BT-Drucksache 17/8894

Verbraucherschutz stärken - Finanzmarktwächter einführen

Vom 6. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8894
17. Wahlperiode 06. 03. 2012

Antrag
der Abgeordneten Kerstin Tack, Elvira Drobinski-Weiß, Willi Brase, Petra Crone,
Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ulrich Kelber, Ute Kumpf, Thomas Oppermann,
Holger Ortel, Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Mechthild Rawert, Rita
Schwarzelühr-Sutter, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Verbraucherschutz stärken – Finanzmarktwächter einführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Missstände auf dem Finanzmarkt schaden deutschen Verbraucherinnen und
Verbrauchern. Diese schmerzhafte Erfahrung mussten viele Verbraucherinnen
und Verbraucher im Zuge der Finanzmarktkrise machen. Ihr Vertrauen in die
Seriosität des Finanzmarktes und seiner Akteure ist seitdem stark beschädigt.

Gerade nach den Erfahrungen in der Finanzmarkt- und Währungskrise ist es
von herausragender Bedeutung, dass Verbraucherinnen und Verbraucher in den
Geldverkehr und den Finanzmarkt vertrauen.

Die von den Finanzdienstleistern (Banken, Sparkassen, Versicherungen, Fi-
nanzmaklern und Agenturen) angebotenen Produkte sind oft kompliziert und
zum Teil nachteilig für den Konsumenten. Besondere Brisanz kommt Produk-
ten zu, die zu Fehlinvestitionen im Altersvorsorgebereich führen, weil die Kun-
den dieses Segments darauf vertrauen, dass die Anlage zu einem gesicherten
Einkommen im Rentenalter führt. Auch die Frage zu hoher bzw. verdeckter
Provisionen und der Risikostruktur spielen oft eine Rolle. Ein massives Pro-
blem stellen unnötige und renditezehrende Depotumschichtungen und das
systematische „Ausspannen“ von Lebensversicherungsverträgen dar. Hinzu
kommen falsche Beratungen und ein hoher Verkaufsdruck, denen die in der
Finanzwirtschaft oft auf Provisionsbasis arbeitenden Mitarbeiter oder Freibe-
rufler ausgesetzt sind.

Verbraucherinnen und Verbraucher investieren auch heute noch aufgrund fal-
scher Beratung oder mangelhafter Produkte in Kapitalanlagen, die nicht zu ih-
rer ökonomischen und sozialen Situation passen. Aufgrund der Vielzahl und
der Komplexität der Finanzprodukte ist den Verbraucherinnen und Verbrau-
chern ein hinreichend objektiver Vergleich verschiedener Finanzprodukte
schwer möglich. Insbesondere die richtige Erfassung von Erträgen, Kosten und

Risiken bereitet durchschnittlichen Verbraucherinnen und Verbrauchern erheb-
liche Probleme.

Insgesamt ist festzustellen, dass der Markt der Finanzprodukte für die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher nicht mehr transparent ist. Sorgte früher die Ver-
sicherungsaufsicht durch Prüfung und Genehmigung der Produkte dafür, dass
auch das Interesse der Kunden berücksichtigt wurde, findet heute die Aufsicht
nur noch in Missbrauchsfällen statt.

Drucksache 17/8894 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Deregulierung der Märkte, die im europäischen Kontext erfolgte und den
Verbraucherinnen und Verbrauchern mehr Wahlmöglichkeiten geben sollte, hat
zu Intransparenz und damit Verbraucherfeindlichkeit geführt.

Die vom Gesetzgeber z. B. im Versicherungsvertragsgesetz vorgeschriebene
Beratungspflicht und die Aushändigung von Produktinformationsblättern hat
die Situation nicht nachhaltig verbessert. Die Produktinformationen sind oft
kompliziert formuliert und die Informationen werden derart dargestellt, dass
Verbraucherinnen und Verbraucher abgeschreckt werden, sie zu lesen. Im
Streitfall kann so das aus Gründen der Transparenz und Klarheit für den Ver-
braucher eingeführte Produktinformationsblatt sogar zu Nachteilen des Ver-
brauchers führen.

Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene gab es in den letzten
Jahren Bestrebungen, bestehende Marktdefizite zu beheben. Die Regulierungs-
ansätze der Bundesregierung sind unzureichend. Zwar werden Versuche unter-
nommen – zuletzt im Bereich des sogenannten Grauen Kapitalmarktes – ein
umfassender Anlegerschutz wird jedoch unterlassen.

Problematisch ist auch die Aufsicht über den Finanzmarkt. Diese wird für Ver-
mittler, Makler und Berater des Versicherungsbereiches sowie die entsprechen-
den Akteure des Finanzanlagebereichs durch die kommunalen Gewerbeämter
ausgeführt, die zu einer überregionalen Missstandskontrolle nicht in der Lage
sind, während die Banken, der Wertpapierhandel und die Versicherungen von
Bundesbank bzw. der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
beaufsichtigt werden.

Da eine vorgelagerte Genehmigungspflicht der Produkte nicht erfolgt, muss der
Schutz vor Anbietern, die Finanzprodukte falsch oder beschönigt darstellen,
Teil des Systems der nachgelagerten Missbrauchskontrolle werden.

Dazu reicht es nicht aus, auf geltendes Recht hinzuweisen und die Miss-
brauchskontrolle den Gerichten zu überlassen. Eine eigenverantwortliche Ent-
scheidung können Verbraucherinnen und Verbraucher nur dann treffen, wenn
sie vor Falschdarstellungen geschützt sind. Der Finanzmarkt muss deshalb der-
art ausgerichtet werden, dass den Teilnehmern eine freie Entscheidung möglich
ist. Insbesondere muss eine Produktvergleichbarkeit klar und einfach möglich
sein und alle Kosten und Risiken deutlich ausgewiesen werden. Einheitliche
Produktinformationsblätter können hierfür hilfreich sein. Daneben muss eine
Institution installiert werden, die präventiv Missstände aufspürt.

Denn es bestehen erhebliche Defizite bei dem vom Gesetzgeber verfolgten
Zweck des neuen Informationsblattes im Finanzbereich, die Kunden kurz und
prägnant über in der Anlageberatung empfohlene Produkte zu informieren.
Dies bestätigte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
nach einer stichprobenartigen Erhebung im Dezember 2011.

Eine staatlich finanzierte Stelle, die Marktverhalten beobachtet und Marktver-
fehlungen meldet, ist insbesondere dann von besonderer Relevanz, wenn die
Aufsicht dies nicht leisten kann, weil sie hierzu zu weit entfernt vom Verbrau-
cher angesiedelt ist. Es muss daher ein unabhängiger Marktwächter eingeführt
werden, dessen Funktion in erster Linie darin liegt, Marktverfehlungen aufzu-
spüren und diese an die Aufsichtsbehörde weiterzuleiten.

Es gibt inzwischen verschiedene verbraucherpolitisch orientierte Vereine und
Verbände. Sie alle haben Kontakt zu Verbraucherinnen und Verbrauchern und
beraten diese bei Problemen. Die Verbraucherzentrale Bundesverband e. V.
bündelt diese Kontakte und bietet daher die ideale Kommunikationsplattform.
Eine Kommunikationsplattform, die im realen Leben die Kontakte mitbringt
und über die nötigen Kenntnisse verfügt, um Missstände aufzudecken. Daher

sollte der Finanzmarktwächter bei den Verbraucherzentralen angedockt sein.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8894

Um den Finanzmarktwächter zur echten, unabhängigen Kommunikations-
zentrale auszubauen, bedarf es darüber hinaus einer Erweiterung des Online-
angebotes. Insbesondere bedarf es der Möglichkeit für Verbraucherinnen und
Verbraucher zu einer qualifizierten Information und zur Offenlegung von miss-
verständlichen Darstellungen nach dem Vorbild der Plattform www.lebensmit-
telklarheit.de.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Finanzmarktwächter als unabhängigen Wächter des Finanzmarktes
einzuführen, der den Markt beobachtet und Auffälligkeiten an eine schlag-
kräftige Aufsicht meldet. Der Finanzmarktwächter soll insbesondere

– den Finanzmarkt beobachten, um unlautere Praktiken aufzuspüren,

– Hinweise und Erfahrungen von Verbraucherinnen und Verbrauchern sys-
tematisch erfassen und ggf. zur weiteren Veranlassung an die Finanzauf-
sicht weitergeben,

– unlautere Anbieter abmahnen und gegebenenfalls Unterlassungsklage er-
heben,

– die Möglichkeit zur Einreichung von Muster- und Musterfeststellungs-
klagen sowie zur Abschöpfung von Gewinnen nach dem Vorbild des § 10
des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) haben,

– Verbraucherinnen und Verbraucher informieren und aufklären und

– interne handlungsorientierte Konzepte (Beratungsstandpunkte) für die
individuelle Verbraucherberatung entwickeln und koordinieren;

2. diesen Finanzmarktwächter mit Initiativrechten gegenüber der jeweiligen
Aufsicht auszustatten;

3. eine Onlineplattform für Finanzprodukte und Finanzdienstleistungen ein-
zurichten, die sich am Beispiel der Onlineplattform www.lebensmittelklar-
heit.de orientiert, um den Bürgerinnen und Bürgern im Finanzdienstleis-
tungsbereich die nötigen Informationen zu vermitteln;

4. den Marktwächter durch Zinserträge der Deutschen Stiftung Verbraucher-
schutz zu finanzieren. Zum weiteren Aufbau des Stiftungskapitals sollen
deshalb unter anderem Mehreinnahmen aus der Veräußerung des Zweckver-
mögens der Deutschen Siedlungs- und Landesrentenbank und Bußgelder aus
Kartellverfahren herangezogen werden.

Berlin, den 6. März 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1

Das Handeln der Finanzmarktaufsicht ist bis dato repressiv geprägt. Insbeson-
dere in den Bereichen, in denen die Aufsicht nicht bei der BaFin liegt, bestehen
erhebliche Defizite sowohl in fachlicher als auch in regulatorischer Hinsicht.
Eine flächendeckende Fachaufsicht auf hohem Niveau kann durch die vielen
einzelnen Gewerbeämter nicht gewährleistet werden. Ein entsprechender Aus-

bau ist weder geplant noch finanzierbar.

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Zur Steigerung der Effektivität der Missbrauchsbekämpfung und zur präven-
tiven Verbraucheraufklärung wird ein Organ benötigt, das die Aufsichtslücke
schließt. Ein unabhängiger Finanzmarktwächter, der durch Markt- und Ver-
brauchernähe direkte Einblicke hat, kann dies leisten. Er hat einerseits den
nahen Kontakt zu Verbraucherinnen und Verbrauchern, sowohl in den Be-
ratungsstellen als auch auf der einzurichtenden Onlineplattform, andererseits
die nötigen fachlichen Kenntnisse, um kollektive Probleme von individuellen
zu unterscheiden.

Der Finanzmarktwächter soll den Markt aus der Perspektive der Verbraucherin-
nen und Verbraucher vor dem Hintergrund marktmissbräuchlicher Praktiken
beobachten.

Der Finanzmarktwächter erlangt auf diesem Weg nicht nur Missstandsmeldun-
gen, sondern auch Best-practice-Erfahrungen.

Eine systematische Erfassung der Hinweise von Verbraucherinnen und Ver-
brauchern ist dabei wichtig. Die Finanzaufsicht ist mit einer solchen Informa-
tionsflut überfordert. Umso wichtiger ist es, in der zwischengeschalteten In-
stanz des Finanzmarktwächters eine selektive Kommunikationszentrale zwi-
schen Verbrauchern und Aufsicht zu installieren.

Die Verbraucherzentralen bieten mit ihrem Netz von Beratungsangeboten vor
Ort die infrastrukturelle Voraussetzung zur Übernahme einer solchen Aufgabe.

Die Verbandsklagerechte, die die Verbraucherverbände derzeit inne haben, sol-
len ihnen auch dann nicht genommen werden, wenn sie zum Finanzmarktwäch-
ter werden.

Zu Nummer 2

Damit der Finanzmarktwächter nicht zu einem weiteren stumpfen Schwert im
Aufsichtssystem wird, muss er mit Initiativrechten gegenüber der Aufsichtsbe-
hörde ausgestattet werden. Dies beinhaltet eine Meldung etwaiger Unstimmig-
keiten, welche sodann durch die Behörde beschieden werden muss.

Zu Nummer 3

Weitere Unterstützung zur flächendeckenden Marktbeobachtung soll der Markt-
wächter durch Schaffung des Onlineportals erhalten.

Durch eine derartige Onlineplattform wird die flächendeckende Erreichbarkeit
auch dort sichergestellt, wo sich Beratungsstellen nicht in unmittelbarer Nähe
befinden.

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