BT-Drucksache 17/905

Bologna-Prozess vollenden - Länder und Hochschulen weiter unterstützen

Vom 3. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/905
17. Wahlperiode 03. 03. 2010

Antrag
der Abgeordneten Monika Grütters, Tankred Schipanski, Albert Rupprecht
(Weiden), Michael Kretschmer, Peter Altmaier, Dr. Reinhard Brandl, Dr. Thomas
Feist, Dr. Thomas Gebhart, Eberhard Gienger, Anette Hübinger, Dr. Stefan
Kaufmann, Axel Knoerig, Stefan Müller (Erlangen), Dr. Philipp Murmann, Uwe
Schummer, Marcus Weinberg (Hamburg), Dr. Matthias Zimmer, Volker Kauder,
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Patrick Meinhardt, Dr. Martin Neumann (Lausitz),
Dr. Peter Röhlinger, Heiner Kamp, Sylvia Canel, Florian Bernschneider, Nicole
Bracht-Bendt, Angelika Brunkhorst, Sibylle Laurischk, Joachim Spatz und der
Fraktion der FDP

Bologna-Prozess vollenden – Länder und Hochschulen weiter unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Europäische Union bedeutet für die Menschen in den Mitgliedsländern
seit mehr als 50 Jahren ein Versprechen auf Frieden, Freiheit, Sicherheit und
Wohlstand. In den zurückliegenden Jahrzehnten haben die sukzessive Erwei-
terung und Vertiefung der Strukturen der Europäischen Union zu einer bisher
unbekannten Stabilität und Prosperität ihrer Mitgliedsländer geführt.

Auf Initiative einiger europäischer Bildungsminister im Jahr 1998, darunter
des damaligen deutschen Bundesministers für Bildung, Wissenschaft, For-
schung und Technologie, wurden mit der Unterzeichnung der Bologna-Erklä-
rung im Jahr 1999 die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Hoch-
schulraumes und die Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse in den Fokus
gerückt. Ziel des angestoßenen Reformprozesses ist, die Mobilität und
Beschäftigungsfähigkeit der europäischen Bürgerinnen und Bürger zu ver-
bessern, eine größere Übereinstimmung und Vergleichbarkeit der Hochschul-
systeme in Europa zu erreichen und die Attraktivität der europäischen Hoch-
schulbildung im globalen Wettbewerb zu steigern.

Ziel war und bleibt es außerdem, entsprechend der Lissabon-Strategie die
Innovationskraft der Teilnehmerländer zu stärken und die Funktionsfähigkeit
der entsprechenden Wissenschaftssysteme zu steigern. Die Bildungs- und
Wissenschaftssysteme der Bologna-Mitgliedstaaten unterscheiden sich er-

heblich, was nicht zuletzt der teilweise Jahrhunderte andauernden, auf die je-
weiligen Nationalstaaten konzentrierten Entwicklung zuzuschreiben ist. Die
daraus resultierenden, sehr unterschiedlich geprägten Hochschullandschaften
mit ihren spezifischen Strukturen ließen sich nicht ohne Weiteres miteinander
verzahnen. Der Mangel an Einheitlichkeit und Transparenz der Studiensys-
teme hat den Vergleich und damit auch das Studium in anderen Ländern er-
schwert. Bis vor kurzem wirkten diese Eigentümlichkeiten im europäischen

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Hochschulraum noch als Mobilitätsschranken und -barrieren, nach dem Be-
ginn des Reformprozesses und der Schaffung eines Referenzrahmens began-
nen diese Hürden zu schwinden. Gemeinsam mit den europäischen Partnern
wurde dies in einem mittlerweile zehnjährigen Prozess vor allem zum Wohle
der Studierenden aber auch der Wirtschaft geändert. Im März dieses Jahres
werden die Bildungsministerinnen und -minister der Bologna-Mitgliedstaa-
ten in Wien und Budapest zusammenkommen, um zehn Jahre nach Beginn
des Bologna-Prozesses über Fortschritte und weitere Perspektiven zu beraten.

Dass die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Hochschulraumes auch
weiterhin ein attraktives und wichtiges Projekt ist, bezeugt die Mitwirkung
von mittlerweile 46 Staaten am Bologna-Prozess. Der Teilnehmerkreis geht
damit weit über die Mitgliedsländer der Europäischen Union hinaus. Der
Bologna-Prozess bildet damit eines der herausragenden gesamteuropäischen
Projekte der Gegenwart.

2. In Deutschland ist die Umsetzung der Bologna-Reformen weit vorange-
schritten. Mittlerweile führen rund 80 Prozent aller Studiengänge in Deutsch-
land zu den Abschlüssen Bachelor oder Master, an den Fachhochschulen sind
bereits 96 Prozent der Studiengänge auf die neuen Abschlüsse umgestellt.

Wesentliche Ziele der Reform sind bereits jetzt erreicht: Aus Sicht der über-
wiegenden Mehrheit der Studierenden haben sich das Studienangebot und die
Qualität von Lehre und Betreuung in den letzten Jahren verbessert.

Auch in der Wirtschaft ist der Bachelor inzwischen stärker akzeptiert als noch
zu Beginn der Umstellung. Absolventen eines Bachelorstudienganges finden
auf dem Arbeitsmarkt genauso schnell eine Stelle, wie dies Kommilitonen
mit Magister- oder Diplomabschluss tun und die Rate der Arbeitslosigkeit
liegt mit drei Prozent für Bachelorabsolventen nicht höher als für Absolven-
ten mit anderen Hochschulabschlüssen. Unstrittig ist allerdings auch, dass
derzeit noch in einigen Unternehmen – aufgrund fehlender Erfahrungen
hinsichtlich der Qualität der Bachelorabschlüsse – Unsicherheit darüber
besteht, wie Bachelorabsolventen im Hinblick auf ihre Kompetenzen und
Potenziale fachlich und hierarchisch einzustufen sind.

Gleichzeitig konnten mit den Reformen im Zuge des Bologna-Prozesses ei-
nige Probleme des alten universitären Bildungssystems korrigiert werden. So
ist die Zahl der Studienabbrecher an Universitäten im Absolventenjahrgang
2006 im Vergleich zum Absolventenjahrgang 2004 von 24 auf 20 Prozent zu-
rückgegangen. Diese signifikante Entwicklung ist nicht zuletzt auf die Ein-
führung der Bachelorstudiengänge zurückzuführen. Hinsichtlich der Zahl der
Studienanfänger in Deutschland ist für das Jahr 2009 sogar ein neuer Rekord
zu konstatieren: 423 400 junge Menschen haben im Jahr 2009 ein Studium
aufgenommen, dies entspricht einer Jahrgangsquote von 43,3 Prozent.

3. Eine so umfangreiche Reform wie sie im Rahmen des Bologna-Prozesses an
den deutschen Hochschulen umgesetzt worden ist, stellt immer eine gewal-
tige Herausforderung für alle Beteiligten dar. Ungeachtet der Erfolge, die bis-
her erzielt wurden, gehört zu einer verantwortungsvollen Implementierungs-
strategie auch die Pflicht der kritischen Evaluation. Angesichts der föderalen
Struktur des Bildungswesens und der Ansiedlung der primären Verantwor-
tung bei den Hochschulen ist die Bologna-Reform nicht einheitlich umge-
setzt worden, teilweise unterscheiden sich der Umsetzungsfortschritt und die
Qualität der Implementierung von Hochschule zu Hochschule und von Stu-
diengang zu Studiengang in großem Maße.

Die vergangenen Studentenproteste haben verdeutlicht, dass die Bologna-
Reform an einigen Hochschulen noch nicht die erhoffte Wirkung entfalten

konnte. Die mehrheitlich konstruktive Kritik der Studierenden hat dazu beige-
tragen, dass die Mängel und Probleme in der Umsetzung an vielen Hochschu-

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len schnell identifiziert und analysiert werden konnten. Die Länder, die über
die Strukturen des Studiums sowie Maßnahmen zur Umsetzung des Bologna-
Prozesses entscheiden und somit maßgebliche Verantwortung für die erfolg-
reiche Umsetzung der Bologna-Reformen in Deutschland tragen, haben im
Rahmen der Kultusministerkonferenz mit dem 10-Punkte-Plan diese An-
regungen aufgegriffen und Schritte in die richtige Richtung eingeleitet.

Dennoch wird die Implementierung der Bologna-Reformen auch zukünftig
eine große Herausforderung für die Bildungspartner in Deutschland bleiben,
die nur durch gemeinsame koordinierte Anstrengungen erfolgreich bewältigt
werden kann.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt,

● die Zielsetzung der Bundesregierung, Bildung und Forschung Priorität einzu-
räumen und durch eine entsprechende Akzentuierung der Politik Deutsch-
land zur Bildungsrepublik weiterzuentwickeln,

● das Bekenntnis der Bundesregierung, in Deutschland den Anteil der Aufwen-
dungen für Bildung und Forschung gemeinsam mit der Wirtschaft und den
Ländern bis 2015 auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern und
zu diesem Zweck die Ausgaben des Bundes für Bildung und Forschung allein
in dieser Legislaturperiode um 12 Mrd. Euro zu erhöhen,

● die Bereitschaft der Bundesregierung, sich im Rahmen der verfassungsrecht-
lichen Zuständigkeiten von Bund und Ländern an den zusätzlichen Aufwen-
dungen im Bildungsbereich in Höhe von 13 Mrd. Euro mit einer Quote von
40 Prozent zu beteiligen,

● das Engagement der Bundesregierung im Rahmen des von der Bundesminis-
terin Dr. Annette Schavan initiierten Hochschulpaktes 2020, der mit der
Bereitstellung erheblicher finanzieller Mittel den Ausbau der Studienplatz-
kapazitäten und damit den Erfolg der Umsetzung der Bologna-Reformen
unterstützt,

● die Absicht der Bundesregierung, mit dem „Qualitätspakt Lehre“ den Einsatz
innovativer Lehr- und Lernformen an deutschen Hochschulen zu verbreitern,
die Betreuung und Beratung der Studierenden spürbar zu verbessern und
durch die damit verbundene Qualitätssteigerung in der Lehre die Umsetzung
der Bologna-Reformen zu unterstützen,

● die Bereitstellung von Mitteln zur Weiterentwicklung des Bologna-Prozes-
ses, um derart die Mobilität innerhalb des gemeinsamen Hochschulraumes zu
steigern, die Umsetzung der Studienreform zu begünstigen, die lebenslange
wissenschaftliche Qualifizierung zu unterstützen sowie die Neuordnung der
Hochschulzulassung abzusichern,

● die Absicht der Bundesregierung, mit einer neuerlichen Erhöhung und Wei-
terentwicklung des BAföG, der Einführung eines nationalen Stipendien-
programms für Leistungsstarke und der Förderung des Bildungssparens die
finanzielle Situation der Studierenden weiter zu verbessern und zusätzliche
Anreize zur Aufnahme eines Studiums zu setzen,

● die Einladung der Bundesministerin für Bildung und Forschung zu einem
weiteren Bologna-Gespräch am 12. April 2010, bei dem unter Einbeziehung
von Vertretern der relevanten Akteure aus dem Hochschulbereich eine grund-
legende Auseinandersetzung mit den Folgen des Bologna-Prozesses erfolgt
und potentielle Korrekturvorschläge erörtert werden.

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III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● weiter engagiert für die Vollendung des gemeinsamen europäischen Hoch-
schulraumes einzutreten,

● noch mehr als schon bisher die Mobilität von Studierenden und Wissen-
schaftlern als eins der Kernziele des Bologna-Prozesses nachhaltig durch
Austausch-, Studien- und Forschungsprogramme zu fördern und die Interna-
tionalisierung der Hochschulen zu unterstützen,

● die deutschen Erfahrungen mit der Umsetzung des Bologna-Prozesses auf
europäischer Ebene einzubringen und ihre Berücksichtigung bei der Weiter-
entwicklung des Bologna-Prozesses auch in anderen Staaten sicherzustellen,

● die Länder und die Hochschulen bei der weiteren Umsetzung der Bologna-
Reformen und insbesondere bei der Implementierung des 10-Punkte-Plans
der Kultusministerkonferenz weiter tatkräftig zu unterstützen und verläss-
liche Perspektiven für die Verbesserung der Qualität der Lehre zu schaffen,

● zu prüfen, ob Bezugsregelungen innerhalb des BAföG noch weiter an die
Realitäten des Bologna-Studiums angepasst werden müssen,

● gemeinsam mit den Bundesländern, dem Studentenwerk und den Hochschu-
len den Ausbau und die Qualifizierung der Beratungsleistungen für Studie-
rende voranzutreiben,

● gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit die Maßnahmen zur frühzeitigen
Berufsorientierung sowie die Studien- und Finanzierungsberatung an Schu-
len zu verstärken,

● im Einvernehmen mit den Ländern dazu beizutragen, dass vorhandene Infor-
mationssysteme weiter ausgebaut und verbessert werden, um Gefahr von
Intransparenz vorzubeugen und der Akzeptanz des neuen Systems Vorschub
zu leisten.

IV. Der Deutsche Bundestag erwartet von den Bundesländern, dass diese

● ihren Aufgaben in der Bildungspartnerschaft von Bund, Ländern und Kom-
munen verantwortungsbewusst nachkommen, um das Erreichen des 10-Pro-
zent-Zieles nicht zu gefährden,

● ihre eigenen Anstrengungen zugunsten der Bildung nicht reduzieren, sondern
auch ihre Bildungsetats weiter steigern – ergänzend zu der von der Bundes-
regierung erklärten Bereitschaft, im Bildungsbereich bis zu 40 Prozent der
für die Erreichung des 10-Prozent-Ziels zu erwartenden Mehrausgaben zu
übernehmen,

● eine dem verstärkten Betreuungsaufwand angemessene Finanzierung der
Hochschullehre gewährleisten,

● die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz zur Weiterentwicklung des
Bologna-Prozesses, wo diese ihre ureigenen Zuständigkeiten berühren, mit
entsprechender Sorgfalt zügig umsetzen.

V. Der Deutsche Bundestag appelliert an die Hochschulen,

● die Spielräume, welche die Strukturvorgaben der Kultusministerkonferenz
hinsichtlich der Dauer von Studiengängen ermöglichen, besser zu nutzen;

● Auswahlverfahren zu entwickeln und durchzuführen, die den Anforderungen
der einzelnen Studiengänge gerecht werden. Gleichzeitig haben Hochschulen
Studienbewerber angemessen zu beraten, um dadurch einen Beitrag zur

Sicherung des Studienerfolgs zu leisten;

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● die Qualität der Lehre regelmäßig auch über die Akkreditierung hinaus zu
bewerten und die Ergebnisse entsprechend zu veröffentlichen;

● den beruflichen Weg der Absolventen im Rahmen von Verbleibstudien zu
verfolgen und bei der Weiterentwicklung der Studienangebote zu berücksich-
tigen;

● in Zusammenarbeit mit regionalen und überregionalen Arbeitgebern über das
Qualifizierungsangebot der Hochschule zu informieren und sich auch ver-
stärkt im Bereich der Weiterbildung zu engagieren;

● die Umsetzung der Beschlüsse der Kultusministerkonferenz unmittelbar in
Angriff zu nehmen, dazu gehört;

– die Lösung von Umsetzungsproblemen der Bologna-Reform nicht allein
an die Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel zu knüpfen, sondern
kostenneutrale Korrekturen, zum Beispiel hinsichtlich überspezialisierter
Studiengänge, unverzüglich anzugehen,

– überfrachtete Studiengänge zügig zu reformieren, um eine bessere Stu-
dierbarkeit der Studiengänge zu gewährleisten und eine Überforderung
von Studierenden zu vermeiden,

– sich aktiv für eine Verbesserung der Mobilität der Studierenden einzuset-
zen, damit Studienplatzwechsel oder Studienaufenthalte im Ausland zu-
künftig ohne Zeitverluste möglich sind, sowie die Anerkennung im Aus-
land erbrachter Studienleistungen zügig, transparent und entsprechend
den Regelungen der Lissabon-Konvention (Artikel III) konstruktiv zu
regeln. Zudem sollten Programmabsprachen mit Partnerhochschulen
unterstützt werden, um ein Auslandsstudium ohne Zeitverlust auch in der
Bachelorphase für möglichst viele Studiengänge zu ermöglichen.

VI. Der Deutsche Bundestag appelliert an die deutsche Wirtschaft,

● ihr Engagement für die Arbeitsmarktakzeptanz der neuen Abschlüsse fortzu-
setzen. Dabei sind besonders die Industrie- und Handelskammern gefordert,
ihre Mitglieder zu informieren;

● zur Studienfinanzierung durch die Vergabe von Stipendien und der Betei-
ligung beim Aufbau eines nationalen Stipendiensystems für Leistungsstarke
beizutragen;

● ihrerseits gerade im regionalen Umfeld noch mehr als bisher mit den Hoch-
schulen zusammenzuarbeiten, um die Zusammenarbeit in allen Bereichen
weiterzuentwickeln;

● sich als „stakeholder“ öffentlich und in der Organisation (Hochschulräte,
Förderkreise etc.) aktiv für die Hochschulen einzusetzen.

Berlin, den 3. März 2010

Volker Kauder, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) und Fraktion
Birgit Homburger und Fraktion

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