BT-Drucksache 17/9095

Entwicklung des Schienenverkehrs zwischen Deutschland und Polen

Vom 23. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9095
17. Wahlperiode 23. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Stephan Kühn, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie Wilms,
Harald Ebner, Bettina Herlitzius, Daniela Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Entwicklung des Schienenverkehrs zwischen Deutschland und Polen

Die 14. Fußballeuropameisterschaft 2012 der Herren findet vom 8. Juni bis zum
1. Juli 2012 in Polen und in der Ukraine statt. Polnische Austragungsorte sind
WrocΩaw, Poznan´´, Gdan´´sk und Warszawa. Nicht nur Fußballfans werden 2012,
mehr als 20 Jahre nach Öffnung der Grenzen und acht Jahre nach dem Beitritt
Polens zur Europäischen Union, auf ein unzureichendes Angebot an grenzüber-
schreitenden Fernverkehrsverbindungen auf der Schiene treffen. Gab es bis An-
fang der 90er-Jahre zahlreiche Direktverbindungen zwischen Deutschland und
Polen, sind heute im Gegensatz dazu nur wenige Verbindungen verfügbar. Die
Angebotsdichte im deutsch-polnischen Fernverkehr rangiert heute auf dem
Niveau der 60er-Jahre und hat damit einen neuen Tiefpunkt erreicht. Der hoch-
wertige Fernverkehr auf der Schiene konzentriert sich im Wesentlichen auf den
Korridor Berlin–Frankfurt (Oder)–Poznan´´–Warszawa. Szczecin und WrocΩaw
sind noch mit jeweils einem Fernverkehrszugpaar mit Deutschland verbunden.
Im Falle WrocΩaws allerdings mit einer völlig unattraktiven und gegenüber dem
Pkw nicht konkurrenzfähigen Fahrzeit von 5 Stunden und 22 Minuten. Bereits
in den 30er-Jahren wurde die Strecke Berlin–Breslau in 2 Stunden und 40 Mi-
nuten zurückgelegt. Diese Fahrzeit ist auch heute noch konkurrenzfähig zum
Pkw, mit dem man etwa 3 Stunden und 40 Minuten unterwegs ist. Der Euro-City
(EC) nach Szczecin soll bereits Ende 2012 eingestellt werden. Das Ergebnis des
eingeschränkten und wenig attraktiven Fernverkehrsangebots: Der Anteil der
Eisenbahn im grenzüberschreitenden Verkehr zwischen Deutschland und Polen
ist auf 2 Prozent abgesunken.

Der polnische Bahnkonzern PKP und die Deutsche Bahn AG planen anlässlich
der Fußballeuropameisterschaft immerhin eine neue Euro-City-Direktverbin-
dung zwischen Berlin und Gdan´´sk. Der EC „Daniel Fahrenheit“, der die Unter-
wegshalte in Bydgoszcz, Poznan´ und Frankfurt (Oder) bedient, soll für die
knapp 600 Kilometer lange Strecke etwas mehr als sechs Stunden brauchen.
Zwischen Berlin und Poznan´ ergibt sich zusammen mit dem Berlin-Warszawa-
Express so tagsüber ein annähernder 2-Stunden-Takt. Gdan´´sk ist erstmalig wie-
der umsteigefrei erreichbar. Bisher dauert eine Fahrt mit ein- oder mehrmali-

gem Umsteigen zwischen siebeneinhalb und zehn Stunden.

Weitere Angebotsverbesserungen insbesondere auf den Achsen Berlin–Szcze-
cin, Berlin–Poznan´ und Dresden–Görlitz–WrocΩaw stehen weiterhin aus. Der
teilweise desolate Zustand der Infrastruktur, mit eingleisigen nicht elektrifizier-
ten Abschnitten und herabgesetzten Streckenhöchstgeschwindigkeiten, schränkt
den Spielraum für neue Angebote erheblich ein. Der Ausbau der Eisenbahn-
infrastruktur zwischen Deutschland und Polen wurde immer wieder angekün-

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digt und später auf die lange Bank geschoben. Dagegen sind praktisch alle
grenzüberschreitenden Autobahnprojekte realisiert bzw. im Bau.

Auch der Schienengüterverkehr würde kapazitiv von den geplanten Ausbau-
vorhaben profitieren. Derzeit steht dem Güterverkehr nur eine elektrifizierte
Strecke, der Grenzübergang bei Frankfurt (Oder), zur Verfügung. Die Inbe-
triebnahme der durchgehenden Elektrifizierung dieser Strecke durch die polni-
sche Staatsbahn PKP und die Deutsche Reichsbahn im Mai 1988 war die letzte
nennenswerte Investition für bessere Verbindungen zwischen beiden Ländern.
Der Ausbau der so genannten niederschlesischen Magistrale (Knappenrode–
Horka–Hoyerswerda–Bundesgrenze) als zweite Ost-West-Achse wird für den
wachsenden Schienengüterverkehr Richtung Osteuropa dringend gebraucht.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten Ankündigungspolitik könnte die Eröffnung
des Berliner Großflughafens Anfang Juni 2012 endlich zur einer Umkehr ge-
nutzt werden. Insbesondere die westpolnischen Wojewodschaften sind an einer
guten Erreichbarkeit des Flughafens mit der Bahn interessiert.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche konkreten Ziele hinsichtlich des Ausbaus (Ausbauparameter, erziel-
bare Fahrzeiten, Zeitpläne) der Eisenbahninfrastruktur wurden für die Stre-
cken Berlin–Szczecin, Berlin–WrocΩaw und Dresden–Görlitz–WrocΩaw bei
den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen im vergangenen Jahr ge-
troffen, und welcher Zeitrahmen wurde dafür abgesteckt?

2. Liegen für die genannten drei Ausbaustrecken Wirtschaftlichkeitsberech-
nungen vor?

Wenn ja, zu welchem Ergebnis kommen die Untersuchungen, und wie be-
wertet die Bundesregierung diese Ergebnisse?

3. Welche Vorbereitungen für die oben benannten Projekte wurden auf der
Ebene bilateraler ministerieller Arbeitsgruppen getroffen, und welche Res-
sortabkommen liegen dazu vor?

4. Für welche grenzüberschreitenden Ausbauvorhaben plant die Bundesregie-
rung in absehbarer Zeit den Abschluss eines Staatsvertrags mit der Republik
Polen, und für welche Projekte liegt ein solcher bereits vor?

5. Welche Abkommen haben die Bundesrepublik Deutschland und die Repu-
blik Polen zur Umsetzung des transnationalen Bahnverkehrs geschlossen,
und welche müssen hinsichtlich der angestrebten Ausbaustandards und der
Finanzierung noch geschlossen werden?

6. Hat die Bundesregierung Kenntnis über geplante neue Fernverkehrsverbin-
dungen, die Eisenbahnverkehrsunternehmen in nächster Zeit zwischen
Deutschland und Polen einrichten wollen?

Wenn ja, welche Relationen sind vorgesehen?

7. Welchen Planungsstand hat das Ausbauvorhaben „niederschlesische Magis-
trale“ Knappenrode–Horka–Hoyerswerda–Bundesgrenze erreicht, und wann
ist mit dem Abschluss der Planfeststellungsverfahren zu rechnen?

8. Wann rechnet die Bundesregierung mit dem Abschluss einer Finanzierungs-
vereinbarung zum Ausbau der „niederschlesischen Magistrale“, und bis
wann soll das Vorhaben umgesetzt sein?

9. Wie ist der aktuelle Stand der Umsetzung bei der Ausbaustrecke Berlin–
Cottbus–Görlitz?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9095

10. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu den notwendigen Strecken-
elektrifizierungen Dresden–Görlitz–Bundesgrenze–(Wegliniec) und Cott-
bus–Görlitz?

11. Liegen zu den beiden Elektrifizierungsvorhaben bereits Wirtschaftlich-
keitsberechnungen vor, und wenn ja, mit welchem Ergebnis?

12. Welche Ausbaumaßnahmen wurden auf den folgenden Eisenbahnstrecken
zwischen Deutschland und Polen in den letzten 20 Jahren vereinbart und
umgesetzt bzw. stehen noch aus: Ahlbeck–Swinoujscie, Ducherow–
Swinoujscie, Tantow–Szcecin, Bützow-Pasewalk–Szczecin, Berlin–
Kostrzyn, Cottbus–Gubin, Guben–Walowice, Berlin–Cottbus–Forst–Tu-
plice (bitte tabellarische Darstellung)?

13. Welche Ausbauvariante favorisiert die Bundesregierung für die Verbin-
dung Berlin–WrocΩaw, und wann kann darüber eine Übereinkunft mit der
Republik Polen erzielt werden?

14. Welche Fahrzeit strebt die Bundesregierung für die Strecke Berlin–
WrocΩaw an, und welche Infrastrukturinvestitionen wären dafür notwen-
dig?

15. Wie positioniert sich die Bundesregierung bezüglich eines möglichen Wie-
deraufbaus der Karniner Hubbrücke (Strecke Ducherow–Swinoujscie) zur
besseren Erreichbarkeit der Insel Usedom aus den Verdichtungsräumen
Berlin und Stettin?

16. Liegen der Bundesregierung Ergebnisse von Voruntersuchungen zur Wirt-
schaftlichkeit dieses Reaktivierungsvorhabens vor?

Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung dieses Vorhaben?

17. Wie hat sich der Modal Split beim grenzüberschreitenden Verkehr zwi-
schen Deutschland und Polen seit 1990 entwickelt (bitte Güterverkehr und
Personenverkehr getrennt angeben)?

18. Mit welcher Zunahme der Transportmenge im Güterverkehr über die
deutsch-polnische Grenze rechnet die Bundesregierung bis zu den Jahren
2020 und 2025, und welchen Anteil soll die Schiene tragen?

19. Mit welcher Zunahme des Verkehrsaufkommens im Personenverkehr über
die deutsch-polnische Grenze rechnet die Bundesregierung bis zu den Jah-
ren 2020 und 2025, und welche Ziele strebt die Bundesregierung für einen
höheren Anteil der Schiene an?

20. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung veranlasst, um den
Anteil des kombinierten Verkehrs zwischen Deutschland und Polen zu er-
höhen, und welche weiteren Maßnahmen sind geplant?

21. Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass das derzeitige
grenzüberschreitende Fernverkehrsangebot zwischen Deutschland und
Polen auf der Schiene nicht ausreicht, um im Wettbewerb mit Pkw und Bus
zu bestehen und das für attraktivere Angebote durchgreifende Verbesserun-
gen bei der Infrastruktur Voraussetzung sind?

Wenn nein, warum nicht?

22. Was ist aus Sicht der Bundesregierung neben Infrastrukturinvestitionen
weiterhin notwendig, um das Fernverkehrsangebot zwischen Deutschland
und Polen zu verbessern?

23. Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass insbesondere neue
grenzüberschreitende Fernverkehrsangebote eine besonders lange Ein-

schwingphase brauchen, um sich am Verkehrsmarkt durchzusetzen und das

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es daher nur wenige rein eigenwirtschaftliche Verkehre zwischen Deutsch-
land und Polen gibt?

Wenn nein, warum nicht?

24. Kann sich die Bundesregierung im Rahmen bilateraler Abkommen mit der
Republik Polen vorstellen, über einen begrenzten Zeitraum von einigen
Jahren Neuverkehre mit einer Anschubfinanzierung zu ermöglichen?

Wenn nein, warum nicht?

25. Hält die Bundesregierung das heutige Angebotsniveau im Schienenperso-
nenfernverkehr zwischen Deutschland und Polen insbesondere vor dem
Hintergrund der sich aus Artikel 87e Absatz 4 des Grundgesetzes ergeben-
den Verpflichtungen für ausreichend?

26. Beabsichtigt die Bundesregierung die Entwicklung bzw. Ausweitung des
grenzüberschreitenden Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) zwischen
Deutschland und Polen bei der Revision der Regionalisierungsmittel für
die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen zu be-
rücksichtigen?

Wenn nein, wie sollen die Länder dann in die Lage versetzt werden, ge-
meinsam mit den polnischen Wojewodschaften neue grenzüberschreitende
Verbindungen (z. B. für bessere Erreichbarkeit des neuen Berliner Groß-
flughafens) im SPNV zu entwickeln und zu bestellen?

27. Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass die Stecke
Berlin–Poznan´´ überwiegend im Kernnetz der Transeuropäischen Netze
(TEN), die Strecke Berlin–WrocΩaw im Kernnetz der TEN ist sowie die
Strecken Berlin–Szczecin und Berlin–Görlitz Bestandteil der TEN sind,
den Vorschlag für die Prioritäten der TEN der Europäischen Kommission?

28. Plant die Bundesregierung, die entsprechende Finanzierung der TEN im
Haushalt zu verankern?

29. Wenn ja, in welchen Jahresscheiben, und in welcher Höhe?

Berlin, den 23. März 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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