BT-Drucksache 17/8865

Politische Betätigungsverbote nach dem Aufenthaltsgesetz

Vom 5. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8865
17. Wahlperiode 05. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Nicole Gohlke, Annette Groth,
Andrej Hunko, Ingrid Remmers, Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Politische Betätigungsverbote nach dem Aufenthaltsgesetz

Die politische Betätigung eines Ausländers oder einer Ausländerin kann nach
§ 47 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) beschränkt oder untersagt werden,
soweit sie die politische Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland, die
öffentliche Sicherheit und Ordnung, das friedliche Zusammenleben von Deut-
schen und Ausländern oder von verschiedenen Ausländergruppen im Bundes-
gebiet oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland be-
einträchtigt oder gefährdet werden. Weiterhin kann die politische Betätigung
untersagt werden, wenn sie außenpolitischen Interessen oder völkerrechtliche
Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland zuwiderläuft oder gegen die
Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland verstößt oder bestimmt ist,
Parteien, Vereinigungen, Einrichtungen oder Bestrebungen außerhalb des Bun-
desgebietes zu fördern, deren Ziele und Mittel mit den Grundwerten einer die
Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung unvereinbar sind.

Auf der Grundlange des § 47 Absatz 1 Satz 2 AufenthG hat das Amt für öffent-
liche Ordnung der Landeshauptstadt Stuttgart im Februar 2012 ein politisches
Betätigungsverbot gegen den kurdischen Exilpolitiker Muzaffer Ayata verhängt.
„Verboten sind hiernach insbesondere die Teilnahme an öffentlichen politischen
Versammlungen und Aufzügen, die Übernahme und Ausübung von Ämtern so-
wie die Untersagung [sic] politischer Reden, Pressekonferenzen und schriftliche
Veröffentlichungen“, heißt es in der Verfügung des Ordnungsamtes vom 10. Fe-
bruar 2012. Verboten wird Muzaffer Ayata auch jedes Engagement für legale,
aber vom Verfassungsschutz als von der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)-domi-
niert eingeschätzte Organisationen. Namentlich genannt wird die Föderation
kurdischer Vereine in Deutschland – Yek Kom e. V., dem größten Verband unter
den rund 800 000 in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden.

In der Verbotsverfügung werden Muzaffer Ayatas politische Aktivitäten seit
2009 genannt, so Vorträge zur Geschichte des kurdischen Befreiungskampfes,
ein Aufruf an das „kurdische Volk zur Einheit“ auf einer Zehnjahresfeier des
Kurdischen Kulturvereins e. V. Ludwigshafen, die Teilnahme an einem Sympo-
sium in Köln zum Thema „Was wollen die unterdrückten Völker und Minder-
heiten“ und die Teilnahme an einer Podiumsdiskussion in Nürnberg über „Frie-
densvorschläge für die kurdische Frage“. Erwähnt wird weiterhin ein Interview

mit der Überschrift „Deutschlands Kurdenpolitik“ in der Tageszeitung Yeni
Özgür Politika vom 2./3. September 2011. „Sie [gemeint ist Ayata] werfen
Deutschland vor, Kurden als Terroristen und Straffällige zu betrachten und for-
dern Deutschland auf, Initiative für eine Lösung der Kurdenfrage zu ergreifen“,
heißt es in der Verfügung (alle Zitate aus der den Fragestellenden vorliegenden
Verfügung des Amtes für öffentliche Ordnung der Landeshauptstadt Stuttgart
vom 10. Februar 2012, Zeichen 32-41,11/3711090).

Drucksache 17/8865 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Muzaffer Ayata gehörte bis zu seiner Verhaftung in der Türkei im Jahr 1980 der
PKK an. Nach 20 Jahren Haft einschließlich schwerer Folter engagierte er sich
als Berater für die legale prokurdische Partei HADEP (HADEP = Partei der
Demokratie des Volkes). Da ihm eine erneute Verhaftung drohte, floh er 2002
nach Deutschland, wo sein Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abge-
lehnt wurde und er eine Duldung erhielt. 2006 wurde Muzaffer Ayata, der nach
dem Verbot der HADEP als Europavertreter ihrer Nachfolgepartei DEHAP
sowie als Journalist für verschiedene prokurdische Medien tätig war, in Mann-
heim verhaftet und zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe wegen angeblicher
Rädelsführerschaft in der PKK verurteilt. Seit seiner Haftentlassung im Okto-
ber 2009 unterliegt Muzaffer Ayata täglichen Meldeauflagen bei der Polizei.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In wie vielen Fällen wurden politische Betätigungsverbote nach § 47 Auf-
enthG (§ 37 des Ausländergesetzes) seit Inkrafttreten der Regelung verfügt
(bitte nach Jahren und Bundesländern der verfügenden Behörde und soweit
möglich nach Absatz 1 und 2 aufgliedern)?

a) Welchen politischen Organisationen bzw. Phänomenbereichen sind die
Betroffenen zuzuordnen?

b) In wie vielen und welchen Fällen wurde Widerspruch gegen die Ver-
fügung eines politischen Betätigungsverbotes eingelegt und mit welchem
Ergebnis (bitte Verfahrensstand angeben)?

2. Welche Behörden sind im Einzelnen für die Umsetzung, Kontrolle und
Durchsetzung politischer Betätigungsverbote nach dem AufenthG zustän-
dig?

3. Inwieweit ist die Bundesregierung der Auffassung, dass eine Auflistung einer
Organisation auf der EU-Liste terroristischer Organisationen eine zwingende
völkerrechtliche Verpflichtung für die Bundesregierung enthält, mutmaß-
liche Unterstützer dieser Organisation in der Bundesrepublik Deutschland
mit einem politischen Betätigungsverbot zu belegen (bitte Rechtsgrundlage
benennen)?

4. Sind der Bundesregierung mündliche oder schriftliche Aufrufe von Muzaffer
Ayata seit seiner Haftentlassung 2009 bekannt, die geeignet sind, den öffent-
lichen Frieden oder das friedliche Zusammenleben der Völker oder sonstige
erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland zu stören, und wenn
ja, welche?

5. Inwieweit gab es das Ansinnen an die Bundesregierung, Muzaffer Ayata mit
einem politischen Betätigungsverbot zu belegen

a) von Seiten der türkischen Regierung,

b) von Seiten der EU,

c) von sonstigen internationalen Stellen (welche)?

6. Inwieweit, wann, in welchem Umfang und mit welchem Ergebnis und
welchen Auswirkungen waren welche Bundes- oder auch Landesbehörden,
Bundesämter oder Bundesministerien oder gemeinsame Bund-Länder-Zentren
(z. B. Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration –
GASIM) im Vorfeld des von dem Stuttgarter Ordnungsamt verhängten poli-
tischen Betätigungsverbots gegen Muzaffer Ayata beteiligt?

7. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass durch die bisherige politische
Betätigung von Muzaffer Ayata in der Bundesrepublik Deutschland völker-

rechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland behindert, ver-
eitelt oder zumindest unterlaufen wurden, und wenn ja, welche?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8865

8. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, dass
ein politisches Betätigungsverbot einschließlich des Verbots schriftlicher
Veröffentlichungen nach § 47 AufenthG im Falle eines Journalisten und
Schriftstellers einem Berufsverbot gleichkommt?

9. Welche Möglichkeiten bestehen nach Ansicht der Bundesregierung für Per-
sonen, die nach § 47 AufenthG einem politischen Betätigungsverbot unter-
liegen, sich dennoch in der Bundesrepublik Deutschland politisch oder publi-
zistisch zu betätigen?

a) Welche Möglichkeiten bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung für
Muzaffer Ayata, zum Thema Kurdenpolitik zu publizieren, ohne gegen
das gegen ihn verfügte politische Betätigungsverbot zu verstoßen?

b) Welche Möglichkeiten bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung für
Muzaffer Ayata, sich weiterhin in der Bundesrepublik Deutschland für
eine Lösung der kurdischen Frage zu engagieren, ohne gegen das gegen
ihn verfügte politische Betätigungsverbot zu verstoßen?

c) Von welchen Mitteln und Zielen der PKK muss sich Muzaffer Ayata nach
Meinung der Bundesregierung distanzieren, um eine Aufhebung des poli-
tischen Betätigungsverbots zu erreichen?

Berlin, den 5. März 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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