BT-Drucksache 17/908

Adulte Stammzellforschung ausweiten, Forschung in der regenerativen Medizin voranbringen und Deutschlands Spitzenposition ausbauen

Vom 3. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/908
17. Wahlperiode 03. 03. 2010

Antrag
der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels,
Klaus Barthel, Willi Brase, Ulla Burchardt, Michael Gerdes, Iris Gleicke, Klaus
Hagemann, Oliver Kaczmarek, Daniela Kolbe (Leipzig), Ute Kumpf, Thomas
Oppermann, Florian Pronold, Marianne Schieder (Schwandorf), Swen Schulz
(Spandau), Ewald Schurer, Andrea Wicklein, Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter
Steinmeier und der Fraktion der SPD

Adulte Stammzellforschung ausweiten, Forschung in der regenerativen Medizin
voranbringen und Deutschlands Spitzenposition ausbauen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Rahmen von Projekten der adulten Stammzellforschung und der regenerati-
ven Medizin wird versucht, Prozesse der Zell-, Gewebe- und Organfunktion und
-regeneration zu verstehen und hierauf aufbauend klinische Anwendungen zu
entwickeln. In der öffentlichen Debatte wird die Erforschung und Förderung
innovativer Zelltherapien oftmals mit der Nutzung embryonaler Stammzellen
gleichgesetzt. Übersehen wird hierbei, dass seit vielen Jahren adulte Stammzel-
len aus dem Knochenmark für Therapiestrategien in der regenerativen Medizin
genutzt werden. Der Ersatz von Zell-, Gewebs- und Organfunktionen steht im
Fokus vieler Forschergruppen. Des Weiteren sollen durch Verfahren der rege-
nerativen Medizin Reparaturprozesse im Körper angeregt werden, um verloren
gegangenes Gewebe wiederherzustellen.

Um keine falschen Heilungshoffnungen zu wecken, ist es notwendig zu betonen,
dass sich die adulte Stammzellforschung und die regenerative Medizin heutzu-
tage noch überwiegend im Stadium der Grundlagenforschung befinden. Erste
klinische Studien deuten aber darauf hin, dass diese Ansätze interessante Hei-
lungsstrategien liefern können. So können Verfahren des Tissue-Engineering
beispielsweise dazu beitragen, dass Luftröhre und Harnblase nach Schädi-
gungen leichter wiederhergestellt werden können. Bei Lungenleiden und bei der
Behandlung von Herzinfarkten deuten jüngste Forschungsergebnisse ebenfalls
auf große Potenziale dieser neuen Verfahren und therapeutischen Ansätze hin.
Die Stammzelltherapie zur Gewebewiederherstellung nach einem Herzinfarkt
ist ein weiteres Beispiel für Erfolg versprechende therapeutische Ansätze in
diesem dynamischen Forschungszweig. Stammzellen aus dem Knochenmark

stellen ebenfalls eine hochinteressante Quelle für neue Therapien zur Organ-
regeneration dar. Einige der bereits veröffentlichten Ergebnisse zur Verwendung
von hämatopoetischen sowie mesenchymalen Stammzellen deuten auf ein mög-
liches Potenzial dieser Zellen für therapeutische Ansätze hin.

Die wissenschaftliche Analyse der Potenziale von Zellen aus dem Nabelschnur-
blut entwickelt sich ebenfalls mit großer Geschwindigkeit. Bedauerlicherweise

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gibt es in Deutschland bis heute jedoch kein umfassendes Programm, um die
Potenziale von Nabelschnurblut konsequent zu nutzen. Stattdessen werden diese
Zellen zumeist verworfen. Notwendig ist aus diesem Grunde die Schaffung von
Möglichkeiten für Eltern, Nabelschnurblut zu konservieren und für nicht-
kommerzielle Zwecke zu spenden. Da sich Stammzellen aus dem Nabelschnur-
blut besonders einfach und ohne gesundheitliche Belastungen gewinnen lassen,
bieten sich diese Zellen für Forschungsprojekte sowie spätere therapeutische
Anwendungen in besonderer Weise an.

Dank der innovativen Studien der Wissenschaftler Yamanaka und Thomson zur
Reprogrammierung von Zellen liegt nunmehr ein weiteres Verfahren vor, wel-
ches zur Generierung von Zellen dienen kann, die ähnliche Eigenschaften auf-
weisen wie humane embryonale Stammzellen. Die hierbei hergestellten, in-
duzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) könnten sich längerfristig zu
einem interessanten Material für die Grundlagenforschung bis hin zu therapeu-
tischen Anwendungen entwickeln, aber auch für weitere Anwendungen wie
etwa die Medikamententestung oder für die Untersuchung von Chemikalien
nutzbar gemacht werden.

Neben dem Interesse an Grundlagenforschung und Erkenntnisgewinn ist es Ziel
vieler Forscherinnen und Forscher, ihre Erkenntnisse zum Nutzen von Patientin-
nen und Patienten einzusetzen. Es muss daher das gemeinsame Ziel aller Betei-
ligten sein, neue und innovative Therapien aus der adulten Stammzellforschung
und der regenerativen Medizin bis zur Anwendungsreife im klinischen Alltag zu
bringen und hierbei ein hohes Qualitätsniveau sowie eine möglichst umfassende
Patientensicherheit zu gewährleisten. Gleichzeitig bedarf es aber auch einer um-
fassenden Bewertung von Risiken und Nutzen neuer therapeutischer Ansätze
und Verfahren. Nur wenn es gelingt, offene Fragen zu klären und in klinischen
Studien die Wirksamkeit der therapeutischen Verfahren nachzuweisen, wird es
gelingen, diese neuen Therapien zum Nutzen vieler Patientinnen und Patienten
einzuführen. Nicht zu vergessen ist hierbei, dass von ersten klinischen Studien
bis zur praktischen Anwendbarkeit im klinischen Alltag oftmals viele Jahre ver-
gehen. Über diese langen Zeiträume bedarf es einer kontinuierlichen finanziel-
len Förderung sowie der Bereitstellung der erforderlichen Infrastruktur für wis-
senschaftliche Arbeiten, um Therapien bis zur Anwendungsreife zu entwickeln.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat bisher zwei Schwer-
punkte in der regenerativen Medizin gefördert. Von 2001 bis 2006 förderte das
Bundesministerium im Rahmen des Schwerpunktes „Biologischer Ersatz von
Organfunktionen“ 32 Vorhaben mit rund 10 Mio. Euro. Die Tatsache, dass im
Rahmen dieses Schwerpunktes rund ein Drittel der Vorhaben tierisches Zell-
material verwendeten und nur in einem Verbund menschliche embryonale
Stammzellen genutzt wurden, verdeutlicht die erheblichen Forschungspoten-
ziale jenseits des Einsatzes menschlicher embryonaler Stammzellen. Dies gilt
umso mehr, als im Rahmen des Schwerpunktes „Biologischer Ersatz von Organ-
funktionen“ nur Projekte mit einer absehbaren klinischen Anwendbarkeit geför-
dert wurden.

Im Herbst 2005 begannen zehn interdisziplinäre Verbünde ihre Arbeit im Be-
reich „Zellbasierte, regenerative Medizin“. Die hier zusammengefassten insge-
samt 46 Teilprojekte fördert die Bundesregierung mit rund 12 Mio. Euro. Im
Rahmen beider Projekte wurden viel versprechende Ansätze für eine klinische
Anwendung von Verfahren und Therapien der regenerativen Medizin entwickelt.
Insbesondere der interdisziplinäre Ansatz, welcher zur Beteiligung nicht nur von
biowissenschaftlicher und medizinischer, sondern auch von ingenieurwissen-
schaftlicher Expertise führt, trägt dazu bei, dass Innovationen entwickelt werden
und experimentelle Ansätze zeitnah für eine klinische Anwendung zur Ver-

fügung stehen.

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Ziel der Förderung von wissenschaftlichen Arbeiten in der adulten Stammzell-
forschung und der regenerativen Medizin sind auch der Wissenstransfer in die
Wirtschaft und die Entwicklung von international wettbewerbsfähigen Produk-
ten. Zur Erreichung dieses Ziels müssen die Bemühungen für einen verstärkten
Wissenstransfer und eine engere Kooperation von Wissenschaft und Industrie
intensiviert werden. Die Verwertungsmöglichkeiten neuer Produkte etwa in der
Zelltherapie sollten durch eine regelmäßige Überprüfung und eine sinnvolle
Ausgestaltung der rechtlichen Anforderungen zur Sicherstellung einer um-
fassenden Patientensicherheit gewährleistet und unnötige Hemmnisse für die
Entwicklung innovativer, neuer Produkte minimiert werden. Die bisher initiier-
ten, erfolgreichen Maßnahmen der Bundesregierung im Bereich der regenerati-
ven Medizin müssen noch weiter verstärkt werden, damit Deutschland in diesem
hochkompetitiven Forschungsgebiet weiterhin international eine Spitzenposi-
tion einnimmt. Hierzu bedarf es neben einer kontinuierlichen Überprüfung und
Weiterentwicklung der innovationsfördernden Maßnahmen des Bundesminis-
teriums für Bildung und Forschung insbesondere einer Verbesserung und Aus-
weitung der Kooperation von Grundlagenforschung und patientenorientierter
Forschung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,

– die adulte Stammzellforschung über die bereits getätigten Förderzusagen
hinaus noch stärker zu fördern;

– die Standardisierung von Herstellungsprozessen und die Qualitätssicherung
von Produkten aus dem Bereich der regenerativen Medizin stärker zu fördern
und hierzu ein Register zu etablieren, in dem Methoden, Verfahren und Refe-
renzdaten in Bezug auf Standardisierung und Qualitätssicherung gesammelt
werden;

– zu überprüfen, ob entsprechend der Empfehlung der Enquete-Kommission
Recht und Ethik der modernen Medizin des Deutschen Bundestages durch
die Schaffung eines Fortpflanzungsmedizingesetzes die Rahmenbedingun-
gen für die regenerative Medizin in Deutschland verbessert werden könnten;

– zu prüfen, ob die Einrichtung eines Zentrums für klinische Studien in der
regenerativen Medizin zur Bündelung des Fachwissens sowie zur Erleichte-
rung von Forschungsprojekten sinnvoll erscheint;

– den Möglichkeiten von kleinen und mittelständischen Unternehmen bei der
Ausgestaltung von Ausschreibungen zur Forschungsförderung in der regene-
rativen Medizin noch stärker Rechnung zu tragen;

– ein Begleitprogramm zu den ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten
der Ansätze und Verfahren der regenerativen Medizin aufzulegen;

– zu überprüfen, ob der Wissenstransfer zwischen Forschung und Unterneh-
men zur Entwicklung innovativer Therapien und Produkte in der regenera-
tiven Medizin erleichtert werden kann;

– bei der Förderung von Projekten der regenerativen Medizin zu beachten, dass
bei der Ausgestaltung frühzeitig erstattungsrechtliche Vorgaben Berücksich-
tigung finden;

– die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Finanzierung von Leistungen
durch die Krankenkassen sowie des Arzneimittelrechts dahingehend zu über-
prüfen, ob für den Bereich der regenerativen Medizin gegebenenfalls spezi-
fische Regelungen erforderlich sind;

– die Schaffung einer deutschen Nabelschnurblutbank voranzutreiben und

hierbei die bestehenden Ressourcen existierender Nabelschnurblutbanken zu
nutzen;

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– zu prüfen, inwieweit ein öffentlich finanziertes System zur Gewinnung von
Nabelschnurblut für die deutsche Nabelschnurblutbank aufgebaut werden
kann;

– zu prüfen, welche datenschutzrechtlichen Erfordernisse bei der Nutzung von
Zellen aus der Nabelschnur zu therapeutischen oder zu Forschungszwecken
zu regeln sind;

– die Programme zur Förderung der Forschung in der regenerativen Medizin
mit Schwerpunkten in der Forschung mit adulten Stammzellen und Nabel-
schnurblut, zur Reprogrammierung von Körperzellen sowie zur Entwicklung
von Strategien zur exogenen Stimulierung von Reparaturprozessen auf
Zellebene weiter auszubauen und zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfü-
gung zu stellen;

– die Öffentlichkeit über die Möglichkeiten der regenerativen Medizin zu
informieren, um insbesondere das Interesse der Jugend an diesem
Forschungszweig zu wecken;

– die ressortübergreifende Zusammenarbeit der zuständigen Bundesminis-
terien für Bildung und Forschung, für Gesundheit, der Justiz, sowie für Wirt-
schaft und Technologie zu verbessern mit dem Ziel, eine integrierte Strategie
zur Förderung der adulten Stammzellforschung und der regenerativen Medi-
zin zu entwickeln.

Berlin, den 3. März 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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