BT-Drucksache 17/8884

Steuerungsfehler bei der Hochschulzulassung untersuchen und Zulassungsreform besser unterstützen

Vom 6. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8884
17. Wahlperiode 06. 03. 2012

Antrag
der Abgeordneten Ulla Burchardt, Swen Schulz (Spandau), Dr. Ernst Dieter
Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, Willi Brase, Petra Ernstberger,
Michael Gerdes, Iris Gleicke, Klaus Hagemann, Petra Hinz (Essen), Christel
Humme, Oliver Kaczmarek, Daniela Kolbe (Leipzig), Ute Kumpf, Caren Marks,
Thomas Oppermann, Florian Pronold, René Röspel, Marianne Schieder
(Schwandorf), Andrea Wicklein, Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Steuerungsfehler bei der Hochschulzulassung untersuchen und Zulassungs-
reform besser unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung, die Länder und die Hochschulen werden ihr gemeinsames
Versprechen an die jungen Menschen, ein modernes Zulassungsverfahren (dia-
logorientiertes Serviceverfahren – DoSV) zum Wintersemester (WS) 2012/2013
einzuführen, erneut nicht halten können. Damit steht dem deutschen Hochschul-
system gerade in der Phase kein modernes und leistungsfähiges Zulassungsver-
fahren zur Verfügung, die von einer steigenden Studiennachfrage und Rekord-
zahlen bei den Studienanfängern aufgrund doppelter Abiturjahrgänge, Ausset-
zung der Wehrpflicht und nicht zuletzt einer erfreulicherweise zunehmenden
Studierneigung geprägt ist. Der Deutsche Bundestag missbilligt das erneute vor-
läufige Scheitern des Projekts ausdrücklich und fordert die Beteiligten auf, ge-
meinsam ihrer Verantwortung für die Zukunftschancen und Lebensplanungen
der betroffenen jungen Menschen besser gerecht zu werden.

Der Deutsche Bundestag sieht einen dringenden Bedarf, die Umstände und Ur-
sachen des erneuten Projektversagens aufzuklären und die Erkenntnisse im
neuen Anlauf zur Reform des Zulassungsverfahrens zu berücksichtigen. Hier
ist eine kritische Prozessanalyse unverzichtbar, die den gesamten Projektver-
lauf und alle Entscheidungsebenen mit einbezieht. Da alle Beteiligten zudem
grundsätzlich die technische Machbarkeit eines dialogorientierten Servicever-
fahrens in der Hochschulzulassung bejahen, rücken Fehleinschätzungen und
Fehlentscheidungen in der administrativen Projektbegleitung und -steuerung in
den Mittelpunkt. Die anzuerkennende technische Komplexität entlastet die Pro-

jektverantwortlichen in der Bundesregierung, dem Stiftungsrat der Stiftung für
Hochschulzulassung und den Hochschulen somit nicht davon, ein professio-
nelles Projektmanagement zu gewährleisten und die Projektziele finanziell,
sachlich und zeitlich in leistbare Teilschritte zu gliedern und abzuarbeiten. Die
politische Verantwortung kann nicht delegiert, schon gar nicht an einzelne IT-
Dienstleister übertragen werden.

Drucksache 17/8884 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Bundesregierung hat Ende 2008 ein professionelles Projektmanagement
zugesagt, als die Bundesministerin für Bildung und Forschung Dr. Annette
Schavan den ersten Anlauf zu einem neuen Zulassungsverfahren gestoppt hat.
Damals wurde das Projekt politisch und technisch neu aufgesetzt, Bundesmittel
in Höhe von 15 Mio. Euro zusätzlich bereitgestellt und der Starttermin vom WS
2009/2010 um zwei Jahre auf das WS 2011/2012 verschoben. Es muss festge-
stellt werden, dass der Erfolg des neuen Projektmanagements der Bundesminis-
terin Dr. Annette Schavan bisher ausblieb. Seit dem Neustart konnten zwei wei-
tere Starttermine des DoSV nicht gehalten werden: Im Frühjahr 2011 musste
der Start zum WS 2011/2012 aufgegeben werden, Ende 2011 auch der dritte
Starttermin WS 2012/2013. Weder Planbarkeit noch Erwartungssicherheit
konnte bisher gewährleistet werden. Beide sind aber wesentliche und unver-
zichtbare Merkmale eines professionellen Projektmanagements. Die Verläss-
lichkeit des nun verfolgten neuen Starttermins zum WS 2013/2014 kann vor
diesem Hintergrund kaum seriös bewertet werden. Die wiederholten Manage-
mentfehler der Bundesregierung und des Stiftungsrates überraschen auch inso-
fern, als dass die kritischen Problemaspekte in mehreren parlamentarischen
Vorgängen thematisiert und in mehreren Expertenanhörungen im zuständigen
Fachausschuss des Deutschen Bundestages diskutiert worden sind.

Der gegenwärtig zum WS 2012/2013 vorgesehene begrenzte Pilotbetrieb ver-
spricht nach übereinstimmenden Aussagen der Experten keine zusätzlichen Er-
kenntnisse. Zum einen ist die Zahl der beteiligungsfähigen Hochschulen zu ge-
ring, zum anderen ist die fachliche Vielfalt der involvierten Studiengänge zu
groß bzw. der Anteil involvierter Studienplätze in Bezug zum Gesamtangebot
des betreffenden Studiengangs zu gering, um belastbare Tests zu erlauben. So
sind vor allem weiterführende Erkenntnisse zu der besonders effizienzrelevan-
ten Studienplatzvergabe in Mehrfachstudiengängen bereits jetzt ausgeschlos-
sen. Nach über vier Jahren Projektlaufzeit werden die Bundesregierung und der
Stiftungsrat offenbar nur einen gesichtswahrenden „experimentellen Feldver-
such“ realisieren können, der nicht geeignet ist, die Aussichten auf eine effi-
ziente Studienplatzvergabe zu verbessern. Dieses zu erwartende ernüchternde
Ergebnis des angekündigten „professionellen Projektmanagements“ überzeugt
nicht.

Der Deutsche Bundestag unterstützt weiter die Entwicklung und Einführung
des DoSV. Es gibt derzeit keine sinnvolle und praktikable Alternative für eine
effiziente und technisch leistungsfähige Hochschulzulassung. Er fordert alle
Beteiligten auf, unverzüglich eine funktionstüchtige, leistungsfähige und si-
chere Anbindung der Hochschulen zu realisieren und die Lösung umgehend
auszurollen und flächendeckend zu implementieren. Vorrangig ist hier die Ent-
wicklung und Prüfung der so genannten Softwarebrücken oder „Konnektoren“
zwischen dem DoSV und der IT-Landschaft an der Mehrzahl der deutschen
Hochschulen. Bisher konnte dies nicht anforderungsgerecht erfüllt werden.
Ohne funktionsfähige und flächendeckend implementierte Konnektoren ist das
DoSV aber nicht umzusetzen. Der Bund bietet daher hier seine Unterstützung
an, um das gemeinsame Ziel, im WS 2013/2014 ein leistungsfähiges DoSV ein-
führen zu können, zu fördern.

Besonders folgenreich wirkt sich bisher die Fehlentscheidung von Bundes-
regierung und Stiftungsrat aus, auf eine Ersatzstrategie zu verzichten. So er-
weist sich rückblickend der Verzicht auf die im Gesamtkonzept des DoSV aus-
drücklich enthaltene zusätzliche Option eines „zentralen Zulassungsverfah-
rens“ (so genannter Typ D) als folgenreiche Fehlsteuerung. Diese Option hätte
heute in Anbetracht der abermaligen Startverschiebung des DoSV einen wichti-
gen Beitrag zur effizienteren Überbrückung der Wartezeiten auf das DoSV leis-
ten können. So sind aber keine alternativen Lösungen entwickelt worden, um

unvorhergesehene Verzögerungen beim DoSV soweit möglich kompensieren
zu können. Es blieb bisher beim bestehenden unkoordinierten Zulassungsver-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8884

fahren der Hochschulen, ergänzt um eine völlig unzureichende Studienplatz-
vergabe über eine nachlaufende „Online-Studienplatzbörse“. Weder stand vor
einem Jahr ein solcher Plan B zur Verfügung noch wurde damals entschieden,
einen solchen erarbeiten zu lassen. Nach dem gegenwärtigen erneuten Schei-
tern des Projekts fehlt daher heute abermals eine machbare Alternative für eine
bessere Studienplatzvergabe in der Zeit bis zur Einführung des DoSV. Dieser
strategische Fehler darf nicht ein drittes Mal wiederholt werden.

Der Deutsche Bundestag fordert alle Beteiligten auf, neben dem Entwicklungs-
und Einführungsprozess des DoSV parallel Vorkehrungen für den Fall zu tref-
fen, dass das DoSV auch im WS 2013/2014 nicht wie gewünscht zur Verfü-
gung steht. Hier bietet sich an, an der bisher sträflich vernachlässigten Option
„zentrales Zulassungsverfahren“ bzw. „Typ D“ anzuknüpfen und sie im Hin-
blick einer Ersatzlösung für das WS 2013/2014 weiterzuentwickeln und um-
zusetzen (Typ D+). Im Wesentlichen soll dadurch, falls notwendig und wenn
gewünscht, das Zulassungsverfahren der Hochschulen in die IT-Infrastruktur
der Stiftung ausgelagert werden. Die Durchführung erfolgt dann als Dienstleis-
tung im Auftrag der Hochschulen. Die Stiftung ist dazu aufgabengerecht mit
Finanz- und Personalkapazitäten auszustatten. Die Stiftung könnte damit in die
Lage versetzt werden, für den Fall, dass im WS 2013/2014 das DoSV erneut
nicht zur Verfügung steht, zu handeln und den Hochschulen dennoch ein Ange-
bot machen zu können. Eine wichtige Anforderung hierbei ist, dass die Verant-
wortung für die Bewerberauswahl bis zuletzt allein bei den Hochschulen liegt.
Eine Entscheidung für ein solches praktikables Ersatzsystem ist zeitnah mög-
lich und notwendig, um die knapp zwei Jahre bis zum gegenwärtig geplanten
Starttermin nutzen zu können.

Der Bund hat ein eigenständiges Interesse an einer effizienten und leistungs-
fähigen Vergabe knapper Studienplatzressourcen. Daher muss die Bundesregie-
rung ihre zuletzt selbstgewählte „Zuschauerrolle“ aufgeben und sich stärker für
einen Erfolg des DoSV einsetzen. Eine Möglichkeit ist die Übernahme zusätz-
licher Kosten durch den Bund. Das ist zielführend, weil einerseits die Stiftung
bis zum flächendeckenden Einsatz des DoSV keine Einnahmen erzielen kann,
sowie andererseits für die Hochschulen derzeit nur unzureichend Anreize be-
stehen, die Entwicklung oder dann die Anschaffung der Konnektoren ohne
Leistungstests vorzufinanzieren. Der Bund könnte hier den notwendigen Im-
puls geben, damit das DoSV sich wie geplant durchsetzt und zugleich parallel
eine Ersatzlösung für das WS 2013/2014 entwickelt wird.

Für das kommende Wintersemester ist die Anregung der Experten aufzugreifen,
zur effizienten Vergabe von Reststudienplätzen die bereits bestehenden Mög-
lichkeiten der Stiftung für Hochschulzulassung und der DoSV-Software – wie
beispielsweise der Clearing-Funktionalität – zu nutzen. Koordiniert durch die
Stiftung könnten die zunächst nicht besetzten Studienplätze besser auf noch nicht
versorgte Bewerberinnen und Bewerber verteilt werden, als dies mit der „Online-
Studienplatzbörse“ möglich ist.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. darauf hinzuwirken, dass das dialogorientierte Serviceverfahren für die
Hochschulzulassung unverzüglich und in vollem Funktionsumfang zum
WS 2013/2014 eingeführt wird;

2. sofern und soweit notwendig zur Sicherung der Entwicklung und flächen-
deckenden Implementierung der dafür notwendigen Software (Konnektoren)
eine Kostenübernahme durch den Bund anzubieten;

3. darauf hinzuwirken, bis zum Start des DoSV an die Stelle der bisherigen
„Online-Studienplatzbörse“ ein durch die Stiftung für Hochschulzulassung

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koordiniertes Vergabeverfahren in der Clearingphase durchzuführen, um
möglichst zügig noch unbesetzte Studienplätze vergeben zu können;

4. darauf hinzuwirken, dass als Ersatzplan für das WS 2013/2014 bereits jetzt die
Realisierung einer technischen Lösung veranlasst wird, mit der im Bedarfsfall
und vorübergehend bis zum DoSV ein hinreichend effizientes Zulassungs-
verfahren durch die Stiftung und im Auftrag der Hochschulen durchgeführt
werden kann (Typ D+). Die Prüfung der Hochschulzugangsberechtigung soll
dabei auf Wunsch der Hochschule die Stiftung für Hochschulzulassung über-
nehmen können;

5. sofern und soweit notwendig für die durch den Ersatzplan verursachten Pro-
grammier- und Implementierungskosten ebenfalls eine Übernahme durch den
Bund anzubieten;

6. darauf hinzuwirken, dass eine unabhängige und vollständige Prozessanalyse
des Projekts zur Einführung eines dialogorientierten Serviceverfahrens in der
Hochschulzulassung durchgeführt wird. Ziel ist es, die Ursachen von Fehl-
entwicklungen zu untersuchen sowie die entsprechenden Fehlwahrnehmun-
gen und Fehlentscheidungen zu identifizieren, die zum bisherigen erfolglosen
Projektverlauf geführt haben und die für die erfolgreiche Weiterführung des
Projekts relevant sein können. In diese Analyse sind sowohl der technische
Bereich wie auch der Bereich des politischen Projektmanagements einzube-
ziehen;

7. auf die Länder einzuwirken, gemeinsam Potenziale der Verfahrensvereinfa-
chung und -vereinheitlichung zu prüfen, um bspw. durch standardisierte
Datenanforderungen an die Bewerber und Bewerberinnen die technische
Komplexität der Verfahren insgesamt und damit dessen Fehleranfälligkeit zu
reduzieren.

Berlin, den 6. März 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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