BT-Drucksache 17/8788

Forschung und Produktentwicklung für vernachlässigte und armutsassoziierte Erkrankungen stärken

Vom 28. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8788
17. Wahlperiode 29. 02. 2012

Antrag
der Abgeordneten Anette Hübinger, Albert Rupprecht (Weiden),
Michael Kretschmer, Peter Altmaier, Dr. Thomas Feist, Eberhard Gienger,
Monika Grütters, Florian Hahn, Dr. Stefan Kaufmann, Ewa Klamt, Axel Knoerig,
Stefan Müller (Erlangen), Dr. Philipp Murmann, Tankred Schipanski,
Uwe Schummer, Marcus Weinberg (Hamburg), Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt
und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Peter Röhlinger, Dr. Martin Neumann (Lausitz),
Patrick Meinhardt, Heiner Kamp, Sylvia Canel, Rainer Brüderle
und der Fraktion der FDP

Forschung und Produktentwicklung für vernachlässigte und armutsassoziierte
Erkrankungen stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Über eine Milliarde Menschen leiden an sog. vernachlässigten tropischen und
armutsassoziierten Erkrankungen. Zu den vernachlässigten Tropenkrankheiten
gehören dabei im Speziellen die afrikanische Schlafkrankheit, lymphatische
Filariose, Chagas, Dengue-Fieber und Leishmaniose. Sie treten vor allem in
Entwicklungs- und Schwellenländern auf. In diesen Ländern begünstigen
schlechte soziale und wirtschaftliche Rahmenbedingungen deren Verbreitung.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Bevölkerung sich entsprechende Präven-
tion, Medikation und Pflege nicht leisten kann.

Bei vernachlässigten und armutsassoziierten Erkrankungen führt nicht jeder
Krankheitsverlauf zwangsweise zum Tod, doch beeinträchtigen diese Krank-
heiten die Lebensqualität der Betroffenen sehr stark. Die Folge von solchen
Krankheiten ist die chronische gesundheitliche Beeinträchtigung, die bis hin zu
schweren Behinderungen und kompletter Arbeitsunfähigkeit führen kann und
oft menschenunwürdige Lebensverhältnisse nach sich zieht.

Oft gibt es keine oder keine adäquaten Behandlungsmöglichkeiten für diese
Krankheiten. Zwar gibt es gegen manche der vernachlässigten und armutsasso-
ziierten Erkrankungen Medikamente. Diese wirken häufig nur unzureichend
und haben meist starke und zum Teil gefährliche Nebenwirkungen. Gleich-
zeitig wird durch die unsachgemäße Einnahme auch die Bildung von Resisten-

zen gefördert, was die Heilungschancen verschlechtert. Ein weiteres Problem
stellen oftmals fehlende speziell für Kinder dosierte Medikamente dar.

Zu den armutsassoziierten Erkrankungen gehören auch HIV/Aids, Malaria und
Tuberkulose, die „Großen Drei“. Von vernachlässigt kann hier nur im weiteren
Sinne gesprochen werden, da drei Viertel der weltweit aufgebrachten Mittel für
Forschungsförderung im Bereich armutsassoziierter Erkrankungen bislang in

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den Bereich dieser „Großen Drei“ geflossen sind. Doch gibt es auch bei diesen
Krankheiten immer noch Teilbereiche, die als vernachlässigt gelten können.
Bei diesen Krankheiten sind Mortalität und damit Handlungsbedarf sehr hoch.
Erfolge heben die durchschnittliche Lebenserwartung unmittelbar.

Der Deutsche Bundestag bedauert die – mit Ausnahme der „Großen Drei“ –
nach wie vor unzureichende Erforschung und Bekämpfung von vernachlässig-
ten und armutsassoziierten Krankheiten. Das wirtschaftliche Interesse von
Pharmaunternehmen ist hier eher gering. Die schwierige finanzielle Lage vieler
Staaten bewirkt, dass sie ihr Engagement in diesem Bereich nicht steigern, son-
dern reduzieren.

Die Bundesregierung hat bei ihrem Engagement einen anderen Weg einge-
schlagen. Mit dem Förderkonzept „Vernachlässigte und armutsassoziierte
Krankheiten“ nimmt Deutschland im internationalen Vergleich eine positive
Vorreiterrolle ein und leistet damit einen essentiellen Beitrag zur Verbesserung
der Gesundheitssituation vieler Menschen. Dieses Engagement begrüßt der
Deutsche Bundestag ausdrücklich.

Der Deutsche Bundestag stellt weiterhin fest, dass die sozioökonomischen Aus-
wirkungen von Infektionskrankheiten und den sog. vernachlässigten Tropen-
krankheiten auf die Entwicklungs- und Schwellenländer verheerend sind. Diese
Krankheiten werden nicht nur durch Armut bedingt, sondern stellen gleichzei-
tig einen Hauptgrund für diese dar. Diesen schädlichen Kreislauf gilt es im Inte-
resse der betroffenen Menschen und Länder, aber auch in unserem eigenen In-
teresse, zu durchbrechen.

Das Förderkonzept unterstützt deshalb zum einen die Entwicklung von effek-
tiven Diagnosemethoden, die auch in einfachen Verhältnissen zu exakten Er-
gebnissen führen und zum anderen die Förderung von Präventionsmaßnahmen
wie z. B. Hygiene, Insektenschutz, Aufklärung und gesundheitliche Infrastruk-
tur.

Der Deutsche Bundestag fordert daran anknüpfend die Bundesregierung auf,
besonders die Entwicklung von Produkten für Prävention, Diagnose oder Be-
handlung durch Produktentwicklungspartnerschaften (PDPs) zu unterstützen.
PDPs sind Non-Profit-Organisationen, die Präventionsmethoden, Impfstoffe,
Medikamente oder Diagnostika und Diagnosegeräte gegen diese Erkrankungen
entwickeln und kostengünstig absetzen. Die Unterstützung von PDPs ist ein
wesentlicher Ansatz zur Eindämmung von vernachlässigten tropischen und
armutsassoziierten Erkrankungen.

Der Deutsche Bundestag begrüßt daher zunächst, dass die Bundesregierung für
den Zeitraum von 2011 bis 2015 eine Summe in Höhe von 20 Mio. Euro für
diesen innovativen Forschungs- und Produktentwicklungsansatz einsetzt. Die
Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP unterstützen diese Initiative aus-
drücklich und haben deshalb die Mittel im parlamentarischen Haushaltsverfah-
ren bereits im Jahr 2011 um 2 Mio. Euro erhöht. Auch für die kommenden
Jahre streben die Fraktionen der CDU/CSU und FDP einen Mittelaufwuchs für
dieses wichtige Anliegen an. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP sind da-
von überzeugt, dass sich diese Investitionen höchst positiv auf die Patienten in
den betroffenen Entwicklungs- und Schwellenländern auswirken werden.

Der Deutsche Bundestag begrüßt des Weiteren die Teilnahme Deutschlands an
der EDCTP-Initiative (European and Developing Countries Clinical Trials
Partnership), die sich zusammen mit europäischen und afrikanischen Partner-
ländern der Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose widmet.

Der Deutsche Bundestag begrüßt ebenfalls die langjährige Förderung des
„Special Programme for Research and Training in Tropical Diseases“ (TDR) der

Weltgesundheitsorganisation, das Forschung und Entwicklung bei Tropen-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8788

erkrankungen überwiegend durch private oder universitäre Konsortien umsetzt,
koordiniert und verifiziert, um bestehende Behandlungsprodukte oder -ansätze
zur Bekämpfung dieser Krankheiten zu fördern.

Die erfolgreiche Bekämpfung der vernachlässigten tropischen und armutsasso-
ziierten Erkrankungen dient nicht nur der Verwirklichung der Ziele der Millen-
niumserklärung der Vereinten Nationen (VN), sondern legt die Grundlage für
einen wirtschaftlichen Fortschritt in den Entwicklungs- und Schwellenländern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sowohl Forschungsanstrengungen zu den drei Infektionskrankheiten mit
besonders hoher Mortalität (HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose) wie auch
zu den „vernachlässigten tropischen Krankheiten“ mit ihrer besonders
hohen Krankheitslast ressortübergreifend koordiniert zu intensivieren und
so zur Verwirklichung der in der VN-Millenniumserklärung festgelegten
und bis 2015 zu erreichenden Ziele beizutragen;

2. das deutsche Engagement im Bereich der globalen Gesundheit auszubauen
und bei der Produktentwicklung für vernachlässigte und armutsbedingte
Erkrankungen weiterhin Verantwortung zu übernehmen;

3. PDPs als Instrument zur Entwicklung von adäquaten Präventions- und Diag-
nosemethoden sowie Medikamenten gegen vernachlässigte tropische und
armutsassoziierte Erkrankungen zu fördern;

4. PDP-Förderung zu einem festen Bestandteil ihrer internationalen For-
schungsförderung zu machen;

5. bei der Förderung im Bereich vernachlässigte und armutsassoziierte
Krankheiten ein ausgewogenes Verhältnis von Grundlagenforschung und
der Unterstützung von produktorientierter Forschung sicherzustellen;

6. bei der Unterstützung von PDPs darauf zu achten, dass insbesondere die
bedarfsorientierte, kostengünstige und zeitnahe Entwicklung sowohl von
Präventions- und Diagnosemethoden als auch von Medikamenten im Vor-
dergrund der Arbeit der zu fördernden Organisationen steht;

7. durch engen Austausch mit der PDP Funders Group sicherzustellen, dass
für zukünftige thematische Schwerpunktsetzungen Forschungslücken früh-
zeitig identifiziert werden können;

8. im Rahmen der Etablierung des Deutschen Zentrums für Infektionsfor-
schung (DZI) die Erforschung vernachlässigter tropischer und armutsasso-
ziierter Erkrankungen bei gleichzeitiger Einbindung internationaler Partner
als eine der zentralen Herausforderungen voranzutreiben;

9. die Gesamtförderstrategie darauf auszurichten, dass erfolgversprechende
Produkte konsequent bis zur breiten Anwendung in der Krankenversor-
gung entwickelt werden (Translation);

10. die nationale Förderung im Bereich der Grundlagenforschung, der präkli-
nischen Forschung und der klinischen Forschung fortzusetzen;

11. die Wissensbasis für die Verbesserung der medizinischen Versorgung in
den Schwellen- und Entwicklungsländern zu verbreitern;

12. den Aufbau funktionierender Gesundheitssysteme durch Unterstützung der
dazugehörigen Gesundheitsforschung in den Schwellen- und Entwick-
lungsländern anzuregen;

Drucksache 17/8788 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
13. sog. Capacity-Building-Maßnahmen (z. B. Ausbildung von medizinischem
Personal und Wissenschaftlern bzw. Aufbau von Infrastrukturen bei der
Durchführung klinischer Studien) im Allgemeinen, aber auch das Engage-
ment der PDPs in diesen Bereichen zu fördern, um so eine Stärkung der
Qualitätsinfrastruktur vor Ort und eine Langzeitbeobachtung von neu ein-
geführten Medikamenten und Impfstoffen zu erreichen;

14. den Wissenstransfer mit Forschern in den betroffenen Regionen weiter aus-
zubauen, um Material- und Personalressourcen zu bündeln, regionale For-
schungsinfrastrukturen zu schaffen und so effizienteres Arbeiten im Be-
reich der vernachlässigten tropischen und armutsassoziierten Krankheiten
zu gewährleisten;

15. die klinische Forschung zu HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose durch die
weitere Teilnahme an der EDCTP-Initiative erfolgreich voranzutreiben;

16. im Falle einer positiven Evaluation der ersten PDP-Förderrunde, diesen
Förderansatz im Rahmen des 6-Milliarden-Programms für Forschung
durch eine zweite Förderrunde zu verstetigen, dafür höhere Finanzmittel
als für die erste Runde einzuplanen. Auf Grundlage einer wissenschaft-
lichen und politischen Bewertung ist auch die Finanzierung der Entwick-
lung von Produkten gegen HIV/Aids und Tuberkulose zu erwägen, da auch
die Bekämpfung dieser Krankheiten von zentraler Bedeutung für die Errei-
chung von Milleniumsentwicklungsziele 4 und 5 ist;

17. sich im Rahmen der aktuellen Planungen zum neuen europäischen Rah-
menprogramm für Forschung und Innovation „Horizon 2020“ dafür einzu-
setzen, dass ergebnisorientierte Forschungs- und Produktentwicklung zu
Themen der globalen Gesundheit und im Speziellen zu vernachlässigten
und armutsassoziierten Krankheiten berücksichtigt werden.

Berlin, den 28. Februar 2012

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion

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