BT-Drucksache 17/9068

Systematischen Antibiotikamissbrauch bekämpfen - Tierhaltung umbauen

Vom 21. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9068
17. Wahlperiode 21. 03. 2012

Antrag
der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Bärbel Höhn, Cornelia Behm,
Harald Ebner, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Hans-Josef Fell,
Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer,
Ingrid Nestle, Dr. Hermann E. Ott, Dorothea Steiner, Daniela Wagner
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Systematischen Antibiotikamissbrauch bekämpfen – Tierhaltung umbauen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Studien zum Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung aus Niedersachsen und
Nordrhein-Westfalen vom November 2011 haben deutlich gezeigt, dass in
Deutschland ein strukturelles Antibiotikaproblem in der Tierhaltung besteht. Bei
der deutlichen Mehrheit aller untersuchten Mastdurchgänge wurden Antibiotika
eingesetzt. Außerdem wurden ein häufiger Wirkstoffwechsel und zu kurze An-
wendungsdauern festgestellt. Das alles legt nahe, dass antimikrobiell wirksame
Substanzen in der Mehrzahl nicht wie gesetzlich vorgeschrieben nur nach „ord-
nungsgemäßer Behandlung“ und aus medizinischen Gründen vergeben werden,
sondern vorbeugend und leistungsfördernd.

Der massive Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung ist einer der ent-
scheidenden Faktoren für die Entstehung von Antibiotikaresistenzen und die
Ausbreitung multiresistenter Keime. Dabei belegen Studien, dass die Vergabe
von Antibiotika und die Entstehung von Resistenzen ganz entscheidend mit den
Haltungssystemen zusammenhängen. Deshalb muss der Umbau der Haltungs-
systeme im Vordergrund aller gesetzlichen Maßnahmen stehen. Auch das
Management ist wichtig und die jeweiligen hygienischen Zustände im Betrieb.
Wenn aber beispielsweise bis zu 25 Hähnchen auf einem Quadratmeter in Stäl-
len mit 40 000 Tieren gehalten werden, kann auch das beste Management nicht
gewährleisten, dass Antibiotika nur vergeben werden, wenn es aus medizini-
scher Sicht erforderlich ist.

Die Studienergebnisse legen außerdem nahe, dass die Medikation in vielen
Ställen ohne eine wirkliche tierärztliche Behandlung der Tiere und Tierbestände
mit Vor- und Nachsorge vorgenommen wurde. Eine nicht ordnungsgemäße Be-
handlung verstößt schon heute gegen bestehendes Recht (vgl. § 56a des Arznei-
mittelgesetzes – AMG und § 12 der Verordnung über tierärztliche Hausapothe-

ken – TÄHAV). Leider fehlt es jedoch bisher an konkreten rechtsverbindlichen
Vorgaben für eine ordnungsgemäße Behandlung. Diese Regelungsdefizite för-
dern nicht nur die massive Vergabe von Antibiotika, sie stehen auch nicht im
Einklang mit der gesetzlich verankerten Verantwortung des Menschen für das
Tier als Mitgeschöpf (§ 1 des Tierschutzgesetzes).

Eine weitere Folge der nicht klar definierten Behandlungsregeln ist, dass für
einige Großtierarztpraxen der Vertrieb von Medikamenten zum Kerngeschäft

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geworden ist. Das ist ein eindeutiger Missbrauch des tierärztlichen Dispensier-
rechts, der noch dadurch gefördert wird, dass Großabnehmer von Medikamenten
Mengenrabatte von 50 Prozent und mehr auf den Einkaufspreis erhalten. Der
Tierarzt, der jedes Tier einzeln behandelt und nur im begründeten Krankheitsfall
Medikamente verschreibt, wird durch solche Rabatte bestraft.

Die aktuellen Regelungen (DIMDI-Arzneimittelverordnung) zur Dokumen-
tation des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung sind nicht transparent und vor
allem nicht risikoorientiert. So wie jetzt vorgesehen, können die gesammelten
Daten nur einmal im Jahr unter Monitoringgesichtspunkten ausgewertet werden.
Ziel muss es sein, dass die Daten zeitnah erfasst werden und zwar derart, dass
sie dem betreffenden Betrieb und dem behandelnden Tierarzt zugeordnet wer-
den können. Um ihrem Kontrollauftrag gerecht werden zu können, muss den
Ländern ein unmittelbarer Zugang zu den Daten gewährt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Haltungsbedingungen grundlegend zu verändern, in der Weise, dass sie
strukturell unabhängig sind von einer permanenten Vergabe von Antibiotika.
Das bedeutet unter anderem,
a) den rechtlichen Rahmen für ein wirksames Verbot von Tierzuchten zu

schaffen, die aufgrund der Zuchtziele zwingend zu gesundheitlichen
Schäden der Tiere führen,

b) die Voraussetzungen für die Festsetzung von maximalen Wachstumsraten
und einer Mindestmastdauer (jeweils tierartenbezogen) zu schaffen mit
dem Ziel, die durchschnittlichen Mastzeiten deutlich zu verlängern,

c) strikte Vorgaben für maximale Besatzdichten (nach Tierarten) in den Stäl-
len rechtlich zu verankern,

d) den Zugang zu Frischluft und den Auslauf für die Tiere zwingend vorzu-
schreiben,

e) zu gewährleisten, dass bei Geflügel Läsionen an den Fußballen nur die
Ausnahme sind. Dazu bedarf es einer verpflichtenden Überwachung und
Meldung an Schlachthöfen;

2. die Behandlungsregeln zu verschärfen und somit dem Missbrauch des Dis-
pensierrechts entgegenzuwirken. Das bedeutet:
a) Im AMG sowie in den darauf bezogenen Verordnungen muss klar defi-

niert werden, wann eine Einzeltier- und wann an eine Bestandsbehandlung
vorzusehen ist. Die Einzeltierbehandlung muss der Regelfall sein.

b) In der TÄHAV muss klar definiert werden, wie die dort geforderte „ord-
nungsgemäße Behandlung“ (§ 12 TÄHAV) konkret – Schritt für Schritt –
durchgeführt und dokumentiert wird. Das Mindeste in diesem Zusammen-
hang ist die bundesrechtliche Verankerung der Leitlinien zum Einsatz von
Antibiotika in der Tierhaltung.

c) Es ist vorzusehen, dass Tierärzte ihre Beratungsleistung zukünftig klar
erkennbar getrennt von Arzneimitteln abrechnen;

3. Mengenrabatte auf Antibiotika zu verbieten und die Bestimmung von Fest-
preisen vorzuschreiben;

4. die rechtlichen Grundlagen im AMG und in der DIMDI-Arzneimittelver-
ordnung für eine transparente und risikoorientierte Dokumentation des Anti-
biotikaeinsatzes zu schaffen, so dass
a) jede Vergabe von Antibiotika bei der Verschreibung zentral erfasst wird und
b) den Landeskontrollbehörden die kompletten Adressdaten des behandeln-
den Tierarztes und des landwirtschaftlichen Betriebes sofort zur Verfü-
gung stehen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9068

5. das weitere Vorgehen zur Reduktion des Antibiotikaeinsatzes im Rahmen der
von den Bundesländern geforderten nationalen Antibiotika-Konferenz zu ko-
ordinieren und in diesem Zusammenhang
a) einen jährlichen Bericht zum Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung zu er-

stellen,
b) gemeinsam mit den Ländern eine Strategie zur Reduktion des Antibiotika-

einsatzes zu erstellen, diese fortlaufend zu evaluieren und weiterzuentwi-
ckeln,

c) im Sinne einer besseren Vergleichbarkeit ein Studiendesign zu entwickeln,
auf das die Länder bei der Untersuchung des Antibiotikaeinsatzes in Tier-
haltungen zurückgreifen können.

Berlin, den 20. März 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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