
Kompetenzen und langjährigen Erfahrungen des Deutschen Entwicklungsdiens-
tes (DED), der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ)
GmbH sowie der Internationalen Weiterbildung und Entwicklung gGmbH
(InWEnt). Von der Fusion versprach sich die Bundesregierung Effizienz- und
Wirksamkeitsgewinne, Abbau von Doppelstrukturen sowie die Rückgewinnung
der politischen Steuerungsfähigkeit in der staatlichen Entwicklungszusammen-
arbeit (EZ).

Ein Jahr nach der Fusion wird die Frage nach dem tatsächlichen Erfolg bzw.
Misserfolg der Fusion kontrovers diskutiert. Die Bundesregierung nimmt für sich
in Anspruch, mit der Fusion Steuerungsfähigkeit gegenüber der neuen Durch-
führungsorganisation zurückgewonnen sowie im fusionierten Unternehmen Effi-
zienzsteigerung, Kostensenkung und eine Verringerung der Personalstellen
durchgesetzt zu haben. Kritiker stellen allerdings den Zugewinn an Steuerungs-
fähigkeit des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (BMZ) gegenüber der Durchführungsorganisation in Frage. Kritisiert
wird auch die zunehmende Ausrichtung der GIZ auf Umsatz und Wirtschaftlich-
keit, weil dadurch der eigentliche Zweck der Entwicklungszusammenarbeit in
den Hintergrund geraten und in vielen Fällen wegen gegenläufiger monetärer
Ziele gar nicht mehr erreicht werden kann. Das Engagement der GIZ in entwick-
lungsferner Geschäftsanbahnung und im Sicherheitsbereich (beispielsweise Ent-
sendung eines Experten für Kommunikation, Videoüberwachung und Sicher-
heitssysteme nach Saudi-Arabien, Sicherheitstechnik für Brasilien zur Fußball-
weltmeisterschaft) lässt nicht nur Zweifel an der Ausrichtung der GIZ an Ent-
wicklungszielen, sondern auch an ihrem Status als gemeinnützig aufkommen.

Die vollständige Umstellung auf das Auftragsverfahren verstärkt strukturelle
Probleme. Auch seitens mehrerer Bundesministerien (für Umwelt, Naturschutz

und Reaktorsicherheit, für Bildung und Forschung, für Wirtschaft und Techno-
logie) als Auftraggeber der GIZ wird am Zuwendungsverfahren festgehalten, da
das Auftragsverfahren als zu teuer und zu wenig steuerbar gilt.

Befürchtungen seitens der Angestellten von DED und InWEnt, dass sich ihre
Situation nach der Fusion insgesamt verschlechtern könnte, sind angesichts der
Eingruppierung ihrer übergroßen Mehrzahl in untere Gehaltsstufen und ange-
sichts dessen, dass sie im Zuge der Umstrukturierung vielfach qualifikations-

Drucksache 17/9121 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

fern eingesetzt werden, nicht ausgeräumt, sondern noch verstärkt worden. Da-
runter können die Arbeitszufriedenheit und letztlich die Qualität der wichtigen
Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leiden. Insbesondere für die rund
200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den gefährdeten Standorten in Deutsch-
land besteht erhebliche Unsicherheit über ihren künftigen Einsatz.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung den Stand der Fusion nach einem Jahr?

a) Würde die Bundesregierung ihre Ende 2010 getroffene Einschätzung der
Fusion als lediglich „knapp wirtschaftlich“ immer noch teilen?

Wenn ja, was spricht aus Sicht der Bundesregierung für eine solche Ein-
schätzung?

Wenn nein, was hat dazu geführt, dass die Fusion sich nunmehr als un-
wirtschaftlich herausstellt?

b) Wo zeigen sich nach einem Jahr die Effizienz- und Wirksamkeitsgewinne
gegenüber der Situation vor 2011?

c) Welche komplementären Vorteile der drei fusionierten Durchführungs-
organisationen kommen bereits zum Tragen?

d) In welchen Bereichen sieht die Bundesregierung noch Nachsteuerungs-
und Verbesserungsbedarf nach einem Jahr der Fusion?

e) In welchen Bereichen haben sich die Fusionsstrukturen als nicht geeignet
gezeigt?

f) Wie vereinbaren sich die gestiegenen Verwaltungsgemeinkosten des
neuen Unternehmens mit dem Wirtschaftlichkeitsversprechen im Vorfeld
der Fusion und gegenüber dem Parlament?

g) Welche Anstrengungen werden von Seiten des Eigentümers Bund unter-
nommen, um die Strukturempfehlungen des Rambøll-Gutachtens, gerade
in Bezug auf den angeregten Wegfall der Bereichsleitungsebene und den
bekannten Führungskräfteüberhang, operativ umzusetzen?

h) Welche konkreten und belastbaren Rückmeldungen von Partnerländern,
Organisationen, Mitarbeitern und anderen Akteuren liegen der Bundes-
regierung zu positiven Effekten der Fusion vor?

2. Wie gestaltet sich konkret die Übernahme von Instrumenten und Ansätzen
von InWEnt und DED in den GIZ-Instrumentenkatalog?

3. Wie gestaltet sich die künftige Zusammenarbeit mit der ENGAGEMENT
GLOBAL gGmbH, und welche Vor- bzw. Nachteile ergeben sich hieraus für
die beiden Institutionen, dies vor dem Hintergrund ungeklärter Aufgaben-/
Rollenverteilung?

4. Kann die Bundesregierung konkrete Beispiele für die Übernahme von
InWEnt- und DED-Instrumentarien und -Ansätzen in das GIZ-Portfolio nen-
nen (bitte detaillierte Aufzählung)?

5. Sind Schwierigkeiten im Laufe der Fusion beim Wechsel vom Zuwendungs-
zum Auftragsverfahren aufgetaucht, und wenn ja, welche?

6. Wird die mit der Fusion beschlossene Festlegung der GIZ auf das Auftrags-
verfahren durch das Festhalten einiger Bundesministerien am Zuwendungs-
verfahren revidiert oder relativiert?

7. Wie stellt die Bundesregierung die Fortführung des Mehrebenenansatzes der
deutschen EZ sicher?
8. Gedenkt die Bundesregierung, den bisherigen Fokus des DED auf die
Mikro- und Mesoprojektebene im Rahmen des Mehrebenenansatzes beizu-
behalten?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9121

Wenn ja, wie plant die Bundesregierung die Mikroebene beizubehalten,
wenn durch den Wechsel vom Anwendungs- zum Auftragsverfahren die
Mikroprojektebene kaum durch Auftragsverfahren abzudecken ist?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung den Zufriedenheitsgrad der Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter der GIZ mit dem bisherigen Verlauf der Fusion, und
auf welche Quellen stützt sie sich hierbei?

a) Hat die Bundesregierung die Mitarbeiterschaft der GIZ bereits in einem
partizipativen Prozess zu ihrer Zufriedenheit mit dem Fusionsverlauf
befragt?

Wenn ja, was sind die Ergebnisse dieser Befragung, aufgeschlüsselt
nach Ursprungsunternehmen und Standort?

Wenn nein, was sind die Gründe, diese Befragung nicht durchzuführen?

b) Kann die Bundesregierung Fluktuation und Beschäftigungssituation vor
und nach der Fusion darstellen und anhand von detailliertem Zahlen-
material insbesondere nachweisen, dass das Unternehmen GIZ auf Per-
sonal- und Know-how-Kontinuität im In- und Ausland setzt (Anteile von
unbefristet und befristet Beschäftigten, Teilzeitbeschäftigten, Leiharbei-
terinnen/Leiharbeitern, durch gebundene Beschäftigte nach Jahren und
Bereich)?

10. Wie gestaltet sich der Verlauf des Überleitungstarifvertrages?

a) Wie viel Prozent der ehemaligen Beschäftigten von DED und InWEnt
optierten im Überleitungstarifvertrag für den Weiterverbleib im Tarif-
vertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD)?

b) Wie viel Prozent wechselten in das Bändersystem der GIZ?

c) Wenn es einen signifikanten Verbleib der Mitarbeiterschaft im TVöD
gibt, wie erklärt sich dies die Bundesregierung?

d) In welche Bänder wurde der Großteil der ehemaligen InWEnt- und
DED-Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter übernommen?

e) Falls es zu einer Konzentration in den Bändern 1 bis 2 gekommen ist,
wie erklärt sich die Bundesregierung die niedrige Bandeinordnung eines
Großteils der Mitarbeiterschaft von ehemals DED und InWEnt trotz
ihrer langen Arbeits- und Facherfahrung?

11. Würde die Bundesregierung den Fusionsverlauf als einen transparenten
Prozess bezeichnen, in dem alle involvierten Akteure inklusive der Beleg-
schaft jederzeit Einblick in den Fusionsprozess hatten?

12. Inwiefern realisiert sich der von der Bundesregierung im Zusammenhang
mit der Fusion zur GIZ und der Umstrukturierung im BMZ formulierte An-
spruch, die entwicklungspolitische Steuerungsfähigkeit ins Bundesminis-
terium zurückzuholen, und worin äußert sich diese neue Steuerungsfähig-
keit gegenüber der Durchführungsorganisation gegebenenfalls konkret?

13. Wie gedenkt die Bundesregierung trotz der Konzentration von Führungs-
funktionen in Eschborn die zugesagte Stärkung des Standorts Bonn durch-
zusetzen?

14. Wann und in welchem Umfang ist geplant, neben dem Bereich Deutsch-
land weitere operative Bereiche, insbesondere der personalstarken Regio-
nalbereiche, zumindest in wesentlichen Teilen nach Bonn zu verlagern?

15. Plant die Bundesregierung die Beibehaltung auch der kleineren innerdeut-
schen Standorte von InWEnt und DED wie Düsseldorf, Hamburg, Hanno-
ver, München, Saarbrücken, Stuttgart, Bad Honnef, Feldafing, Mannheim
und Zschortau?
Wenn nein, was sind die Gründe für die Schließung der spezifischen Stand-
orte?

Drucksache 17/9121 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
16. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten nach der Fusion in an-
deren fachlichen Bereichen als in denen, die sie zuvor betreut und in denen
sie ihre Qualifikation und Kompetenzen erworben haben?

a) Welche Auswirkungen hat dies nach Ansicht der Bundesregierung auf
die Arbeitszufriedenheit der Betroffenen und die Qualität ihrer Arbeit?

b) Wie schätzt die Bundesregierung den Verlust von institutionellem Wis-
sen durch die Umstrukturierung ein?

c) Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben durch Kündigung,
Ausgliederung oder Beendigung eines befristeten Vertrages das neue
Unternehmen seit dem 31. Dezember 2011 verlassen, und wie sahen
diese Zahlen für die Vorgängerunternehmen GTZ, InWEnt und DED im
Zeitraum 31. Dezember 2009 bis 1. März 2010 aus?

d) Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der GIZ, die in 2010 Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter der ehemaligen InWEnt und des DED wa-
ren, sind zurzeit entsandt, d. h. für die GIZ im Ausland tätig?

e) Inwiefern hat nach Einschätzung der Bundesregierung eine Durchmi-
schung der Belegschaft mit dem Ziel, einen homogeneren Personalkör-
per zu schaffen, bereits stattgefunden, und wie will die Bundesregierung
dazu beitragen, dass die Teilbelegschaften aus den Ursprungsorganisa-
tionen der GIZ durchmischt und zu einem homogeneren Personalkörper
werden?

f) Wie erfolgte die Einbindung von BMZ und Kollegien der betroffenen
Organisationen in die Fusion in ihren einzelnen Schritten?

g) Wie verträgt sich das Engagement der GIZ in Geschäften wie der Auf-
tragsvergabe für die Bereitstellung von Sicherheitstechnik für Brasilien
an EADS (European Aeronautic Defence and Space Company) mit
ihrem Status der Gemeinnützigkeit?

h) Wie lässt sich die Gemeinnützigkeit und damit die rechtmäßige Tätig-
keit des Bereiches IS (International Services) und weiterer Bereiche der
GIZ nachweisen, die von Dritten Umsatzerlöse erhalten und somit fak-
tisch Interessen Dritter dienen, wie zum Beispiel die Abteilung PPP
(Public Private Partnership), die sich aufgabengemäß mit der Privatisie-
rung öffentlichen Eigentums befasst?

i) Sieht die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Zusammenarbeit
der GIZ mit der Folter beschuldigten Institutionen wie dem Innenminis-
terium von Saudi-Arabien die Gefahr von Klagen und Schadensersatz-
forderungen vonseiten der Opfer dieser Institutionen?

j) Was genau ist die Rolle der GIZ in den Fragen 16g und 16h angeführten
Geschäften?

k) Plant die Bundesregierung, das BMZ oder die GIZ die Gründung eines
Tochterunternehmens, und wenn ja, mit welcher Zielsetzung?

l) Plant die Bundesregierung, das BMZ oder die GIZ die Gründung einer
Personalauffanggesellschaft?

Berlin, den 23. März 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.